VwGH 2003/01/0021

VwGH2003/01/002116.7.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des A (geboren 1965) in L, vertreten durch Dr. Albin Walchshofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Fadingerstraße 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Oktober 2002, Zl. 230.974/0-V/15/02, betreffend §§ 7 und 8 AsylG, (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Ausspruches nach § 8 AsylG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der albanischen Volksgruppe zugehöriger Staatsangehöriger der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien aus dem Kosovo, reiste gemeinsam mit seiner Frau und seinen damals drei und vier Jahre alten Kindern am 27. Mai 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Bei seiner Vernehmung am 16. Juli 2002 gab er an, "in erster Linie hatte ich wirtschaftlich Probleme. Als zweites führe ich an, dass ich in mein Haus nicht zurückkehren konnte". Er stamme aus Biti, Gemeinde Shtrpce, und habe von dort 1998 ("bei Kriegsbeginn") flüchten müssen. Sein Haus sei zerstört worden und er könne in sein Heimatdorf nicht mehr zurück, weil dieses Gebiet "mehrheitlich von Serben bewohnt wird" und dort "keine Albaner leben können". Er habe sich im Zuge des Kosovo-Konfliktes zunächst nach Mazedonien begeben; die letzte Zeit vor seiner Ausreise habe er mit seiner Familie bei Verwandten seiner Frau in Ferizaj im Kosovo gelebt. Probleme mit der Polizei oder Behörden seines Heimatlandes habe er seit Beendigung des Kosovo-Konfliktes 1999 keine gehabt; er könne jedoch nicht in den Kosovo zurückkehren, weil er nicht wisse, "wohin ich im Kosovo gehen sollte, wenn ich nicht einmal zu meinem Grundstück gehen kann. (...) Es wohnen nur Serben dort". Auch die KFOR-Truppen könnten ihm nicht helfen, sein Grundstück wieder in Anspruch zu nehmen.

Mit Bescheid vom 19. August 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die BR Jugoslawien - Provinz Kosovo zulässig sei. Diesen Bescheid begründete das Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass die Ausreise des Beschwerdeführers "aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage erfolgte"; daher könne sein Vorbringen, er könne in seinen Heimatort wegen der Anwesenheit der Serben nicht zurück, "nicht als asylrelevant bezeichnet werden". Abgesehen davon habe der Beschwerdeführer auch "in der jüngeren Vergangenheit" außerhalb seines Heimatdorfes gelebt und keinerlei Verfolgung oder Gefährdung bei einer eventuellen Rückkehr vorgebracht. Weiters traf das Bundesasylamt umfangreiche allgemeine Feststellungen zur Situation im Kosovo, in denen im Hinblick auf "Unterkünfte" festgestellt wird, dass im Kosovo-Konflikt annähernd 100.000 Häuser beschädigt oder zerstört worden seien. Die Verwaltung der "Kollektivzentren" sei seit 1. Mai 2001 an die Gemeinden übertragen worden, deren Ziel es sei, die Betroffenen statt in den Kollektivzentren anderweitig (in wieder aufgebauten Häusern oder Sozialwohnungen) unterzubringen. Bis Februar 2001 seien ca. 50 % der beschädigten oder zerstörten Häuser wieder aufgebaut worden. In Bezug auf Rückkehrmöglichkeiten wurde festgestellt, dass "die meisten Kosovo-Albaner aus Orten im Kosovo, in denen die Angehörigen ihrer Volksgruppe die Mehrheit bildeten, ohne individuelle Schutzprobleme zurückkehren" könnten. Eine "Gefährdung oder Bedrohung iSd § 57 Abs. 1 und/oder 2 FrG" könne "für den größten Teil des Heimatlandes" ausgeschlossen werden. "Laut UNHCR" sei die Grundversorgung der zurückkehrenden Kosovo-Albaner gesichert. Den vorliegenden Berichten könne kein Hinweis entnommen werden, dass derzeit zurückkehrende Angehörige der muslimischen Volksgruppe "grundsätzlich in ihrer notdürftigsten Lebensgrundlage bedroht wären".

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, er habe "seit Jahren keine eigene Unterkunft mehr für mich und meine Familie". Sein Haus sei nicht wieder aufgebaut worden und sein Heimatort sei zur Gänze von den Serben vereinnahmt worden, diese würden ihn nicht mehr zurücklassen. Er habe mehr als vier Jahre "in den unterschiedlichsten Dörfern" gelebt und sein gesamtes Hab und Gut verloren; "die gesamte Existenz meiner Familie" sei im Kosovo "nicht mehr möglich gewesen".

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und "gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 des Fremdengesetzes" festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die BR Jugoslawien (Provinz Kosovo) zulässig sei. Begründend wurde darauf verwiesen, dass die belangte Behörde sich den Ausführungen des Bundesasylamtes in Bezug auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Beweiswürdigung und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage vollinhaltlich anschließe und diese zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhebe. Von einer mündlichen Berufungsverhandlung habe Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt aufgrund der Berufung, in der der Beschwerdeführer keine neuen, konkreten Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe, ausreichend geklärt erschienen sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Der belangten Behörde ist insoweit nicht entgegenzutreten, als sie hinsichtlich der Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides verwiesen hat. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der eine Verfolgung durch Serben ausschließlich im Gebiet seines früheren Heimatortes befürchtet, in den letzten Jahren in anderen Teilen des Kosovo unbehelligt gewohnt hat (vgl. zum vergleichbaren Fall eines vor seiner Ausreise zwei Jahre lang unbehelligt in Montenegro aufhältigen Kosovaren das Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0351), und dass das Bestehen einer weiteren asylrelevanten Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch "Serbien" bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien über den 20. Juni 1999 hinaus nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als nachhaltig unwahrscheinlich anzusehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359, und die Folgejudikatur, z.B. das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/01/0059). Als Grund für das nunmehrige Verlassen des Kosovo hat der Beschwerdeführer "in erster Linie" wirtschaftliche Probleme angegeben. Eine asylrelevante Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Kosovo gegenüber der dem zitierten Erkenntnis vom 3. Mai 2000 zugrunde liegenden Situation kann aber aus den im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/01/0059 - auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - genannten Gründen nicht erkannt werden. Der angefochtene Bescheid ist daher im Asylteil im Ergebnis nicht zu beanstanden, sodass die Beschwerde, soweit sie sich gegen den Ausspruch gemäß § 7 AsylG richtete, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

2. Der angefochtene Bescheid ist jedoch hinsichtlich der Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die (ehemalige) Bundesrepublik Jugoslawien - Provinz Kosovo gemäß § 8 AsylG mit Verfahrensmängeln sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. Aus der - etwa im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/01/0059, zitierten Stellungnahme des UNHCR vom April 2002 zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, die von der belangten Behörde als Spezialbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen war, ergibt sich, dass Kosovo-Albaner aus Orten im Kosovo, in denen die Angehörigen ihrer Volksgruppe die Mehrheit bildeten, ohne individuelle Schutzprobleme zurückkehren könnten. Hingegen gäbe es - so die erwähnte Stellungnahme des UNHCR weiter -

bestimmte Gruppen von Kosovo-Albanern, "die mit ernsten Problemen, einschließlich der Bedrohung ihrer körperlichen Unversehrtheit, konfrontiert werden könnten, sollten sie zum gegebenen Zeitpunkt nach Hause zurückkehren. Dazu gehören Kosovo-Albaner aus Gebieten, in denen sie eine ethnische Minderheit bilden." In Anbetracht der Indizwirkung, die Empfehlungen internationaler Organisationen, von der Abschiebung bestimmter Personengruppen in ein bestimmtes Gebiet Abstand zu nehmen, zukommt (vgl. dazu das Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2000/01/0453), sowie im Hinblick auf das Fehlen von Feststellungen im angefochtenen Bescheid darüber, in welcher Form eine Unterbringung des Beschwerdeführers und seiner Familie in seinem früheren Heimatort erfolgen könnte, kann von einer problemlosen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen früheren Wohnort nicht ausgegangen werden.

Vor diesem Hintergrund hätte es aber für die gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG zu treffende Refoulement-Entscheidung konkreter Feststellungen bedurft, auf deren Grundlage hätte beurteilt werden können, ob der Beschwerdeführer und seine Familie ohne Verstoß gegen Art. 3 EMRK in den Kosovo abgeschoben werden könnten. Eine solche Entscheidung hätte Feststellungen darüber erfordert, ob der Beschwerdeführer und seine Familie im Falle der Abschiebung damit rechnen könnten, eine Unterkunft zu bekommen und ob davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer und seine Familie (etwa auch infolge Unterstützung durch Freunde und Verwandte) mit Nahrung versorgt würden. Auch wenn die Feststellungen der Erstbehörde, wonach die Grundversorgung der zurückkehrenden Kosovo-Albaner gesichert sei und der Beschwerdeführer schon "in der jüngeren Vergangenheit" außerhalb seines Heimatdorfes gelebt habe, indiziert, dass dieser - etwa durch Unterstützung seitens der Familie seiner Frau - im Kosovo keine existentiellen Probleme hatte, so hätte sich die belangte Behörde im Hinblick auf das Berufungsvorbringen (u.a. brachte der Beschwerdeführer vor, dass "die gesamte Existenz meiner Familie" im Kosovo "nicht mehr möglich gewesen" sei) damit auseinander setzen müssen, ob im Falle des Beschwerdeführers und seiner Familie im Falle seiner Abschiebung eine solche Unterkunfts- und Ernährungssituation (allenfalls auch durch Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften) zu erwarten war, dass es im Falle der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers zu keinem Verstoß gegen Art. 3 EMRK käme (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0443, vom 13. November 2001, Zl. 2000/01/0453, und vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0164). Die insoweit ergänzend zu treffenden Feststellungen hätten die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erfordert (vgl. das Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465 u.v.a.).

Nach dem Gesagten kann der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines auf § 58 AsylG gestützten Abspruches keinen Bestand haben.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund bezüglich seines Ausspruches nach § 8 AsylG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. Juli 2003

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