OGH 9ObA61/20s

OGH9ObA61/20s29.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei W*****GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Burgstaller & Preyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei A***** L*****, vertreten durch Mag. Franjo Schruiff LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.523,76 EUR sA (AZ: 41 Cga 21/19m) und 1.338,13 EUR sA (AZ: 37 Cga 32/19z), über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Mai 2020, GZ 8 Ra 80/19x‑19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00061.20S.0929.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.  Nach der Rechtsprechung ist der Grundsatz der Transparenz für die schriftliche Vereinbarung über die Bedingungen für den Rückersatz von Ausbildungskosten iSd § 2d Abs 2 erster Satz AVRAG (vgl RIS‑Justiz RS0127499) auf die – auch im vorliegenden Fall revisionsverfangene – Vereinbarung der Rückforderung des während einer Ausbildung fortgezahlten Entgelts iSd § 2d Abs 2 zweiter Satz AVRAG übertragbar (9 ObA 7/18x; 9 ObA 124/19d [Pkt 1.2]). Danach soll dem Arbeitnehmer ersichtlich sein, auf welche Verpflichtungen er sich künftig einlässt, weil er nur so die finanzielle Tragweite der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in jenem Zeitraum ermessen kann, für den eine Kostentragungspflicht vereinbart wurde (9 ObA 124/19d [Pkt 1.2]).

2.  Die Frage, ob eine zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffene Vereinbarung iSd § 2d Abs 2 AVRAG dem Transparenzgebot entspricht, kann regelmäßig nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (9 ObA 124/19d [Pkt 2.]).

3.  Die Entscheidung des Berufungsgerichts, in der die schriftliche Verpflichtung der beklagten (und widerklagenden) Arbeitnehmerin gegenüber der klagenden (und widerbeklagten) Arbeitgeberin (im Folgenden kurz Klägerin) in Bezug auf die Rückerstattung der „Kosten der bezahlten Dienstfreistellung“ als intransparent und damit unwirksam beurteilt wurde, trägt diesen Grundsätzen Rechnung. Das Berufungsgericht stützte sich dabei auf zwei Entscheidungen des erkennenden Senats vom 19. 4. 2018 (9 ObA 7/18x = DRdA-infas 2018/111 [ Wanderer ]; zustimmend Eypeltauer , Zum Transparenzgebot beim Ausbildungskostenrückersatz, ecolex 2018, 1020) und 26. 2. 2020 (9 ObA 124/19d; dazu auch vgl Schrank , Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht Kap 6 Rz 107), die nahezu wortidente – zwischen anderen OP-Schwestern und derselben Arbeitgeberin abgeschlossene – Verpflichtungserklärungen zum Rückersatz der Kosten der Ausbildung nach dem GuKG und jener der Dienstfreistellung zum Gegenstand hatten. In beiden Fällen sah der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht der Vorinstanzen als vertretbar an, wonach die Vereinbarung der Rückforderung eines aliquoten Anteils „der Kosten der bezahlten Dienstfreistellung“ dem Transparenzgrundsatz nicht ausreichend Rechnung trage, weil der Rückzahlungsvereinbarung jede betragliche Präzisierung fehle, sodass daraus die konkrete Höhe des zu ersetzenden Entgelts nicht hervorgehe. Die Klägerin zeigt in ihrer außerordentlichen Revision keine Gründe auf, weshalb die Vereinbarung der Rückforderung eines aliquoten Anteils „der Kosten der bezahlten Dienstfreistellung“ im vorliegenden Fall anders zu beurteilen wäre.

4.  Die Rechtsprechung zum Transparenzgrundsatz im Hinblick auf Vereinbarung zur Rückzahlung des während der Ausbildung fortgezahlten Entgelts ist entgegen der Annahme der Klägerin nicht uneinheitlich. Der Entscheidung 8 ObA 70/09s lag – anders als hier – eine Vereinbarung über die Rückzahlung von Lohnkosten zugrunde, die von den Parteien selbst mit „Bruttoentgelt“ näher definiert wurden (siehe Pkt 9.1 der Entscheidung; vgl RS0126389). Die in der außerordentlichen Revision angesprochene Entscheidung 8 ObA 73/14i wurde bereits in der Entscheidung 9 ObA 124/19d (Pkt 4.5) als nicht für Vereinbarungen nach dem AVRAG anwendbar erklärt. Auch aus der Entscheidung 9 ObA 125/11i ist für die Klägerin nichts zu gewinnen, weil sich die konkrete Höhe der zu ersetzenden Kosten aus der vor einer bestimmten Ausbildung schriftlich abgeschlossenen Vereinbarung ergeben muss (9 ObA 125/11i [Pkt 2.5]; RS0127499; vgl DRdA‑infas 2018/111 [ Wanderer ]).

5.  Mit der in der Zulassungsbegründung der außerordentlichen Revision angesprochenen geltungserhaltenden Reduktion einer (teilweise) intransparenten Ausbildungskostenrückersatzvereinbarung hat sich der Senat ebenfalls bereits in der Entscheidung 9 ObA 124/19d (Pkt 5.) befasst. Auch im vorliegenden Fall steht gerade nicht fest, dass der Klägerin das Ausmaß der ausbildungsbedingten Dienstfreistellung vor Unterfertigung der gegenständlichen Verpflichtungserklärung bekannt war.

6.  Die von der Klägerin geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Die Feststellungsgrundlage ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind (RS0053317). Dies ist hier nicht der Fall. Wurden zu einem bestimmten Thema – wie hier zur Kenntnis der Beklagten über den Umfang der für den Ausbildungskurs erforderlichen Dienstfreistellung – (negative) Tatsachenfeststellungen getroffen, mögen diese auch von den Vorstellungen der Klägerin abweichen, können insoweit auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]; RS0043480 [T15]).

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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