OGH 8ObA192/97m

OGH8ObA192/97m13.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Othmar Roniger und Norbert Nischkauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mizan L*****, vertreten durch Dr.Walter Silbermayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch den gemäß § 15a GmbHG bestellten Notgeschäftsführer Dr.Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 77.544,09 brutto sA, infolge Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Dezember 1996, GZ 10 Ra 282/96f-27, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7.Mai 1996, GZ 28 Cga 103/95m-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 77.544,09 brutto samt 4 % Zinsen seit 26.11.1994 binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 50.549,92 (darin S 6.478,32 USt, S 11.680,-- Barauslagen) bestimmten Kosten der Verfahren aller drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat für die Zeit vom 1.10.1992 bis 30.9.1995 den Lehrvertrag Beilage A abgeschlossen, in welchem als Lehrberechtigter die Beklagte angeführt ist und als Ausbilder deren Geschäftsführer. Der Lehrvertrag ist vom Geschäftsführer der Beklagten ohne Hinzufügung der Firma der Beklagten gezeichnet. Der einzige handelsrechtliche Geschäftsführer der Beklagten verstarb am 15.10.1994. Ab diesem Zeitpunkt war die Beklagte bis zur Bestellung des Notgeschäftsführers am 29.7.1995 nicht mehr vertreten. Auch gab es im Betrieb keinen weiteren Ausbilder. Mit Schreiben vom 23.11.1994 erklärte der Kläger seinen vorzeitigen Austritt zum 25.11.1994. Die Lehrlingsentschädigung war ihm bis 31.10.1994 ausbezahlt worden.

Mit seiner am 17.5.1995 beim Erstgericht überreichten Klage begehrte der Kläger, die Beklagte zur Zahlung von Lehrlingsentschädigung und aliquoter Weihnachtsremuneration für die Zeit vom 1.11. bis 25.11.1994 und einer Kündigungsentschädigung für die Zeit vom 26.11.1994 bis 25.2.1995 zuzüglich aliquoter Sonderzahlungen im Gesamtbetrag von S 77.544,09 brutto schuldig zu erkennen. Seit dem Tod des Geschäftsführers der Beklagten sei dem Kläger im Unternehmen kein Lehrberechtigter mehr zur Verfügung gestanden. Da die Beklagte ein Verschulden am vorzeitigen Austritt des Klägers treffe, habe dieser gemäß § 1162b ABGB Anspruch auf das im Zeitpunkt der Auflösungserklärung noch ausständige Entgelt sowie auf Kündigungsentschädigung für den Zeitraum von drei Monaten.

Die Beklagte wendete dagegen ein, daß das Lehrverhältnis durch den Tod ihres Geschäftsführers gemäß § 14 BAG geendet habe, in welchem Fall keine Kündigungsentschädigung zustehe. Es läge kein Verschulden der Beklagten am vorzeitigen Austritt vor, weil die Beklagte mit dem Tod ihres Geschäftsführers nicht mehr handlungsfähig gewesen sei und es daher Sache des Klägers gewesen wäre, die Bestellung eines Notgeschäftsführers zu beantragen. Abgesehen davon habe die Kündigungsfrist des Klägers höchstens 14 Tage betragen und habe er sich auf die Kündigungsentschädigung anrechnen zu lassen, was er anderweitig erworben habe.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von S 15.649,76 brutto sA und wies das Mehrbegehren ab. Es ging davon aus, daß der Lehrvertrag mit dem Geschäftsführer der Beklagten als Lehrberechtigtem abgeschlossen worden sei, weshalb das Lehrverhältnis gemäß § 14 Abs 2 lit d Berufsausbildungsgesetz (BAG) ex lege durch den Tod des Lehrberechtigten geendet habe. In einem derartigen Fall gebühre keine Kündigungsentschädigung im Sinne des § 1162b ABGB. Die Begehren auf Zahlung der ausständigen Lehrlingsentschädigung bis 25.11.1994 und der Kündigungsentschädigung zuzüglich aliquoter Sonderzahlungen bis 25.2.1995 seien daher abzuweisen gewesen. Dem Kläger stehe in analoger Anwendung der Bestimmung des § 12 des Kollektivvertrages für das Baugewerbe lediglich die aliquote Weihnachtsremuneration für die Zeit bis 15.10.1994 zu.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, daß es dem Kläger einen Betrag von S 29.914,21 brutto sA zusprach und das Mehrbegehren abwies. Aus Punkt 1 des Lehrvertrages ergebe sich eindeutig, daß dieser mit der Beklagten als Lehrberechtigter abgeschlossen worden sei, während deren Geschäftsführer lediglich als Ausbilder aufscheine. Daß der Lehrvertrag nicht dem GmbH-Gesetz entsprechend gefertigt worden sei, habe keine Bedeutung, weil aufgrund der klaren Formulierung im Vertrag kein Zweifel über die Identität des Lehrberechtigten bestehen könne. Sei der Lehrvertrag aber in Wahrheit mit der Beklagten abgeschlossen worden, habe der Tod des Geschäftsführers nicht den im § 14 Abs 2 lit b BAG genannten Endigungsgrund des Lehrverhältnisses darstellen können. Das Lehrverhältnis habe daher erst durch den vorzeitigen Austritt des Klägers zum 25.11.1994 sein Ende gefunden. Allerdings habe ein den vorzeitigen Austritt rechtfertigender Grund nicht vorgelegen. Der Kläger hätte nämlich unmittelbar nach dem Ableben des Geschäftsführers der Beklagten die Möglichkeit gehabt, beim Handelsgericht die Bestellung eines Geschäftsführers gemäß § 15a Abs 1 GmbHG für die Beklagte zu beantragen. Ein solcher Geschäftsführer hätte gemäß § 3 Abs 1 lit a BAG einen neuen Ausbilder bestellen können. Es könne daher weder von einer schuldhaften Verletzung der sich aus dem Lehrvertrag ergebenden Pflichten durch die handlungsunfähige GesmbH noch von der (dauernden) Unfähigkeit zur Erfüllung dieser Verpflichtungen die Rede sein. Die in Betracht kommenden Austrittsgründe nach § 15 Abs 4 lit b und d BAG lägen daher nicht vor, weshalb ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung nicht bestehe. Da der Lehrvertrag des Klägers erst am 25.11.1994 geendet habe, sei ihm die begehrte Lehrlingsentschädigung für die Zeit vom 1.11. bis 25.11.1994 und die bis zu diesem Endigungszeitpunkt berechnete aliquote Weihnachtsremuneration zuzusprechen gewesen.

Der dagegen erhobenen Revision der Beklagten kommt keine Berechtigung zu, die Revision des Klägers hingegen ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Auslegung einer nach Inhalt und Form unbestrittenen Urkunde allein aus deren Text gehört zur rechtlichen Beurteilung (SZ 58/199; JBl 1978, 36 uva). Die Feststellungen der Vorinstanzen darüber, wer Partei des Lehrvertrages war, gründen sich allein auf den Inhalt dieser Urkunde, weshalb das Berufungsgericht berechtigt war, daraus andere Schlußfolgerungen zu ziehen als das Erstgericht. Die von der Beklagten in der Revision in diesem Zusammenhang gerügte Aktenwidrigkeit liegt daher nicht vor (SZ 67/101; 9 ObA 61/97d).

Die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, der Lehrvertrag sei zwischen Kläger und Beklagter als Lehrberechtigter zustandegekommen, ist auch zutreffend. Gemäß § 18 Abs 2 GmbHG geschieht die Zeichnung der Geschäftsführer für die Gesellschaft in der Weise, daß die Zeichnenden zu der Firma der Gesellschaft ihre Unterschriften hinzufügen. Diese Bestimmung ist allerdings nur eine Ordnungsvorschrift (EvBl 1979/12; SZ 53/138; SZ 55/35), welche für den Eintritt der Wirkungen der direkten Stellvertretung nicht unbedingt erforderlich ist. Ausschlaggebend ist ausschließlich, daß derjenige, der nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreter eines anderen abschließen will, dies dem Vertragspartner gegenüber eindeutig zum Ausdruck bringt. Ist nach der Verkehrssitte die Annahme gerechtfertigt, der Geschäftsführer habe erkennbar für die Gesellschaft gezeichnet, schadet das Unterbleiben des im § 18 Abs 2 GmbHG geforderten Zusatzes nicht (SZ 55/35; RdW 1983, 74; EvBl 1987/202). Nach dem Inhalt des hier zu beurteilenden Lehrvertrages Beilage A kann aber nicht zweifelhaft sein, daß Lehrberechtigter und damit Vertragspartner des Klägers die Beklagte und nicht deren Geschäftsführer sein sollte. War diese Tatsache aber aufgrund der klaren Textierung des Vertrages für jedermann erkennbar, konnte es nicht schaden, daß der Geschäftsführer der Beklagten fertigte, ohne die Firma des Lehrberechtigten hinzuzufügen.

Gemäß § 2 Abs 1 BAG kann Lehrberechtigter unter anderem auch eine juristische Person sein. Die im § 14 Abs 2 aufgezählten Gründe, in denen ein Lehrverhältnis kraft Gesetzes vor Ablauf der vereinbarten Lehrzeit mit dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses endet, erfahren in einem derartigen Fall insoweit eine Einschränkung, als § 14 Abs 2 lit b, wonach das Lehrverhältnis endet, wenn der Lehrberechtigte stirbt und kein Ausbildner vorhanden ist oder ohne unnötigen Aufschub bestellt wird, nur jene Fälle erfaßt, in denen der Lehrberechtigte eine natürliche Person ist (Berger/Fida/Gruber, BAG, § 14 Erl 17). Der weitere hier in Frage kommende Endigungsgrund des § 14 Abs 2 lit d BAG, der dann zum Tragen kommt, wenn der Lehrberechtigte nicht mehr zur Ausübung der Tätigkeit befugt ist, in deren Rahmen der Lehrling ausgebildet wird, hat ausschließlich die Fälle der rechtlichen Unfähigkeit des Lehrberechtigten zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber dem Lehrling, nicht jedoch jene der faktischen Unfähigkeit zum Gegenstand, wie sich schon aus der Gegenüberstellung mit dem Auflösungsgrund des § 15 Abs 4 lit d BAG ergibt (vgl Berger/Fida/Gruber, BAG § 14 Erl 28). Der Tatbestand des § 14 Abs 2 lit d BAG ist daher beispielsweise verwirklicht mit Rechtskraft der Entziehung der Gewerbeberechtigung oder mit dem Untergang der juristischen Person (§§ 85 Z 3, 11 Abs 1 GewO). Eine derartige rechtliche Unfähigkeit der Beklagten bis zum Zeitpunkt der Austrittserklärung des Klägers, ihre Funktion als Lehrberechtigte auszuüben, ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Aufgrund des Todes ihres Geschäftsführers war die Beklagte zwar ab diesem Zeitpunkt nicht vertreten, es mangelte ihr aber nicht die Rechtsfähigkeit. Dem Berufungsgericht ist daher darin beizupflichten, daß durch den Tod des Geschäftsführers der Beklagten keiner der im § 14 BAG genannten Endigungsgründe verwirklicht wurde.

Gemäß § 15 Abs 4 lit b BAG ist der Lehrling unter anderem zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigt, wenn der Lehrberechtigte oder der Ausbilder die ihm obliegenden Pflichten gröblich vernachlässigt. Gemäß § 3 Abs 1 lit a BAG hat ein Lehrberechtigter, der eine juristische Person ist, den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Ausbilder mit der Ausbildung der Lehrlinge zu betrauen. Gemäß § 9 Abs 1 BAG hat der Lehrberechtigte für die Ausbildung des Lehrlings zu sorgen und ihn unter Bedachtnahme auf die Ausbildungsvorschriften des Lehrberufes selbst zu unterweisen oder durch geeignete Personen unterweisen zu lassen. Der Verstoß gegen diese Ausbildungspflicht stellt eine gröbliche Pflichtenverletzung im Sinne der genannten Bestimmung des § 15 Abs 4 lit b BAG dar, welche den Lehrling zum vorzeitigen Austritt berechtigt (Berger/Fida/Gruber BAG § 15 Erl 104).

Im hier zu beurteilenden Fall war der verstorbene Geschäftsführer der Beklagten gleichzeitig Ausbilder des Klägers. Die Beklagte hat es durch rund eineinhalb Monate hindurch unterlassen, für die Bestellung eines neuen Geschäftsführers und damit in der Folge für die Bestellung eines Ausbilders des Klägers zu sorgen. Damit hat sie gröblich gegen die dargestellten Verpflichtungen nach dem BAG verstoßen. Daß die Beklagte mangels handlungsfähiger Gesellschafter nicht in der Lage gewesen wäre, entsprechend tätig zu werden, wurde im Verfahren nicht vorgebracht.

Mit seiner Argumentation, es wäre Sache des Klägers gewesen, die Bestellung eines Notgeschäftsführers zu betreiben, übersieht das Berufungsgericht, daß die aus dem Lehrvertrag resultierende Pflicht zur Ausbildung und damit auch zur Beistellung eines Ausbilders nicht den Kläger, sondern die Beklagte getroffen hat. Es ist zwar zutreffend, daß der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, die Bestellung eines Geschäftsführers nach § 15a GmbHG zu beantragen (Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht2 Rz 2/61), für die Annahme einer Verpflichtung des Klägers, der Säumnis der Gesellschafter auf diese Weise Rechnung zu tragen, fehlt es aber an jeglicher gesetzlicher Grundlage. Es kann daher dem Kläger das Unterlassen einer ihm zudem nicht ohneweiteres zuzumutenden Antragstellung nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil die ausschließliche Pflicht, tätig zu werden, nicht bei ihm, sondern bei der Beklagten bzw deren Gesellschafter lag (siehe auch 9 ObA 78/97d sowie 9 ObA 124/97v).

Die Beklagte führt in ihrer Revision weiters aus, die Austrittserklärung des Klägers habe der unvertretenen Beklagten gegenüber nicht wirksam abgegeben werden können. Zum Problemkreis des Zuganges einer Austrittserklärung an die infolge Todes des Geschäftsführers unvertretene Gesellschaft mbH hat der Oberste Gerichtshof jüngst in seinen Entscheidungen 9 ObA 78/97d und 9 ObA 124/97v ausführlich Stellung genommen und dort dargelegt:

"In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, daß dann, wenn der Empfänger den Zugang einer Erklärung absichtlich bzw wider Treu und Glauben verhindert (zB indem er sich der Zustellung entzieht), der Zugang der Erklärung zu fingieren und sie in jenem Zeitpunkt als wirksam anzusehen ist, indem sie dem Empfänger unter gewöhnlichen Umständen zugegangen wäre (SZ 36/118; ArbSlg 8198; SZ 41/64 ua; zuletzt 9 ObA 8/96; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 70; Rummel in Rummel2 ABGB Rz 5 zu § 862a). Auf eben diesem Grundsatz beruhen auch jene Entscheidungen, in denen der (rechtzeitige) Zugang von Erklärungen mit der Begründung fingiert wurde, der Empfänger habe die Zugangserschwerung oder -vereitelung deshalb zu vertreten, weil er Maßnahmen unterlassen habe, zu deren Vornahme er nach dem Inhalt des im Einzelfall gegebenen Rechtsverhältnisses verpfichtet gewesen wäre (vgl etwa die Entscheidung DRdA 1984, 50 und 4 Ob 25/84, nach denen der Dienstnehmer, der seinen Wohnsitzwechsel dem Dienstgeber nicht gemeldet hatte, eine an die letzte bekanntgegebene Adresse gerichtete Kündigungs-(Entlassungs-)Erklärung gegen sich gelten lassen muß; ferner die Entscheidung SZ 41/64, nach der der im Verzug befindliche Ausgleichsschuldner dafür zu sorgen hat, daß ihm ein richtig adressiertes Mahnschreiben zukommt, weshalb er sich nicht darauf berufen kann, ein von ihm nicht behobenes postamtlich hinterlegtes Mahnschreiben nicht erhalten zu haben; ebenso die Entscheidung EvBl 1995/43, in der der rechtzeitige Zugang einer Kündigungserklärung an den nicht im Betrieb anwesenden Geschäftsführer mit der Begründung fingiert wurde, er wäre unter den konkret gegebenen Umständen entweder zur Anwesenheit im Betrieb oder zur Bekanntgabe seiner Abwesenheit verpflichtet gewesen). Dabei wurde die Verpflichtung der Betroffenen, für die Möglichkeit des Zugangs von rechtsgeschäftlichen Erklärungen vorzusorgen, umso stärker gewichtet je eher mit der Möglichkeit des Einlangens solcher Erklärungen zu rechnen war (vgl etwa EvBl 1995/43).

Diese Überlegungen kommen auch hier zum Tragen:

Jeden Empfänger treffen gewisse Obliegenheiten zur Vorsorge, daß ihm ihn betreffende Erklärungen zugehen können, und zwar umso mehr, je eher er mit der Möglichkeit des Einlangens solcher Erklärungen rechnen muß. Ein Kaufmann - demgemäß auch die beklagte GmbH (§ 6 HGB) - wird danach stets Empfangsvorkehrungen treffen müssen (Rummel in Rummel2 ABGB Rz 5 zu § 862a). Darüber hinaus bestimmt § 15 GmbHG, daß die GmbH einen oder mehrere Geschäftsführer haben muß. Ist daher - wie das hier monatelang der Fall war - kein Geschäftsführer vorhanden, liegt ein Verstoß der Gesellschaft gegen die aus dieser Bestimmung resultierenden Obliegenheiten vor (Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht2 Rz 2/66; Umfahrer, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung4 Rz 178 f; Koppensteiner, GmbH-Gesetz, Kommentar 128). Dazu kommen die gegenüber dem Kläger bestehenden arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der Beklagten: Genauso wie die Rechtsprechung den Dienstnehmer verpflichtet, dem Dienstgeber Wohnanschrift und spätere Wohnsitzwechsel bekanntzugeben, muß auch vom Dienstgeber verlangt werden, die jederzeitige Möglichkeit des Dienstnehmers, ihm gegenüber rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben, zu gewährleisten (vgl DRdA 1984, 50; 4 Ob 25/84; Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG7 380; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht5 510).

Die (der) Gesellschafter der Beklagten wäre(n) aus all diesen Gründen verpflichtet gewesen, nach Ableben des einzigen Geschäftsführers unverzüglich für die Bestellung eines neuen Geschäftsführers zu sorgen. Dieser Verpflichtung sind sie (ist er) monatelang nicht nachgekommen, weshalb sich die Gesellschaft iS der dargestellten Rechtslage nicht auf die Unmöglichkeit des Zuganges rechtsgeschäftlicher Erklärungen berufen kann. Dies muß umso mehr gelten, als aufgrund der gegebenen Situation mit Austrittserklärungen der Dienstgeber gerechnet werden muß."

Dieser Rechtsansicht tritt der erkennende Senat uneingeschränkt bei. Wie bereits dargestellt, hat es die Beklagte durch rund eineinhalb Monate unterlassen, für ihre ordnungsgemäße Vertretung zu sorgen, weshalb auch in diesem Fall die Fiktion des Zuganges gerechtfertigt erscheint. Die Austrittserklärung ist somit als in jenem Zeitpunkt wirksam abgegeben anzusehen, in dem sie bei pflichtgemäßem Verhalten der Gesellschaft zugegangen wäre. Die Austrittserklärung des Klägers ist daher wirksam.

Obgleich § 15 BAG eine Reihe von Gründen anführt, die den Lehrberechtigten (Abs 3) oder den Lehrling (Abs 4) zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigen, sagt das Gesetz nichts darüber aus, welche Rechtsfolgen eine solche (gerechtfertigte) Auflösungserklärung nach sich ziehen soll. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber gerade bei der vorzeitigen Auflösung eines Lehrverhältnisses alle jene (Schadenersatz-)Ansprüche hätte ausschließen wollen, die dem Vertragsteil, der das Arbeitsverhältnis mit Grund vorzeitig auflöst, überall sonst in durchwegs vergleichbarer Ausgestaltung zuerkannt werden (so insbesondere zugunsten des Arbeitgebers: § 1162a ABGB, § 28 AngG, § 28 GAngG, § 86 GewO 1859; zugunsten des Arbeitnehmers: § 1162b ABGB, § 29 AngG, § 29 GAngG, § 84 GewO 1859 ua). Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß auch im Falle der berechtigten Auflösung des Lehrverhältnisses gemäß § 15 BAG die einschlägigen Bestimmungen der Gewerbeordnung und des ABGB heranzuziehen sind. Im Falle des berechtigten vorzeitigen Austrittes gebührt daher dem Lehrling die sogenannte Kündigungsentschädigung nach § 84 GewO 1859 (durch § 376 Z 47 GewO 1994 ausdrücklich aufrecht erhalten) und § 1162b ABGB (SZ 53/120; Berger/Fida/Gruber BAG § 15 Erl 98).

Da eine Aufkündigung des Lehrverhältnisses nicht möglich ist, war der Kläger nicht nur berechtigt, von der Beklagten den noch offenen Rest seiner Lehrlingsentschädigung bzw der Weihnachtsremuneration zu verlangen, sondern gemäß § 1162b ABGB aus dem Titel des Schadenersatzes auch seine vertragsmäßigen Ansprüche auf das Entgelt für den Rest der bedungenen Lehrzeit (SZ 53/120; Berger/Fida/Gruber BAG § 15 Erl 50). Da der Kläger alle diese Forderungen mit drei Monaten begrenzt hat, scheidet gemäß § 1162b ABGB eine Anrechnung des während dieser Zeit anderweitig Verdienten von vornherein aus.

Die Forderungen des Klägers stehen der Höhe nach außer Streit. Der Oberste Gerichtshof konnte daher in Stattgebung der Revision des Klägers in der Sache selbst entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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