European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0459:2024:00100R00122.24B.1010.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Befangenheit der Richterin des Landesgerichtes Ried im Innkreis Dr.in D* festgestellt wird.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
begründung:
Gegenstand des Anlassverfahrens war ursprünglich der behauptete Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Datenauskunft und Datenübermittlung gemäß Artikel 15 DSGVO mit dem Klagebegehren, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Kopie sämtlicher seiner Daten, die Gegenstand der Verarbeitung der Beklagten sind, digital zu übermitteln. Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2024 schränkte der Kläger die Klage auf Kosten ein.
In der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2024 schritt in Substitution für die Klagevertreterin ein Rechtsanwaltsanwärter der E* OG mit Sitz in B** ein. Die zur Führung des Verfahrens zuständige Richterin Dr.in D* gab bekannt, dass sie ihre Befangenheit anzeigen werde und erstreckte die Streitverhandlung auf unbestimmte Zeit.
Hierauf zeigte die Richterin ihre Befangenheit an. Sie sei mit einem der Rechtsanwälte und Partner der Substitutin seit knapp vier Jahren in einer Beziehung und seit zwei Monaten verheiratet. Weiters sei sie bis zu ihrem Wiedereinstieg in die Justiz im Sommer 2020 über zwei Jahre lang als Rechtsanwaltsanwärterin bei der Substitutin tätig gewesen. Sie kenne daher die Arbeitsweise der dortigen Partner sehr gut und würde deren Prozessstrategie in einem gerichtlichen Verfahren sofort erkennen. Sie sei mit sämtlichen Partnern und den in der Kanzlei tätigen Juristen und Sachbearbeiterinnen per Du und immer wieder bei verschiedenen Kanzleiveranstaltungen und Zusammenkünften dabei, wobei naturgemäß auch private Themen besprochen würden. Ihr Kontakt zu den Juristen und Partnern der Substitutin gehe daher naturgemäß über den üblichen durchschnittlichen Kontakt zu Rechtsanwälten hinaus. Nach der geltenden Geschäftsverteilung würden ihr auch von der E* OG eingebrachte Klagen nicht zugewiesen. Auch im R-Senat bearbeite sie Verfahren, in denen diese Kanzlei einschreite, nicht. Sie sehe sich daher nicht in der Lage, in der gegenständlichen Rechtssache den Anschein einer Befangenheit zu vermeiden.
Das Landesgericht Ried im Innkreis gab mit dem angefochtenen Beschluss der Befangenheitsanzeige nicht statt. Ein Rechtsanwalt könne gemäß § 31 Abs 2 ZPO die ihm erteilte Prozessvollmacht für einzelne Akte oder Abschnitte des Verfahrens einem anderen Rechtsanwalt übertragen. Damit in Übereinstimmung gebe § 14 RAO dem Rechtsanwalt das Recht, im Verhinderungsfall einen anderen Rechtsanwalt zu substituieren. Dem Rechtsanwalt stehe es grundsätzlich frei, welchem anderen Rechtsanwalt er einen Substitutionsauftrag erteile. Diese Auswahlmöglichkeit könne nicht unbeschränkt gelten, denn, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt einen anderen Rechtsanwalt, dessen Einschreiten eine Befangenheit des das betreffende Verfahren führenden Richters bewirke, mit der Substitution betraue, könnte er dadurch ohne weiteres erreichen, dass der zuständige Richter durch einen anderen Richter ersetzt werden müsse. Dadurch würde aber den Parteien die jederzeitige Möglichkeit eröffnet, sich eines nicht genehmen Richters zu entledigen. Aus § 45 Abs 4 RAO folge, dass auch ein Rechtsanwalt bei ihm vorliegende Befangenheitsgründe zu beachten habe, wenn ihm von dritter Seite, also nicht von der Partei selbst, ein Vertretungsauftrag erteilt werde. Es müsse daher von einem Rechtsanwalt verlangt werden, dass er für die Substitution einen anderen Rechtsanwalt auswähle, bei dem bezogen auf das konkrete Verfahren keine Befangenheitsgründe vorliegen. Man werde wohl eine Verpflichtung des für die Substitution in Aussicht genommenen Rechtsanwalts annehmen können, dem beauftragenden Rechtsanwalt bestehende Befangenheitsgründe bekannt zu geben, sodass dieser einen nicht befangenen Rechtsanwalt beauftragen könne. Für den Fall, dass der bevollmächtigte Rechtsanwalt nicht von sich aus einen unbefangenen Rechtsanwalt als Substituten beauftragt, könne ihm nach Ansicht des Erstgerichts in analoger Anwendung des § 160 Abs 2 ZPO der Auftrag erteilt werden, einem anderen Rechtsanwalt zu substituieren. Sollten die Klagevertreter im gegenständlichen Verfahren weiterhin eine Substitution beabsichtigen, obliege es ihnen, dafür einen in Bezug auf die Verhandlungsrichterin unbefangenen Rechtsanwalt auszuwählen. Erforderlichenfalls könnte auch ein Gerichtsauftrag erteilt werden. Unter diesen Voraussetzungen sei eine Befangenheit der Verhandlungsrichterin nicht gegeben, weshalb der Befangenheitsanzeige nicht stattzugeben gewesen sei.
Dagegen richtet sich der Rekurs von Dr.in D* mit dem Antrag, ihrer Befangenheitsanzeige stattzugeben. Sie sei mit dem Rechtsanwalt und Partner der Substitutin Mag. F* verheiratet und bis zu ihrem Wiedereinstieg in die Justiz über zwei Jahre lang als Rechtsanwaltsanwärterin bei der Substitutin tätig gewesen. Aufgrund dieses persönlichen Naheverhältnisses zu den in dieser Kanzlei tätigen Personen und des (Insider-)Wissens über die Arbeitsweise in dieser Kanzlei erachtete sie sich auch bei deren Einschreiten als Substitutin für befangen. Der im angefochtenen Beschluss angeführte Weg, einen nicht befangenen Rechtsanwalt zum Substituten zu bestellen oder die Erteilung eines Gerichtsauftrags in diesem Sinn, widerspreche der Erwerbsfreiheit eines Rechtsanwalts und widerspreche den Bestimmungen der ZPO.
Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Dem Richter, dessen Selbstmeldung wegen Befangenheit nicht stattgegeben wurde, steht dagegen ein Rekursrecht zu (RS0043747; Mayr in Rechberger/Klicka5 § 24 JN Rz 4 mwN). Wenn der Richter selbst seine Befangenheit anzeigt und Rekurs gegen die darüber ergehende Entscheidung erhebt, ist das Rechtsmittelverfahren nach wie vor einseitig ausgestaltet (vgl OGH 9 Nc 36/12m).
2. Das Gesetz unterscheidet zwischen Befangenheits- und Ausschließungsgründen. Die einzelnen Ausschließungsgründe sind in § 20 JN aufgezählt. Ihr Vorliegen bewirkt einen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund (§ 477 Abs 1 Z 1 ZPO; Mayr in Rechberger/Klicka5 § 19 JN Rz 2). Ein gerade nicht mehr erfasster Sachverhalt bildet regelmäßig einen tauglichen Ablehnungsgrund wegen Befangenheit (Mayr aaO § 20 JN Rz 1).
Wie das Erstgericht korrekt ausgeführt hat, ist ein Richter, dessen Ehegatte Gesellschafter oder Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-Gesellschaft in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach § 21e RAO ist, wenn eine Partei des vom Richter zu führenden Verfahrens dieser Rechtsanwalts-Gesellschaft Vollmacht erteilt hat, analog § 20 Z 2 JN vom Richteramt ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Ehegatte in diesem Verfahren tatsächlich nicht als Vertreter der Rechtsanwalts-Gesellschaft tätig wurde bzw wird (RS0045963 [T8]). Bei der Substitutin handelt es sich zwar um keine Rechtsanwalts-GmbH, sondern um eine Rechtsanwalts OG, doch ist auch eine offene Gesellschaft gemäß der ausdrücklichen Anordnung in § 105 Satz 2 UGB rechtsfähig (vgl auch Koch in KBB7 § 26 ABGB Rz 7). Demnach kommt auch bei der Rechtsanwalts-OG gemäß § 21e RAO jedem vertretungsbefugten Gesellschafter die Vertretungsbefugnis in jedem Mandatsverhältnis der Gesellschaft zu, ohne dass es einer weiteren Bevollmächtigung bedürfte (vgl 6 Ob 176/13w zur Rechtsanwalts-GmbH).
Anders ist nach der höchstgerichtlichen Judikatur die Rechtslage für den angestellten Rechtsanwalt. Das Angehörigenverhältnis (§ 20 Z 2 JN) eines Richters zu einem angestellten Rechtsanwalt einer bevollmächtigten Rechtsanwalts-Gesellschaft allein begründet demnach noch keinen für die Ausschließungsgründe charakteristischen und deshalb zu typisierenden Fall einer objektiv evidenten Gefährdung der Objektivität und Unbefangenheit eines Richters (RS0046076 [T6]).
Zu prüfen ist daher, wie die Ausgangssituation zu beurteilen ist, wenn eine Rechtsanwaltsgesellschaft – wie hier – als Substitutionsbevollmächtigte einschreitet.
Gemäß § 31 Abs 2 ZPO kann der Rechtsanwalt die ihm erteilte Prozessvollmacht für einzelne Akte oder Abschnitte des Verfahrens einem anderen Rechtsanwalt übertragen. „Übertragung“ der Prozessvollmacht bedeutet eine Unterbevollmächtigung über den vollen gesetzlich definierten Vollmachtsumfang der §§ 31, 32 ZPO (vgl Zib in Fasching/Konecny3 Band II/1 §§ 31, 32 ZPO Rz 38).
Unter welchen Umständen bei Einschreiten eines Substitutionsbevollmächtigten ein Ausschlussgrund im Sinn des § 20 Z 2 JN gegeben ist, ist durch die höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt (6 Ob 642/83; 5 Ob 93/13g). § 14 RAO regelt, unter welchen Umständen eine Substitution unmittelbar kraft Gesetzes zulässig ist (vgl Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek RAO11 § 14 RAO Rz 4). In der Praxis wird überwiegend der Substitut vom beauftragenden Rechtsanwalt in dessen Namen und auf dessen Rechnung beauftragt, ohne Einbindung des Mandanten und ohne Hinweis auf eine ausschließliche Zahlungspflicht des Mandanten, also ohne gänzliche Übertragung des Mandatsverhältnisses. Leistungsaustausch und Rechnungsstellung erfolgen zwischen auftraggebendem Rechtsanwalt und Substitut. Im Zweifel ist der ersuchende Rechtsanwalt als Auftraggeber unmittelbar zahlungspflichtig, eine Zahlungsverpflichtung des Klienten gegenüber dem Substituten besteht nicht (Engelhart aaO RL-BA 2015 § 22 Rz 5). Dass hier zwischen der auftraggebenden Klagevertreterin und der einschreitenden Substitutin eine andere Vereinbarung getroffen wurde, ist dem Akt nicht zu entnehmen.
Die analoge Heranziehung bzw Anwendung des § 20 Abs 1 Z 2 JN begründete das Höchstgericht damit, dass „die Zulässigkeit eines nahen Verwandtschaftsverhältnisses zwischen dem Richter und Advocaten das Vertrauen der Parteien in die Unbefangenheit des Richters nicht minder zu schwächen geeignet ist, als die Verwandtschaft des Richters mit der Partei selbst, da doch der Advocat gewiß auch ein Interesse daran hat, daß sein Client obsiege, und insoweit die Sache der Partei auch als seine Sache anzusehen ist.“ (OGH 20. Juni 1900, Nr 8.693 = GlUNF 1.062; Geroldinger, Familiäres Naheverhältnis des Richters zum Prozessbevollmächtigten als Ausschließungsgrund? in JBl 2014, 620 [630]). Diese Argumentation überzeugt bezüglich eines Substituten jedoch nicht, denn dieser hat kein engeres Interesse am Prozessausgang, wird er doch regelmäßig ausschließlich von seinem Auftraggeber, also dem beauftragenden Rechtsanwalt entlohnt. Demnach ist grundsätzlich bei Einschreiten eines Substituten nicht davon auszugehen, dass ein Ausschlussgrund nach § 20 Abs 1 Z 2 JN hergestellt werden kann.
3. Es ist daher die Befangenheit im Sinn des § 19 Z 2 JN zu prüfen:
Bei der Prüfung der Unbefangenheit ist im Interesse des Ansehens der Justiz ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss – auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte – oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, soll jedenfalls vermieden werden (RS0045949 [T2, T5]; RS0046052 [T12]; RS0109379 [T7]). Es ist im Allgemeinen ein Befangenheitsgrund anzunehmen, wenn der Richter selbst seine Befangenheit anzeigt (RS0046053). Nur ausnahmsweise wird bei Selbstmeldung des Richters eine Befangenheit nicht gegeben sein, etwa bei missbräuchlicher Anzeige einer Befangenheit oder wenn die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine Befangenheit zu begründen (RS0045943 [T4]; RS0046053 [T4]).
Im vorliegenden Fall hat die Rechtsmittelwerberin in ihrer Befangenheitserklärung auf ihre Ehe mit einem Rechtsanwalt und Partner der Substitutin hingewiesen und ausdrücklich bekannt gegeben, dass sie sich aus diesem Grund sowie wegen ihrer ehemaligen Tätigkeit in dieser Kanzlei und den nach wie vor aufrechten weiteren privaten Kontakte mit den Juristen und Partnern sowie Sachbearbeiterinnen dieser Kanzlei subjektiv für befangen erachte. Dem Erstgericht ist entgegenzuhalten, dass bei Selbstanzeige einer Befangenheit durch den Richter unter Beachtung der Interessen am Ansehen der Justiz kein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen und grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen ist (RS0045943 [T3]). Es liefe dem Interesse der Parteien an einem objektiven Verfahren zuwider, wenn ihre Angelegenheit von einem Richter entschieden würde, der selbst Bedenken dagegen äußert, eine unvoreingenommene Entscheidung treffen zu können (RS0045943 [T5]). Im konkreten Fall liegen jedenfalls zureichende Anhaltspunkte vor, um aus Sicht eines objektiven Beurteilers die volle Unbefangenheit der betreffenden Richterin in Zweifel zu ziehen. Durch ihre Ehe mit einem Rechtsanwalt und Partner der E* OG und durch ihre ehemalige Tätigkeit in dieser Kanzlei sowie die nach wie vor bestehenden engen privaten Kontakte zu den Mitarbeiterinnen dieser Kanzlei ist erkennbar, dass die Richterin enge persönliche Beziehungen zu dieser Kanzlei nach wie vor unterhält. Damit ist ihre angezeigte Befangenheit jedenfalls zu bejahen.
Dem Rekurs ist daher Folge zu geben und der angefochtene Beschluss dahin abzuändern, dass die Befangenheit der Rechtsmittelwerberin festgestellt wird.
Gegen die Entscheidung über eine vom Richter selbst erstattete Befangenheitsanzeige können die Parteien kein Rechtsmittel erheben (vgl RS0045958). Der Revisionsrekurs ist daher jedenfalls unzulässig.
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