OGH 8ObA60/19k

OGH8ObA60/19k27.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Michaela Puhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei T*****, vertreten durch Mag. Martin Stärker, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei V***** AG, *****, vertreten durch Dr. Max Pichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 115.729,26 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert 21.455,46 EUR) (AZ 23 Cga 20/18f) und 3.421,39 EUR sA (AZ 23 Cga 73/18z), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2019, GZ 8 Ra 12/19x‑19, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00060.19K.0227.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Soweit der Kläger eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahren aufgrund der Nichterledigung seiner Tatsachen- und Mängelrüge behauptet, übersieht er, dass er in der Berufung das Fehlen von Feststellungen geltend gemacht hat, also einen sekundären Verfahrensmangel, der der Rechtsrüge zuzuordnen ist. Das Berufungsgericht hat aber auch dargelegt, warum es das Treffen weiterer Feststellungen für entbehrlich hält.

Der Kläger rügt weiters als Verfahrensmangel, dass die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die Klage unschlüssig sei, eine Überraschungsentscheidung darstelle. Allerdings ist das Berufungsgericht nur – wie schon zuvor das Erstgericht und die Beklagte – davon ausgegangen, dass es aus dem Vorbringen des Klägers keinen Grund für einen berechtigten vorzeitigen Austritt erkennen kann. Eine Überraschungsentscheidung liegt daher nicht vor.

2 Ein Austritt ist die Erklärung der vorzeitigen und – in der Regel – fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Angestellten, die nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gerechtfertigt ist. Die Aufzählung der Austrittsgründe in § 26 AngG ist bloß demonstrativ. Nicht jede Vertragsverletzung berechtigt aber zum sofortigen Austritt. Wesentlich ist die Vertragsverletzung nur, wenn dem Angestellten unter solchen Umständen die weitere Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0030641).

Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0106298). Bewegt sich das Berufungsgericht im Rahmen der Grundsätze einer ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und trifft es seine Entscheidung ohne grobe Fehlbeurteilung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, so liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (RS0044088 [T8, T9]). Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die außerordentliche Revision nicht auf.

3. Gegenstand des Verfahrens ist nicht, wie die Beklagte ihre Produktpalette zusammenstellt, ob sie aufgrund ihrer unternehmerischen Entscheidungen Kunden verlieren wird, welche – allenfalls unzulässigen – Vereinbarungen sie mit ihren Vertriebspartnern hat oder ob sie in ihren Werbeauftritten ihre Informationspflichten gegenüber den Kunden zur Gänze erfüllt, sondern inwieweit es dem Kläger unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen (RS0028914, RS0029420).

Diesbezüglich hat der Kläger im Wesentlichen darauf verwiesen, dass er durch die Veränderungen bei der Beklagten im Bereich Anlageberatung gezwungen gewesen wäre, seine Kunden entsprechend bestimmter Zielvorgaben und nicht entsprechend ihrer Interessen zu beraten und angehalten gewesen wäre, Interessenkonflikte nicht offenzulegen.

Unstrittig hat die Beklagte ihr Angebot im Bereich Anlageberatung im Zusammenhang mit einer Novellierung des WAG auf eine nicht unabhängige Beratung umgestellt, worauf sogar auf der Homepage der Beklagten ausdrücklich hingewiesen wurde. Die damit verbundene Verkleinerung der Produktpalette und Beschränkung der Beratungsmöglichkeit auf diese Produkte ist eine unternehmerische Entscheidung der Beklagten. Richtig ist wohl, dass auch bei einer nicht unabhängigen Anlageberatung nicht jede Art der Gewährung oder Annahme von – nicht offengelegter – Vorteilen zulässig ist. Das sehr allgemein gehaltene, im Wesentlichen auf die Wiedergabe der gesetzlichen Regelungen beschränkte Vorbringen des Klägers bietet aber keine Grundlage dafür zu prüfen, ob die Beklagte tatsächlich Rahmenbedingungen geschaffen hat, die es dem Kläger unmöglich gemacht haben, die Kunden entsprechend gesetzlichen Vorgaben zu beraten.

Soweit der Kläger vorgebracht hat, dass in rechtlich unzulässiger Weise Druck auf ihn ausgeübt worden ist, lässt er offen, von wem in welcher Form er zu – wie er vermeint – rechtswidrigem Verhalten aufgefordert worden ist. Auch bleibt unklar, inwieweit es ihm nicht möglich gewesen wäre, eine nicht gesetzeskonforme Beratung von Kunden gegenüber dem Arbeitgeber anzusprechen, zu hinterfragen oder sogar abzulehnen. Gerade wenn die Revision darauf verweist, dass zu wesentlichen Fragen des WAG 2018 Judikatur noch nicht vorliegt, daher viele Fragen der Auslegung der entsprechenden Bestimmungen noch nicht geklärt sind, ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass ein bestimmtes Verständnis dieser Bestimmungen seitens des Arbeitgebers zum Austritt berechtigt, mag es auch vom Arbeitnehmer nicht geteilt werden.

Wenn daher die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dass sich aus dem Vorbringen des Klägers kein hinreichender Grund für eine Unzumutbarkeit der weiteren Tätigkeit während der Kündigungsfrist ergibt, hält sich dies im gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum.

4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte