European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00019.22K.0422.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin war seit 2. 11. 2017 bei der Beklagten als Sekundarärztin beschäftigt und seit Jänner 2020 dem Landesklinikum Lilienfeld dienstzugeteilt. Ab 27. 1. 2020 befand sich die Klägerin im Krankenstand. Mit Schreiben vom 26. 3. 2020 forderte die Beklagte die Klägerin unter Androhung disziplinärer Maßnahmen auf, das Erreichen der im Dienstvertrag vereinbarten Ausbildungsziele nachzuweisen. Nachdem das Schreiben an der bisherigen Wohnadresse der Klägerin nicht zugestellt werden konnte und deshalb elektronisch an die private E-Mail-Adresse der Klägerin übermittelt wurde, gab die Klägerin der Beklagten am 31. 3. 2020 eine neue Wohnadresse „ab 1. 4. 2020“ bekannt. Sie wurde auch aufgefordert, einen Meldezettel zu übermitteln.
[2] Mit Schreiben vom 19. 5. 2020 informierte die Beklagte die Klägerin über die Ausschöpfung ihres Entgeltfortzahlungsanspruchs und einen sich daraus ergebenden Übergenuss von 6.058,45 EUR. Mit Schreiben vom 26. 5. 2020 forderte die Beklagte die Klägerin unter Androhung der Aufkündigung ihres Dienstverhältnisses auf, ihre Ausbildung weiter zu betreiben, weil die im Dienstvertrag vereinbarten Ausbildungsziele nicht nachgewiesen worden seien. Beide Schreiben konnten an der von der Klägerin angegebenen Adresse nicht zugestellt werden und wurden der Beklagten mit dem Vermerk „Ortsabwesend bis 18. 5. 2021“ retourniert. Wohl aber antwortete die Klägerin auf die Übermittlung dieser Schreiben an ihre private E-Mail-Adresse.
[3] Die Beklagte forderte die Klägerin daraufhin am 29. 5. 2020 postalisch und per E-Mail auf, bis längstens 5. 6. 2020 eine zustellfähige Wohnadresse bekanntzugeben, widrigenfalls es zu einer Aufkündigung ihres Dienstverhältnisses kommen werde. Da die Klägerin darauf nicht reagierte, teilte ihr die Beklagte am 22. 6. 2020 mit, dass sie das Dienstverhältnis zum 31. 8. 2020 aufkündige.
[4] Die Vorinstanzen wiesen die Klage, mit der die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung, in eventu die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses anstrebt, ab. Die Missachtung der Aufforderung, eine zustellfähige Wohnadresse bekannt zu geben, sei eine gröbliche Dienstpflichtverletzung, die nach § 44 Niederösterreichisches Spitalsärztegesetz eine Kündigung rechtfertige.
[5] Mit ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.
Rechtliche Beurteilung
[6] 1. Nach § 44 Abs 1 Z 1 Niederösterreichisches Spitalsärztegesetz darf der Krankenanstaltenträger das Beschäftigungsverhältnis bei einer „gröblichen Verletzung der Dienstpflichten“ kündigen. Dieser Kündigungsgrund setzt voraus, dass das beanstandete Verhalten dem Dienstnehmer vorwerfbar ist und über bloße Ordnungswidrigkeiten hinausgeht (RIS‑Justiz RS0114667 [T1]). Im Gegensatz zur Entlassung ist nicht erforderlich, dass eine Vertrauensunwürdigkeit eingetreten oder die Weiterbeschäftigung sonst unzumutbar ist (RS0081870; RS0105940). Auch kleine Dienstpflichtverletzungen können bei Beharrlichkeit das Gewicht einer gröblichen Dienstpflichtverletzung erreichen (8 ObA 39/13p; 9 ObA 106/14z).
[7] 2. Nach der Rechtsprechung muss sich ein Arbeitnehmer den Empfang eines Schreibens, das an der dem Arbeitgeber bekanntgegebenen Adresse zugestellt wurde, auch dann zurechnen lassen, wenn er dort nicht mehr wohnhaft ist, aber den Wohnsitzwechsel seinem Arbeitgeber nicht gemeldet hat (RS0028841). Entgegen dem Rechtsstandpunkt der Klägerin handelt es sich bei der Bekanntgabe einer zustellfähigen Wohnadresse um keine bloße Obliegenheit, sondern um einen Aspekt der Treuepflicht des Dienstnehmers. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer „verpflichtet“ ist, seine Wohnanschrift und auch einen späteren Wohnsitzwechsel bekanntzugeben, damit der Arbeitgeber ihm gegenüber rechtsgeschäftliche Erklärungen abgeben kann (4 Ob 88/81 = DRdA 1984/4; 8 ObA 192/97m). Dafür sprechen gerade hier die verschiedenen während der dauerhaft dienstabwesenden Klägerin zu klärenden Fragen.
[8] 3. Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass der Beklagten eine E-Mail-Adresse bekannt war, über die ihr Nachrichten übermittelt werden konnten, ist ihr entgegenzuhalten, dass es sich dabei um keine gleichwertige Kontaktmöglichkeit handelt, so darf der Krankenanstaltsträger etwa ein Beschäftigungsverhältnis nach § 42 Abs 2 Niederösterreichisches Spitalsärztegesetz nur schriftlich kündigen. Da E‑Mails mangels Unterschrift nach § 886 ABGB nicht dem Schriftformgebot entsprechen, soweit sie nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach § 4 Abs 1 SigG versehen sind (RS0126251), stellten sich also verschiedene komplexe Abgrenzungsfragen (vgl etwa 8 ObA 5/20y), die durch die Bekanntgabe der Wohnanschrift vermieden werden können. Konkrete Gründe, die dieser hier entgegenstehen konnten, macht die Klägerin auch nicht geltend. Ferner wird die Wohnanschrift etwa auch benötigt, wenn dem Arbeitnehmer gerichtliche Schriftstücke zugestellt werden sollen, wie dies bei der Geltendmachung von Haftungs‑ oder Rückforderungsansprüchen erforderlich sein kann.
[9] 4. Ob eine Dienstpflichtverletzung gröblich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0105940 [T5, T9]). Da die Klägerin auf die Aufforderung der Beklagten, eine zustellfähige Wohnadresse bekannt zu geben, selbst nach Androhung der Kündigung nicht reagierte, obwohl sie wusste, dass die Beklagte ihr während ihres Krankenstands Schriftstücke übermitteln wollte, stellt die Annahme einer gröblichen Verletzung der Dienstpflichten keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
[10] 5. Die außerordentliche Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)