OGH 9ObA179/90

OGH9ObA179/9012.9.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Jelinek sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka und Margarethe Heidinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Alfred P***, Baden, Andreas

Hoferzeile 17, vertreten durch Dr. Willi Fuhrmann, Dr. Helmut Steiner und Dr. Thomas Weber, Rechtsanwälte in Baden, wider die beklagte Partei Wolf H***, Kottingbrunn, Spitzweggasse 13, vertreten durch Dr. Gernot und Dr. Stephan Gruböck, Rechtsanwälte in Baden, wegen Feststellung (Streitwert S 606.780,- sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. April 1990, GZ 33 Ra 20/90-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. November 1989, GZ 4 Cga 629/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.614,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 2.935,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 7. 10. 1929 geborene Kläger ist seit 1. 3. 1985 als Handelsvertreter im Angestelltenverhältnis beim Beklagten tätig; dieser beschäftigte etwa 10 Arbeitnehmer.

Auf Antrag des Klägers vom 7. 2. 1989, eingelangt am 9. 2. 1989, stellte das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und das Burgenland mit rechtskräftigem Bescheid vom 17. 3. 1989 gemäß § 14 Abs 2 des BEinstG fest, daß dieser ab 9. 2. 1989 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört; der Grad der Behinderung (§ 3 BEinstG) beträgt 90 v.H. Mit Schreiben vom 20. 3. 1989 setzte der Kläger den Beklagten vom Inhalt des Bescheides in Kenntnis. Knapp vorher, nämlich am 15. 3. 1989 hatte der Beklagte den Kläger gekündigt.

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß das Dienstverhältnis zum Beklagten aufrecht sei; dieser habe ihn ohne Zustimmung des Behindertenausschusses gekündigt, sodaß diese Kündigung unwirksam sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte - soweit dies für das Revisionsverfahren noch relevant ist - ein, vermutlich infolge gesundheitlicher Beeinträchtigung des Klägers, der infolge seiner Invalidität im Betrieb keine Leistungen mehr erbringen könne, sei es zu einem beachtenswerten Umsatzrückgang gekommen. Die Belastung durch die Lohnkosten sei für ihn unter gleichzeitigem Umsatzrückgang wirtschaftlich nicht mehr tragbar gewesen, sodaß er den Kläger gekündigt habe. Sein Unternehmen sei auf Grund der geringen Beschäftigungszahl nicht zur Einstellung von Behinderten verpflichtet gewesen; selbst wenn der Kläger zum begünstigten Personenkreis des § 2 BEinstG zähle, genieße er daher keinen besonderen Kündigungsschutz. Ihm würde durch die Kündigung auch kein Nachteil entstehen, weil er bereits pensionsberechtigt sei. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,- übersteige. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, begünstigte Behinderte stünden unter dem besonderen Kündigungsschutz des § 8 BEinstG, wonach jede Kündigung des Dienstgebers der Zustimmung durch den beim Landesinvalidenamt errichteten Behindertenausschuß bedürfe. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses sei rechtsunwirksam. Nach § 14 Abs 2 BEinstG werde die Begünstigung mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens aber mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim örtlich zuständigen Landesinvalidenamt wirksam; beim Kläger sei dies der 9. 2. 1989, also mehr als ein Monat vor der am 15. 3. 1989 ausgesprochenen Kündigung gewesen. Die Kündigung sei daher rechtsunwirksam. Daran ändere nichts, daß eine allfällige Einholung der Zustimmung des Behindertenausschusses zur Kündigung des Klägers für den Beklagten nicht möglich gewesen wäre, weil er von der Begünstigung des Klägers nach dem BEinstG erst nach Ausspruch der Kündigung erfahren habe. Der Beklagte hätte aber nach § 8 Abs 2 Satz 2 BEinstG nachträglich die Erteilung der Zustimmung beantragen können. Ob ein Arbeitgeber nach dem BEinstG verpflichtet sei, begünstigte Invalide einzustellen, sei für den Kündigungsschutz unerheblich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klageabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Was die vom Revisionswerber in der Revision ohnehin nicht mehr relevierten Fragen der mit einem rechtskräftigen Feststellungsbescheid verbundenen, auf den Zeitpunkt des Einlangens des Antrags rückwirkenden Begünstigung und den dadurch bewirkten Kündigungsschutz auch hinsichtlich der Kündigungen, die in Unkenntnis des zwischenzeitig gestellten Antrags ausgesprochen wurden, anlangt, genügt es, auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zu verweisen (Arb. 10.584; ZAS 1986, 16). Der besondere Kündigungsschutz nach § 8 Abs 2 BEinstG kommt dem Behinderten sogar dann zugute, wenn der Antrag erst nach Zugang der Kündigung gestellt wurde, im Bescheid aber für den Eintritt der Begünstigung ein vor der Kündigung liegender Zeitpunkt genannt wird (RdW 1989, 311).

In der Revision bringt der Beklagte unter Hinweis auf eine zweitinstanzliche Entscheidung (Arb. 6.474) nur mehr vor, die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, es sei für den Kündigungsschutz nach dem BEinstG unerheblich, ob ein Arbeitgeber nach diesem Gesetz verpflichtet sei, begünstigte Behinderte einzustellen oder nicht, verfehlt sei. In nichteinstellungspflichtigen Betrieben genössen Dienstnehmer keinen besonderen Kündigungsschutz, sodaß der Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, die Zustimmung des Behindertenausschusses einzuholen. Mangels Kenntnis des vom Kläger gestellten Antrages sei dessen Anrufung auch nicht möglich und zumutbar gewesen; daher hätte das Gericht bei seiner Entscheidung im Rahmen einer Interessenabwägung sein Interesse an der Kündigung dem Interesse des Klägers an der Weiterbeschäftigung gegenüberstellen müssen. Die Unterlassung dieser Interessenabwägung sei ein sekundärer Verfahrensmangel. Wie bereits in den Erläuterungen (RV 5, 1420 Blg Sten.Prot. NR 13. GP) ausdrücklich hervorgehoben, darf bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit die Kündigung eines jeden nach dem BEinstG begünstigen Behinderten, ohne Rücksicht darauf, ob der Dienstnehmer, bei dem der Behinderte beschäftigt ist, der Einstellungspflicht unterliegt oder nicht, nur nach Zustimmung des Behindertenausschusses ausgesprochen werden. Den besonderen Kündigungsschutz genießen somit auch begünstigte Behinderte, die bei Dienstgebern beschäftigt sind, die weniger als 25 Dienstnehmer beschäftigen (Ernst, BEinstG, Anm. 2 zu § 8). Diese in den Erläuterungen zum Ausdruck kommende Absicht des Gesetzgebers ist durch den Gesetzeswortlaut voll gedeckt. In diesem wird nur die Kündigung eines Dienstgebers erwähnt, ohne daß eine Unterscheidung im Sinn des § 1 leg.cit. nach einstellungspflichtigen und nichteinstellungspflichtigen Dienstgebern vorgenommen wird. Eine solche Auslegung entspricht auch dem Zweck des Gesetzes. Einerseits sollen in größeren Betrieben Arbeitsplätze für Behinderte zur Verfügung gestellt werden müssen, um diesen die Eingliederung in den Arbeitsprozeß zu erleichtern (Ernst aaO. Anm. 1 zu § 1); andererseits sollen bereits beschäftigte Behinderte von den Nachteilen am allgemeinen Arbeitsmarkt geschützt werden, indem sie zwar nicht schlechthin unkündbar gestellt werden, ihre Kündigung aber nur nach Zustimmung des Behindertenausschusses zulässig ist, der eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Schutzbedürftigkeit des Behinderten vorzunehmen und hienach nach freiem Ermessen zu entscheiden hat (Ernst aaO. Anm. 17 ff zu § 8). Wurde der Behindertenausschuß nicht eingeschaltet, ist die Kündigung jedenfalls rechtsunwirksam und der Behinderte berechtigt, eine Klage auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses einzubringen (Ernst aaO. Anm. 2 zu § 8). In diesem Verfahren ist keine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Dienstverhältnisses und den Interessen des Dienstnehmers an der Weiterbeschäftigung vorzunehmen, sodaß der behauptete sekundäre Verfahrensmangel nicht vorliegt.

Hat der Dienstgeber - wie hier - erst nach Ausspruch der Kündigung von der rückwirkend gewährten Begünstigtenstellung des Dienstnehmers erfahren, hätte er von der Möglichkeit des § 8 Abs 2, zweiter Satz, letzter Halbsatz, BEinstG Gebrauch machen und nachträglich die Zustimmung beantragen können (vgl Ernst aaO. Anm. 39 zu § 8). In diesem Verfahren hätte der Behindertenausschuß die vom Beklagten vermißte Interessenabwägung vornehmen müssen, unter Bedachtnahme auf die Einwände des Beklagten, daß ihn die Weiterbeschäftigung des Klägers wegen dessen mangelnder Beschäftigungsmöglichkeit, der geringen Zahl anderer Arbeitnehmer und des eingetretenen Umsatzrückganges besonders hart treffe, wogegen dem Kläger die Kündigung nicht besonders zum Nachteil gereiche, weil er ohnedies bereits im Pensionsalter (61 Jahre) sei. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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