European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00017.24A.0723.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Kettenarbeitsverträge sind nur dann rechtmäßig, wenn die Aneinanderreihung einzelner auf bestimmte Zeit abgeschlossener Arbeitsverträge im Einzelfall durch besondere soziale oder wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt ist (RS0028327). Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sachlich berechtigte Gründe für die Aneinanderreihung von befristeten Arbeitsverhältnissen maßgebend waren, trifft den Arbeitgeber (RS0021824 [T4]).
[2] 1.2. Für die sachliche Rechtfertigung einer Verlängerung können auch wirtschaftliche Gründe in Frage kommen; diese kann sich aber nicht in der bloßen Überwälzung des Unternehmerrisikos erschöpfen (RS0028327 [T15]). So ist es keine sachliche Rechtfertigung für eine Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge, dass sich der Arbeitgeber die Möglichkeit offenhalten will, bei Rückgang der Konjunktur die Zahl der Arbeitnehmer sofort zu vermindern, zumal hierdurch bloß ein typisch vom Unternehmer zu tragendes Risiko auf die Arbeitnehmer abgewälzt werden würde (4 Ob 178/53 = SZ 26/233). Ganz allgemein ist die Ungewissheit über den Stand der Aufträge ein typisches Betriebsrisiko (vgl 9 ObA 89/02g). Dass eine Personalreduktion durch den Abschluss unbefristeter Arbeitsverhältnisse erschwert wird, ist ebenso Teil des allgemeinen Betriebsrisikos eines Arbeitgebers und rechtfertigt daher nicht, mit einzelnen Arbeitnehmern, deren Arbeitskraft nach Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses weiterhin benötigt wird, befristete Arbeitsverhältnisse abzuschließen und ihnen die mit einer nur befristeten Verlängerung verbundenen erheblichen Nachteile aufzubürden (9 ObA 118/88; vgl dazu RS0028327). Konkret als bloße Überwälzung des Unternehmerrisikos und somit nicht ausreichende Rechtfertigung wertete der Oberste Gerichtshof etwa Befristungen bei einem Piloten aufgrund der Ungewissheit des Zeitpunkts des Ausscheidens der Flugzeuge des von ihm geflogenen Typs (9 ObA 2220/96b). Auch die wiederholte Befristung von Nachhilfelehrern und Trainern im Bereich Bewerbungstraining, Berufsorientierung und Jobcoaching oder im Rahmen von AMS‑Kursen aufgrund des von der Auftragslage des Arbeitgebers abhängigen Bedarfs an Arbeitnehmern wurde als unzulässiger Kettendienstvertrag angesehen, da bei einer ausschließlich an dem sich jeweils ergebenden Bedarf des Arbeitgebers orientierten Gestaltung der Arbeitsverhältnisse das gesamte Beschäftigungsrisiko auf die Arbeitnehmer überwälzt werden würde (8 ObA 2158/96b, 9 ObA 118/14i, 9 ObA 4/18f).
[3] 1.3. Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zur Zulässigkeit und Frage der Rechtswirkungen der Aneinanderreihung befristeter Dienstverhältnisse und die Frage der Überwälzung des unternehmerischen Risikos ausführlich und zutreffend wiedergegeben. Die Richtigkeit dieser Ausführungen wird von der Revisionswerberin auch nicht in Frage gestellt.
[4] 1.4. Ob die Aneinanderreihung von Dienstverträgen unter den konkret gegebenen Umständen gerechtfertigt ist oder nicht, ist eine Frage des Einzelfalls, die keinen Anlass für grundlegende Ausführungen des Obersten Gerichtshofs bietet und die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht erfüllt (RS0028327 [T13]). Dass eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleichartigen (oder hinreichend ähnlichen) Fall fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0102181 [T12]). Nur bei groben Auslegungsfehlern oder eklatanter Ermessensüberschreitung wäre eine Entscheidung im Einzelfall überprüfbar (RS0044088).
[5] 2.1. Im hier zu entscheidenden Fall kam die Beklagte 2019 auf den Markt. Mit dem Kläger wurde zunächst ein unbefristetes Dienstverhältnis mit Probemonat, dann zwei befristete Dienstverhältnisse „aufgrund der ungewissen und schlechten Wirtschaftslage“ und da „unter anderem auch 'Corona'-bedingt die weitere wirtschaftliche Entwicklung nicht absehbar“ sei, vereinbart. Die Vorinstanzen haben dies rechtlich als unzulässigen Kettenarbeitsvertrag beurteilt, weil damit das wirtschaftliche Risiko auf den Dienstnehmer überwälzt worden wäre.
[6] 2.2. Dieser rechtlichen Beurteilung hält die Revisionswerberin entgegen, dass zur Frage, ob die während des Jahres 2020 herrschende Covid‑19‑Pandemie mit ihren starken Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben durch behördlich angeordnete Lockdowns und Schließungen und die damit einhergehende Unsicherheit, insbesondere für die Entwicklung eines erst ein Jahr in diesem Geschäftsbereich tätigen Unternehmens, einen berücksichtigenswerten Umstand gemäß § 19 AngG darstelle, welcher das Unternehmen dazu berechtigen würde, über eine einmalige Befristung hinaus weitere befristete Dienstverträge abzuschließen, keine Rechtsprechung existiere.
[7] 3.1. Zunächst wirkte sich nach den Feststellungen auf die Auftragslage nicht nur die Pandemie negativ aus, sondern weiters der Unerfahrenheit des Klägers, die Urlaubszeit, der Umstand, dass die meisten Großkunden und rund die Hälfte der sonstigen Kunden wegen der Pandemie geschlossen hatten und dass der Kläger auf Direktzahlung anstelle von Lieferscheinen dringen sollte. Somit war die Pandemie nicht die einzige Ursache für die schlechte Auftragslage der Beklagten.
[8] 3.2. Wenn die Revision meint, dass im Zusammenhang mit der angespannten finanziellen Lage (gemeint offensichtlich:) der Beklagten der Geschäftsführer das Risiko eines unbefristeten Dienstverhältnisses nicht hätte eingehen können und dies dem Kläger auch mitgeteilt worden und dieser damit einverstanden gewesen wäre, ist entgegenzuhalten, dass es nicht den schon dargestellten Feststellungen entspricht, dass eine angespannte finanzielle Lage der Beklagten selbst der Grund für die mehrfache Befristung des Dienstverhältnisses gewesen war. Außerdem bestand nach den Feststellungen seitens der Beklagten aufgrund von Verrechnung mit der Muttergesellschaft und der einer Schweizer AG keine Überschuldung.
[9] 3.3. Im Übrigen griff der Gesetzgeber in vielen Bereichen aufgrund der Covid‑19‑Pandemie ein (zB in § 1155 ABGB). Hinsichtlich der Frage eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes für Kettendienstverträge erachtete der Gesetzgeber eine entsprechende Sonderregelung allerdings nicht für generell notwendig, wurde doch lediglich in § 6 COVID‑19‑Hochschulgesetz (C‑HG) eine Sondervorschrift für Forschungsprojekte an Universitäten als Ausnahmeregelung zu § 109 Universitätsgesetz 2002 (UG) getroffen, wonach Arbeitsverhältnisse im Rahmen von Drittmittelprojekten oder Forschungsprojekten, die aufgrund von Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 nicht fertiggestellt werden konnten, zur Fertigstellung der Drittmittelprojekte oder Forschungsprojekte und Publikationen einmalig befristet verlängert oder einmalig befristet neu abgeschlossen werden konnten (vgl dazu ausführlicher Grimm, Sonderregelung für Kettenverträge an Universitäten aufgrund von Covid‑19, ecolex 2020, 486).
[10] 4. Die Revisionswerberin zeigt somit keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[11] 5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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