Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.098,44 (darin EUR 198,24 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begründete mit 15. 8. 1985 ein Angestelltenverhältnis zur Beklagten. Mit Schreiben vom 19. 11. 2003 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis zum 31. 3. 2004. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 20. 11. 2003 zu. Ebenfalls am 20. 11. 2003 stellte der Kläger beim Bundessozialamt den Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß den Bestimmungen der §§ 2 und 14 BEinstG. Das Erstgericht konnte ausdrücklich nicht feststellen, ob der Kläger am 20. 11. 2003 vor oder nach Stellung des Antrages beim Bundessozialamt das Kündigungsschreiben vom 19. 11. 2003 erhielt. Das Bundessozialamt stellte mit Bescheid vom 21. 4. 2004 fest, dass der Kläger ab 20. 11. 2003 dem Kreis der begünstigten Behinderten (§ 2 Abs 1 BEinstG) angehört und dass der Grad der Behinderung „50 vom 100" beträgt. Bereits mit Schreiben vom 8. 3. und 16. 4. 2004 hatte der Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland namens des Klägers die Beklagte vom beim Bundessozialamt anhängigen Antrag informiert.
Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis über den 31. 3. 2004 hinaus aufrecht fortbestehe. Er begründete sein Begehren im Wesentlichen damit, dass die bescheidmäßige Zuerkennung des Behindertenstatus auf den ganzen Tag des 20. 11. 2003 zurückwirke, diese Wirkung somit jedenfalls vor Zugang der Kündigung an den Kläger eingetreten sei. Da die Kündigung eine empfangsbedürftige Willenserklärung sei, sei diese erst mit dem Zugang an den Kläger wirksam geworden. Wenn der Kläger bereits im Zeitpunkt des Zugangs - wenn auch durch nachträgliche Feststellung - bereits zum Kreis der begünstigten Behinderten gezählt habe, sei die Kündigung gemäß § 8 Abs 2 BEinstG unwirksam.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie vertrat im Wesentlichen den Standpunkt, dass der rückwirkende Bescheid des Bundessozialamts die gegenständliche Kündigung nicht außer Kraft gesetzt habe. Das Kündigungsverbot des § 8 Abs 2 BEinstG beziehe sich nach seinem Wortlaut auf den Zeitpunkt des „Ausspruchs" der Kündigung, nicht jedoch deren Zugang. Als Ausspruch sei im vorliegenden Fall die Postaufgabe zu verstehen, welche bereits am 19. 11. 2003 erfolgt sei. Komme es aber nicht auf den Zugang an, könne die Rückwirkung des Bescheids auf den 20. 11. 2003 dem Kläger nicht dienlich sein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgte dabei im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es dem Klagebegehren stattgab. Es vertrat im Wesentlichen die Rechtsauffassung, dass für die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens nicht nur am engen Wortlaut des § 8 Abs 2 erster Satz BEinstG festzuhalten, sondern auch Abs 2 Satz 2 dieser Bestimmung heranzuziehen sei. Dort sei nicht nur vom Ausspruch der Kündigung die Rede, sondern davon, dass „eine Kündigung" ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses rechtsunwirksam sei. Somit sei nicht nur auf den Ausspruch, sondern auf das Wirksamwerden der Kündigung abzustellen. Die Wirksamkeit sei aber zweifelsohne erst mit dem Zugang an den Kläger als Erklärungsempfänger eingetreten. Teleologisch betrachtet werde nicht die Position des Arbeitgebers, sondern des Arbeitnehmers durch das Behinderteneinstellungsgesetz geschützt. Der Kündigungsschutz bestehe unabhängig vom Wissen des Arbeitgebers um die Begünstigung. Aus dieser Sicht mache es auch keinen Unterschied, ob die Begünstigung vor oder nach der Abgabe der Erklärung des Arbeitgebers eingetreten sei. Konnte der Arbeitgeber - aus welchen Gründen immer - vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Behindertenausschusses nicht einholen, so bleibe ihm immer noch die Möglichkeit, diese nachträglich zu beantragen. Da die bescheidmäßige Zuerkennung der Behinderteneigenschaft auf den Beginn des 20. 11. 2003 zurückwirke, und der Zugang der Kündigung zwar am gleichen Tage, aber jedenfalls nach diesem Zeitpunkt erfolgt sei, komme der Kündigung keine Wirkung zu. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur vorliegenden Frage noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Gemäß § 8 Abs 2 BEinstG darf die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2) von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12) .... zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt. Gemäß § 14 Abs 2 dritter Satz BEinstG werden die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrags beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Nach § 14 Abs 2 vierter Satz BEinstG werden die Begünstigungen dann mit dem Ersten des Monats wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung gestellt wird.
Im vorliegenden Fall ist der Tag der Antragstellung maßgeblich. Zunächst sei auf die von der Revisionswerberin zitierten Literaturstellen eingegangen:
Andexlinger („Invalideneinstellungsgesetz nunmehr Dauerrecht" in RdW 1988, 427, 428) vertrat die Meinung, dass die vom Ausschussbericht (665 der Beilagen) nicht kommentierte „Innovation" (gemeint: des § 14 Abs 2 BEinstG) zur Folge habe, dass die Antragstellung auf eine bereits ausgesprochene Arbeitgeberkündigung im Regelfall der bei Kündigung bereits eingetretenen Behinderung nicht mehr rückwirkt. Damit meinte der Autor offenbar, dass durch die Novelle BGBl 721/1988 nicht der dem Antrag vorausgehende Monatserste regelmäßig den Beginn der begünstigten Behindertenstellung bewirke, sondern der Antragstag. Es finden sich indes keine Argumente, warum ein auf den Tag der Kündigung selbst zurückwirkender Bescheid die Kündigung nicht berühren sollte. Was den Terminus „Ausspruch der Kündigung" anlangt, wird keine differenzierende Haltung zwischen „Ausspruch" und „Zugang" eingenommen, sodass für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen ist.
Ähnliches trifft auf die Argumentation von Schrank („Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht: Eine Gesamtdarstellung für die Praxis des Arbeitgebers" 450/II) zu. Schrank betont, dass die Rückwirkung eines Behinderten-Feststellungsbescheids auf den Ersten des Antragsmonats nur mehr die Ausnahme darstelle und nur in diesem Sonderfall auch eine vor Antragstellung ausgesprochene Kündigung unwirksam werde. Gleichzeitig betont der Autor aber auch die Regel, nämlich die Rückwirkung auf den Tag des Einlangens des Antrags beim Bundessozialamt. Auch hier wird nicht erörtert, warum ein am Kündigungstag eingebrachter, dann erfolgreicher Antrag die Kündigung nicht berühren sollte. Zwar ist auch bei Schrank die Rede vom „Kündigungsausspruch", doch geht auch er auf das Problem eines zeitlichen Auseinanderfallens von Ausspruch und Zugang nicht ein. Lediglich Eypeltauer („Die rückwirkende Geltung des besonderen Kündigungsschutzes begünstigter Behinderter" in DRdA 1989, 185 f) nahm dazu differenzierter Stellung. Wörtlich heißt es unter Punkt VI dieser Abhandlung: „Infolge der Rückwirkung des besonderen Kündigungsschutzes stellt sich die Frage, ob dieser schon im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung gegeben sein muss, oder ob die Rückwirkung auf den Zugang der Kündigungserklärung genügt. Nach dem Wortlaut des § 8 Abs 2 BEinstG darf die Kündigung erst nach Zustimmung des Behindertenausschusses „ausgesprochen werden". Diesem folgend geht die herrschende Ansicht davon aus, dass die rechtskräftige Zustimmung des Behindertenausschusses das in § 8 Abs 2 BEinstG normierte Kündigungsverbot aufhebt und dem Arbeitgeber sein Kündigungsrecht wieder gibt. Der Arbeitgeber bedarf der Zustimmung zur Kündigung, um diese rechtswirksam aussprechen zu können. Das entspricht der zum allgemeinen Kündigungsschutz nach § 105 ArbVG vertretenen Ansicht, wonach eine vor dem Ende des betriebsverfassungsrechtlichen Vorverfahrens abgegebene Kündigungserklärung - vorausgesetzt, der Betriebsrat hat nicht schon vorher eine Stellungnahme abgegeben - auch dann rechtsunwirksam ist, wenn sie erst nach diesem Zeitpunkt zugeht. Da das Kündigungsverbot somit den Ausspruch der Kündigung betrifft, kommt es darauf an, ob der besondere Kündigungsschutz auf den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung zurückwirkt." Soweit überblickbar, ist dies die einzige Literaturstimme, die die Beklagte für ihre Ansicht ins Treffen führen kann. Auch andere Autoren (so zB Löschnigg Arbeitsrecht10, 500) sprechen zwar im Zusammenhang mit der Rückwirkung des Bescheides über die Behinderteneigenschaft von der „ausgesprochenen Kündigung", ohne aber auf das Problem eines möglichen Auseinanderfallens von Ausspruch und Zugang einzugehen. Ernst/Haller (BEinstG6, 273) vertreten die Meinung, dass der besondere Kündigungsschutz dem Behinderten sogar dann zugute kommt, wenn der Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gemäß § 14 Abs 2 erst nach Zugang der Kündigung gestellt wurde, im Bescheid aber für den Eintritt der Begünstigung ein „vor der Kündigung" liegender Zeitpunkt genannt wird. Auch Marhold/Friedrich (Österreichisches Arbeitsrecht, 289) stellen für die Beurteilung des Kündigungsverbots nur darauf ab, „dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Begünstigung bereits vorlag". Diese Autoren betonen somit nicht den Zeitpunkt des „Ausspruchs" als maßgeblich.
Soweit sich die Rechtsprechung in der Vergangenheit mit der Rückwirkung von Feststellungsbescheiden des Bundessozialamts auseinanderzusetzen hatte und dabei den „Ausspruch der Kündigung"
erwähnte (4 Ob 103/83 = Arb 10.382; 9 ObA 304/88 = RdW 1989, 311; 9
ObA 179/90 = DRdA 1991/41; 9 ObA 86/06x) spielte das Problem des Auseinanderklaffens von Kündigungsausspruch und Kündigungszugang nie eine Rolle. Obwohl in der Entscheidung 9 ObA 304/88 = RdW 1989, 311 von einer „ausgesprochenen Kündigung" die Rede war, sprach der Oberste Gerichtshof zu 9 ObA 179/90 = DRdA 1991/41, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Vorentscheidung aus: „Der besondere Kündigungsschutz nach § 8 Abs 2 BEinstG kommt dem Behinderten sogar dann zugute, wenn der Antrag erst nach Zugang (Anm: Hervorhebung durch den Senat) der Kündigung gestellt wurde, im Bescheid aber für den Eintritt der Begünstigung ein vor der Kündigung (Anm: Hervorhebung durch den Senat) liegender Zeitpunkt genannt wird (RdW 1989, 311)." Auch daraus erhellt, dass keine Festlegung auf den Zeitpunkt des Ausspruchs einer erst später zugegangenen Kündigung erfolgen sollte.
Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft bewirkt. Es handelt sich um ein Gestaltungsrecht, das dem Vertragspartner ermöglicht, einseitig eine Änderung der Rechtslage (Beendigung des Vertragsverhältnisses) herbeizuführen. Die Kündigung greift in den Rechtsbereich des Vertragspartners ein und muss ihm daher zugehen. Wann dieser Zugang als erfolgt anzusehen ist, bestimmt sich nach den Regeln des allgemeinen Privatrechts (§ 862 f ABGB). Demnach kommt es nicht darauf an, ob der Erklärungsempfänger tatsächlich Kenntnis erlangt, sondern es genügt, dass die Kündigung in seinen Machtbereich gelangt. Anders ausgedrückt: Die Kündigung ist zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem erwartet werden kann, dass der Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen von der Erklärung Kenntnis erlangen kann (so zusammenfassend: Grillberger in Floretta/ Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4, 365 f). Mündliche Kündigungen unter Anwesenden oder per Telefon gehen daher sofort zu, vorausgesetzt dass der Empfänger in der Lage war, sie zu verstehen. Schriftliche Kündigungen, die mit der Post zugestellt oder sonst in den Hausbriefkasten geworfen werden, sind in dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem erwartet werden kann, dass der Empfänger den Briefkasten entleert, regelmäßig also am selben Tag (Grillberger aaO 366). Für den vorliegenden Fall der schriftlichen Kündigung folgt daraus, dass diese erst mit dem Zugang am 20. 11. 2003 Wirksamkeit entfalten konnte. Eine nicht am Wortsinn haftende, sondern insbesondere dem Gesamtinhalt des § 8 Abs 2 BEinstG berücksichtigende Interpretation, wie sie bereits zutreffend vom Berufungsgericht vorgenommen wurde (§ 510 Abs 3 ZPO), führt zu dem Ergebnis, dass bei Beurteilung eines rückwirkenden Feststellungsbescheids des Bundessozialamts nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, sondern deren Wirksamkeit, die erst durch den Zugang erfolgt, abzustellen ist.
Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 14 Abs 2 dritter Satz BEinstG werden die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlanges des Antrags beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Damit wird nicht auf den Zeitpunkt, sondern den Tag des Einlangens, also dem Beginn dieses Tages abgestellt. Da nach den oben dargestellten Erwägungen der Zugang der Kündigung an den Kläger jedenfalls nach Tagesbeginn des 20. 11. 2003 anzusetzen ist, war die Begünstigung des Klägers schon eingetreten.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
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