OGH 8ObA116/20x

OGH8ObA116/20x23.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende, die Hofrätinnen Mag. Korn und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Teicht Jöchl Rechtsanwälte Kommandit‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei F***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Tinhofer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch zeiler.partners Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 107.767,24 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2020, GZ 10 Ra 57/20f‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00116.20X.0223.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1 Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0106298). Ob der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht ist, stellt daher regelmäßig – von Fällen unvertretbarer Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0029547 [T28]).

[2] 1.2 Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit im Sinne des § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt (RS0029547 [T17]). Die Begehungshandlung muss pflichtwidrig und schuldhaft sein. Schädigungsabsicht oder Eintritt eines Schadens sind nicht erforderlich (RS0029531). Gerade bei Arbeitnehmern, bei denen die Einhaltung der Arbeitszeiten nicht einfach überprüft werden kann, sodass der Arbeitgeber auf die Richtigkeit der Berichte und Angaben des Angestellten angewiesen ist, kann die dienstliche Irreführung des Arbeitgebers nicht mehr als bloße Unkorrektheit angesehen werden, sondern rechtfertigt die Entlassung (RS0029453).

[3] 2.1 Nach den Feststellungen dokumentierte die als Pharmareferentin im Außendienst bei der Beklagten beschäftigte Klägerin, die zumindest einmal wöchentlich einen als Leistungsnachweis dienenden Besuchsbericht über persönliche Arztkontakte abzugeben hatte, am 16. 1. 2019 den Besuch von sechs Ärzten und am 17. 1. 2019 den Besuch von weiteren fünf Ärzten und der Mitarbeiterin einer Anstaltsapotheke, obgleich sie an diesen Tagen keine einzige dieser Personen getroffen oder auch nur mit ihnen telefoniert hatte. Stattdessen ging sie in der von ihr festgehaltenen Arbeitszeit zahlreichen privaten Verrichtungen nach (wie der Besorgung eines Ballkleides oder dem Besuch einer Änderungsschneiderei und eines Solariums). Die Klägerin war zwar an keine Zeitvorgaben, wohl aber an Zielvorgaben der Beklagten in Bezug auf die jährliche Anzahl der zu absolvierenden Besuche bei Ärzten gebunden.

[4] 2.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Entlassung der Klägerin am 24. 1. 2019 wegen Vertrauensverlust vor diesem Hintergrund gerechtfertigt war, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung, zumal die Klägerin – wie das Berufungsgericht hervorhob – durch die falschen Eintragungen die Beklagte glauben machen wollte, dass sie einen zwischen ihr und dem Geschäftsführer für das Jahr 2019 entwickelten Besuchsplan „abarbeite“. Als Leistungsnachweise lagen die Besuchsberichte entgegen der Meinung der Klägerin sehr wohl im betrieblichen Interesse der Beklagten. Es mag daher zwar richtig sein, dass die Klägerin für die beiden Tage gar keine Eintragungen hätte vornehmen müssen, weil sie ihre Dienstzeit frei einteilen konnte, das ändert aber nichts daran, dass sie nicht erbrachte Arbeitsleistungen vortäuschte. Die Behauptung der Klägerin, sie habe aufgrund ihrer fingierten Angaben keinen Vorteil auf Kosten der Beklagten bezogen, ist nicht nachvollziehbar, lukrierte sie doch auch gerade dafür ihr All ‑ in‑Gehalt. Ihr Verhalten war also durchaus zur Erlangung eines Entgelts ohne entsprechende Gegenleistungen geeignet. Dass sie die unrichtig aufgezeichneten Leistungen zu einem anderen Zeitpunkt hätte nachholen wollen, steht weder fest noch gibt es hierfür irgendeinen Anhaltspunkt.

[5] Das Berufungsgericht hat zu Ungunsten der Klägerin auch noch veranschlagt, dass sie, als sie im Zuge des Entlassungsgesprächs vom Geschäftsführer der Beklagten befragt wurde, wo sie am 16. und 17. 1. 2019 gewesen sei, – noch in Unkenntnis des ihre Verantwortung widerlegenden Detektivberichts – die Richtigkeit ihrer Eintragungen bestätigte. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht in der darin zum Ausdruck kommenden beharrlichen Unaufrichtigkeit der Klägerin eine Verstärkung der Schuldintensität erblickte. Davon, dass die unwahre Aussage hier nur zu einem zwar nicht zu billigenden, wohl aber psychologisch verständlichen Verbergen einer Verfehlung des Dienstnehmers hätte dienen sollen, die für sich allein betrachtet, nicht ausreicht, um eine Entlassung zu rechtfertigen (vgl RS0029371), kann im Hinblick auf die besondere Vertrauensstellung der Klägerin als Außendienstmitarbeiterin nicht gesprochen werden.

[6] Die Schlussfolgerung der Vorinstanzen, dass der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin in Anbetracht dieser Umstände ohne vorangehende Verwarnung unzumutbar war, ist daher jedenfalls vertretbar.

[7] 3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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