European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00056.23K.1018.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Zu Beginn des Gesprächs vom 31. 8. 2021 um 16:00 Uhr wurde dem Kläger gegenüber die Entlassung ausgesprochen. Auf dessen Frage, „wo denn sein Betriebsrat sei“, wurde ihm mitgeteilt, dass bei einer Entlassung ein Betriebsrat nicht zwingend erforderlich sei. Nach einer längeren Diskussion über die den Anlass für die Entlassung bildenden Kundenbeschwerden bot die Geschäftsführerin der Beklagten dem Kläger statt der Entlassung die einvernehmliche Auflösung zum 30. 9. 2021 an. Sie räumte ihm eine Überlegungsfrist bis 18:00 Uhr ein, worauf der Kläger unter Mitnahme des Entlassungsschreibens und des schriftlichen Entwurfs für die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses den Raum verließ. Anschließend fragte er einen Kollegen um Rat, der ehemals Betriebsratsvorsitzender im Betrieb gewesen war. Nachdem ihm dieser die Vor‑ und Nachteile beider Beendigungsvarianten aufgezählt hatte, unterfertigte der Kläger die einvernehmliche Auflösung (nach der ihm 12 Monatsbezüge an Abfertigung „alt“ zustehen sollten).
[2] Das Erstgericht wies das auf Feststellung des aufrechten Bestehens des Dienstverhältnisses über den 30. 9. 2021 hinaus gerichtete Klagebegehren ab.
[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[5] 1. Schließt ein Arbeitnehmer unter dem Eindruck einer bereits ausgesprochenen Entlassung die ihm gleichzeitig angebotene Auflösungsvereinbarung ab, so kommt es für die Redlichkeit des Arbeitgebers darauf an, ob für ihn zu diesem Zeitpunkt plausible und objektiv ausreichende Gründe für einen Entlassungsausspruch gegeben waren. Ist dies der Fall, kann nicht von der Ausübung ungerechtfertigten psychologischen Drucks die Rede sein (8 ObA 26/14b [Pkt 2], DRdA 2015/16, 120 [Kohlbacher]; 9 ObA 158/08p; RS0014878 [T5]; RS0014873). Mit dieser Rechtsprechung steht die Beurteilung des Berufungsgerichts in Einklang, im Hinblick auf das – auch nach mehrfachen Ermahnungen – weiterhin gegebene Verhalten des Klägers gegenüber Kunden habe die Beklagte objektiv plausible Gründe für einen Entlassungsausspruch gehabt. Die Schlussfolgerung, die Beklagte habe den Kläger über das Vorliegen eines Entlassungsgrundes nicht in die Irre geführt, sodass er sich nicht auf die Ausübung ungerechtfertigten psychologischen Drucks berufen könne, ist daher nicht zu beanstanden (8 ObA 26/14b, DRdA 2015/16, 120 [Kohlbacher] mwH).
[6] 2.1 Durch die Entlassung wäre das Arbeitsverhältnis, ungeachtet des Umstands, ob die Entlassung berechtigt oder unberechtigt erfolgt ist, endgültig beendet gewesen. Dass ein bestandgeschütztes Dienstverhältnis vorgelegen gewesen wäre, ist aus der Aktenlage nicht ersichtlich.
[7] 2.2 Die Zurücknahme einer Entlassung kann – sobald sie dem anderen Teil zugegangen und damit wirksam geworden ist – nur sofort (was hier nicht der Fall war) oder mit Zustimmung des Erklärungsempfängers erfolgen (RS0028711). Ob eine unbedingte oder unter einer Bedingung stehende Rücknahme einer Entlassungserklärung vorliegt, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen hat die Beklagte nicht erklärt oder auch nur den Eindruck erweckt, von einer Entlassung abstehen zu wollen, falls die von ihr angebotene einvernehmliche Beendigung nicht zustande kommen sollte. Inhalt der vorgeschlagenen Auflösungsvereinbarung war vielmehr, die bereits ausgesprochene Entlassung dann zurückzunehmen, wenn der Kläger der vorgeschlagenen einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Zug um Zug) zustimmt. Soweit sich daher die Parteien einigten, die bereits ausgesprochene Entlassung in eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses umzuwandeln, wurde dem Kläger eine „gesichtswahrende“ Auflösungsart unter gleichzeitiger Wahrung des Abfertigungsanspruchs (Abfertigung „alt“ in Höhe von 12 Monatsbezügen) eingeräumt. Es lag im beiderseitigen Interesse, strittige oder zweifelhafte Tatumstände durch beiderseitiges Nachgeben mit streitbereinigender Wirkung einvernehmlich neu festzulegen (§ 1380 ABGB). Eine solche aus Anlass der Beendigung getroffene abschließende Reglung ist als Vergleich anzusehen, da die Vereinbarung auch noch ungewisse Rechte umfasst (RS0028337; 9 ObA 271/01w).
[8] 3.1 Der Kläger vermeint in seiner Revision, auch in dieser Situation wäre § 104a ArbVG anwendbar.
[9] Verlangt der Arbeitnehmer vor der Vereinbarung einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebsinhaber nachweislich, sich mit dem Betriebsrat zu beraten, so kann gemäß § 104a Abs 1 ArbVG innerhalb von zwei Arbeitstagen nach diesem Verlangen eine einvernehmliche Lösung rechtswirksam nicht vereinbart werden („Vereinbarungssperre“). Zweck der Vorschrift ist ein Übereilungsschutz für den Arbeitnehmer: Dieser soll nicht unüberlegt eine einvernehmliche Auflösung mit der Folge der Aufgabe des Arbeitsplatzes abschließen (8 ObA 173/97t; vgl auch 9 ObA 20/06s; Reissner in ZellKomm³ § 104a ArbVG Rz 2 mwH; Resch, Anm zu 9 ObA 157/07i in DRdA 2009/18, 242 [243] mwH). Eine entgegen der Vereinbarungssperre getroffene Einigung ist rechtsunwirksam (§ 104a Abs 2 ArbVG). Ihre Nichtigkeit kann vom Arbeitnehmer geltend gemacht werden (§ 104a Abs 2; Reissner in ZellKomm³ § 104a ArbVG Rz 5).
[10] 3.2 Selbst wenn man (ohne weitere Prüfung) dem Standpunkt des Klägers folgend auch im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit des § 104a ArbVG bejahen und weiters davon ausgehen wollte, mangels Einhaltung der Voraussetzungen des § 104a ArbVG wäre die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit bzw Nichtigkeit der einvernehmlichen Auflösung erfolgreich, könnte das aber dennoch nicht dazu führen, dass – wie der Kläger anstrebt – lediglich die einvernehmliche Auflösung wegfiele und das Arbeitsverhältnis fortbestünde. Vielmehr wäre zugleich die mit der einvernehmlichen Beendigung untrennbar verknüpfte Rücknahme der Entlassung beseitigt, sodass das Arbeitsverhältnis durch Entlassung beendet wäre. Auch unter der Annahme der Anwendbarkeit und erfolgreichen Geltendmachung des § 104a ArbVG wäre daher das auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses über den 30. 9. 2021 hinaus gerichtete Klagebegehren abzuweisen (vgl 8 ObA 26/14b, DRdA 2015/16, 120 [Kohlbacher] mwH; RS0014878 [T5]).
[11] Auf die in der Revision als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage, ob das nach Ausspruch der Entlassung geäußerte Verlangen des Klägers sich mit einem Betriebsrat beraten zu wollen in einem inneren, „thematischen“ Zusammenhang zur nachfolgenden einvernehmlichen Lösung steht (dazu Reissner in ZellKomm³ § 104a ArbVG Rz 6; Resch in Jabornegg/Strasser, ArbVG [Stand 1. 11. 2017, rdb.at] § 104a Rz 10 f; Goricnik in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 36 § 104a ArbVG Rz 5), muss daher nicht näher eingegangen werden.
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