Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art14 Abs5a
B-VG Art140 Abs1Z1 litc
StGG Art2, Art14 Abs2
EMRK Art9 Abs1
SchulunterrichtsG §43a
SchulorganisationsG §2
SchulpflichtG §11
V des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 24.06.1974 betreffend die Schulordnung §1, §8
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:G4.2020
Spruch:
I. 1. §43a des Bundesgesetzes über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen (Schulunterrichtsgesetz – SchUG), BGBl Nr 472/1986 (WV), idF BGBl I Nr 54/2019 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
3. Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
II. Der Bund (Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung) ist schuldig, den Antragstellerinnen und Antragstellern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.640,80 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG, begehren die Antragstellerinnen und Antragsteller, §43a des Bundesgesetzes über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen (Schulunterrichtsgesetz – SchUG), BGBl 472/1986 (WV), idF BGBl I 54/2019 zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Ordnung von Unterricht und Erziehung in den im Schulorganisationsgesetz geregelten Schulen (Schulunterrichtsgesetz – SchUG), BGBl 472/1986 (WV), idF BGBl I 80/2020 lauten samt Überschriften – auszugsweise – wie folgt (der zur Gänze angefochtene §43a SchUG – idF BGBl I 54/2019 – ist hervorgehoben):
"Geltungsbereich
§1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die öffentlichen und die mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen der im Schulorganisationsgesetz, BGBl Nr 242/1962, geregelten Schularten mit Ausnahme deren in Semester gegliederte Sonderformen.
(2) […]
SCHULORDNUNG
Pflichten der Schüler
§43. (1) Die Schüler sind verpflichtet, durch ihre Mitarbeit und ihre Einordnung in die Gemeinschaft der Klasse und der Schule an der Erfüllung der Aufgabe der österreichischen Schule (§2 des Schulorganisationsgesetzes) mitzuwirken und die Unterrichtsarbeit (§17) zu fördern. Sie haben den Unterricht (und den Betreuungsteil an ganztägigen Schulformen, zu dem sie angemeldet sind) regelmäßig und pünktlich zu besuchen, die erforderlichen Unterrichtsmittel mitzubringen und die Schulordnung bzw die Hausordnung einzuhalten. Sie haben weiters Anordnungen und Aufträgen im Rahmen der individuellen Lernbegleitung Folge zu leisten und Vereinbarungen, die gemäß §19 Abs3a im Rahmen des Frühwarnsystems getroffen wurden, zu erfüllen.
(2) Der Schüler ist über Auftrag des Schulleiters, eines Abteilungsvorstandes, eines Fachvorstandes oder eines Lehrers verpflichtet, vorsätzlich durch ihn herbeigeführte Beschädigungen oder Beschmutzungen der Schulliegenschaft und schulischer Einrichtungen zu beseitigen, sofern dies zumutbar ist.
§43a. (1) Um die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung aller Schülerinnen und Schüler sicherzustellen, ist diesen bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das 10. Lebensjahr vollenden, das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist, untersagt. Dies dient der sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau.
(2) Bei Verstoß gegen das Verbot gemäß Abs1 hat die Schulleiterin bzw der Schulleiter unverzüglich die jeweils zuständige Bildungsdirektion zu verständigen. Diese hat die Erziehungsberechtigten unverzüglich, jedenfalls innerhalb von 4 Schultagen, zu einem verpflichtenden Gespräch zu laden. In dem Gespräch sind die Gründe für den Verstoß zu erörtern. Zur Vermeidung weiterer Verstöße sind die Erziehungsberechtigten über ihre Verantwortung aufzuklären; dies ist schriftlich festzuhalten und der Schulleiterin bzw dem Schulleiter zur Kenntnis zu bringen.
(3) Findet nach dem Gespräch ein weiterer Verstoß gegen das Verbot gemäß Abs1 statt, oder kommen die Erziehungsberechtigten der verpflichtenden Ladung nach nochmaliger Aufforderung nicht nach, so stellt dieser eine Verwaltungsübertretung durch die Erziehungsberechtigten dar und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 440 €, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen.
[…]
Mitwirkung der Schule an der Erziehung
§47. (1) Im Rahmen der Mitwirkung der Schule an der Erziehung der Schüler (§2 des Schulorganisationsgesetzes) hat der Lehrer in seiner Unterrichts- und Erziehungsarbeit die der Erziehungssituation angemessenen persönlichkeits- und gemeinschaftsbildenden Erziehungsmittel anzuwenden, die insbesondere Anerkennung, Aufforderung oder Zurechtweisung sein können. Diese Maßnahmen können auch vom Klassenvorstand und vom Schulleiter (Abteilungsvorstand), in besonderen Fällen auch von der zuständigen Schulbehörde ausgesprochen werden. Der erste Satz gilt auch für Erzieher und Freizeitpädagogen im Betreuungsteil an ganztägigen Schulformen.
(2) Wenn es aus erzieherischen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Ordnung notwendig erscheint, kann der Schulleiter einen Schüler in eine Parallelklasse, bei lehrgangsmäßigen Berufsschulen auch in einen anderen Lehrgang versetzen. Wenn mit einer solchen Maßnahme nicht das Auslangen gefunden werden kann, kann die Schulkonferenz (bei Schulen, die in Fachabteilungen gegliedert sind, die Abteilungskonferenz) die Stellung eines Antrages auf Ausschluß des Schülers (§49 Abs2) androhen.
(3) Körperliche Züchtigung, beleidigende Äußerungen und Kollektivstrafen sind verboten.
(4) Im Rahmen der Mitwirkung an der Erziehung kann das Verhalten des Schülers außerhalb der Schule berücksichtigt werden; hiebei dürfen nur Maßnahmen gemäß Abs1 und §48 gesetzt werden. Eine Bestrafung für ein Verhalten, das Anlaß zu Maßnahmen der Erziehungsberechtigten, der Kinder- und Jugendhilfe, sonstiger Verwaltungsbehörden oder der Gerichte ist, ist unzulässig.
Verständigungspflichten der Schule
§48. Wenn es die Erziehungssituation eines Schülers erfordert, haben der Klassenvorstand oder der Schulleiter (der Abteilungsvorstand) das Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten zu pflegen. Wenn die Erziehungsberechtigten ihre Pflichten offenbar nicht erfüllen oder in wichtigen Fragen uneinig sind, hat der Schulleiter dies dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger gemäß §37 des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013, BGBl I Nr 69/2013, mitzuteilen.
Ausschluß eines Schülers
§49. (1) Wenn ein Schüler seine Pflichten (§43) in schwer wiegender Weise verletzt und die Anwendung von Erziehungsmitteln gemäß §47 oder von Maßnahmen gemäß der Hausordnung erfolglos bleibt oder wenn das Verhalten eines Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt, ist der Schüler von der Schule auszuschließen. An allgemein bildenden Pflichtschulen ist ein Ausschluss nur zulässig, wenn das Verhalten des Schülers eine dauernde Gefährdung von Mitschülern oder anderer an der Schule tätigen Personen hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt und die Erfüllung der Schulpflicht gesichert ist.
(2) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs1 hat die Schulkonferenz (bei Schulen, die in Fachabteilungen gegliedert sind, die Abteilungskonferenz) einen Antrag auf Ausschluß des Schülers an die zuständige Schulbehörde zu stellen. Dem Schüler ist vor der Beschlußfassung über die Antragstellung Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben. Überdies ist den Erziehungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Schulkonferenz hat bei ihrer Beratung die für und gegen den Ausschluß sprechenden Gründe zu berücksichtigen und ihren Antrag zu begründen. Eine Zweitschrift des Antrages ist dem Schüler zuzustellen.
(3) Die zuständige Schulbehörde hat bei Gefahr im Verzug auszusprechen, daß der Schüler vom weiteren Schulbesuch suspendiert wird. Die Suspendierung darf mit höchstens vier Wochen bemessen werden; sie ist unverzüglich aufzuheben, sobald sich im Zuge des Verfahrens ergibt, daß die Voraussetzungen nach Abs1 nicht oder nicht mehr gegeben sind. Der Schüler ist berechtigt, sich während der Suspendierung über den durchgenommenen Lehrstoff regelmäßig zu informieren. Am Ende eines Unterrichtsjahres ist dem Schüler Gelegenheit zur Ablegung einer Feststellungsprüfung gemäß §20 Abs2 zu geben, soweit eine Beurteilung wegen der Dauer der Suspendierung sonst nicht möglich wäre.
(4) Die zuständige Schulbehörde hat nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens die Beendigung des Ausschlußverfahrens festzustellen, wenn die Voraussetzungen im Sinne des Abs1 für einen Ausschluß nicht vorliegen. Sie kann zugleich dem Schüler eine Rüge erteilen oder eine Maßnahme nach §47 Abs2 anordnen, wenn sein Verhalten zwar einen Ausschluß nicht begründet, er aber sonst gegen seine Pflichten verstoßen hat. Andernfalls hat die zuständige Schulbehörde den Ausschluß des Schülers mit Bescheid auszusprechen.
(5) Der Ausschluß kann sich auf die betreffende Schule oder auf alle Schulen in einem näher zu bestimmenden Umkreis erstrecken. Von den verschiedenen Formen des Ausschlusses ist jeweils nur jene Form auszusprechen, mit der der angestrebte Sicherungszweck im Sinne des Abs1 bereits erreicht werden kann.
(6) […]
(7) Im Falle eines Ausschlusses ist die Aufnahme in eine Schule, auf die sich der Ausschluß erstreckt, weder als ordentlicher noch als außerordentlicher Schüler zulässig. Die Zulassung zu einer Externistenprüfung (§42) wird davon nicht berührt.
(8) Der Ausschluß kann von jener Schulbehörde, die ihn rechtskräftig ausgesprochen hat, auf Antrag des Schülers eingeschränkt oder aufgehoben werden, wenn und soweit die Gründe für seine Verhängung wegfallen oder der Sicherungszweck auf andere Weise erreicht werden kann.
(9) Sollten für Schüler allgemeinbildender Pflichtschulen Maßnahmen nach Abs1 nicht zielführend sein, so tritt an die Stelle des Ausschlusses eine Maßnahme nach Abs3 (Suspendierung) und die Einleitung eines Verfahrens gemäß §8 des Schulpflichtgesetzes 1985.
[…]
Lehrer
§51. (1) Der Lehrer hat das Recht und die Pflicht, an der Gestaltung des Schullebens mitzuwirken. Seine Hauptaufgabe ist die dem §17 entsprechende Unterrichts- und Erziehungsarbeit. Er hat den Unterricht sorgfältig vorzubereiten.
(2) Außer den ihr oder ihm obliegenden unterrichtlichen, erzieherischen und administrativen Aufgaben (zB Durchführung von Standardüberprüfungen) hat die Lehrerin oder der Lehrer (ausgenommen Lehrbeauftragte) erforderlichenfalls die Funktionen einer Klassenvorständin oder eines Klassenvorstandes, Werkstätten- oder Bauhofleiterin bzw Werkstätten- oder Bauhofleiters, Kustodin oder Kustos sowie Fachkoordinatorin oder Fachkoordinators zu übernehmen und erforderliche Fort- und Weiterbildungsangebote zu besuchen. Weiters hat die Lehrerin oder der Lehrer die Funktion eines Mitgliedes einer Prüfungskommission zu übernehmen und an den Lehrerinnen- und Lehrerkonferenzen teilzunehmen.
(3) Der Lehrer hat nach der jeweiligen Diensteinteilung die Schüler in der Schule auch 15 Minuten vor Beginn des Unterrichtes, in den Unterrichtspausen - ausgenommen die zwischen dem Vormittags- und dem Nachmittagsunterricht liegende Zeit - und unmittelbar nach Beendigung des Unterrichtes beim Verlassen der Schule sowie bei allen Schulveranstaltungen und schulbezogenen Veranstaltungen innerhalb und außerhalb des Schulhauses zu beaufsichtigen, soweit dies nach dem Alter und der geistigen Reife der Schüler erforderlich ist. Hiebei hat er insbesondere auf die körperliche Sicherheit und auf die Gesundheit der Schüler zu achten und Gefahren nach Kräften abzuwehren. Dies gilt sinngemäß für den Betreuungsteil an ganztägigen Schulformen, wobei an die Stelle des Unterrichtes der Betreuungsteil tritt."
2. §2 des Bundesgesetzes vom 25. Juli 1962 über die Schulorganisation (Schulorganisationsgesetz, im Folgenden: SchOG), BGBl 242/1962, idF BGBl I 38/2015 lautet:
"§2. Aufgabe der österreichischen Schule
(1) Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Sie hat die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen.
Die jungen Menschen sollen zu gesunden und gesundheitsbewussten, arbeitstüchtigen, pflichttreuen und verantwortungsbewussten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen und bundesstaatlichen Republik Österreich herangebildet werden. Sie sollen zu selbständigem Urteil, sozialem Verständnis und sportlich aktiver Lebensweise geführt, dem politischen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt werden, am Wirtschafts- und Kulturleben Österreichs, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.
(2) Die besonderen Aufgaben der einzelnen Schularten ergeben sich aus den Bestimmungen des II. Hauptstückes.
(3) Durch die Erziehung an Schülerheimen und im Betreuungsteil ganztägiger Schulformen ist zur Erfüllung der Aufgabe der österreichischen Schule gemäß Abs1 beizutragen."
3. §11 des Bundesgesetzes über die Schulpflicht (Schulpflichtgesetz 1985, im Folgenden: SchPflG), BGBl 76/1985 (WV), idF BGBl I 35/2018 lautet:
"C. Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht durch Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht
Besuch von Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht und häuslicher Unterricht
§11. (1) Die allgemeine Schulpflicht kann – unbeschadet des §12 – auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im §5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.
(2) Die allgemeine Schulpflicht kann ferner durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im §5 genannten Schule – ausgenommen die Polytechnische Schule – mindestens gleichwertig ist.
(2a) Die Abs1 und 2 gelten nicht für Schülerinnen und Schüler, die eine Deutschförderklasse gemäß §8h Abs2 oder einen Deutschförderkurs gemäß §8h Abs3 des Schulorganisationsgesetzes zu besuchen haben. Diese Schülerinnen und Schüler haben ihre allgemeine Schulpflicht jedenfalls für die Dauer des Bedarfes einer dieser besonderen Sprachförderungen in öffentlichen Schulen oder in mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu erfüllen.
(3) Die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten haben die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs1 oder 2 genannten Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß die im Abs1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.
(4) Der zureichende Erfolg eines im Abs1 oder 2 genannten Unterrichtes ist jährlich vor Schulschluß durch eine Prüfung an einer im §5 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, soweit auch die Schüler dieser Schulen am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat die Bildungsdirektion anzuordnen, daß das Kind seine Schulpflicht im Sinne des §5 zu erfüllen hat."
4. §1 und 8 der Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 24. Juni 1974 betreffend die Schulordnung, BGBl 373/1974, idF BGBl II 256/2020 (im Folgenden: Schulordnung) lauten:
"§1. (1) Die Schüler haben durch ihr Verhalten und ihre Mitarbeit im Unterricht in der Schule und bei Schulveranstaltungen die Unterrichtsarbeit zu fördern.
(2) Die Schüler haben sich in der Gemeinschaft der Klasse und der Schule hilfsbereit, verständnisvoll und höflich zu verhalten.
[…]
§8. (1) Im Rahmen des §47 Abs1 des Schulunterrichtsgesetzes sind folgende Erziehungsmittel anzuwenden:
a) bei positivem Verhalten des Schülers:
Ermutigung,
Anerkennung,
Lob,
Dank;
b) bei einem Fehlverhalten des Schülers:
Aufforderung,
Zurechtweisung,
Erteilung von Aufträgen zur nachträglichen Erfüllung versäumter
Pflichten,
beratendes bzw belehrendes Gespräch mit dem Schüler,
beratendes bzw belehrendes Gespräch unter Beiziehung der Erziehungsberechtigten,
Verwarnung.
Die genannten Erziehungsmittel können vom Lehrer, vom Klassenvorstand und vom Schulleiter, in besonderen Fällen auch von der zuständigen Schulbehörde, angewendet werden.
(2) Erziehungsmaßnahmen sollen möglichst unmittelbar erfolgen und in einem sinnvollen Bezug zum Verhalten des Schülers stehen. Sie sollen dem Schüler einsichtig sein und eine die Erziehung des Schülers fördernde Wirkung haben."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Die Antragstellerinnen und Antragsteller legten ihre Bedenken wie folgt dar:
1.1. In ihrem Antrag erläutern die Antragstellerinnen und Antragsteller zunächst die jeweils bestehenden Familienverhältnisse.
1.1.1. Die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller seien österreichische Staatsbürger, verheiratet und die Eltern der Drittantragstellerin und einer weiteren Tochter. Die Erstantragstellerin bekenne sich zum römisch-katholischen Glauben und trage selber kein Kopftuch. Sie sei als Lehrerin tätig. Der Zweitantragsteller sei Religionslehrer der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Auf Grund der einvernehmlichen Entscheidung der erst- und zweitantragstellenden Eltern werde die Drittantragstellerin, die ebenfalls österreichische Staatsbürgerin sei, religiös im Sinne der sunnitischen Rechtsschule des Islam erzogen. Ihnen liege es fern, ihren Töchtern das Tragen eines Kopftuches vorzuschreiben. Die Drittantragstellerin sei allerdings eigenwillig und äußere gelegentlich den Wunsch, entsprechend den Gebräuchen im Herkunftsland ihres Vaters ein Kopftuch (Hidschab) zu tragen, das ihre Haare zur Gänze bedeckt. Die erst- und zweitantragstellenden Eltern würden ihr dies nicht verwehren wollen. Sie empfänden eine Einschränkung in der Freiheit der Wahl der Bekleidung von Kindern als mit den Prinzipien eines den Grundrechten verbundenen, demokratischen Rechtsstaats für unvereinbar. Da sie jedoch im Bildungsbereich tätig seien, respektierten sie die Regelungen des Schulunterrichtsgesetzes und somit auch das Verbot der "Verhüllung des Hauptes". Allerdings empfänden sie dies als mit ihren liberalen Werten und mit ihrer Entscheidung, ihre Tochter religiös im Sinne des Islam zu erziehen, für schwer vereinbar.
1.1.2. Die Viertantragstellerin und der Fünftantragsteller seien ebenfalls verheiratet und die Eltern der Sechstantragstellerin. Die Viertantragstellerin sei österreichische Staatsbürgerin, bekenne sich zur schiitischen Rechtsschule des Islam und sei als Lehrerin an einer Privatschule tätig. Der Fünftantragsteller sei iranischer Staatsangehöriger, Inhaber eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt‑EU" und bekenne sich ebenso zur schiitischen Rechtsschule des Islam. Auf Grund der einvernehmlichen Entscheidung der viert- und fünftantragstellenden Eltern werde die Sechstantragstellerin, die österreichische Staatsbürgerin sei, religiös im Sinne der schiitischen Rechtsschule des Islam erzogen. Die Sechstantragstellerin sei willensstark und trage gelegentlich in ihrer Freizeit und auch in der Schule ein Kopftuch (Hidschab), das ihr Haupthaar zur Gänze bedeckt. Die viert- und fünftantragstellenden Eltern würden keinen Druck auf ihre Tochter ausüben, ein Kopftuch zu tragen. Ihre Tochter wolle dies aus eigenen Stücken. Sie würden das Tragen des Kopftuches jedoch auch als Äußerung bzw Ausdruck ihrer Religionsfreiheit und der Religionsfreiheit ihrer Tochter ansehen. Daher möchten sie ihrer Tochter das Tragen eines Kopftuches nicht untersagen.
1.1.3. Die islamische Glaubenslehre gebiete Frauen grundsätzlich das Tragen eines Kopftuches, welches das Haupt verdeckt. Die schiitische Rechtsschule vertrete die Überzeugung, dass Mädchen ab Vollendung des 9. Lebensjahres nach dem Mondkalender, dh ab einem Alter von 8 Jahren, 8 Monaten und rund 23 Tagen, ihr Haupthaar mittels eines Kopftuches verhüllen sollen. Die Sechstantragstellerin werde nach der schiitischen Rechtsschule erzogen und vollende das 9. Lebensjahr nach dem Mondkalender am 23. Juli 2020.
1.1.4. Den erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern sei gemeinsam, dass sie sich jeweils darauf geeinigt hätten, ihren Töchtern – der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin – eine religiöse Erziehung im Sinne der islamischen Lehre (im Fall der Drittantragstellerin nach der sunnitischen Rechtsschule; im Fall der Sechstantragstellerin nach der schiitischen Rechtsschule) angedeihen zu lassen. Sie möchten, dass ihre Kinder entsprechend den religiösen Geboten des Islam unterwiesen und erzogen werden können. Der Zweitantragsteller, die Viertantragstellerin und der Fünftantragsteller seien selbst Muslime und lebten entsprechend den religiösen Geboten ihrer jeweiligen Rechtsschule. Sie seien tolerant und weltoffen. Das an ihre Töchter adressierte Verbot, bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres keine Kopfbedeckung zu tragen, "mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist", widerspreche einerseits ihren Glaubensgrundsätzen, andererseits auch ihrem Bestreben nach Erziehung im Sinne der Toleranz und Weltoffenheit. Der Normgehalt des §43a SchUG führe bei den Antragstellerinnen und Antragstellern zu Gewissenskonflikten und sei für sie schwer nachvollziehbar. Es sei mit ihrer Entscheidung, ihre Töchter einerseits religiös, andererseits weltoffen und tolerant zu erziehen, nicht vereinbar, wenn sie der Drittantragstellerin bzw der Sechstantragstellerin erklären müssten, dass es ihnen nunmehr gesetzlich untersagt sei, ein Kopftuch zu tragen.
1.2. Zur Antragslegitimation wird vorgebracht, dass die erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern sich jeweils geeinigt hätten, ihre Kinder religiös im Sinne des Islam zu erziehen. Die Drittantragstellerin und die Sechstantragstellerin seien schulpflichtig und hätten das zehnte Lebensjahr noch nicht beendet und besuchten die Volksschule.
Sohin seien die Antragstellerinnen und Antragsteller seit 26. Juni 2019 vom Verbot des §43a SchUG persönlich betroffen. Das Verhalten der Dritt- und der Sechstantragstellerin, nämlich das Tragen eines Kopftuches, welches das Haupt verhülle, sei seit 26. Juni 2019 untersagt. Die erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern hätten im Fall eines Verstoßes durch die Dritt- bzw Sechstantragstellerin Sanktionen (Vorladung zu einem verpflichtenden Gespräch gemäß §43a Abs2 SchUG bzw Verwaltungsstrafe gemäß §43a Abs3 SchUG) zu gewärtigen.
1.2.1. Die erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern seien gemäß dem Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung, BGBl 155/1985 (WV), idF BGBl I 191/1999 berechtigt, sich frei über die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu einigen. Nach der Vollendung des 14. Lebensjahres stehe den Kindern die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis sie sich bekennen wollten (§5 Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung). Auf Grund dieser Rechtslage erlangten Kinder erst mit Vollendung des 14. Lebensjahres die volle Religionsmündigkeit.
Im vorliegenden Fall sei somit (neben dem Willen der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin selbst) die freie Einigung der Eltern für die religiöse Erziehung ihrer Töchter ausschlaggebend. Das Grundrecht auf religiöse Erziehung der Kinder sei nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auf Grund des höchstpersönlichen Charakters als vom Grundrecht der Eltern bzw der Erziehungsberechtigten auf Glaubens- und Gewissensfreiheit mitumfasst anzusehen (VfSlg 800/1927; Lienbacher, Religiöse Rechte, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hrsg.], Handbuch der Grundrechte, Grundrechte in Österreich2, 2014, §12 Rz 23). Dies bedeute, dass sowohl die Drittantragstellerin und die Sechstantragstellerin als auch die erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern durch das gemäß §43a SchUG vorgesehene Verbot betroffen seien. Die Verbotsregelung sei als Eingriff in das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit der Eltern zu qualifizieren.
1.2.2. Der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin werde durch die angefochtene Regelung das Tragen eines Kopftuches untersagt. Die Sanktionen richteten sich gegen ihre Eltern. Es sei ihnen nicht zumutbar, durch einen Verstoß eine Bestrafung ihrer Eltern zu provozieren. Es würde die Anforderungen an die Antragslegitimation überspannen, wenn die Drittantragstellerin und die Sechstantragstellerin einen Verstoß gegen §43a SchUG mit dem Ziel begehen müssten, durch Sanktionierung ihrer Eltern einen im Instanzenzug anfechtbaren Bescheid zu erlangen. Ebenso sei es den erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern nicht zumutbar, eine Ladung zu einem verpflichtenden Gespräch gemäß §43a Abs2 SchUG zu provozieren und der Ladung nicht Folge zu leisten. Weder die Ladung zu einem verpflichtenden Gespräch noch die Bestrafung seien den Antragstellern zur Erlangung eines Bescheides zumutbar.
1.2.3. §43a SchUG bilde im Übrigen eine Einheit, weil Abs1 leg.cit. ein Verbot vorsehe, das unmittelbar und direkt in die Rechtssphäre sämtlicher Antragstellerinnen und Antragsteller eingreife. Abs2 und 3 leg.cit. regelten Sanktionen, die im Fall der Aufhebung des Abs1 leg.cit. keinen Sinn ergeben würden, sodass die Antragstellerinnen und Antragsteller zur Anfechtung des gesamten §43a SchUG legitimiert seien.
1.3. Die Antragstellerinnen und Antragsteller bringen Bedenken im Hinblick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf den Gleichheitsgrundsatz sowie auf das Bestimmtheitsgebot nach Art18 B‑VG vor.
1.3.1. Zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit wird ausgeführt, dass laut den Gesetzesmaterialien die Regelung des §43a SchUG explizit auf das islamische Kopftuch (Hidschab) abziele.
1.3.1.1. Der Gesetzgeber sei sich offenbar selbst der grundrechtlichen Problematik eines selektiven, auf eine bestimmte Minderheit zugeschnittenen Verbots bewusst gewesen, habe jedoch die verfassungsrechtlichen, insbesondere die grundrechtlichen Rahmenbedingungen für ein solches Verbot nicht richtig gewürdigt. Vorgeblich solle die Bestimmung die Grundwerte des österreichischen Schulrechts ("Ziele der staatsbürgerlichen Erziehung"; Art14 Abs5a B‑VG) sowie die Gleichstellung von Mann und Frau verwirklichen und eine "frühzeitige, geschlechtliche Segregation verhindern". Warum dies nur bei Angehörigen einer islamischen Religionsgemeinschaft erforderlich sei, bleibe für die Antragstellerinnen und Antragsteller unerklärbar.
1.3.1.2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe sich in seiner Rechtsprechung wiederholt mit Kleidungsvorschriften, insbesondere mit Verboten religiöser Bekleidung an öffentlichen Einrichtungen bzw in der Öffentlichkeit, auseinandergesetzt. Dabei habe er in Staaten, in denen die Verfassung bzw das Staatskirchenrecht eine strenge Trennung von Staat und Kirche bzw Religion vorsehe, etwa in der Türkei, in der Schweiz und in Frankreich, eine Einschränkung der Religionsfreiheit durch Kleidungsverbote gelegentlich für gerechtfertigt qualifiziert (für Frankreich EGMR 4.12.2008, Fall Dogru, Appl 27.058/05 [Z72]; für die Türkei EGMR 24.1.2006, 24.1.2006, Fall Köse ua, Appl 26.625/02).
Festzuhalten sei, dass in der österreichischen Verfassung – anders als etwa in der französischen, türkischen oder Schweizer Verfassung – das Prinzip der Säkularität gerade nicht verankert sei. Vielmehr würden die Verfassung und insbesondere auch die Staatszielbestimmung über die Ziele des österreichischen Schulwesens (Art14 Abs5a B‑VG) jegliche Erwähnung des Verhältnisses von Staat und Kirche aussparen und statuierten damit eben gerade kein säkulares Grundprinzip. Die Trennung von Staat und Kirche sei in Österreich eher schwach ausgeprägt. Charakteristisch für das österreichische Staatskirchenrecht seien die Grundsätze der konfessionellen Parität und Neutralität, der Konkordanz sowie des religiösen Pluralismus. Das österreichische Staatskirchenrecht sei als säkular, aber nicht laizistisch zu qualifizieren (Ennöckl, "Nun sag‘, wie hast du‘s mit der Religion?" Die Gretchenfrage im österreichischen Verfassungsrecht, ZfV 2016, 395 [399]).
Die Lehre habe mit guten Gründen darauf hingewiesen, dass die zitierten Entscheidungen des EGMR zu Kleidungsverboten in Staaten wie der Türkei nicht ohne Weiteres auf Österreich übertragen werden könnten, weil die Schranken für Grundrechtseingriffe in Österreich enger gezogen seien und sich die politische Situation in Österreich von jener der in der Rechtsprechung des EGMR beleuchteten Staaten unterscheide (Thienel, Religionsfreiheit in Österreich, in: Manssen/Banaszak [Hrsg.], Religionsfreiheit in Mittel- und Osteuropa, 2006, 35 [69]; Pabel, Religion im öffentlichen Schulwesen, in: Prisching/Lenz/Hauser [Hrsg.], Bildung und Religion, 2006, 37 [71]).
In seiner jüngeren Rechtsprechung habe der EGMR soweit ersichtlich seine restriktive, die aus der Religionsfreiheit resultierende "Kleidungsfreiheit" einschränkende Rechtsprechung gelockert: Im Fall eines Zeugen, der vom Gericht zum Erscheinen verpflichtet worden sei, habe der EGMR entschieden, dass eine Ordnungsstrafe wegen des Nicht-Abnehmens einer Gebetskappe unzulässig in dessen Religionsfreiheit eingreife. Der EGMR erachte die Freiheit, seine Religion zu bekennen, als "fundamentales Recht", und zwar, "weil eine gesunde demokratische Gesellschaft Pluralismus und Vielfalt tolerieren und erhalten muss, und die Bedeutung der Religion für den Einzelnen anzuerkennen hat", solange nicht "der hintergründige Plan besteht, andere anzustacheln, säkulare und demokratische Werte abzulehnen oder eine Störung [dort: eines Gerichtsverfahrens] zu verursachen". Eine Bestrafung sei daher, selbst wenn sie unter Umständen durch das Prinzip des Säkularismus bzw einer "Post-Konfliktgesellschaft" begründet werde, in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig (EGMR 5.12.2017, Fall Hamidovic, Appl 57.792/15 [Z40 f.]).
Angewendet auf den Fall der Antragstellerinnen und Antragsteller bedeute dies, dass die Einschränkung der Religionsfreiheit durch §43a SchUG in Österreich als einer demokratischen Gesellschaft keinesfalls und umso weniger "notwendig" sein könne: In Österreich gebe es keine "Post-Konfliktgesellschaft" und auch den Antragstellerinnen und Antragstellern könne kein "hintergründiger Plan" unterstellt werden, "andere anzustacheln, säkulare und demokratische Werte abzulehnen oder eine Störung zu verursachen", sodass die bewirkte Einschränkung in Österreich bzw im speziellen Kontext (in der Schule) in einem demokratischen Staat wie Österreich nicht erforderlich sei.
1.3.1.3. Zusätzlich zu Art9 EMRK gewährleiste in Österreich Art14 Abs1 StGG jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Nach Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain hätten alle Einwohner Österreichs das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar sei. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes würden diese beiden Bestimmungen mit Art9 EMRK insofern eine Einheit bilden, als Art14 StGG durch Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain ergänzt werde und die dort genannten Schranken in Art9 Abs2 EMRK näher umschrieben würden (VfSlg 15.394/1998).
Nach der Rechtsprechung sei der Gesetzesvorbehalt des Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain enger gefasst als Art9 Abs2 EMRK. Letzterer verlange jedoch sowohl eine gesetzliche Grundlage als auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für Grundrechtseingriffe. Der Verfassungsgerichtshof kombiniere in seiner Rechtsprechung beide Gesetzesvorbehalte mit Hinweis auf das Günstigkeitsprinzip des Art53 EMRK (VfSlg 15.394/1998). Gemäß Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain sei ein Eingriff in die Religionsfreiheit nur zulässig, wenn dieser zur "Sicherung der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten" in Betracht komme. Nach der Rechtsprechung seien unter der "öffentlichen Ordnung die die Rechtsordnung beherrschenden Grundgedanken im Sinne der für das Zusammenleben der Menschen wesentlichen Regelungen zu verstehen (VfSlg 2944/1955). Die "guten Sitten" lege der Verfassungsgerichtshof als "die Vorstellungen der Bevölkerung von einer richtigen Lebensführung" aus (VfSlg 15.394/1998).
Im Übrigen habe der Verfassungsgerichtshof sogar ausgesprochen, dass die "öffentliche Ordnung" von den im österreichischen Verfassungsrecht niedergelegten Prinzipien der Glaubens- und Gewissensfreiheit "beherrscht" werde und somit die verfassungsmäßig gewährleistete Übung der Glaubens- und Gewissensfreiheit der öffentlichen Ordnung von vornherein nicht widersprechen könne (VfSlg 2944/1955).
Der Verfassungsgerichtshof habe beispielsweise auch das religiöse Schächten von Tieren nicht als Verstoß gegen die "guten Sitten" gewertet, selbst wenn "in den letzten Jahrzehnten insoweit ein Wertewandel eingetreten ist, als sich nach heutiger Auffassung im Tierschutz ein weithin anerkanntes und bedeutsames öffentliches Interesse verkörpert". Dem Recht der Freiheit der Religionsausübung komme demnach ein höheres Gewicht zu als dem Tierschutz, weil das Schächten einem jahrtausendealten Ritus entspreche (VfSlg 15.394/1998).
Die beiden zitierten Erkenntnisse würden zeigen, dass der Verfassungsgerichtshof der Religionsfreiheit einen besonderen Stellenwert zumesse und die Ausübung dieser Freiheit nach der Rechtsprechung per se nicht gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoßen könne. Die Ausübung religiöser Praktiken einer gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaft könne niemals sittenwidrig sein (Thienel, Religionsfreiheit in Österreich, 67). In einem nach dem Grundsatz der paritätisch-neutralen Konkordanz in einer religiös-pluralistischen Gesellschaft organisierten Staatskirchenrecht sei es dem Staat verwehrt, die Ausübung von Glaubenspraktiken einer anerkannten Religion einer Minderheit als sittenwidrig zu qualifizieren. Eine pluralistische Gesellschaft erfordere vom Staat Toleranz gegenüber Andersgläubigen und die Hinnahme religiöser Bräuche, auch wenn sie mit den Vorstellungen und Überzeugungen der Mehrheitsreligion nicht übereinstimmten (Thienel, Religionsfreiheit in Österreich, 74).
1.3.1.4. Im Anlassfall sei darauf hinzuweisen, dass das Tragen eines Kopftuches durch Volksschülerinnen keinesfalls die öffentliche Ordnung stören und den guten Sitten widerstreben könne. Durch diese Verhaltensweisen werde das Zusammenleben der Menschen im Staat – wenn überhaupt, dann zumindest – nicht empfindlich gestört. Weder der Schulbetrieb noch der Schulfrieden würden durch das Tragen des Kopftuches beeinträchtigt (Thienel, Religionsfreiheit in Österreich, 74; Pabel, Religion im öffentlichen Schulwesen, 71).
Auf Grundlage der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auch das Schächten und damit einen vergleichsweise intensiven Eingriff in den Tierschutz als nicht der öffentlichen Ordnung widerstreitend qualifiziert habe, sei daher davon auszugehen, dass das Tragen eines Kopftuches in der Schule, das überhaupt nicht in Rechte anderer eingreife, umso weniger mit der "öffentlichen Ordnung" oder den "guten Sitten" im Sinne des Staatsvertrags von St. Germain im Widerspruch stehen könne (Lienbacher, Religiöse Rechte, §12 Rz 39). Die Lehre lehne ein Kopftuchverbot mit Hinweis auf die Unvereinbarkeit mit den materiellen Gesetzesvorbehalten des §63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain einhellig ab (Kucsko-Stadlmayer, Die Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs auf dem Gebiet der Glaubensfreiheit, EuGRZ 1999, 505 [506 und 523]; Schinkele, Der "Streit" um das islamische Kopftuch, RdW 2004, 30; Ennöckl, ZfV 2016, 399).
1.3.1.5. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei Art14 Abs5a B‑VG so zu deuten, dass er "Offenheit und Toleranz sowie die an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientierte Verantwortung zu Bildungszielen [macht] und staatlichen Bildungseinrichtungen explizit das Ziel vor[gibt], Jugendliche gegenüber dem religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen zu machen" (VfSlg 19.349/2011). In VfSlg 19.349/2011 habe der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass diese Deutung die Zulässigkeit des Vorhandenseins religiöser Symbole in Bildungseinrichtungen (dort: Kreuz im Kindergarten) inkludiere.
Der Grundsatz der Parität und Gleichbehandlung der Religionen gebiete es, diese Rechtsprechung, nach der das Anbringen von Kreuzen in Kindergärten nicht als Eingriff in die negative Religionsfreiheit Andersgläubiger bzw Andersdenkender zu werten sei, auch auf das islamische Kopftuch zu übertragen. Im Übrigen habe der Verfassungsgerichtshof damals auch ausgesprochen, dass selbst für den Fall, dass das Anbringen von Kreuzen in Kindergärten in die negative Religionsfreiheit Andersgläubiger bzw Andersdenkender eingreifen würde, der Schutz der Rechte und Freiheiten der Kindergartenkinder und der Eltern christlichen Glaubens, die "eine Erziehung unter Einsatz auch des religiösen Symbols des Kreuzes wünschen", eine solche Einschränkung der negativen Religionsfreiheit anderer rechtfertigen würde. Nichts anderes könne aus gleichheitsrechtlichen Überlegungen – die Neutralität des Staates in religiösen Fragen vorausgesetzt – für das islamische Kopftuch gelten. Auch hier müsse – wenn man überhaupt von einem Eingriff in die negative Religionsfreiheit der Anderen ausgehe – ein allfälliger Wunsch der Eltern nach Erziehung ihrer Kinder mit dem religiösen Symbol des Kopftuches oder der Wunsch eines religionsunmündigen Kindes, ein Kopftuch zu tragen, wie es andere Glaubensangehörige auch tun, als Rechtfertigung gelten.
1.3.2. Das durch §43a SchUG vorgesehene Verbot verletze zudem den Gleichheitsgrundsatz.
1.3.2.1. Der Gesetzgeber begründe das Verbot vordergründig mit gleichheitsrechtlichen Erwägungen. Die Bestimmung solle der Gleichbehandlung von Mann und Frau dienen. Gleichzeitig nehme der Gesetzgeber in den Erläuterungen zum Initiativantrag ausschließlich auf "Anhänger einiger islamischer Strömungen bzw Richtungen oder Traditionen" Bezug. Der Unterrichtsausschuss betone in seinem Bericht nochmals explizit, dass "die jüdische Kippa und auch die Patka, die von Sikhs in diesem Alter getragen wird, nicht unter diese Regelung fällt". Dadurch werde eine – nach Ansicht der Antragstellerinnen und Antragsteller: sachlich nicht gerechtfertigte – Differenzierung zwischen unterschiedlichen religiösen Kleidungsstücken vorgenommen, die allesamt das religiöse Bekenntnis ihrer Träger nach außen zu erkennen gäben.
Wenn der Gesetzgeber durch die angefochtene Bestimmung tatsächlich die freie Entscheidung über die Religionsausübung sichern und eine erfolgreiche Integration fördern wollte, wie er dies in den Erläuterungen vorgebe, so müsste er auch andere sichtbare religiöse Symbole bzw Kleidungsstücke wie die vom Unterrichtsausschuss erwähnte Kippa oder Patka verbieten. Diese seien ebenso geeignet bzw dienten dazu, den jeweiligen Träger als Anhänger eines bestimmten religiösen Bekenntnisses zu erkennen zu geben. Dabei mache es für die anderen keinen Unterschied, welche Teile des "Hauptes" verhüllt würden. Die Verbotsbestimmung sei diesbezüglich auch unbestimmt.
1.3.2.2. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass zeitweise auch säkulare Kinder Kopfbedeckungen ("Verbände aus medizinischen Gründen, Kopfbedeckungen aus Witterungsgründen und Ähnliches") tragen würden. Der Gesetzgeber selbst weise in den Erläuterungen darauf hin, dass solche Kopfbedeckungen nicht vom Verbot umfasst sein sollen. Tatsächlich würden Kinder mitunter Kopfbedeckungen wie Kappen, Mützen oder Ähnliches tragen, um sich vor Witterungseinflüssen wie Regen oder Sonnenbestrahlung zu schützen oder sich von ihrer Umgebung abzuheben und ihre Individualität zum Ausdruck zu bringen. Für die erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern sei nicht nachvollziehbar, warum der Dritt- bzw der Sechstantragstellerin dies deshalb verboten werde, weil es sich nach Ansicht des Gesetzgebers um "weltanschauliche oder religiös geprägte Bekleidung" handeln soll. Für die Drittantragstellerin und die Sechstantragstellerin selbst sei dies aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen nicht gerechtfertigt bzw nicht verhältnismäßig. Tatsächlich sei es wohl für die Ordnung in der Schule weitaus störender, wenn ein aufmüpfiger Schüler aus Protest bzw mangelndem Respekt eine Baseballkappe trage, als wenn die Drittantragstellerin und die Sechstantragstellerin ein Kopftuch tragen.
1.3.2.3. Nach Ansicht der Antragstellerinnen und Antragsteller sei die Regelung auch insoweit unsachlich und damit gleichheitswidrig, als sie letztlich der Erstantragstellerin und dem Zweitantragsteller sowie der Viertantragstellerin und dem Fünftantragsteller als Eltern Sanktionen für ein Verhalten der Dritt- bzw der Sechstantragstellerin androhe. Ein derartiges Sanktionensystem im Sinn einer Sippenhaftung sei dem österreichischen (Verwaltungs‑)Strafrecht fremd. Soweit ersichtlich, stelle das österreichische (Verwaltungs‑)Strafrecht auf die persönliche Schuld eines Täters ab.
1.3.2.4. Hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass der von der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin gelegentlich getragene Hidschab auch als kulturell konnotierte Kleidung zu qualifizieren sein könne. In diesem Fall wäre allenfalls auch das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt.
1.3.3. Schließlich bringen die Antragstellerinnen und Antragsteller vor, dass die Regelung des §43a SchUG nicht dem Bestimmtheitsgebot nach Art18 B‑VG entsprechen würde.
1.3.3.1. Die angefochtene Verbotsnorm stelle "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist" unter Strafe. Erst aus den Erläuterungen, dem Bericht des Unterrichtsausschusses bzw dem zwischenzeitig veröffentlichten Rundschreiben des Bildungsministeriums (Rundschreiben Nr 17/2019, Umsetzung §43a SchUG ["Kopftuchverbot"], BMBWF‑12.940/0006‑II/3/2019), werde der Sinngehalt dieser Bestimmung klarer. Bei näherer Betrachtung sei jedoch anhand des Gesetzes nicht eindeutig definiert, welches Verhalten unter Strafe gestellt werden soll.
1.3.3.2. Nach Ansicht der Antragstellerinnen und Antragsteller sei es problematisch, Bekleidung als "weltanschaulich oder religiös geprägt" zu definieren. Hiebei handle es sich um subjektive Werturteile (Wahrnehmung im Rahmen einer "Prägung"), die sich von Fall zu Fall unterscheiden könnten und wohl auch nach dem Blickwinkel des Betrachters differieren würden. So sei beispielsweise das Nudelsieb des "Spaghettimonsters" nicht auf den ersten Blick als weltanschaulich oder religiös geprägte Kopfbedeckung zu erkennen, jedoch auf Grund der jüngeren Rechtsprechung möglicherweise als solche zu qualifizieren.
1.3.3.3. Unklar bleibe auch, was mit "Verhüllung des Hauptes" gemeint sei. Das "Haupt" könne sowohl der gesamte Kopf ("Burka") als auch lediglich ein Teil davon sein, wie etwa bei der in den parlamentarischen Materialien erwähnten jüdischen Kippa oder der Patka der Sikhs. Die angefochtene Bestimmung lasse es in diesem Punkt an der gebotenen Deutlichkeit fehlen.
1.3.3.4. Besonders im Zusammenhang mit Verbotstatbeständen gehe der Verfassungsgerichtshof von einem gesteigerten Bestimmtheitserfordernis aus (VfSlg 3207/1957, 4589/1963, 8695/1979). Diesem Bestimmtheitsgebot werde die angefochtene Verbotsnorm, die zur willkürlichen Auslegung einlade, keinesfalls gerecht.
2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:
2.1. Zu den vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit führt die Bundesregierung aus, dass dieses Recht in Österreich durch Art14 StGG und Art9 EMRK gewährleistet werde. Zusätzlich werde die freie Ausübung von Religion und Bekenntnis in Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain garantiert. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes seien diese drei Verfassungsbestimmungen insofern als eine Einheit anzusehen, als Art14 StGG durch Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain ergänzt werde und die dort genannten Schranken in Art9 Abs2 EMRK näher umschrieben würden (VfSlg 15.394/1998, 19.349/2011).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bestehe das Wesen der Glaubens- und Gewissensfreiheit einerseits im Ausschluss "staatlichen Zwangs auf religiösen Gebieten" (VfSlg 3220/1957, 13.513/1993, 14.978/1997). Jedermann solle in Sachen der Religion volle, von niemandem beschränkte Freiheit genießen (VfSlg 799/1927, 800/1927, 19.349/2011). Art9 EMRK und Art14 StGG schützten andererseits im Einklang damit nicht nur die (aktive) Religionsausübung, sondern umfassten auch das Recht, keiner Religion anzugehören und insbesondere nicht zu religiösen Handlungen bzw zur Teilnahme an diesen gezwungen zu werden (vgl VfSlg 19.349/2011). Eine entsprechende Urteilsfähigkeit, die nach dem Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung, BGBl 155/1985 (WV), idF BGBl I 191/1999 im Wege bestimmter Altersgrenzen für das Verfügen über die konfessionellen Verhältnisse geregelt sei, wäre Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Religionsfreiheit (Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht4, 2019, Rz 519).
2.1.1. Der Schutzbereich religiöser Gebräuche im Sinne des Art9 Abs1 EMRK sei weit zu verstehen und umfasse neben Gebräuchen, die im Zusammenhang mit kultischen Handlungen stehen, auch glaubensgeleitete Handlungen und Verhaltensweisen, die in den Bereich des Alltagslebens hineinreichen (vgl Grabenwarter, Art9 EMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 6 Lfg. 2003, Rz 17), welche auch das Tragen einer bestimmten Haar- und Barttracht oder religiöser Kleidung enthalten würden. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten Religionsausübung darstelle, komme es nicht darauf an, ob dieses auf einer zwingenden religiösen Vorschrift beruhe oder gar Ausdruck eines unabdingbaren Glaubenssatzes sei, sondern auch bloße religiöse Gebräuche (zB das christliche Totengedenken zu Allerheiligen, vgl VfSlg 16.054/2000) würden dem Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit unterliegen (VfSlg 15.394/1998).
Nicht jede Handlung, die irgendwie religiös motiviert sei, werde von Art9 Abs1 EMRK erfasst. Es sei vielmehr erforderlich, dass die betreffende Religion oder Weltanschauung in der Handlung deutlich zum Ausdruck komme. Es liege daher keine Ausübung eines religiösen Brauchs vor, wenn eine Verhaltensweise keine in der betroffenen Religionsgemeinschaft übliche Praxis darstelle (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 2016, 364 f. mwN).
2.1.2. Die gemäß Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain und Art9 EMRK gewährleistete Religionsfreiheit stehe unter dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art9 Abs2 EMRK, wobei der Schrankenvorbehalt des Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain (öffentliche Ordnung und gute Sitten) auf Grund des Günstigkeitsprinzips (Art53 EMRK) im Hinblick auf die Prüfung der Zulässigkeit eines Grundrechtseingriffs Vorrang habe und durch die Kriterien des Art9 Abs2 EMRK zu konkretisieren sei (VfSlg 15.394/1998). Die materiellen Voraussetzungen des Art9 Abs2 EMRK würden somit in Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain hineingelesen. Somit sei ein Eingriff in die Religionsfreiheit dann gerechtfertigt, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage basiere, einem legitimen Ziel diene und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, dh verhältnismäßig sei (Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht4, 2019, Rz 525). Zu den in Art9 Abs2 EMRK abschließend aufgezählten legitimen Zielen würden die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Gesundheit (des Grundrechteträgers, anderer Personen oder der Bevölkerung insgesamt), die Moral und der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zählen. Des Weiteren dürften Einschränkungen nicht diskriminierend ausgestaltet sein (Grabenwarter, Art9 EMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 37 ff.). Als legitimes Ziel im Sinne des Art9 Abs2 EMRK sei insbesondere auch der Schutz der Religions- bzw Weltanschauungsfreiheit von anderen Gläubigen, Agnostikern und Atheisten umfasst (EGMR 25.5.1993, Fall Kokkinakis, Appl 14.307/88; 1.7.2014 [GK], Fall S.A.S., Appl 43.835/11), auch im Schutz vor missbräuchlicher religiöser Einflussnahme könne ein legitimes Ziel gesehen werden.
Ein Eingriff oder eine Beschränkung der Religionsfreiheit müsse zur Erreichung eines legitimen Zieles notwendig und verhältnismäßig sein, wobei sich der EGMR bei der Prüfung konkreter Fälle eingehend mit den staatlichen Wertungen und dem jeweiligen innerstaatlichen Hintergrund der Zielsetzung (EGMR 25.5.1993, Fall Kokkinakis, Appl 14.307/88; 10.11.2005 [GK], Fall Leyla Şahin, Appl 44.774/98; 1.7.2014 [GK], Fall S.A.S., Appl 43.835/11) sowie mit den dem Sachverhalt zugrunde liegenden rechtlichen Verhältnissen (EGMR 24.2.1998, Fall Larissis, Appl 23.372/94) oder der besonderen gesellschaftlichen Rolle der Beschwerdeführer auseinandersetze. So habe sich der EGMR zB im Rahmen seiner zurückweisenden Entscheidung im Fall Dahlab (EGMR 15.2.2001, Fall Dahlab, Appl 42.393/98) betreffend ein an Lehrkräfte gerichtetes Verbot des Tragens eines Kopftuches im Unterricht mit der besonderen Position einer Lehrkraft und deren möglichem Einfluss auf die Schüler auseinandergesetzt.
2.1.3. Die im Antrag zitierte Rechtsprechung des EGMR zu den Rechtfertigungsgründen eines Eingriffs in die Religionsfreiheit würde sich hinsichtlich des Sachverhalts erheblich von den von §43a SchUG betroffenen Fällen unterscheiden. Sowohl beim Schächtverbot als auch beim Verbot der religiösen Eheschließung vor der standesamtlichen Eheschließung handle es sich um ein allgemeines Verbot einer religiösen Tradition oder einer kultischen Handlung auf dem gesamten Staatsgebiet. Die Regelung des §43a SchUG beziehe sich hingegen lediglich auf einen bestimmten, eingeschränkten Personenkreis sowie auf einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang. Kinder und Jugendliche in der Schule, deren Erziehungsberechtigte sowie Lehrkräfte und Schulleitung würden eine auf längere Dauer angelegte Bildungsgemeinschaft bilden, in der durch fast tägliche Begegnung neben dem Lehren und Lernen von Bildungsinhalten sowie von kognitivem Wissen auch Erziehung, Entwicklung und Entfaltung stattfänden.
2.1.4. Die Antragsteller würden vorbringen, dass in der österreichischen Verfassung das Prinzip der Säkularität nicht verankert sei und dass aus diesem Grund die Judikatur des EGMR, welche einzelfallbezogen ein Kopftuchverbot für zulässig erklärt habe, nicht auf die österreichische Rechtslage anwendbar sei. Damit werde - so die Bundesregierung - verkannt, dass in Österreich auch bei einem vom Grundsatz der Kooperation geprägten Verhältnis zwischen Staat und den Kirchen und Religionsgesellschaften eine klare Trennung von Staat und Kirche bestehe (VfSlg 19.349/2011) und das österreichische Staatskirchenrecht pluralistisch und neutral ausgestaltet sei. Diese Trennung zeige sich insbesondere in Art15 StGG, der Kirchen und Religionsgesellschaften durch ein umfassendes Selbstbestimmungsrecht klar vom Staat trenne (Vašek, Die Trennung von Staat und Kirche in Österreich, in: Esterbauer/Grabenwarter/Pabel [Hrsg.], 100 Jahre Trennung von Staat und Kirche, 2018, 73).
Der Begriff des "Prinzips der Säkularität" finde sich in der religionsrechtlichen Literatur bei Gampl (Gampl, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1971, 12 ff.), die darin einen leitenden Grundsatz der österreichischen Bundesverfassung sehe. Auch der Verfassungsgerichtshof selbst gehe in seiner Judikatur davon aus, dass das religionsrechtliche System in Österreich vom Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche geprägt sei (VfSlg 19.349/2011). Dieses sei im Sinne einer institutionellen Trennung von Kirche und Staat zu verstehen und in Art15 StGG verankert. Die Kirchen und Religionsgesellschaften würden keine hoheitlichen Befugnisse (vgl VfSlg 7801/1976) ausüben und seien auch keine Selbstverwaltungskörper im Sinne des Art120a ff. B‑VG. Durch die selbständige Verwaltung der inneren Angelegenheiten der Kirchen und Religionsgesellschaften seien diese dem staatlichen Bereich entzogen (Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht11, 2015, Rz 859). Dennoch bedeute diese Trennung keine Beziehungslosigkeit zwischen Kirche und Staat, sondern das Verhältnis sei durch eine Reihe koordinationsrechtlicher Elemente gekennzeichnet, wie beispielsweise im Bereich des Schul- und Erziehungswesens oder der Militär- und Anstaltsseelsorge, der theologischen Fakultäten und im Rundfunkrecht.
2.1.5. Aus der Judikatur des EGMR ergebe sich keineswegs der Schluss, dass ein Kooperationssystem des Staates, das eine religiöse Vielfalt zulasse, dazu führe, dass Eingriffe in die Religionsfreiheit keinesfalls gerechtfertigt sein könnten. Dies sei auch nicht – wie von den Antragstellern behauptet – dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zum rituellen Schächten zu entnehmen (VfSlg 15.394/1998).
Es bestehe eine Reihe von einzelfallbezogenen Urteilen des EGMR, die für das zu beurteilende Verbot in Österreich einschlägig seien und ein solches für zulässig erachten würden. Im Fall Leyla Şahin habe der EGMR ausdrücklich festgehalten, dass den Staaten ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Frage von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum überlassen sei, weil kein europäischer Konsens existiere (EGMR 10.11.2005 [GK], Fall Leyla Şahin, Appl 44.774/98 [Z109]; 18.3.2011 [GK], Fall Lautsi, Appl 30814/06 [Z70]; zum Kopftuchverbot s. ferner EGMR 15.2.2001, Fall Dahlab, Appl 42.393/98).
Für Lehrpersonen an öffentlichen Bildungseinrichtungen seien laut der Judikatur des EGMR Verbote des Tragens religiöser Symbole oder Kleidungsstücke zulässig, wenn sie dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, der Aufrechterhaltung der staatlichen Neutralität und der Vermeidung der Beeinflussung von Kindern dienten. Besonders im Hinblick auf die Primarstufe habe der EGMR das Tragen eines Kopftuches einer Lehrperson als "starkes Signal nach außen" eingestuft und ihm einen gewissen bekehrenden Effekt auf die leichter beeinflussbare Gruppe von Kindern zwischen vier und acht Jahren beigemessen. Der EGMR habe auch festgehalten, dass das Tragen eines Kopftuches mit den Grundsätzen der Toleranz, des Respekts gegenüber anderen und vor allem der Gleichheit und Nicht‑Diskriminierung, die Lehrer in einer demokratischen Gesellschaft an ihre Schüler weitergeben müssten, nur schwer vereinbar sei (EGMR 15.2.2001, Fall Dahlab, Appl 42.393/98).
Für Schülerinnen und Schüler seien Verbote des Tragens religiöser Symbole oder Kleidungsstücke dem EGMR zufolge ebenfalls zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und zur Wahrung der staatlichen Neutralität zulässig. Der EGMR habe ausgesprochen, dass die staatlichen Organe im Rahmen ihres Gestaltungsspielraumes sicherzustellen hätten, dass, wenn sie aus Achtung vor dem Pluralismus und den Freiheiten anderer Schülerinnen erlauben, ihr Glaubensbekenntnis in Räumlichkeiten der Schule auszudrücken, dieser Ausdruck nicht ostentativ und damit eine Quelle von Druck und Ausgrenzung werde (vgl EGMR 24.1.2006, Fall Köse, Appl 26.625/02).
Darüber hinaus habe der EGMR Kopftuchverbote im Turnunterricht aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen für zulässig erachtet. Auch sei die Ergreifung von Disziplinarmaßnahmen, einschließlich eines vorübergehenden oder endgültigen Schulausschlusses, nicht ausgeschlossen. Ein etwaiger Schulausschluss bei Zuwiderhandeln gegen allgemeine Kleidervorschriften sei auch verhältnismäßig, sofern ein alternativer Schulbesuch (zB Fernunterricht) möglich sei (vgl EGMR 4.12.2008, Fall Dogru, Appl 27.058/05; 4.12.2008, Fall Kervancı, Appl 31.645/04; 30.6.2009, Fall Aktas, Appl 43.563/08). In Zusammenhang mit dem verpflichtenden Schwimmunterricht in der Schweiz auch für muslimische Mädchen habe der EGMR hervorgehoben, dass die Schule eine besondere Rolle im Integrationsprozess spiele und die erfolgreiche soziale Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten erleichtere. Diese gehen den Wünschen der Eltern vor, ihre Kinder im Sinne ihrer religiösen Überzeugungen zu erziehen (EGMR 10.1.2017, Fall Osmanoğlu und Kocabaş, Appl 29.086/12).
2.2. In Bezug auf die Religionsausübungsfreiheit der Dritt- und der Sechstantragstellerin führt die Bundesregierung aus, dass Religionsmündige und erwachsene Musliminnen hinsichtlich des Tragens eines Kopftuches (Hidschab) in der Öffentlichkeit den Schutz der Religionsfreiheit genießen würden. Es handle sich insofern zweifelsohne um eine glaubensgeleitete Handlung bzw Verhaltensweise, die in den Bereich des Alltagslebens hineinreiche. Nicht nur die Befolgung religiöser Vorschriften, sondern auch die Ausübung religiöser Bräuche falle in den Schutzbereich. Keine Ausübung eines religiösen Brauchs liege vor, wenn eine Verhaltensweise keine in der betroffenen Religionsgemeinschaft übliche Praxis darstelle (Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 2016, 365).
2.2.1. Entgegen den Darstellungen im Antrag gebe es einen intensiven intrareligiösen Diskurs darüber, ob selbst eine erwachsene Frau überhaupt einem religiösen oder traditionellen Verhüllungsgebot unterliege. Es gebe auch islamische Glaubensgemeinschaften, bei denen keine Verhüllungsregelungen bestünden (zB im Alevitentum). Umso mehr müsse dieser Diskurs hinsichtlich etwaiger Bekleidungsgebote für Kinder sowie für die entsprechenden Altersgrenzen gelten. Zudem würden die antragstellenden Eltern mehrfach betonen, dass ihre Töchter das Kopftuch nur "gelegentlich" und nach keinem bestimmten Muster tragen würden.
Es sei fraglich, ob die Verhüllung des Hauptes von Mädchen im Volksschulalter eine in der islamischen Glaubensgemeinschaft übliche religiöse Praxis sei. Ein religiöses Gebot, ein Kopftuch im Kindesalter zu tragen, finde sich auch allgemein in der Lehre der IGGÖ, die im Rahmen der Änderung der Verfassung im Jahr 2016 vorgelegt worden sei, nicht. Die IGGÖ habe in den letzten Jahren unterschiedliche Positionen zu der Frage, inwiefern das Tragen eines Kopftuches bzw die Verhüllung des Körpers als Vorgabe zu sehen sei, eingenommen. Die Frage, ab welchem Alter ein Kopftuch zu tragen bzw das Haupt zu verhüllen sei, sei bis zur Veröffentlichung des "Feststellungsbescheids" der IGGÖ vom 20. Dezember 2019 überhaupt nicht thematisiert worden. Ein Beschluss des Beratungsrates der IGGÖ für Glaubenslehre und religiöse Angelegenheiten vom 16. Februar 2017 befasse sich mit dem Thema der "Stellung der Verhüllung im Islam". Diesem Beschluss sei allerdings nicht zu entnehmen, dass das Tragen eines Kopftuches ein grundsätzliches und unverzichtbares Gebot sei, dessen Einhaltung ab einem gewissen Alter "erforderlich" wäre. Dies sei ein Indiz dafür, dass die Verhüllung des Hauptes bzw des Körpers ab einem Alter von nicht ganz neun Jahren keineswegs als allgemein praktizierte Religionsausübung angesehen werden könne.
2.2.2. Die im "Feststellungsbescheid" der IGGÖ vom 20. Dezember 2019 zum Tragen des Kopftuches im ersten Absatz enthaltene Darlegung, muslimischen Kindern stehe das im Islam begründete Recht auf Ausübung anerkannter religiöser Praktiken wie das Tragen eines Kopftuches zu, stelle sich nicht als Auslegung der vorliegend maßgeblichen Bestimmungen der österreichischen Bundesverfassung oder als Behauptung tatsächlicher Art dar, dass es sich um einen von Kindern ausgeübten religiösen Brauch handle.
Zu der im zweiten Absatz enthaltenen Aussage, die Position der schiitischen Rechtsschule, dass das Tragen des Kopftuches für Mädchen bereits ab Vollendung des 9. Lebensjahres nach dem Mondkalender erforderlich sei, werde als Teil der Lehrvielfalt anerkannt und mitgetragen, werde Folgendes angemerkt: Im schiitischen Bereich würden Hauptzweige unterschieden, die ihrerseits verschiedene Rechtsschulen aufweisen. Der Fünftantragsteller und die IGGÖ würden sich offenbar auf die Rechtsschule der Zwölfer-Schiiten (12 Imame) beziehen und die konkrete Auslegung scheine die theologische Staatsideologie des Iran widerzuspiegeln. In Artikel 12 der iranischen Verfassung sei der Islam der zwölfer‑schiitischen Richtung als die "niemals veränderbare Religion des Staates" festgeschrieben. Im Iran bestehe auch eine allgemeine (staatliche) Verpflichtung, ab diesem Alter ein Kopftuch zu tragen. Im Irak – ein ebenfalls schiitisch geprägtes Land – werde auf die bestehende Diskussion zur Frage des verpflichtenden Tragens eines Kopftuches für muslimische Mädchen dieses Alters hingewiesen. In anderen muslimischen Ländern, wie beispielsweise in der Türkei und Bosnien‑Herzegowina, die vorwiegend sunnitisch geprägt seien, stelle das Tragen eines Kopftuches von muslimischen Mädchen dieses Alters aber keineswegs eine allgemeine übliche religiöse Praxis dar. In der Lehre der IGGÖ (die einen Bestandteil der Verfassung der IGGÖ bilde) würden in Punkt 6. die unterschiedlichen Rechtsschulen (mehrere sunnitische, die Zwölfer-Schia, die Zaiditen und die Ibaditen) demonstrativ aufgezählt. In der Lehre der "Islamisch Schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (Schia)", die seit dem Jahr 2013 in Österreich als religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt sei, finde sich ebenfalls keine Verpflichtung, ab diesem Alter ein Kopftuch zu tragen.
Im dritten Absatz des "Feststellungsbescheids" vom 20. Dezember 2019 werde sodann aus der zuvor umschriebenen Haltung, dass die Position der schiitischen Rechtsschule mitgetragen würde, die Schlussfolgerung gezogen, dass das Tragen des Kopftuches für Mädchen, die auf Grund ihrer persönlichen Entscheidung den Anforderungen der schiitischen Rechtsschule entsprechen möchten, ein unverzichtbares Gebot des Islam darstelle. Es sei jedoch - so die Bundesregierung - zu hinterfragen, wie auf Grund der persönlichen Entscheidung eines Mädchens aus dem Mittragen eines schiitischen Gebotes durch die IGGÖ ein unverzichtbares Gebot des Islam folgen könne.
In diesem Zusammenhang hält die Bundesregierung zudem fest, dass es sich bei einem "Feststellungsbescheid" der IGGÖ nicht um die Ausübung einer hoheitlichen Befugnis handle, weil eine solche den Kirchen und Religionsgesellschaften auf Grund der institutionellen Trennung nach Art15 StGG nicht zukomme (VfSlg 7801/1976). Die Bezeichnung als "Feststellungsbescheid" entfalte keinerlei staatliche Wirkung.
2.2.3. Zusammenfassend sei daher das Gebot, wonach Mädchen bereits in jungen Jahren "ihren gesamten Körper bis auf das Gesicht und die Hände" zu verhüllen hätten, sowie auch eine Verhüllung von jungen Mädchen unabhängig von diesem Gebot nicht als in Österreich verbreitete religiöse Übung im Sinne des Art9 EMRK anzusehen. Deshalb liege kein Eingriff in die Religionsfreiheit der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin vor.
2.2.4. Das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art2 1. ZPEMRK stelle eine besondere Ausformung der Glaubens‑, Weltanschauungs- und Überzeugungsfreiheit ("religion, belief or atheism") dar (EGMR 10.1.2017, Fall Osmanoğlu und Kocabaş, Appl 29.086/12). Der EGMR verwende in seiner Entscheidung den Begriff der lex specialis. Es komme daher allenfalls ein Eingriff in Grundrechte der erst-, zweit-, viert- und fünftantragstellenden Eltern, keinesfalls aber in die Religionsfreiheit der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin in Betracht.
2.3. Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof von einem Eingriff in das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin ausgehe, sei dieser jedoch – wie auch bereits in den Gesetzesmaterialien zu der zu beurteilenden Bestimmung dargestellt – gerechtfertigt.
2.3.1. Die Ziele des §43a SchUG seien ausdrücklich die Sicherstellung der bestmöglichen Entwicklung und Entfaltung aller Schülerinnen und die Förderung der sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau. Unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (AB 612 BlgNR 26. GP ) seien weitere Ziele der Schutz der Entscheidungsfreiheit von Musliminnen und Muslimen in Bezug auf das Praktizieren der Verhüllung sowie die Vermeidung einer mit den österreichischen Grundwerten und gesellschaftlichen Normen nicht vereinbaren Segregation. Im weiteren Sinne seien der Schutz der Kinder und von deren Rechten, der Schutz vor Indoktrination in der Schule, der Schutz des Rechts, keine Religion zu haben oder auszuüben und zu keinen religiösen Handlungen gezwungen zu werden, der Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter und der Schutz von Persönlichkeitsrechten, insbesondere von Informationen über Sachverhalte aus dem persönlichen Leben, Ziele der Bestimmung.
Der Schutz der Kinder und ihrer Rechte ergebe sich in diesem Zusammenhang aus der Umsetzung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (im Folgenden: UN-Kinderrechtskonvention). Art28 und Art29 der UN‑Kinderrechtskonvention würden die Rechte auf Bildung und Entfaltung der Persönlichkeit festlegen und seien in der österreichischen Bundesverfassung in Art14 Abs5a B‑VG sowie auf einfachgesetzlicher Ebene in §2 SchOG entsprechend umgesetzt worden. Somit erkenne die Republik Österreich als Vertragsstaat der UN-Kinderrechtskonvention das Recht des Kindes auf Bildung an und spreche sich dafür aus, dass Bildung darauf gerichtet sein müsse, die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen, aber auch um den Kindern den Weg dafür zu ebnen, als Jugendliche ihrer Entwicklung und ihrem Bildungsweg entsprechend selbständig urteilen und soziales Verständnis aufbringen zu können.
Die faktische Gleichstellung der Geschlechter sei ein wesentlicher Teil dieses Bildungsauftrages und ein sozialer, politischer und moralischer Wert, der Schülerinnen und Schülern durch österreichische Bildungseinrichtungen zu vermitteln sei. Eine faktische Ungleichbehandlung in Form von Kleidung widerspreche dem Wertekatalog der österreichischen Schule, denn Bildung müsse darauf ausgelegt sein, ein Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Toleranz und der Gleichberechtigung der Geschlechter vorzubereiten. Eine geschlechtliche Trennung von Kindern durch Kleidung bereits im jungen Alter widerspreche dem Gleichstellungsziel des Art7 Abs2 B‑VG sowie der öffentlichen Ordnung.
Um Kinder an ein selbstbestimmtes Leben in Autonomie und die Fähigkeit zu selbständigem Urteilen heranzuführen, werde die Kenntnis und Praxis normativer Orientierungsmuster vorausgesetzt. Elterliche Vorprägungen seien dabei zu respektieren und zu fördern, denn Schule könne grundsätzlich nicht bedeuten, der religiösen Erziehung durch die Eltern entgegenwirken zu wollen. Erziehung zur Freiheit enthalte jedoch auch, mögliche Entwicklungswege offen zu halten, eine Reflexion über den eigenen Lebensweg zu ermöglichen und daher einer voreiligen Festlegung auf bestimmte Rollenbilder und Lebensformen vorzubeugen. Nur so könnten die ethischen und kognitiven Rahmenbedingungen für selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben geschaffen werden. Dieses Erziehungsziel werde beeinträchtigt, wenn Kindern eine bestimmte Lebensform (etwa auch durch andere Kinder) vorgegeben werde, die nicht auf einer selbständigen Reflexion über die Richtigkeit der eigenen Lebensform beruhe, sondern sich als eine Vorentscheidung anderer darstelle. In der Schule müsse ausgedrückt werden, dass die Wahl der eigenen Lebensform in der pluralistisch‑freiheitlichen Gesellschaft aufgegeben, aber nicht vorentschieden sei. Aus dieser Perspektive sei es verfassungsrechtlich gerechtfertigt, äußere Manifestationen bestimmter Lebensformen (etwa einer Religion) seitens der Schülerinnen und Schüler im allgemeinen Schulalltag hintanzuhalten.
Dies müsse umso mehr für religiös konnotierte Bekleidung gelten, welche eine ständig sichtbare Gruppenzuordnung ermögliche. Das islamische Kopftuch in der Altersgruppe unmündig Minderjähriger führe im Schulleben zu Segmentierung und Trennung, lasse gerade bei Kindern Vorstellungen von Unterschiedlichkeit aufkommen und könne gegebenenfalls sogar zu sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Es sei zweifelhaft, wie das Erziehungsziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau durch die Schule erreicht werden solle, wenn in der Schulöffentlichkeit täglich Lebensweisen präsent seien, die ein gegenteiliges Verständnis mit sich bringen würden.
Die Bundesregierung verkenne nicht, dass Erziehung zur Toleranz gegenüber unterschiedlichen Religionen und Lebensformen ebenfalls Teil der staatlichen Bildungsaufgabe sei. Das Verbot des Tragens von Kleidung, welche das Haupt verhüllt, stehe dazu aber nicht im Gegensatz. Während es nicht in der Befugnis des Gesetzgebers stehe, Bewertungen des islamischen Glaubens vorzunehmen, sei es jedoch Ausdruck der angemessenen staatlichen Schulorganisation, wenn der Gesetzgeber der Entstehung von Differenzen zwischen nicht kopftuchtragenden Kindern und kopftuchtragenden Kindern entgegenwirke. Die Präsenz des äußeren Zeichens einer Lebensform, wonach die Rolle der Frau komplementär und nicht gleichberechtigt zum Mann interpretiert werde, untergrabe das Erziehungsziel echter Gleichberechtigung. Die dargestellten Überlegungen würden im Hinblick auf die Sicherung der öffentlichen Ordnung jedenfalls ein legitimes Ziel im Sinne des Art9 Abs2 EMRK darstellen.
2.3.2. Zur Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs führt die Bundesregierung sodann aus, dass den genannten Zielen besonders im schulischen Kontext große Bedeutung zukomme. Mit Beginn der Schulpflicht greife der Staat in die höchstpersönlichen Freiheiten und Lebensverhältnisse der Menschen ein. Schülerinnen und Schüler würden im Regelfall einem Pflichtschulsprengel zugeordnet, in einen fixen Klassenverband eingebunden und damit dauerhaft Teil einer Schulgemeinschaft. Die Schule habe während wesentlicher Phasen der körperlichen, seelischen und psychischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen an der Erziehung mitzuwirken. Der Schule komme somit eine bedeutsame Rolle im Leben und im Alltag von Kindern und Eltern zu.
Im Rahmen der sich daraus für die Gesetzgebung und Verwaltung ergebenden Verantwortung sei die Regelung des §43a SchUG daher notwendig, um die subjektiven Rechte der Kinder und Jugendlichen auf bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler im schulischen Bereich sicherzustellen, deren positive als auch negative Religionsfreiheit zu wahren, eine frühe geschlechtliche Ungleichbehandlung zu verhindern und einer Stigmatisierung des menschlichen Körpers vorzubeugen.
2.3.2.1. Eine solche Stigmatisierung sei durch die Bedeutung, die dem Tragen des Kopftuches in diesem frühen Alter in fundamentalistischen Auslegungen des Islam zugemessen werde, beinahe unvermeidbar. Verhüllungsgebote für Frauen oder die Tradition, das weibliche Haupt bzw den Körper zu verhüllen, würden in erster Linie auf die Bedeckung bestimmter Körperteile abzielen. Das Verdecken beziehe sich dabei in der Regel auf die Weiblichkeit einer Frau oder eines Mädchens und stehe mit Aspekten der weiblichen Schamhaftigkeit oder Reinheit in engem Zusammenhang. In den meisten islamischen Traditionen, die eine solche Verhüllung gebieten, betreffe diese Vorschrift Frauen, die bereits menstruieren und die somit geschlechtsreif seien, weil von ihren Körpermerkmalen Reize auf Männer ausgehen könnten.
Abgesehen von dem Umstand, dass Mädchen vor dem Erreichen des zehnten Lebensjahres nur in Ausnahmefällen bereits die Geschlechtsreife erreichen würden – und dies auch nur, wenn man Geschlechtsreife automatisch mit dem Eintreten der ersten Menstruation definiere – und somit die in den meisten muslimischen Ländern vorgegebene Altersgrenze üblicherweise in der Volksschule gar nicht erreichen würden, führe eine Verhüllung des Hauptes in diesem Alter zu einem sexuell unnötig aufgeladenen Klima, das den allgemein akzeptierten Maßstäben einer Zivilgesellschaft nicht entsprechen könne. Denn jedes Kopftuch, das erkennbar auf Grund der Anschauung getragen werde, dass das weibliche Haupthaar verhüllt werden müsse, weil von ihm eine sexuelle Reizwirkung auf Männer ausgehen könnte, markiere logischerweise umgekehrt auch seine Trägerin als potenzielles Sexualobjekt. Dies könne bei Kindern in keiner Weise angebracht sein. Eine öffentliche Schule bzw eine Schule mit Öffentlichkeitsrecht müsse auf Grund ihres allgemeinen Erziehungsauftrages die Bedeutung mitberücksichtigen, die ein solches Frauen- und Männerbild für die Persönlichkeitsentwicklung von noch relativ kleinen Mädchen und für das Verhalten von Knaben ihnen gegenüber mit sich bringen könne.
Durch die frühzeitige Sexualisierung werde das betroffene Mädchen in die Rolle des Frauseins gedrängt, wodurch es zu einer geschlechtlichen Segregation komme, welche wiederum dem Bildungsziel der erfolgreichen sozialen Integration widerspreche. Im Integrationsprozess spiele jedoch die Schule, wie der EGMR im Fall Osmanoğlu und Kocabaş hervorgehoben habe, eine besondere Rolle.
2.3.2.2. Die Bestimmung sei zudem erforderlich, um betroffene Schülerinnen im schulischen Bereich vor häufig massivem Druck, sich in der Schule an angebliche religiöse Verhüllungsregelungen zu halten, zu schützen. Dies gehe insbesondere aus dem Tätigkeitsbericht der Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte mit Stand Dezember 2019 deutlich hervor.
Das Schreiben der IGGÖ vom 20. Dezember 2019 drücke aus, dass die Verhüllung des Körpers von Mädchen ab einem gewissen Alter "erforderlich" sei und ein "unverzichtbares Gebot" darstelle. Diese Sichtweise könne nicht nur einen gewissen Druck bzw Zwang jener auslösen, die sich an die Auslegung der IGGÖ bzw der schiitischen Rechtslehre gebunden fühlen, sondern auch bei Mitschülern, die diesbezüglich einer anderen muslimischen Glaubensrichtung folgen.
Die bekämpfte Regelung sei außerdem erforderlich, um sicherzustellen, dass Kinder und Eltern, die bestimmten Traditionen oder Praktiken nicht nachkommen wollen, dies könnten, ohne dass sie ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit dem Staat gegenüber offenlegen müssten oder die Kinder und Jugendlichen im schulischen Kontext Nachteile erfahren würden. Diese Problematik werde auch von der Judikatur des EGMR berücksichtigt, wonach eine Einschränkung gewisser Bekleidungstraditionen dann das legitime Ziel der Gleichstellung der Geschlechter verfolge, wenn diese dazu führe, Betroffene vor Zwang oder Druck zu schützen. Der EGMR habe im Fall S.A.S. anerkannt, dass ein Staat, der mit dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter verbiete, Frauen dazu zu zwingen, ihr Gesicht zu verhüllen, auch ein Ziel verfolge, das dem Schutz der Freiheiten und Rechte Dritter im Sinne der Art8 und 9 EMRK korrespondiere.
2.3.2.3. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass die angefochtene Bestimmung dem Schutz der öffentlichen Ordnung, der betroffenen Kinder selbst sowie der Rechte und Freiheiten anderer diene. Die in §43a SchUG festgelegten Maßnahmen seien zur Erreichung dieser Ziele nicht nur erforderlich, sondern auch geeignet. §43a SchUG sei daher nach Abwägung aller rechtlichen Güter im Lichte des Eingriffszieles als angemessen zu beurteilen.
2.4. Zur Religionsausübungsfreiheit der antragstellenden Eltern führt die Bundesregierung aus, dass das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art2 1. ZPEMRK eine besondere Ausformung der Glaubens‑, Weltanschauungs- und Überzeugungsfreiheit darstelle. Demnach habe der Staat dort, wo er eine Erziehungs- und Bildungsaufgabe erfülle, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen der Eltern zu respektieren und einen wirksamen Grundrechtsschutz sicherzustellen (EGMR 7.12.1976, Fall Kjeldsen, Busk Madsen und Pedersen, Appl 5095/71 ua). Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass eine Erziehung gemäß den besonderen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern seitens der staatlichen Bildungseinrichtungen zu gewährleisten sei, solange das Bildungswesen pluralistisch-neutral ausgestaltet sei.
Das elterliche Erziehungsrecht nach Art2 1. ZPEMRK werde durch das Bundesgesetz über die religiöse Kindererziehung 1985, BGBl 155/1985 (WV), idF BGBl I 191/1999 näher ausgestaltet. Die Entscheidung über die religiöse Erziehung habe bis zum Erreichen der Religionsmündigkeit mit dem 14. Lebensjahr in freier Einigung der Eltern zu erfolgen (§1 iVm §5 leg.cit .). Eine religiöse Pflicht bzw religiöse Übung, die mit dem Erreichen der Pubertät verknüpft sei, könne daher bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres, unbeschadet der innerkonfessionellen Selbstverantwortung, nur durch die Eltern nach außen treten. Das Erziehungsrecht der Eltern hindere den Staat jedoch nicht daran, ein Schulwesen nach seinen Vorstellungen zu etablieren, wobei er dabei Inhalte und Informationen vermitteln dürfe, die im Widerspruch zu den religiösen Überzeugungen der Eltern stünden, solange dies in nicht indoktrinatorischer Weise erfolge (vgl zum "Indoktrinationsverbot" EGMR 7.12.1976, Fall Kjeldsen, Busk Madsen und Pedersen, Appl 5095/71 ua; 29.6.2007 [GK], Fall Folgerø ua, Appl 15.472/02; ferner 18.3.2011 [GK], Fall Lautsi, Appl 30.814/06). An dieser Stelle sei besonders auf die Judikatur des EGMR zum verpflichtenden Schwimmunterricht in der Schweiz für muslimische Mädchen zu verweisen (EGMR 10.1.2017, Fall Osmanoğlu und Kocabaş, Appl 29.086/12). In der Rechtsprechung des EGMR werde auch der Umstand hervorgehoben, dass Art2 1. ZPEMRK ohne ausdrückliche Regelung unter dem Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkung stehe, aber anders als Art9 EMRK keine abschließende Aufzählung legitimer Eingriffsziele enthalte. Der EGMR betone in diesem Zusammenhang den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers der Vertragsstaaten, der daraus folge, dass die rechtliche Regelung von Bildungseinrichtungen zeitlich und örtlich variieren könne, in Abhängigkeit von den Bedürfnissen und Ressourcen der Allgemeinheit und den unterschiedlichen Erscheinungsformen verschiedener Stufen der Erziehung (EGMR 10.11.2005 [GK], Fall Leyla Şahin, Appl 44.774/98 [Z154]; 29.6.2007 [GK], Fall Folgerø ua, Appl 15.472/02 [Z84]; VfSlg 19.349/2011).
Somit könne zur Rechtfertigung eines potenziellen Eingriffs auf die Ausführungen hinsichtlich eines möglichen Eingriffs in die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Drittantragstellerin und der Sechstantragstellerin verwiesen werden.
2.5. Zum im Antrag vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz hält die Bundesregierung fest, dass sich die getroffene Regelung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bewege.
2.5.1. Die Regelung umfasse weder nur eine ganz bestimmte Maßnahme noch das Tragen von religiösen Symbolen an sich. Ebenso wenig verbiete die Regelung das Tragen von religiösen Symbolen allgemein, wie zB Anstecknadeln, Anhängern oder Ähnlichem mit einem Kreuz, dem "Schwert des Ali" oder der "Hand der Fatima".
Das Tragen einer Kippa oder einer Patka sei nicht vom Tatbestand des §43a SchUG umfasst (vgl AB 612 BlgNR 26. GP ). Die Kippa oder die Patka würden sich wesentlich von der "Verhüllung des Körpers mit Ausnahme des Gesichtes und der Hände" unterscheiden. Verhüllungsgebote für Frauen bzw Jugendliche in traditionellen Gesellschaften oder religiösen Gemeinschaften würden in erster Linie auf die Bedeckung bestimmter Körperteile abzielen und dadurch die frühzeitige Sexualisierung der betroffenen Mädchen sowie eine gesellschaftliche Segregation fördern. An dieser Stelle sei hinsichtlich der Stigmatisierung durch die Verhüllung des Hauptes etwa mittels Kopftuch auf die bereits zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Religionsfreiheit dargelegten Ausführungen zu verweisen.
Die Kippa habe demgegenüber nicht die Funktion, Körperteile aus Schamhaftigkeit gänzlich zu verbergen und die betreffende Person dadurch zu stigmatisieren. Die Patka, die von Jugendlichen über dem Haupthaar getragen werde und dabei Ohren und Hals freilasse, habe (auch) eine praktische Funktion. Sie diene dazu, das sehr lange Haupthaar in einer alle Alltagsaktivitäten nicht beeinträchtigenden Weise zu bündeln. Mit dem Tragen der Patka gehe jedenfalls auch nicht das Bedecken bestimmter Körperteile mit dem vermeintlichen Erreichen der Geschlechtsreife einher.
§43a SchUG regle somit keinesfalls gleiche Tatbestände ungleich. Mit der Bestimmung reagiere der Gesetzgeber sachgemäß auf Unterschiede im Faktischen. §43a SchUG verbiete nicht das Tragen religiöser Symbole, sondern stelle auf das Tragen von Kleidungsstücken ab, mit denen eine bestimmte Funktion einhergehe und dadurch eine Diskriminierung oder eine Stigmatisierung bewirkt werden könnte.
2.5.2. Soweit die antragstellenden Eltern eine Gleichheitswidrigkeit darin erkennen würden, dass sie für das Verhalten ihrer Kinder sanktioniert würden, werde auf das elterliche Aufsichts- und Erziehungsrecht nach §160 Abs1 ABGB verwiesen.
2.5.3. Die Antragsteller würden "hilfsweise" vorbringen, dass der Hidschab ein kulturell konnotiertes Kleidungsstück darstelle. Das bereits Gesagte umfasse allerdings auch kulturell konnotierte Kleidungsstücke, mit denen die Verhüllung des Hauptes und des Körpers einhergingen.
Inwiefern die Regelung das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art10 EMRK verletze, wie die Antragsteller in diesem Zusammenhang vorbringen würden, werde in keiner Weise dargelegt oder begründet. Die Bundesregierung gehe deshalb nicht weiter auf dieses Vorbringen ein.
2.6. Zum im Antrag vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot nach Art18 B‑VG hält die Bundesregierung fest, dass nicht erkennbar sei, inwiefern §43a SchUG nicht mit herkömmlichen Interpretationsmethoden einer Auslegung zugänglich sein solle (VfSlg 20.130/2016).
2.6.1. Sowohl in den Erläuterungen zum betreffenden Initiativantrag (IA 495/A BlgNR 26. GP ) als auch im Ausschussbericht werde festgehalten, dass nicht die subjektive Wahrnehmung des Betrachters für die Beurteilung des Vorliegens einer weltanschaulich oder religiös geprägten Verhüllung ausschlaggebend sei, sondern eine objektive Betrachtung.
Das Abstellen auf einen objektiven Empfängerhorizont sei in der österreichischen Rechtsordnung auch im Zusammenhang mit (Verwaltungs‑)Straftatbeständen nicht ungewöhnlich und auch unbedenklich. So würden etwa die Straftatbestände der beharrlichen Verfolgung oder der fortgesetzten Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems auf ein Verhalten abstellen, das (nach objektiven Gesichtspunkten) "dazu geeignet ist, eine Person in ihrer Lebensführung" unzumutbar zu beeinträchtigen. Der Straftatbestand der üblen Nachrede normiere ein Verhalten, das (objektiv) geeignet sei, jemanden in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen.
Der Begriff "weltanschaulich oder religiös geprägter Kleidung" lasse erkennen, dass es darauf ankomme, wie die Kleidung von einem objektiven Beobachter empfunden werde, und zwar unabhängig von der Intention der Trägerin oder des Trägers (bzw deren Erziehungsberechtigten).
2.6.2. Laut Bundesregierung sei unter dem Begriff der "Verhüllung des Hauptes" jede Art von Bekleidung zu verstehen, die das gesamte Haupthaar oder große Teile dessen verhüllt (vgl AB 612 BlgNR 26. GP , 1). Der Tatbestand sei erfüllt, wenn das Haupthaar soweit verdeckt werde, dass dieses bzw Kinn oder Hals nicht mehr zu sehen seien. Im Gegensatz dazu sei der Tatbestand dann nicht erfüllt, wenn das Haar vom Ansatz weg auch in der Länge von zumindest einer Handbreite sichtbar sei und Kinn und Nacken frei seien (vgl das Rundschreiben Nr 17/2019, Umsetzung §43a SchUG ["Kopftuchverbot"], BMBWF‑12.940/0006‑II/3/2019).
Den Gesetzesmaterialien zufolge ergebe sich aus dem Regelungszusammenhang, dass andere Verhüllungen des Hauptes wie zB Verbände aus medizinischen Gründen oder Kopfbedeckungen aus Witterungsgründen und Ähnliches nicht von dieser Bestimmung umfasst seien.
Entgegen den Behauptungen der Antragstellerinnen und Antragsteller sei daher keineswegs unklar, was unter den Begriffen "Haupt" und "Verhüllung" in §43a Abs1 SchUG zu verstehen sei.
2.6.3. Zudem habe der erstmaligen Erfüllung des Tatbestandes des §43a Abs1 SchUG ein verpflichtendes, aufklärendes Gespräch zu folgen, in welchem der Verstoß bzw dessen Gründe zu erörtern seien (§43a Abs2 SchUG). Erst das wiederholte Erfüllen des Tatbestandes des §43a Abs1 SchUG stelle eine Verwaltungsübertretung dar.
2.6.4. §43a SchUG enthalte daher Determinanten, welche die Regelung mit den herkömmlichen Interpretationsmethoden einer Auslegung zugänglich machten, und genüge damit den rechtsstaatlichen Erfordernissen (vgl VfSlg 20.130/2016).
3. Die Antragstellerinnen und Antragsteller haben ein ergänzendes Vorbringen erstattet, in dem sie auf die Äußerung der Bundesregierung replizieren. Zudem haben die Antragstellerinnen und Antragsteller dem Verfassungsgerichtshof ein ihre Argumentation stützendes Rechtsgutachten vorgelegt.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‐VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
1.2. Der bekämpfte §43a SchUG verbietet es Schülerinnen und Schülern bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das 10. Lebensjahr vollenden, weltanschaulich oder religiös geprägte Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist, zu tragen (Abs1 leg.cit .). Bei Verstoß einer Schülerin bzw eines Schülers gegen dieses Verbot sind die Erziehungsberechtigten von der jeweils zuständigen Bildungsdirektion zu einem verpflichtenden Gespräch zu laden, in welchem die Erziehungsberechtigten über das Verbot und ihre Verantwortung für dessen Einhaltung aufzuklären sind (Abs2 leg.cit .). Findet nach Durchführung des aufklärenden Gesprächs ein weiterer Verstoß gegen das Verbot statt, sind die Erziehungsberechtigten mit einer Geldstrafe bis zu € 440,–, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen (Abs3 leg.cit .).
1.3. Diese Verbotsregelung trifft die Drittantragstellerin und die Sechstantragstellerin, die bisher ungehindert in der Schule ein Kopftuch tragen konnten und dieses bislang nicht verbotene Verhalten ihrem – vom Verfassungsgerichtshof als plausibel erachteten – Vorbringen nach fortsetzen möchten, unmittelbar und aktuell in ihrer durch Art9 EMRK geprägten Rechtssphäre (vgl VfSlg 17.731/2005, 18.096/2007, 18.305/2007, 19.662/2012).
1.4. §43a SchUG trifft ebenso die erst‑, zweit‑, viert- und fünftantragstellenden Eltern, welchen die Erziehung der minderjährigen Drittantragstellerin und der minderjährigen Sechstantragstellerin obliegt, unmittelbar und aktuell in ihrer – durch Art9 EMRK geprägten – Rechtssphäre (vgl VfSlg 19.349/2011). Zudem sind Erziehungsberechtigte auch ausdrücklich Normadressaten der bekämpften Regelung, weil diese im Falle von Verstößen ihrer Kinder gegen das Verbot die in §43a Abs2 und 3 SchUG vorgesehenen Folgen treffen.
1.5. Den Antragstellerinnen und Antragstellern steht und stand kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, ihre Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Regelung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es einem Rechtsunterworfenen nicht zumutbar ist, ein verwaltungsbehördliches Strafverfahren zu provozieren und in diesem die Rechtswidrigkeit der Verbotsregelung einzuwenden (vgl VfSlg 14.260/1995, 19.954/2015, 20.191/2017).
1.6. Die Antragstellerinnen und Antragsteller begehren die Aufhebung des angefochtenen §43a SchUG zur Gänze. Da die Bestimmungen des §43a Abs2 und 3 SchUG untrennbar mit der in Abs1 leg.cit. enthaltenen Verbotsbestimmung zusammenhängen, wird der Umfang der zur Aufhebung beantragten Regelung zutreffend umschrieben (vgl VfSlg 14.068/1995, 18.305/2007).
1.7. Der Antrag ist daher zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2.2. Der Antrag ist begründet:
2.3. Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Beurteilung von folgendem Verständnis der Verbotsregelung des §43a SchUG aus:
2.3.1. Gemäß §43a Abs1 Satz 1 SchUG ist Schülerinnen und Schülern bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das 10. Lebensjahr vollenden, das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist, untersagt. Bei Verstoß einer Schülerin bzw eines Schülers gegen dieses Verbot sind die Erziehungsberechtigten gemäß §43a Abs2 SchUG von der jeweils zuständigen Bildungsdirektion zu einem verpflichtenden Gespräch zu laden, in welchem die Erziehungsberechtigten über das Verbot und ihre Verantwortung für dessen Einhaltung aufzuklären sind. Findet nach Durchführung des aufklärenden Gesprächs ein weiterer Verstoß gegen das Verbot statt, sind die Erziehungsberechtigten gemäß §43a Abs3 SchUG mit einer Geldstrafe bis zu € 440,–, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen zu bestrafen.
Zweck dieser Verbotsregelung ist gemäß §43a Abs1 Satz 2 SchUG die soziale Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, die Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie die Gleichstellung von Mann und Frau.
2.3.2. Die Tatbestandsvoraussetzungen des §43a Abs1 Satz 1 SchUG sind so formuliert, dass sie mehrere Deutungsvarianten zulassen. Das Verbot gemäß §43a Abs1 Satz 1 SchUG bezieht sich nicht ausdrücklich auf das Tragen eines islamischen Kopftuches. Der persönliche Anwendungsbereich der Bestimmung umfasst sowohl Schülerinnen als auch Schüler. Der sachliche Anwendungsbereich stellt auf das "Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung" ab, mit der "eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist".
2.3.3. In den Gesetzesmaterialien zu §43a SchUG kommt ein eingeschränktes Verständnis zum Ausdruck (IA 495/A 26. GP , 2). Der Unterrichtsausschuss des Nationalrates traf in diesem Zusammenhang ausdrücklich folgende Feststellungen (AB 612 BlgNR 26. GP , 3):
"Im Sinne des §43a Abs1 Schulunterrichtsgesetz wird unter weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist, jede Art von Bekleidung verstanden, die das gesamte Haupthaar oder große Teile dessen verhüllt. Daher fallen beispielsweise die jüdische Kippa und auch die Patka, die von Sikhs in diesem Alter getragen wird, nicht unter diese Regelung."
2.3.4. Damit wird die Absicht des Gesetzgebers deutlich, dass mit der Bestimmung des §43a Abs1 Satz 1 SchUG konkret das Tragen eines islamischen Kopftuches untersagt werden soll (vgl zur Relevanz der Gesetzesmaterialien zB VfSlg 19.665/2012, 20.241/2018; VfGH 5.3.2020, G178/2019). Die Tatbestandsvoraussetzung "Verhüllung des Hauptes" wird daher vom Verfassungsgerichtshof einschränkend als eine Form der Verhüllung nach islamischer Tradition, wie sie insbesondere durch den Hidschab erfolgt, ausgelegt. Aus der weiteren tatbestandlichen Einschränkung, wonach nur "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung" untersagt ist, ergibt sich im Sinne der Gesetzesmaterialien, dass eine Verhüllung des Kopfes aus medizinischen Gründen wie Verbände oder zum Schutz vor Kälte nicht von der Verbotsregelung erfasst ist. Das Verbot in §43a Abs1 Satz 1 SchUG ist daher auf das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung nach islamischer Tradition und damit vorwiegend auf das islamische Kopftuch ausgerichtet.
2.3.5. Die Bestimmungen des SchUG gelten gemäß §1 Abs1 leg.cit. für öffentliche Schulen und Privatschulen, die mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet sind und eine gesetzlich geregelte Schulartbezeichnung führen. Auf Privatschulen, die nicht mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet sind oder die keiner öffentlichen Schulart entsprechen, findet das SchUG keine Anwendung (Hauser, Schulunterrichtsgesetz, 2014, 48; Jonak/Kövesi, Das österreichische Schulrecht14, 2015, Anm. 2 zu §1 SchUG). Der Anwendungsbereich des §43a SchUG beschränkt sich somit auf öffentliche Schulen und Privatschulen, die mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet sind und eine gesetzlich geregelte Schulartbezeichnung führen.
2.3.6. Nach diesem Verständnis des §43a Abs1 Satz 1 SchUG ist es im Ergebnis Schülerinnen untersagt, bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das 10. Lebensjahr vollenden, in öffentlichen Schulen und Privatschulen, die mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet sind und eine gesetzlich geregelte Schulartbezeichnung führen, ihr Haupt nach islamischer Tradition, wie insbesondere durch das islamische Kopftuch, zu verhüllen. Dies wird auch im Rundschreiben der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Forschung, welches nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmung erfolgte und auf die praktische Vollziehung der Verbotsregelung des §43a SchUG ausgerichtet ist, deutlich (Rundschreiben Nr 17/2019, Umsetzung §43a SchUG ["Kopftuchverbot"], BMBWF‑12.940/0006‑II/3/2019).
2.4. Die Antragstellerinnen und Antragsteller hegen die Bedenken, dass die Regelung des §43a SchUG gegen Art9 EMRK, Art14 StGG bzw Art63 Abs2 des Staatsvertrags von St. Germain, gegen Art7 B‑VG und Art2 StGG, gegen Art10 EMRK sowie gegen Art18 B‑VG verstößt. Sie begründen ihre Bedenken im Wesentlichen folgendermaßen:
Weder der Schulbetrieb noch der Schulfrieden würden durch das Tragen eines Kopftuches beeinträchtigt. Der Verfassungsgerichtshof habe zudem in VfSlg 19.349/2011 ausgesprochen, dass das Vorhandensein religiöser Symbole in Bildungseinrichtungen zulässig sei. Der Grundsatz der Parität und Gleichbehandlung der Religionen gebiete es, diese Rechtsprechung auf das islamische Kopftuch zu übertragen. Deshalb könne auch nicht die negative Religionsfreiheit Andersgläubiger bzw Andersdenkender als Rechtfertigung für ein Verbot herangezogen werden. Zudem verletze §43a SchUG auch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Erziehungsrecht der Eltern. Ein allfälliger Wunsch der Eltern nach Erziehung ihrer Kinder mit dem Symbol des Kopftuches sei von Art9 EMRK geschützt.
Der Gesetzgeber begründe die Verbotsbestimmung des §43a SchUG vordergründig mit gleichheitsrechtlichen Erwägungen. Gleichzeitig würden die Erläuterungen zum Initiativantrag ausschließlich auf "Anhänger einiger islamischer Strömungen bzw Richtungen oder Traditionen" Bezug nehmen. Der Unterrichtsausschuss betone in seinem Bericht ausdrücklich, dass "die jüdische Kippa und auch die Patka, die von Sikhs in diesem Alter getragen wird, nicht unter diese Regelung fällt". Der Gesetzgeber selbst nehme somit eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen unterschiedlichen religiösen Kleidungsstücken vor. Wenn der Gesetzgeber durch die angefochtene Bestimmung tatsächlich die freie Entscheidung über die Religionsausübung sichern und eine erfolgreiche Integration fördern wollte, müssten auch andere sichtbare religiöse Symbole bzw Kleidungsstücke wie die Kippa oder die Patka verboten sein. Diese seien ebenso geeignet bzw würden dazu dienen, den jeweiligen Träger als Anhänger eines bestimmten religiösen Bekenntnisses zu erkennen zu geben. Dabei mache es für andere keinen Unterschied, welche Teile des "Hauptes" verhüllt würden.
2.5. Die Bundesregierung entgegnet diesen Bedenken auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt:
Die Regelung des §43a SchUG sei notwendig, um die subjektiven Rechte der Kinder und Jugendlichen auf bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung im schulischen Bereich sicherzustellen, deren positive als auch negative Religionsfreiheit zu wahren, eine frühe geschlechtliche Ungleichbehandlung zu verhindern und einer Stigmatisierung des menschlichen Körpers vorzubeugen.
Eine solche Stigmatisierung sei auf Grund der Bedeutung, die dem Tragen des Kopftuches in diesem frühen Alter in fundamentalistischen Auslegungen des Islam zugemessen werde, beinahe unvermeidbar. In den meisten islamischen Traditionen, die eine Verhüllung gebieten würden, betreffe diese Vorschrift Frauen, die bereits menstruieren und die somit geschlechtsreif seien, weil von ihren Körpermerkmalen Reize auf Männer ausgehen könnten. Eine Verhüllung des Hauptes im Volksschulalter führe – so die Bundesregierung – zu einem "sexuell unnötig aufgeladenen Klima", das den allgemein akzeptierten Maßstäben einer Zivilgesellschaft nicht entsprechen könne. Denn jedes Kopftuch, das erkennbar auf Grund der Anschauung getragen werde, dass das weibliche Haupthaar verhüllt werden müsse, weil von ihm eine sexuelle Reizwirkung auf Männer ausgehen könnte, "markiere" umgekehrt auch seine Trägerin als "potenzielles Sexualobjekt". Dies könne bei Kindern in keiner Weise angebracht sein. Durch die frühzeitige Sexualisierung werde ein betroffenes Mädchen in die Rolle des Frauseins gedrängt, wodurch es zu einer geschlechtlichen Segregation komme, welche wiederum dem Bildungsziel der erfolgreichen sozialen Integration widerspreche. Dies unterscheide das islamische Kopftuch auch von der jüdischen Kippa oder der Patka der Sikhs. Die Bestimmung sei zudem erforderlich, um betroffene Schülerinnen im schulischen Bereich vor häufig massivem Druck durch Mitschüler, sich in der Schule an angebliche religiöse Verhüllungsregelungen zu halten, zu schützen.
2.6. Der Verfassungsgerichtshof teilt im Ergebnis die von den Antragstellerinnen und Antragstellern vorgetragenen Bedenken gegen §43a SchUG:
2.6.1. Der Gleichheitsgrundsatz setzt dem Gesetzgeber insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, unsachliche, durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen und eine unsachliche Gleichbehandlung von Ungleichem (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005) sowie sachlich nicht begründbare Regelungen zu schaffen (vgl VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).
2.6.2. Nach Art9 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Gedanken‑, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Art9 Abs1 EMRK schützt jede von einer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung geleitete Handlung oder Verhaltensweise (VfSlg 15.394/1998; vgl Grabenwarter, Art9 EMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 17 ff.). Die Überzeugungen müssen ein gewisses Maß an Verbindlichkeit, Ernsthaftigkeit, Schlüssigkeit und Bedeutung aufweisen (EGMR 7.12.1976, Fall Kjeldsen ua, Appl 5095/71 ua [Z54]; 25.2.1982, Fall Campbell u. Cosans, Appl 7511/76 [Z36 f.]; 25.5.1993, Fall Kokkinakis, Appl 14.307/88 [Z31]; 18.12.1996, Fall Valsamis, Appl 21.787/93 [Z27 und 31]; vgl Grabenwarter, Art9 EMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 27; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6, 2016, §22 Rz 118).
2.6.3. Der in Art7 B‑VG und Art2 StGG verankerte Gleichheitsgrundsatz begründet in Verbindung mit Art9 Abs1 EMRK und Art14 Abs2 StGG das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates (s Lienbacher, Religiöse Rechte, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hrsg.], Handbuch der Grundrechte, Grundrechte in Österreich2, 2014, §12 Rz 50; Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht, 2003, 42 f.; ferner VfSlg 1430/1932; 19.349/2011).
Bei der Gestaltung des Schulwesens ist der Gesetzgeber gehalten, diesem Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität durch eine am Gleichheitsgrundsatz ausgerichtete Behandlung verschiedener religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zu entsprechen. Der verfassungsgesetzlich verankerte Bildungsauftrag der Schule gemäß Art14 Abs5a B‑VG konkretisiert dies dahingehend, dass die Schule die Befähigung vermitteln soll, dem religiösen und weltanschaulichen Denken Anderer gegenüber aufgeschlossen zu sein. Die Schule gründet demzufolge unter anderem auf den Grundwerten der Offenheit und Toleranz.
Die Gewährleistung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben kann im Bereich der Schule auch Beschränkungen der durch Art9 EMRK gewährleisteten Rechte von Schülerinnen und Schülern sowie ihrer Erziehungsberechtigten rechtfertigen, wenn diese verhältnismäßig und sachlich ausgestaltet sind. Eine Regelung, die eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung selektiv herausgreift, indem sie eine solche gezielt privilegiert oder benachteiligt, bedarf daher im Hinblick auf das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität einer besonderen sachlichen Rechtfertigung.
2.6.4. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stellt das durch §43a SchUG vorgesehene Verbot, in der Schule das Haupt nach islamischer Tradition zu verhüllen, einen Eingriff in die durch Art9 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechtssphäre betroffener Schülerinnen sowie ihrer Erziehungsberechtigten dar (EGMR 4.12.2008, Fall Dogru, Appl 27.058/05 [Z48]; 10.1.2017, Fall Osmanoğlu und Kocabaş, Appl 29.086/12 [Z90]; vgl VfSlg 799/1927, 800/1927, 1206/1929, 5583/1967; zu Art2 Satz 2 1. ZPEMRK ferner EGMR 7.12.1976, Fall Kjeldsen ua, Appl 5095/71 ua [Z51 und 54]; 18.12.1996, Fall Valsamis, Appl 21.787/93 [Z27 und 31]). Entgegen den Ausführungen der Bundesregierung kommt es nicht darauf an, ob im Islam unterschiedliche Auffassungen zum Verhüllungsgebot muslimischer Frauen, wie etwa zur Frage, ab welchem Alter ein Kopftuch getragen werden soll, vertreten werden. Für die Beurteilung, ob eine religiös oder weltanschaulich motivierte Handlung oder Verhaltensweise in den Schutzbereich des Art9 EMRK fällt, sind etwaige Auffassungsunterschiede innerhalb einer Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft nicht maßgeblich (VfSlg 15.394/1998).
§43a SchUG verbietet gezielt die Verhüllung des Hauptes nach islamischer Tradition wie insbesondere durch das islamische Kopftuch. Mit dieser Regelung greift der Gesetzgeber somit eine spezifische Form einer religiös oder weltanschaulich konnotierten Bekleidung heraus, welche in der einen oder anderen Weise mit anderen, jedoch nicht verbotenen, religiös oder weltanschaulich konnotierten Bekleidungsgewohnheiten vergleichbar ist.
2.6.5. Diese selektive Verbotsregelung bedarf einer besonderen sachlichen Rechtfertigung:
2.6.5.1. Das Verbot dient laut §43a Abs1 Satz 2 SchUG "der sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau". Nach den Gesetzesmaterialien zu §43a SchUG sei eine Verhüllung des Hauptes bei Anhängern einiger islamischer Strömungen bzw Richtungen oder Traditionen ab Erreichen der Geschlechtsreife Teil der geübten Praxis. Die Verhüllung des Hauptes zeige das Erreichen der Geschlechtsreife an. Es mache den Stand der körperlichen Reife für jeden öffentlich erkennbar. Die Regelung des §43a SchUG soll vor diesem Hintergrund eine Segregation nach dem Geschlecht vermeiden (IA 495/A 26. GP , 2). Daran anknüpfend rechtfertigt die Bundesregierung die Regelung des §43a SchUG damit, dass das Tragen des islamischen Kopftuches im Volksschulalter zu einer frühzeitigen Sexualisierung von Schülerinnen und damit zu einer unerwünschten geschlechtlichen Segregation führe, was dem Bildungsziel einer erfolgreichen sozialen Integration sowie der Gleichstellung der Geschlechter widerspreche.
2.6.5.2. Eine Regelung, die einer unerwünschten geschlechtlichen Segregation entgegen wirkt und damit dem Bildungsziel der sozialen Integration sowie der Gleichstellung der Geschlechter dient, verfolgt eine gewichtige, verfassungsrechtlich allgemein (Art7 Abs2 B‑VG) und der Schule im Besonderen (Art14 Abs5a B‑VG) vorgegebene Zielsetzung. Eine solche Regelung muss aber verhältnismäßig und sachlich, insbesondere auch im Einklang mit den weiteren Grundwerten der Schule ausgestaltet sein.
Zunächst ist von Bedeutung, dass das Tragen des islamischen Kopftuches eine Praxis ist, die aus verschiedenen Gründen ausgeübt wird. Die Deutungsmöglichkeiten, die die Trägerinnen eines Kopftuches vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Religion oder Weltanschauung dieser Bekleidung und damit dem Tragen des Kopftuches geben, sind vielfältig (eingehend Şahin, Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs, 2014, 123 ff. und 400 ff.). Mit dem Tragen eines Kopftuches kann schlicht die Zugehörigkeit zum Islam oder die Ausrichtung des eigenen Lebens an den religiösen Werten des Islam ausgedrückt werden. Ferner kann das Tragen des Kopftuches etwa auch als Zeichen für die Zugehörigkeit zur islamischen Kultur bzw für ein Festhalten an Traditionen der Herkunftsgesellschaft gedeutet werden. Dem islamischen Kopftuch kommt daher keine eindeutige und unmissverständliche Bedeutung zu. Es ist dem Verfassungsgerichtshof aber gerade bei Fragen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit verwehrt, sich bei mehreren Möglichkeiten der Deutung eines religiösen oder weltanschaulichen Symbols eine bestimmte Deutung zu eigen zu machen und diese seiner grundrechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhandenseins solcher Symbole in staatlichen Bildungseinrichtungen zugrunde zu legen (VfSlg 19.349/2011).
Die selektive Verbotsregelung gemäß §43a SchUG, welche bloß bei Mädchen ansetzt und ihnen bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das 10. Lebensjahr vollenden, das Tragen eines islamischen Kopftuches untersagt, ist von vornherein nicht geeignet, die vom Gesetzgeber selbst formulierte Zielsetzung zu erreichen. Vielmehr kann sich das selektive Verbot nach §43a SchUG gerade auch nachteilig auf die Inklusion betroffener Schülerinnen auswirken und zu einer Diskriminierung führen, weil es das Risiko birgt, muslimischen Mädchen den Zugang zur Bildung zu erschweren bzw sie gesellschaftlich auszugrenzen (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, ECRI-Bericht über Österreich, Sechste Prüfungsrunde, 2020, Rz 17). Durch die Regelung des §43a SchUG wird islamische Herkunft und Tradition als solche ausgegrenzt. Das punktuell eine einzige religiös oder weltanschaulich begründete Bekleidungsvorschrift herausgreifende Verbot des islamischen Kopftuches stigmatisiert gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen.
Außerdem ist zu beachten, dass Schülerinnen und Schüler gemäß §11 Abs1 und 2 SchPflG die allgemeine Schulpflicht auch durch Teilnahme an häuslichem Unterricht oder durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllen können. Der Anwendungsbereich des §43a SchUG beschränkt sich aber auf öffentliche Schulen und Privatschulen, die mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattet sind und eine gesetzlich geregelte Schulartbezeichnung führen. Es ist daher möglich, sich dem Verbot nach §43a SchUG durch einen Wechsel an eine Privatschule, die nicht in den Geltungsbereich des SchUG fällt, oder durch Inanspruchnahme häuslichen Unterrichts zu entziehen. Das Verbot nach §43a SchUG kann auch aus diesem Grund soziale Ausgrenzung fördern und betroffenen Mädchen, die – aus welchen Gründen immer – ein Kopftuch tragen, den Zugang zu anderen weltanschaulichen Vorstellungen im Sinne des verfassungsgesetzlichen Bildungsauftrages nach Art14 Abs5a B‑VG verwehren. Insbesondere im Falle einer Inanspruchnahme häuslichen Unterrichts werden betroffene Mädchen von der gleichberechtigten Teilhabe an österreichischen Schulen, die den pluralistischen Zielen und Grundwerten des Art14 Abs5a B‑VG bzw §2 SchOG bei ihrer Aufgabenbesorgung verpflichtet sind, ausgeschlossen.
2.6.5.3. Nach den Gesetzesmaterialien zu §43a SchUG soll die Verbotsregelung auch dem Schutz von Musliminnen dienen, die die Verhüllung aus persönlicher Überzeugung nicht praktizieren, und damit eine freie Entscheidung über die Religionsausübung sichern (IA 495/A 26. GP , 2). Die Bundesregierung bringt in ihrer Äußerung vor, dass die Regelung des §43a SchUG auch zum Schutz von Schülerinnen vor sozialem Druck seitens ihrer Mitschüler, sich in der Schule an religiöse Verhüllungsgebote zu halten, erforderlich sei.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass es in Schulen auch zu weltanschaulich und religiös geprägten Konfliktsituationen kommen kann (vgl hiezu etwa den Tätigkeitsbericht der Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte des BMBWF, Stand Dezember 2019, 24, 78 ff.). Dieser Umstand vermag jedoch das selektive Verbot nach §43a SchUG nicht zu rechtfertigen. Für den Verfassungsgerichtshof ist es sachlich nicht begründbar, dass für die Lösung derartiger Konfliktsituationen nicht bei jenen Personen angesetzt wird, die auf betroffene Schülerinnen etwa in Form von Anfeindungen, Abwertungen oder sozialem Ausschluss Druck ausüben. Vielmehr trifft das Verbot nach §43a SchUG gerade die Schülerinnen, welche den Schulfrieden selbst nicht stören.
Es obliegt dem Gesetzgeber, geeignete Instrumente für die Konfliktlösung unter Berücksichtigung des Neutralitätsgebotes und des verfassungsrechtlichen Bildungsauftrages zu schaffen sowie die dafür erforderlichen Ressourcen bereit zu stellen, sollten gesetzlich vorgesehene Erziehungs- und Sicherungsmaßnahmen für die Aufrechterhaltung der Schulordnung (siehe §§47 und 49 SchUG, §8 Schulordnung) nicht ausreichen, um derartige Konfliktsituationen aufzulösen und Formen von geschlechterbezogenem oder religiös begründetem Mobbing zu beenden.
2.6.6. Das selektive Verbot gemäß §43a SchUG trifft ausschließlich muslimische Schülerinnen und grenzt sie dadurch in diskriminierender Weise von anderen Schülerinnen und Schülern ab. Die Durchsetzung der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates kann zwar grundsätzlich auch Beschränkungen der individuellen Rechtssphäre rechtfertigen. Das Abstellen auf eine bestimmte Religion oder Weltanschauung und ihren spezifischen Ausdruck in einer (und nur dieser) Art der Bekleidung, die noch dazu mit anderen nicht verbotenen Bekleidungsgewohnheiten in der einen oder anderen Weise vergleichbar ist, ist mit dem Neutralitätsgebot nicht vereinbar. Eine Regelung, die insoweit bloß eine bestimmte Gruppe von Schülerinnen trifft, und zur Sicherung von religiöser und weltanschaulicher Neutralität sowie Gleichstellung der Geschlechter selektiv bleibt, verfehlt ihr Regelungsziel und erweist sich als unsachlich. §43a SchUG verstößt daher gegen Art7 B‑VG und Art2 StGG in Verbindung mit Art9 Abs1 EMRK und Art14 Abs2 StGG.
V. Ergebnis
1. §43a SchUG, BGBl 472/1986 (WV), idF BGBl I 54/2019 ist wegen Verstoßes gegen Art7 B‑VG und Art2 StGG in Verbindung mit Art9 Abs1 EMRK und Art14 Abs2 StGG als verfassungswidrig aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren im Antrag dargelegten Bedenken.
2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.
3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art140 Abs7 zweiter Satz B‑VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §65a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 654,– und Umsatzsteuer in Höhe von € 566,80 sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
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