European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00013.24P.0516.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden geändert und lauten:
„Die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Leopoldstadt wird verworfen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.379,04 EUR (darin enthalten 229,84 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Beklagte ist ein in Deutschland ansässiger Unternehmer, der mit Oldtimern und Ersatzteilen für Oldtimer dreier britischer Marken handelt. Er bewirbt beides auf einer wahlweise in deutscher oder in englischer Sprache abrufbaren Website, auf der auch zu lesen ist:
„Wir verstehen, dass es für Oldtimerbesitzer wichtig ist, dass ihr Fahrzeug in einwandfreiem Zustand gehalten wird, und bieten daher viele Originalteile an, die oft nicht mehr zu bekommen sind. Zudem ist die Qualität der Originalteile häufig besser als viele der nachproduzierten Teile, die man aktuell bekommt.
Unsere Kunden kommen aus ganz Europa und unser Versandteam legt sehr viel Wert auf einen hochwertigen und schnellen Versand, damit die bestellten Teile schnell und unbeschadet bei unseren Kunden ankommen.“
[2] Der Beklagte bietet auf der Website den Versand der Ersatzteile an. Er listet die „Versandkosten Deutschland“ für Pakete bis 2 kg, 5 kg, 10 kg und 31,5 kg mit Lieferzeiten (im Normalfall 3–4 Werktage) sowie die „Versandkosten EU“ für Pakete bis 2 kg, 5 kg, 10 kg und 20 kg mit Lieferzeiten (im Normalfall 5–7 Werktage) getrennt auf.
[3] Ob der Beklagte auf seiner Website auch die Auslieferung der Oldtimer innerhalb der Europäischen Union anbietet, ließ das Erstgericht offen.
[4] Der Kläger, ein Verbraucher mit Wohnsitz in Österreich, kaufte am 30. 4. 2022 am Unternehmenssitz des Beklagten in Deutschland einen Oldtimer Austin Healey (Restaurierungsobjekt) um 17.500 EUR. Die Anzahlung von 4.000 EUR überwies er aus Österreich, den restlichen Kaufpreis von 13.500 EUR zahlte er vor Ort. Den Transport nach Österreich organisierte er selbst, weil ihm der Transport durch den Beklagten zu teuer war.
[5] Mit seiner beim für seinen Wohnsitz zuständigen Bezirksgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger vom Beklagten, gestützt auf § 932 ABGB und §§ 8, 9 KSchG, die Verbesserung des Fahrzeugs durch Zusendung eines passenden Getriebes. Die internationale und örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts gründe auf Art 18 Abs 1 iVm Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012. Der Beklagte richte seine gewerbliche Tätigkeit, in deren Bereich der Vertrag mit dem Kläger falle, nach den Sprachen und dem Inhalt seiner Website auf die gesamte Europäische Union und damit auch auf Österreich aus.
[6] Der Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit. Er richte seine gewerbliche Tätigkeit schon grundsätzlich nicht auf Österreich aus, keinesfalls aber im Geschäftsfeld des Verkaufs von Oldtimern, die – anders als die Ersatzteile – nicht auf der Website zu beziehen seien.
[7] Die Vorinstanzen schlossen sich der Ansicht des Beklagten an und wiesen die Klage wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit des Erstgerichts zurück. Sie sahen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte seinen Handel mit Oldtimern auf Österreich ausrichte. Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs „zur Frage“ zu, ob das Ausrichten der Tätigkeit des Unternehmers nach Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 „nach Geschäftsfeldern getrennt“ zu beurteilen sei.
[8] Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, der erkennbar darauf abzielt, den Beschluss zu ändern und die Unzuständigkeitseinrede zu verwerfen.
[9] Der Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, und hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt, weil die Vorinstanzen die für das „Ausrichten“ der Tätigkeit des Beklagten auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Klägers sprechenden Umstände iSd Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 nicht ausreichend berücksichtigt haben.
1. Allgemeines:
[11] 1.1. Ein Verbraucher – das ist eine Person, die einen Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zuzurechnen ist – kann seinen Vertragspartner wegen Ansprüchen aus dem Vertrag insbesondere dann vor dem Gericht des Orts klagen, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, wenn der Vertragspartner eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf irgendeinem Wege auf den Mitgliedstaat ausrichtet, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, oder auf mehrere Staaten einschließlich dieses Mitgliedstaats, und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt (Art 17 Abs 1 lit c zweite Alternative iVm Art 18 Abs 1 zweite Alternative EuGVVO 2012).
[12] 1.2. Dieser Spezialgerichtsstand ist autonom und eng auszulegen (4 Ob 36/22f Rz 7; 4 Ob 96/23f Rz 11).
2. Zum „Ausrichten“ einer Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers:
[13] 2.1. Ein Gewerbetreibender richtet eine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers aus, wenn er – vor dem Vertragsschluss mit dem Verbraucher (RS0128705; 4 Ob 36/22f Rz 8; 2 Ob 189/22s Rz 4) – den Willen ausdrückt, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern in diesem Mitgliedstaat herzustellen (C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller, Rn 75; RS0128704; 4 Ob 36/22f Rz 8; 4 Ob 96/23f Rz 13), also zum Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit zu sein (C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller, Rn 76; RS0128705). Bloßes „Doing business“ reicht nicht, weil es nicht zielgerichtet ist (RS0125252), also ohne die oben umschriebenen Merkmale des Ausrichtens ausgeübt wird.
[14] 2.2. Anhaltspunkte dafür, dass eine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedsstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist, bilden alle offenkundigen Ausdrucksformen des Willens, in diesem Mitgliedstaat wohnhafte Verbraucher als Kunden zu gewinnen, etwa durch das Anbieten von Dienstleistungen und Produkten (C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller, Rn 80–81; 7 Ob 225/13h; 10 Ob 21/14g Pkt 3.; 4 Ob 36/22f Rz 8; 4 Ob 96/23f Rz 13), Werbung und andere absatzfördernde Maßnahmen (RS0125252), die Aufnahme von Fernkontakt und der Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz (C‑190/11 , Mühlleitner/Yusufi, Rn 44), einen Sitz in einem grenznahen Ballungsraum oder eine Telefonnummer des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, um den Kunden die Kosten für ein Auslandsgespräch zu ersparen (C‑218/12 , Emrek/Sabranovic, Rn 30; 2 Ob 189/22s Rz 4; 4 Ob 96/23f Rz 11). Auch aus dem internationalen Charakter einer Tätigkeit kann auf ihre internationale Ausrichtung geschlossen werden (C-585/08 und C-144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller, Rn 90, 93).
[15] 2.3. Der Internetauftritt des Gewerbetreibenden kann die folgenden Anhaltspunkte für ein „Ausrichten“ der Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers bieten: die Angabe von Anfahrtsbeschreibungen von anderen Mitgliedstaaten aus; die Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der im Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung mit der Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache; die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl; die Verwendung einer anderen Top-Level-Domain als jener des Mitgliedstaates der Niederlassung des Gewerbetreibenden; oder die Erwähnung einer internationalen Kundschaft. Die bloße Zugänglichkeit der Website des Gewerbetreibenden im Wohnsitzmitgliedsstaat des Verbrauchers reicht dagegen nicht aus (C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter ua,Rn 80 ff).
[16] 2.4. Ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist, hat das nationale Gericht im Einzelfall zu beurteilen (C‑585/08 und C‑144/09 , Pammer/Schlüter und Alpenhof/Heller).
3. Zur Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall:
[17] 3.1. Die Vorinstanzen haben die zu Punkt 2. dargelegte Rechtslage an sich richtig wiedergegeben. Die Anwendung dieser Grundsätze im konkreten Einzelfall bedarf jedoch – wie der Revisionsrekurs richtig aufzeigt – einer Korrektur, weil die Vorinstanzen dem Internetauftritt des Beklagten, der mit Oldtimern und Ersatzteilen für Oldtimern handelt, nicht ausreichend Gewicht beigemessen haben.
[18] 3.2. Die Website des Beklagten, die auf Deutsch und auf Englisch abrufbar ist, bewirbt sowohl die Oldtimer als auch die Ersatzteile für die Oldtimer. Der Beklagte wirbt – sowohl für die Oldtimer als auch für die Ersatzteile – gezielt mit einem europaweiten Kundenkreis („Unsere Kunden kommen aus ganz Europa“). Er bietet zumindest den Versand von Ersatzteilen für Oldtimer innerhalb der gesamten EU an, was er auf der Website mit einer getrennten Auflistung der Versandkosten zum Ausdruck bringt („Versandkosten EU“ im Gegensatz zu „Versandkosten Deutschland“). Und schließlich stellt er den Verkauf und Versand der Ersatzteile für Oldtimer in einen Zusammenhang mit dem Verkauf der Oldtimer selbst: Er preist nicht nur die Qualität seiner Ersatzteile an („Zudem ist die Qualität der Originalteile häufig besser als viele der nachproduzierten Teile, die man aktuell bekommt“), sondern hebt die positiven Auswirkungen des angebotenen Verkaufs und Versands von Ersatzteilen für den Käufer eines Oldtimers hervor: „Wir verstehen, dass es für Oldtimerbesitzer wichtig ist, dass ihr Fahrzeug in einwandfreiem Zustand gehalten wird, und bieten daher viele Originalteile an, die oft nicht mehr zu bekommen sind.“ Die Website des Beklagten stellt also selbst einen Zusammenhang zwischen dem europaweit angebotenen Verkauf und Versand von Ersatzteilen für Oldtimer und dem Verkauf der Oldtimer her. Das ist auch nachvollziehbar: Gerade für Kunden (wie den Kläger), die einen als Restaurierungsobjekt angebotenen Oldtimer erwerben wollen, ist die Verfügbarkeit von Ersatzteilen im Regelfall ein zentrales Argument dafür, den Vertrag mit dem Beklagten zu schließen: Bei derartigen Fahrzeugen ist – wie auch der Beklagte selbst auf seiner Website zu erkennen gibt – üblicherweise mit einem Ersatzteilbedarf zu rechnen. Ein Käufer eines Oldtimers wird sich daher eher an einen Anbieter wenden, der ihn mit Ersatzteilen versorgen kann und der den zeitlichen und organisatorischen Aufwand für die Ersatzteilbeschaffung möglichst gering hält. Der Beklagte als Anbieter von (restaurierungsbedürftigen) Oldtimern wird sich eher gegen seine Mitbewerber durchsetzen, wenn er dem Kunden die benötigten Ersatzteile „unbürokratisch“ zusendet und wenn man seiner Website bereits die entsprechenden Versandkosten entnehmen kann. Gerade vor diesem Hintergrund drückt er als in Deutschland ansässiger Händler mit derartigen Fahrzeugen, der eine Website auf Deutsch und Englisch anbietet und auf dieser mit einem europaweiten Kundenkreis sowie zumindest damit wirbt, die jeweils benötigten Ersatzteile innerhalb der EU zu versenden, zumindest seinen Willen aus, Verbraucher aus der gesamten EU als Kunden zu gewinnen – und zwar nicht nur für den Erwerb von Ersatzteilen, sondern auch für den Erwerb von (restaurierungsbedürftigen) Oldtimern (und zwar unabhängig davon, ob er über seine Website auch die Oldtimer vertreibt). Der Beklagte gibt insofern aktiv zu erkennen, dass er bereit ist, mit in der EU – und damit auch mit in Österreich – wohnhaften Verbrauchern wie dem Kläger Kaufverträge über Oldtimer zu schließen. Er richtet seine Tätigkeit dadurch auf Österreich aus (im Sinne des Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012).
[19] 3.3. Die Ansicht des Beklagten, zumindest das den Vertrag mit dem Kläger betreffende Geschäftsfeld des Vertriebs von (restaurierungsbedürftigen) Oldtimern sei nicht auf Österreich ausgerichtet, ist aus diesen Gründen nicht zu teilen. Damit stellt sich die vom Rekursgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage, ob das Ausrichten der Tätigkeit des Unternehmers nach Art 17 Abs 1 lit c EuGVVO 2012 überhaupt „nach Geschäftsfeldern getrennt“ zu beurteilen sei, nicht mehr.
4. Zusammenfassung:
[20] Da der Beklagte seine gewerbliche Tätigkeit, in deren Bereich der Vertrag mit dem Kläger fällt, auch auf Österreich ausrichtet, kann sich der Kläger, der Ansprüche aus diesem Vertrag geltend macht, auf den Gerichtsstand nach Art 18 Abs 1 zweite Alternative EuGVVO 2012 stützen. Die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit des Erstgerichts ist daher in Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen zu verwerfen.
5. Kostenentscheidung:
[21] Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte ist im Zwischenstreit über die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit unterlegen und hat dem Kläger daher die dem Zwischenstreit zuzuordnenden Kosten zu ersetzen. Das sind im vorliegenden Fall die Kosten des Rekurses und des Revisionsrekurses. Da es sich um Folgeeingaben im elektronischen Rechtsverkehr handelte, steht dem Kläger nur eine Erhöhung der Entlohnung um jeweils 2,60 EUR zuzüglich 20 % Umsatzsteuer (und nicht wie verzeichnet um jeweils 5 EUR zuzüglich 20 % Umsatzsteuer) zu (§ 23a zweiter Satz RATG).
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