OGH 9ObA124/97v

OGH9ObA124/97v30.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer und Dr.Hradil sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Christoph Kainz und Karl Lewisch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Emmerich M*****, Tischler, ***** vertreten durch Dr.Walter Silbermayr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei F***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch den Geschäftsführer gemäß § 15a GmbH-Gesetz Dr.Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 689.239,35 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.Jänner 1997, GZ 7 Ra 359/96g-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1.Juli 1996, GZ 27 Cga 188/95d-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

21.888 (darin S 3.648 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit Anfang November 1989 bei der beklagten Partei als Angestellter mit einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt S 38.073,74 (einschließlich Störzulage und Entgelt für regelmäßig geleistete Überstunden) beschäftigt.

Im Februar 1995 verstarb der alleinige Geschäftsführer der Beklagten. Hievon erfuhr der Kläger, der damals an einer Baustelle in Wien arbeitete, noch im Februar 1995. Der Kläger brachte die Arbeiten an dieser Baustelle noch zu Ende und wartete dann wie die anderen Dienstnehmer der beklagten Partei auf weitere Aufträge, da der Prokurist einer Zulieferfirma dem Kläger mitgeteilt hatte, daß der Betrieb der beklagten Partei fortgeführt werde. Seine letzte Gehaltszahlung erhielt der Kläger für Jänner 1995. Nach der Einstellung des Geschäftsbetriebes war der Kläger weiterhin arbeitsbereit. Da der Geschäftsbetrieb jedoch nicht wieder aufgenommen wurde, wandte sich der Kläger zwecks Rechtsberatung an die Arbeiterkammer. Mit Schreiben vom 22.6.1995 setzte er der beklagten Partei zur Zahlung der offenen Gehälter eine Nachfrist bis 12.7.1995 und erklärte nach deren fruchtlosem Ablauf mit Schreiben vom 17.7.1995 den vorzeitigen Austritt.

Seit dem Tod des alleinigen Geschäftsführers bis zu der mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 20.11.1995 erfolgten Bestellung eines Geschäftsführers gemäß § 15a GesmbHG hatte die Beklagte kein vertretungsbefugtes Organ.

Der Kläger konsumierte im Jahr 1995 keinen Urlaub, aus dem Vorjahr standen noch 24 Werktage an Urlaub offen.

Der Kläger begehrte in seiner Klage zunächst S 585.127,87 brutto (S 211.943,82 an offenem Gehalt vom 1.2. bis 17.7.1995, S 14.592,31 an aliquotem Urlaubszuschuß vom 1.1. bis 17.7.1995, S 14.592,31 an aliquoter Weihnachtsremuneration vom 1.1. bis 17.7.1995, S 114.221,22 an fälliger Kündigungsentschädigung für drei Monate, anteilige Sonderzahlungen aus der Kündigungsentschädigung in Höhe von S 13.550, S 127.771,21 an Abfertigung in Höhe von drei Monatsgehältern, S 39.314,22 Urlaubsentschädigung für 24 Werktage sowie S 49.142,78 Urlaubsentschädigung für 30 Werktage). Der Kläger brachte vor, daß er wegen Vorenthaltens des Entgelts nach fruchtlosem Verstreichen einer gewährten Nachfrist am 17.7.1995 berechtigt ausgetreten sei. Sowohl Nachfristsetzung als auch Austrittserklärung seien der beklagten Partei zugegangen und rechtswirksam geworden. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, einen Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers zu stellen. Vielmehr wäre es die Pflicht der Gesellschafter der beklagten Partei gewesen, nach Ableben des allein vertretungsbefugten Geschäftsführers gemäß § 15 GmbHG unverzüglich einen oder mehrere Geschäftsführer zu bestellen. Die Unterlassung einer solchen Bestellung stelle eine Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern dar. Der Kläger hätte wie die anderen Arbeitnehmer zunächst damit rechnen dürfen, daß der Betrieb weitergeführt werde.

Hilfsweise werden die aus dem Titel der Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen zur fälligen Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Urlaubsentschädigungen geltend gemachten Ansprüche auch aus dem Titel seit dem 18.7.1995 fällig gewordener Gehaltsansprüche begehrt. Zuletzt dehnte der Kläger sein Begehren um die Kündigungsentschädigung für den Zeitraum vom 18.10. bis 31.12.1995 in der Höhe von S 92.646,10 brutto samt aliquoten Sonderzahlungen von S 11.465,38 brutto auf insgesamt S 689.239,35 sA brutto aus (ON 15).

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Austritt des Klägers sei rechtsunwirksam, da die Gesellschaft durch den Tod des einzigen Geschäftsführers unvertreten gewesen sei und Nachfristsetzung und Austrittschreiben niemandem zugegangen seien. Die Beklagte habe daher auch keine Entgeltzahlungen tätigen können und sei am Unterbleiben der Gehaltszahlungen schuldlos. Es wäre die Pflicht des Klägers gewesen, gemäß § 15a GesmbHG für eine entsprechende Vertretung der beklagten Partei zu sorgen, was er jedoch unterlassen habe. Das Dienstverhältnis des Klägers zur Beklagten sei zwar "möglicherweise zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt" beendet worden, jedoch ohne Verschulden der Beklagten, so daß dem Kläger keine Ansprüche auf Kündigungsentschädigung, Urlaubsentschädigung, Abfertigung sowie auf Zahlung von Bezügen ab Einstellung der Geschäftstätigkeit der Beklagten zustehe. Der Kläger müsse auch aufklären, was er vom Februar 1995 bis 17.7.1995 getan habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Im Hinblick darauf, daß dem Kläger das seit Februar 1995 gebührende Entgelt trotz Arbeitsbereitschaft nicht ausgezahlt worden sei, sei sein Austritt auch ohne Nachfristsetzung berechtigt. Da jedoch bis zur Bestellung des Notgeschäftsführers keine Möglichkeit einer wirksamen Zustellung der Austrittserklärung bestanden habe, gelte die Austrittserklärung vom 17.7.1995 erst mit Bestellung des Notgeschäftsführers der beklagten Partei als zugegangen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß der Tod des Geschäftsführers bzw alleinigen Gesellschafters der beklagten Partei das Dienstverhältnis des Klägers nicht beenden konnte. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, das Dienstverhältnis von sich aus durch Kündigung zu beenden. Vielmehr hätte die Gesellschafter der beklagten Partei die Verpflichtung getroffen, für deren Handlungs- und Prozeßfähigkeit, etwa für den Fall des Todes des Geschäftsführers, zu sorgen. Es sei demgegenüber nicht Sache des Arbeitnehmers, für ein vertretungsbefugtes Organ seines Arbeitgebers zu sorgen. Es oblag ihm lediglich, die Erklärung seines Austritts in die Sphäre der beklagten Partei gelangen zu lassen. Da es die beklagte Partei unterlassen habe, für den Fall des Todes ihres Geschäftsführers entsprechend Vorsorge zu treffen, müsse sie sich so behandeln lassen, als ob ihr die Auflösungserklärung rechtzeitig zugegangen wäre. Dieses Risiko könne nicht auf den Kläger übertragen werden. Der Austritt des Klägers sei auch ohne Nachfristsetzung berechtigt gewesen, da er seit Februar 1995 bis zumindest 1.7.1996 keine Gehaltszahlungen mehr erhalten habe. Der Kläger habe auch den Austrittszeitpunkt nicht willkürlich gewählt. Er habe einerseits dem Rat seiner Interessenvertretung folgen und andererseits hoffen dürfen, daß der Geschäftsbetrieb der Beklagten doch noch wieder aufgenommen werde.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Daß der verstorbene Geschäftsführer gleichzeitig auch alleiniger Geschäftsführer des einzigen Gesellschafters der Beklagten - der "N***** Holding GesmbH" - gewesen sei, hat die Beklagte in erster Instanz nicht vorgebracht. Ihre dazu erstmals in der Berufung aufgestellten Behauptungen verstoßen daher gegen das Neuerungsverbot. Überdies gilt die Verpflichtung zur Gewährleistung der erforderlichen Vertretung auch für den Gesellschafter der Beklagten. Daß auch dieser mangels handlungsfähiger Gesellschafter nicht in der Lage gewesen wäre, zur Behebung des Vertretungsmangels tätig zu werden, wurde aber von der Beklagten selbst im Rechtsmittelverfahren nicht behauptet. Mit dem Vorbringen, daß die unterbliebene Feststellung, wann sich der Kläger erstmalig zwecks Rechtsberatung an seine Interessenvertretung gewandt habe, wesentlich wäre, macht die Revisionswerberin in Wahrheit keinen Mangel des Berufungsverfahrens, sondern einen Feststellungsmangel infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung geltend, auf den bei Behandlung der Rechtsrüge einzugehen ist.

Zur Vertretung der Gesellschaft durch Entgegennahme von an sie gerichteten Erklärungen Dritter ist der Geschäftsführer berufen, dessen Vertretungsmacht eine ausschließliche in dem Sinne ist, daß die GesmbH durch kein anderes Organ, insbesondere nicht durch die (den einzigen) Gesellschafter, vertreten werden kann (Reich Rohrwig Das österr. GmbH-Recht2 RZ 2/189 f Seite 266 f). Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Gesellschafter der Beklagten verpflichtet gewesen wären, für die Vertretung der Gesellschaft zu sorgen und daß es die offenkundige Säumnis bei der Erfüllung dieser Verpflichtung - zum Zeitpunkt des Austritts des Klägers war der bisherige Geschäftsführer bereits vier Monate tot - rechtfertigte, den Zugang der Austrittserklärungen an die Beklagte zu fingieren und diese Erklärungen daher als wirksam anzusehen. Im vergleichbaren Fall des Austritts anderer Dienstnehmer der beklagten Partei hat der Oberste Gerichtshof (9 ObA 78/97d) erwogen:

"In Lehre und Rechtsprechung ist anerkannt, daß dann, wenn der Empfänger den Zugang einer Erklärung absichtlich bzw wider Treu und Glauben verhindert (zB indem er sich der Zustellung entzieht), der Zugang der Erklärung zu fingieren und sie in jenem Zeitpunkt als wirksam anzusehen ist, in dem sie dem Empfänger unter gewöhnlichen Umständen zugegangen wäre (SZ 36/118, Arb 8198, SZ 41/64 ua; zuletzt 9 ObA 8/96; Gschnitzer in Klang2 70; Rummel in Rummel I2 Rz 5 zu § 862a ABGB). Auf diesem Grundssatz beruhen auch jene Entscheidungen, in denen der (rechtzeitige) Zugang von Erklärungen mit der Begründung fingiert wurde, der Empfänger habe die Zugangserschwerung oder -vereitelung deshalb zu vertreten, weil er Maßnahmen unterlassen habe, zu deren Vornahme er nach dem Inhalt des im Einzelfall gegebenen Rechtsverhältnisses verpflichtet gewesen wäre (vgl DRdA 1984, 50, 4 Ob 25/84, nach denen der Dienstnehmer, der seinen Wohnsitzwechsel dem Dienstgeber nicht gemeldet hatte, eine an die letzte bekanntgegebene Adresse gerichtete Kündigungs-(Entlassungs)erklärung gegen sich gelten lassen muß; ferner die Entscheidung SZ 41/64, nach der der in Verzug befindliche Ausgleichsschuldner dafür zu sorgen hat, daß ihm ein richtig adressiertes Mahnschreiben zukommt, weshalb er sich nicht darauf berufen kann, ein von ihm nicht behobenes postamtlich hinterlegtes Mahnschreiben nicht erhalten zu haben; ebenso die Entscheidung EvBl 1995/43, in der der rechtzeitige Zugang einer Kündigungserklärung an den nicht im Betrieb anwesenden Geschäftsführer mit der Begründung fingiert wurde, er wäre unter den konkret gegebenen Umständen entweder zur Anwesenheit im Betrieb oder zur Bekanntgabe seiner Abwesenheit verpflichtet gewesen). Dabei wurde die Verpflichtung der Betroffenen, für die Möglichkeit des Zugangs von rechtsgeschäftlichen Erklärungen vorzusorgen, umso stärker gewichtet, je eher mit der Möglichkeit des Einlangens solcher Erklärungen zu rechnen war (EvBl 1995/43). Diese Überlegungen kommen auch hier zum Tragen:

Jeden Empfänger treffen gewisse Obliegenheiten zur Vorsorge, daß ihm ihn betreffende Erklärungen zugehen können, und zwar umso mehr, je eher er mit der Möglichkeit des Einlangens solcher Erklärungen rechnen muß. Ein Kaufmann - demgemäß auch die beklagte GmbH (§ 6 HGB)

Die (der) Gesellschafter der Beklagten wäre(n) aus all diesen Gründen verpflichtet gewesen, nach Ableben des einzigen Geschäftsführers unverzüglich für die Bestellung eines neuen Geschäftsführers zu sorgen. Dieser Verpflichtung sind sie (ist er) monatelang nicht nachgekommen, weshalb sich die Gesellschaft im Sinne der dargestellten Rechtslage nicht auf die Unmöglichkeit des Zuganges rechtsgeschäftlicher Erklärungen berufen kann. Dies muß umso mehr gelten, als aufgrund der gegebenen Situation mit Austrittserklärungen der Dienstnehmer gerechnet werden mußte.

Daß auch der Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG zu beantragen, ist richtig (Reich-Rohrwig aaO Rz 2/61 Seite 211); für eine Verpflichtung der Kläger, der Säumnis der Gesellschaft(er) auf diese Weise Rechnung zu tragen, fehlt es aber an jeglicher Grundlage".

Die Austrittserklärung des Klägers gilt daher als in jenem Zeitpunkt wirksam, in dem sie bei pflichtgemäßem Verhalten der Gesellschaft zugegangen wäre. Da zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung der Geschäftsführer der Beklagten bereits mehrere Monate tot war, ist es hier der Zeitpunkt, an dem versucht wurde, die Austrittsschreiben an der Adresse der Beklagten zuzustellen. Daß es der Gesellschaft bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen wäre, für ihre Vertretung zu sorgen, ist unter den gegebenen Umständen nicht anzunehmen. Da das pflichtwidrige Verhalten der Gesellschaft feststeht, wäre es ihre Sache gewesen, entsprechende Behauptungen aufzustellen und zu beweisen. Da sie diesen Beweis nicht angetreten hat, sind die Austrittserklärungen des Klägers als zum darin genannten Zeitpunkt wirksam anzusehen.

Da, wie oben ausgeführt, für den Kläger als Dienstnehmer der Beklagten keine Verpflichtung bestand, für deren Vertretung durch Bestellung eines Notgeschäftsführers Sorge zu tragen, ist es auch unerheblich, ob und wann der Kläger einschlägige Rechtsberatung durch seine Interessenvertretung gesucht hat und ob er gegenüber einer Beklagten, deren Handlungsfähigkeit so früher bewirkt worden wäre, auch früher nach Fristsetzung den Austritt hätte erklären können.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, daß von einer berechtigten Hoffnung auf Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes noch im Juli 1995 keine Rede mehr sein konnte und ein Austritt aus diesem Grund verspätet erfolgt sei, liegt eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO) vor.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

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