OGH 9ObA80/21m

OGH9ObA80/21m28.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Mag. Simone Hiebler, Dr. Gerd Grebenjak, Mag. Lisa Posch, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zach, Dr. Reinhard Teubl, Mag. Harald Terler, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, wegen Feststellung (Streitwert 21.800 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Mai 2021, GZ 7 Ra 20/21x‑25, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00080.21M.0728.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Begünstige Behinderte sind nach § 2 Abs 1 BEinstG österreichische Staatsbürger – und diesen gleichgestellte Personen – mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH. Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH (unter anderem) des Bundesamts für Soziales und Behindertenwesen. Die Begünstigungen nach dem BEinstG werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrags beim Bundessozialamt, wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monats wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung gestellt wird (§ 14 Abs 1, Abs 2 BEinstG).

[2] 2. Die Kündigung eines begünstigten Behinderten darf nach § 8 Abs 2 BEinstG von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12 BEinstG) zugestimmt hat. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam (RS0052626), wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt. Der Kündigungsschutz ist von der Kenntnis des Arbeitgebers von der Behinderung unabhängig (RS0037786, RS0077684 [T3]). Entscheidend ist allein, ob die Begünstigungen im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits eingetreten waren (RS0077684).

[3] 3. Der Kläger wurde am 15. 10. 2014 gekündigt. Am selben Tag beantragte er die Feststellung seiner Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten. Diesem Antrag wurde mit Bescheid vom 3. 2. 2015 Folge gegeben und festgestellt, dass der Kläger rückwirkend ab 15. 10. 2014 zum Personenkreis der begünstigten Behinderten mit einer Behinderung von 50 vH angehört.

[4] Dementsprechend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Kläger nur mit Zustimmung des Behindertenausschusses gekündigt werden durfte. Diese lag bei der Kündigung nicht vor und wurde auch über Antrag der Beklagten nicht nachträglich erteilt. Die Kündigung wurde daher als rechtsunwirksam angesehen.

[5] 4. Die Beklagte meint in der außerordentlichen Revision, es liege eine uneinheitliche Rechtsprechung vor, weil nach einem Teil der Judikatur die Begünstigungen nach dem BEinstG frühestens mit dem Zeitpunkt der Antragstellung wirksam werden, nach der von den Vorinstanzen zitierten Entscheidung 9 ObA 61/06w jedoch schon mit Beginn des Tages der Antragstellung.

[6] Der von der Beklagten behauptete Widerspruch liegt jedoch nicht vor. In der Mehrzahl der bisher zu entscheidenden Fälle kam es nur auf den Tag an, an dem die Begünstigungen nach dem BEinstG wirksam werden, in diesen wurde daher verkürzt von „frühestens mit der Antragstellung“ gesprochen (vgl etwa 9 ObA 86/18i; 9 ObA 120/08z). In der – soweit überblickbar – einzigen Entscheidung, in der auch die Frage des Zeitpunkts der Antragstellung von Relevanz war, wurde klargestellt, dass nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 14 Abs 2 dritter Satz BEinstG die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrags beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam werden und dass damit nicht auf den Zeitpunkt, sondern den Tag des Einlangens, also dem Beginn dieses Tages abgestellt wird (9 ObA 61/06w). Warum diese in Einklang mit § 903 ABGB stehende Rechtsauffassung unrichtig sein soll, lässt sich auch der außerordentlichen Revision nicht entnehmen.

[7] Dem folgend sind die Vorinstanzen aber richtig davon ausgegangen, dass der Zugang der Kündigung jedenfalls nach Tagesbeginn des 15. 10. 2014 anzusetzen ist, als die (rückwirkende) Begünstigung des Klägers schon (mit Beginn des Tages) eingetreten war.

[8] 5. Den Argumenten der Beklagten, dass ihr bei Ausspruch der Kündigung die Behinderteneigenschaft des Klägers nicht bekannt war, eine Klagsstattgebung sie unbillig hart treffen würde und der Kläger durch die Antragstellung nur die Folgen der Kündigung abwenden wolle, kommt demgegenüber nach dem Gesetz und der Rechtsprechung keine Relevanz zu. Ebensowenig ist bei Kündigung eines begünstigt Behinderten ohne Zustimmung des Behindertenausschusses von den Gerichten zu prüfen, ob der Arbeitnehmer durch sein Verhalten Anlass zur Kündigung gegeben hat.

[9] 6. Insgesamt gelingt es der Beklagten daher nicht, das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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