OGH 9Ob4/05m

OGH9Ob4/05m11.5.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margarete P*****, Hauseigentümerin, *****, vertreten durch Dr. Hans Günther Medwed ua, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Maria H*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Dr. Erich Unterer und Dr. Rainer Handl, Rechtsanwälte in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei Ronit K*****, Kauffrau, *****, vertreten durch Dr. Ladislav Margula, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revisionen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 24. August 2004, GZ 40 R 83/04h-24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 5. Dezember 2003, GZ 57 C 2/03x-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revisionen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 660,22 (darin EUR 110,04 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Mentalreservation des Unternehmenskäufers, das erworbene Unternehmen ab ovo nicht fortzuführen, fehle. Die Beklagte und die Nebenintervenientin führen zur Zulässigkeit ihrer Revisionen nichts aus. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Nach § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist nicht der Fall. Es liegt ausreichend Rechtsprechung vor, auf die die Lösung des Falls gestützt werden kann. Die Zurückweisung der ordentlichen Revisionen wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG kann der Mietvertrag aufgekündigt werden, wenn der Mieter den Mietgegenstand mit oder ohne Beistellung von Einrichtungsgegenständen ganz weitergegeben hat und ihn offenbar in naher Zeit nicht für sich oder die eintrittsberechtigten Personen (§ 14 Abs 3 MRG) dringend benötigt. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Weitergabe nach Z 4 leg cit nur vor, wenn die selbständige Verwertung des Bestandrechts im Vordergrund steht. Die Veräußerung des im Mietgegenstand betriebenen Unternehmens und die damit verbundene Überlassung der Benützung der Räumlichkeiten an einen Dritten stellt den Kündigungsgrund hingegen nicht her, sofern nicht die Veräußerung lediglich den Zweck verfolgt, dem Erwerber die Ausnützung der Bestandrechte zu ermöglichen (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht21 § 30 MRG Rz 30 mwN; RIS-Justiz RS0070600). Veräußert der Hauptmieter einer Geschäftsräumlichkeit das von ihm im Mietgegenstand betriebene Unternehmen „zur Fortführung in diesen Räumen", so tritt der Erwerber des Unternehmens gemäß § 12a Abs 1 MRG anstelle des bisherigen Hauptmieters in das Hauptmietverhältnis ein. Es kommt zu einer Vertragsübernahme ex lege (Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 12a MRG Rz 4, 6 mwN). Diese durch das 3. Wohnrechtsänderungsgesetz (3. WÄG), BGBl 1993/800, eingefügte Regelung entspricht der bis dahin geltenden Bestimmung des § 12 Abs 3 aF MRG, sodass zur Auslegung des § 12a Abs 1 MRG auf die Judikatur zu § 12 Abs 3 aF MRG zurückgegriffen werden kann (9 Ob 270/00x; RIS-Justiz RS0106567 ua).

Demgemäß ist Voraussetzung des Mietrechtsübergangs nach § 12a Abs 1 MRG, dass ein lebendes Unternehmen unter Wahrung der Unternehmensidentität veräußert wird und der Erwerber dieses Unternehmen zur Weiterführung übernimmt (5 Ob 200/00y; 5 Ob 51/01p ua). Die Identität des veräußerten Unternehmens mit dem vom Erwerber fortgeführten muss gewahrt bleiben (Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 12a MRG Rz 4 mwN; 5 Ob 597/84 = SZ 57/191; 7 Ob 549/88; 4 Ob 131/97m; RIS-Justiz RS0070075 ua). An dieses Erfordernis sind keine strengen Anforderungen zu stellen (9 Ob 270/00x), sodass auch die Verlagerung des Schwerpunkts von einer Warengattung auf die andere (5 Ob 94/02p; RIS-Justiz RS0070043), der Vertrieb von Waren anderer Herkunft (4 Ob 618/88; 4 Ob 131/97m ua) oder die Änderung der Ausgestaltung des Geschäftslokals (7 Ob 549/88; 5 Ob 94/02p) nichts am Vorliegen einer Unternehmensveräußerung iSd § 12a Abs 1 MRG ändert, wenn nach wie vor die Identität des Unternehmens gewahrt bleibt. Dies ist dann der Fall, wenn der Erwerber den Standort beibehält, den Kundenstock übernimmt und den Betrieb mit Waren (im Wesentlichen) gleicher Art fortführt (Zingher, ÖJZ 1982, 113 [115]; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 30 MRG Rz 30 mwN; 7 Ob 522/80, 7 Ob 539/80 = MietSlg 32.364; 7 Ob 607/85; 1 Ob 690/88; 9 Ob 270/00x ua). Die Erhaltung der Unternehmensidentität wurde auch bejaht, wenn der Verkauf schon vorher vertriebener Artikel wegen des geänderten Publikumsinteresses ausgeweitet (7 Ob 549/88) oder wenn im Rahmen des beibehaltenen Vertriebs von Damenoberbekleidung der Handel mit Wollprodukten aufgegeben wird (4 Ob 618/88). Bei einer Änderung des Warenangebots wurde darauf abgestellt, dass das Sortiment noch innerhalb der Branche blieb (6 Ob 578/93). Ebenso hat die Rechtsprechung die Unternehmensidentität bei der Umstellung von einem Herrenmoden- auf ein Damen- und Kindermodengeschäft (6 Ob 307/59 = MietSlg 7412) oder von einer Bautischlerei auf eine Werkstätte zur Restaurierung antiker Möbel, verbunden mit der Durchführung von Reparaturen bei den Kunden des Vorgängers, bejaht (6 Ob 179/70 = MietSlg 22.382).

Von diesen Grundsätzen der Rechtsprechung ausgehend verneinte das Berufungsgericht, dass die Nebenintervenientin das Unternehmen der Beklagten zur Fortführung iSd § 12a Abs 1 MRG erworben hat, und bejahte daher die Wirksamkeit der Aufkündigung der Klägerin nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG. Ob das Unternehmen erhalten bleibt und damit diesen Kündigungstatbestand ausschließt, hängt letztlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, deren Beurteilung in der Regel keine darüber hinausgehende erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO begründet, es sei denn, es läge eine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts vor. Eine solche kann hier nicht erblickt werden, steht doch unbekämpft fest, dass die Nebenintervenientin als Käuferin des Herrenmodegeschäfts der Beklagten ungeachtet der mit der Beklagten vereinbarten Branchenbindung schon vor der Übergabe und Aufnahme ihrer Unternehmenstätigkeit mit einem Mobiltelefonbetreiber einen Sponseringvertrag abschloss, um nicht nur sogleich das Geschäftsschild und die Auslage des Geschäftslokals nach dem Mobiltelefonbetreiber neu auszurichten, sondern auch um ab dem ersten Tag in erster Linie Mobiltelefone zu vertreiben. Der Handel mit Herrenmode hatte demgegenüber bei der Nebenintervenientin nur mehr marginalen Charakter ("teilweise Verkauf nur eines Hemds pro Woche"). Von einer die Zulässigkeit der Revision begründenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts kann bei dieser Sachlage keine Rede sein. Ob Rentabilitätsüberlegungen den Unternehmenskauf rechtfertigen, ist die ureigenste Entscheidung des Unternehmenskäufers. Soweit sie nicht mit der Vorgabe des § 12a Abs 1 MRG, dass das Unternehmen "zur Fortführung in diesen Räumen" erworben wird, - nur unter diesen Voraussetzungen findet eine Vertragsübernahme ex lege statt -, in Einklang zu bringen sind, weil die damit einhergehenden Änderungen die Unternehmensidentität sprengen, kann auf sie nicht Bedacht genommen werden. Neue, erst nach Vertragsübernahme auftretende Rentabilitätsüberlegungen, auf die einzugehen wäre, stellen sich hier nicht, wenn man mit der vertretbaren Auffassung des Berufungsgerichts davon ausgeht, dass es zu keiner Vertragsübernahme kam. Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO sind die Revisionen der Beklagten und der Nebenintervenientin als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Kosten der Revisionsbeantwortungen sind zuzusprechen, weil die Revisionsgegnerin zutreffend auf die Unzulässigkeit der Revisionen hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0035962).

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