OGH 4Ob131/97m

OGH4Ob131/97m13.5.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Fritz E*****, vertreten durch Dr.Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wider den Beklagten Dr.Peter S*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der S***** Gesellschaft mbH, vertreten durch Dr.Kurt Dullinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 18.Dezember 1996, GZ 40 R 786/96a-22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 30.Juli 1996, GZ 5 C 1152/95b-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 7.612,20 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin S 1.268,70 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Rahmenvertrag vom 11.8.1989 und dem in diesem genannten Abtretungsvertrag trat der Kläger Ing.Fritz E***** einen Teil seines Geschäftsanteiles an der W.W***** GesmbH an die S***** GesmbH & Co KG ab. Die W.W***** GesmbH war alleinige Gesellschafterin der ***** GesmbH, der Ing.E***** GesmbH, der I***** GesmbH, der S***** GesmbH sowie der S***** Vertriebs GesmbH.

Im Vertragspunkt II wurde ua vereinbart:

"Die beiliegenden schriftlichen Mietverträge sind ein integrierender Bestandteil dieses Vertrages.

Herr Ing.E***** verpflichtet sich, unwiderruflich und umgehend von seinem Weitergaberecht an allen Mietobjekten, die von der S***** Gruppe betrieblich genutzt werden, Gebrauch zu machen und diese Mietobjekte zu den Konditionen der Hauptmietverträge an eine Gesellschaft der S***** Gruppe weiterzugeben. .........

Sofern Herr Ing.Fritz E***** die Hauptmietrechte an den angeführten Mietobjekten innehat und kein Weitergaberecht besitzt, ist er verpflichtet, für die Untervermietung dieser Mietobjekte zu den Konditionen der Hauptmietverträge an die S***** Gruppe auf eigene Kosten Sorge zu tragen."

Der Kläger ist Hauptmieter des vom Rahmenvertrag erfaßten Bestandobjektes W***** 15, H*****straße 70, top Nr. 2-3. Er schloß mit der S***** GmbH einen Untermietvertrag. Die S***** GmbH betrieb im Bestandlokal eine Filiale, in der Fenster, Hauseingangstüren, Sicherheitstüren und Gasetagenheizungen vertrieben wurden. Die Filiale wurde von Rudolf K***** geführt, der für die S***** GmbH als selbständiger Handelsvertreter auf Provisionsbasis tätig war. Außer ihm waren noch ein weiterer selbständiger Handelsvertreter, ein Angestellter und eine Sekretärin in der Filiale tätig.

Am 23.9.1994 wurde über das Vermögen der S***** GmbH das Konkursverfahren eröffnet; der Beklagte wurde zum Masseverwalter bestellt.

Noch vor Eröffnung des Konkursverfahrens gründeten Arbeitnehmer der S*****-Gruppe am 21.9.1994 die F***** Gesellschaft mbH, damit diese einen Teil der Geschäftstätigkeit der insolventen S*****-Gruppe übernehme. Geschäftsgegenstand des neu gegründeten Unternehmens sollte vor allem die Erzeugung und der Vertrieb von Kunststoffenstern der Marke "S*****" an private Abnehmer sein.

Die F***** GmbH schloß im Dezember 1994 mit dem Beklagten eine Vereinbarung über die Fortführung und Fertigstellung von Aufträgen, die von Unternehmen der insolventen S*****-Gruppe übernommen worden waren. Am 26.4.1995 schloß der Masseverwalter der S***** H***** GmbH mit der F***** GmbH einen Markenlizenzvertrag über die Wort-Bild-Marke "S*****".

Die F***** GmbH verkauft im Bestandlokal Fenster, Sicherheits- und Hauseingangstüren. Nur Kunststoffenster werden - wie auch von der S*****-Gruppe - selbst erzeugt. Zum Unterschied von den von der Gemeinschuldnerin veräußerten Kunststoffenstern wird bei den von der F***** GmbH erzeugten Kunststoffenstern nicht das Kunststoffprofil der Marke "K*****", sondern ein Kunststoffprofil einer anderen Herstellerfirma verwendet. Die Fenster werden jedoch nach wie vor unter der Marke "S*****" vertrieben; auch sind nach wie vor hauptsächlich Endverbraucher Kunden.

Ein Teil der Arbeitnehmer der S*****-Gruppe wurde von der F***** GmbH angestellt. Rudolf K*****, der bis zur Konkurseröffnung für die Gemeinschuldnerin im Bestandlokal tätig war, ist Gesellschafter der F***** GmbH und auch jetzt im Bestandlokal im Verkauf tätig.

Die F***** GmbH verpflichtete sich dem Masseverwalter gegenüber, Garantien und Gewährleistungen zu übernehmen, die eine Gesellschafterin der S*****-Gruppe eingegangen war. Die Kunden wurden davon verständigt, daß die F***** GmbH den Vertrieb der S***** Produkte übernommen hatte. Rudolf K***** informierte die in seiner Kartei geführten Kunden und auch Kunden ausgeschiedener Mitarbeiter. Dabei bot er an, die Service- und Garantieleistungen für alle bei "S***** gekauften Produkte" zu übernehmen. Rund 30 bis 40 seiner Kunden hatten noch vor der Eröffnung des Konkurses Waren bestellt; die Waren wurden zum größten Teil nach der Konkurseröffnung von der F***** GmbH ausgeliefert.

Der Kläger kündigte dem Beklagten das Geschäftslokal top Nr. 2-3 im Haus W***** 15, H*****straße 70 für den 30.9.1995 unter Hinweis auf § 23 KO, § 30 Abs 2 Z 4 MRG gerichtlich auf. Er begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, dem Kläger das Geschäftslokal geräumt zu übergeben.

Der Beklagte habe das Bestandobjekt zur Gänze an die F***** GmbH weitergegeben. Dieses Unternehmen sei nicht die Rechtsnachfolgerin der insolventen S***** GmbH; es vertreibe weder die gleichen Produkte noch beschäftige es dieselben Personen. Die Auffanggesellschaft habe die Baustellen nicht übernommen; Kundenstock gäbe es keinen. Da die F***** GmbH ein anderes Profilsystem verwende, könne sie keine Service- und Garantieleistungen erbringen. Der Kläger habe nicht verzichtet, den Bestandvertrag aufzukündigen.

Der Beklagte beantragt, die Aufkündigung als rechtsunwirksam aufzuheben.

Die Konkurseröffnung sei kein Kündigungsgrund. Er habe das Bestandobjekt nicht zur Gänze weitergegeben; in einem Raum bewahre er Unterlagen auf. Die F***** GmbH führe das Unternehmen der S*****-Gruppe als Auffanggesellschaft weiter. Sie beschäftige dieselben Dienstnehmer, betreue die gleichen Kunden und habe Garantie- und Gewährleistungsverpflichtungen der S*****-Gruppe übernommen. Auch verwende sie die Marke "S*****". Der Kläger habe auf die Kündigung verzichtet.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtsunwirksam und wies das Klagebegehren ab.

§ 23 KO schließe die Anwendung der Kündigungsschutzbestimmungen des Mietrechtsgesetzes nicht aus. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG sei gegeben, wenn der Mieter kein schutzwürdiges Interesse mehr habe. Das sei bei einem Verkauf des Unternehmens dann der Fall, wenn die selbständige Verwertung der Mietrechte im Vordergrund stehe. Beim Übergang des Unternehmens auf eine Auffanggesellschaft liege keine Unternehmens- veräußerung im engeren Sinn vor, weil die Auffanggesellschaft die Verbindlichkeiten und Haftungen nicht übernommen habe. Zweck der Auffanggesellschaft sei es jedoch, das Unternehmen zu erhalten. Im Hinblick darauf sei der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG nicht verwirklicht.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Die F***** GmbH vertreibe im Bestandlokal im wesentlichen die gleichen Produkte wie zuvor die Gemeinschuldnerin; der Vertrieb erfolge unter derselben Marke. Die Änderung des Kunststoffprofils ändere an der Unternehmensidentität nichts. Es schade nicht, daß die Kunden weiterhin von einem selbständigen Handelsvertreter betreut würden. Ob die F***** GmbH den Kunden gegenüber auch tatsächlich Gewährleistungen und Haftungen übernommen habe, sei bedeutungslos, weil die Auffanggesellschaft alle wesentlichen Unternehmensbestandteile übernommen habe und das Unternehmen auch fortführe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision ist zulässig, weil eine Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob die Übernahme eines Unternehmens durch eine Auffanggesellschaft den Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG verwirklicht; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Kläger ist der Auffassung, daß der festgestellte Sachverhalt nicht ausreiche, eine Übernahme des Unternehmens durch die Auffanggesellschaft anzunehmen. Es sei nicht festgestellt, daß die F***** GmbH tatsächlich Gewährleistungen und Haftungen übernommen habe. Die Auffanggesellschaft habe von vornherein nur einen Teil der Geschäftstätigkeit übernehmen sollen. Die Kunden seien nicht ident, weil Fenster, Türen etc. nicht jedes Jahr angeschafft würden. Auch das Kunststoffprofilsystem sei geändert worden, so daß frühere Kunden nicht mehr betreut werden könnten. Es seien ausschließlich die Mietrechte übertragen worden.

Nach § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG kann der Mietvertrag aufgekündigt werden, wenn der Mieter den Mietgegenstand mit oder ohne Beistellung von Einrichtungsgegenständen ganz weitergegeben hat und ihn offenbar in naher Zeit nicht für sich oder die eintrittsberechtigten Personen (§ 14 Abs 3) dringend benötigt. Dieser Tatbestand ist nicht verwirklicht, wenn ein lebendes Unternehmen überlassen wird und der Schwerpunkt nicht in der Überlassung der Geschäftslokalitäten samt Inventar und Warenlager liegt (stRsp ua MietSlg 8216 = ImmZ 1961, 153; MietSlg 33.363; RIS-Justiz RS0068397). Das Unternehmen wird durch den Erwerber auch dann weitergeführt, wenn nicht sämtliche Schulden übernommen werden (7 Ob 44/57) oder wenn Waren anderer Herkunft vertrieben werden (4 Ob 618/88; RIS-Justiz RS0070674). Auch die Verlagerung des Schwerpunktes von einer Warengattung auf eine andere ändert an der Unternehmensidentität nichts (WoBl 1989, 45; RIS-Justiz RS0070043). Die Unternehmensveräußerung bildet nur dann einen Kündigungsgrund, wenn sie vorgeschützt wird, um die Veräußerung des Bestandrechtes zu verschleiern (MietSlg 20.431). Im Zweifel ist anzunehmen, daß die selbständige Ausnützung der Bestandrechte nicht im Vordergrund steht (1 Ob 758/81; RIS-Justiz RS0068450) und die Bestandrechte gegenüber den übrigen Unternehmenswerten, wie insbesondere den immateriellen Unternehmenswerten, nicht ins Gewicht fallen (MietSlg 33.363; RIS-Justiz RS0010048).

Ob der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG verwirklicht ist, muß demnach danach beurteilt werden, ob das Unternehmen erhalten bleibt. In diesem Fall ist dem Mieter ein schutzwürdiges Interesse zuzubilligen (s RdW 1991, 176 = ecolex 1991, 620; RIS-Justiz RS0070576).

Durch die Gründung der F***** GmbH sollte es ermöglicht werden, die Produktion und den Vertrieb von Kunststoffenstern der Marke "S*****" als Teil der Geschäftstätigkeit der insolventen S*****-Gruppe weiterzuführen. Zu diesem Zweck wurden die wesentlichen Aktiva, wie insbesondere die Rechte an der Marke "S*****", auf die Auffanggesellschaft übertragen. Der Betrieb eines insolventen Unternehmens kann in der Regel nur weitergeführt werden, wenn nicht sämtliche Verbindlichkeiten übergehen; dies wurde durch die Gründung der Auffanggesellschaft erreicht. Die Auffanggesellschaft hat erklärt, die Garantien und Gewährleistungsverpflichtungen zu übernehmen; sie hat damit Verbindlichkeiten übernommen, die mit der Betreuung des Kundenstocks zusammenhängen. Auch ein Unternehmen, das Investitionsgüter wie Fenster vertreibt, hat nicht nur Einmalkunden, sondern jedenfalls auch Kunden, deren Investitionsvorhaben noch nicht abgeschlossen sind und die daher für weitere Käufe in Frage kommen. Diese Geschäftsabschlüsse sind nicht dadurch ausgeschlossen, daß nunmehr Fenster mit einem anderen Kunststoffprofil angeboten werden, besteht doch keine Notwendigkeit, nur Fenster eines bestimmten Typs zu verwenden.

Das aufgekündigte Bestandlokal wird für den gleichen Zweck verwendet, für den es von der S***** GmbH genutzt worden war. Es werden darin Fenster, Sicherheits- und Hauseingangstüren verkauft; Rudolf K*****, der in diesem Lokal schon für die S***** GmbH tätig war, übt dort nach wie vor seine Tätigkeit aus. Kunden, die vor der Konkurseröffnung bei der S***** GmbH Waren bestellt hatten, erhielten diese von der Auffanggesellschaft ausgeliefert. Die Auffanggesellschaft hat auch Garantie- und Gewährleistungsverpflichtungen der insolventen Unternehmensgruppe übernommen.

Auf die F***** GmbH ist demnach ein lebendes Unternehmen übergegangen, das sie im aufgekündigten Bestandlokal fortführt. Ihr ist ein schutzwürdiges Interesse daran zuzubilligen, daß der Bestandvertrag aufrecht bleibt, dient die Nutzung des Bestandlokales durch sie doch der Erhaltung des Betriebes, die durch die Gründung der Auffanggesellschaft möglich geworden ist. Der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG ist daher nicht verwirklicht, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein insolventes Unternehmen von einer Auffanggesellschaft weitergeführt wird.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revision mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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