European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00077.23S.0829.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Kindeseltern, denen die gemeinsame Obsorge zukam, trennten sich im September 2021. Der Vater blieb in Kirchberg am Wechsel, während die Mutter zu ihren Eltern nach Weigelsdorf gezogen ist. Die Kinder befanden sich anfangs bei der Mutter, dann beim Vater und schließlich abwechselnd eine Woche bei der Mutter und eine Woche beim Vater. Seit März 2022 weigern sich die Kinder zu ihrem Vater in dessen Auto zu steigen und mit ihm nach Kirchberg zu fahren, sodass sich die Kinder seither bei der Mutter in Weigelsdorf befinden. Die Eltern konnten sich nicht auf die Auswahl der Schule und des Kindergartens einigen. Nachdem die Mutter die Kinder in Weigelsdorf angemeldet hatte, versuchte der Vater die Kinder wieder abzumelden. Außerdem hat der Vater ein Kind in der Schule in Kirchberg angemeldet.
[2] Die Vorinstanzen betrauten die Mutter vorläufig mit der alleinigen Obsorge in Kindergarten- und Schulangelegenheiten und legten den hauptsächlichen Aufenthalt der Kinder vorläufig am Wohnsitz der Mutter fest. Außerdem räumten sie dem Vater ein vorläufiges begleitetes Kontaktrecht von zwei Stunden pro Woche in einem Besuchscafe in Baden ein.
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs macht der Vater geltend, dass das Rekursgericht zum Schutz des Kindeswohls auch die tatsächliche Entwicklung seit der erstinstanzlichen Entscheidung berücksichtigen hätte müssen, sodass eine Tagsatzung anzuberaumen, Parteien und Zeugen zu vernehmen sowie ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen wäre. Richtig ist, dass der Schutz des Kindeswohls es erfordert, dass aktenkundige Entwicklungen, welche die bisherige Tatsachengrundlage wesentlich verändern, im Obsorge‑ und Kontaktrechtsverfahren auchberücksichtigt werden, wenn sie erst nach der Entscheidung der Vorinstanz eingetreten sind (RIS‑Justiz RS0006893; RS0048056; RS0122192). Das Vorbringen im Rechtsmittel begründet aber keine aktenkundige Tatsache, die im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen wäre (RS0006893 [T19, T22]). Im Übrigen besteht auch im Obsorge‑ und Kontaktrechtsverfahren keine Pflicht der Rechtsmittelgerichte zur ständigen amtswegigen Erhebung der aktuellen Umstände oder zur Durchführung eines Beweisverfahrens (RS0048056 [T3]; RS0122192 [T1, T4]).
[4] 2. Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht nach § 181 Abs 1 ABGB die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Diese Gefährdung kann auch darin liegen, dass die Eltern in einer wichtigen Angelegenheit kein Einvernehmen erzielen können (RS0048633). Ein Entzug der Obsorge kommt allerdings nur als ultima ratio in Betracht, weshalb das Gericht zuvor alle anderen Möglichkeiten prüfen muss, die dem Kindeswohl gerecht werden können (RS0132193). Soweit der Vater geltend macht, dass sich das Gericht auf die Anordnung einer Erziehungsberatung beschränken hätte müssen, so ist ihm entgegenzuhalten, dass das ältere Kind schon im September 2022 einzuschulen war und eine solche Anordnung nicht garantieren hätte können, dass die Eltern rechtzeitig ein Einvernehmen erzielen. Dass das Gericht „direkt“ über den Schul- und Kindergartenort entscheidet, wie dies vom Vater gefordert wird, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die Entscheidung, welchem Elternteil die Obsorge übertragen werden soll, ist letztlich eine solche des Einzelfalls, der keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt (RS0115719).
[5] 3. Der Vater wendet sich auch gegen die Besuchsbegleitung und vertritt dabei den Standpunkt, dass lediglich die „Übergabe“ der Kinder, nicht aber die Kontakte selbst zu begleiten wären. Die Besuchsbegleitung ist nach § 111 AußStrG anzuordnen, wenn es das Wohl des Minderjährigen verlangt. Nach der Rechtsprechung handelt es sich aber um keine ultima ratio, die erst nach Erschöpfung anderer Abwicklungsmodalitäten herangezogen werden dürfte (RS0118258). Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass die Ausübung des Besuchsrechts in einer geschützten Atmosphäre zur Wiederherstellung einer unbelasteten Vater-Kind-Beziehung erforderlich ist. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, in welcher Form einem Elternteil das Kontaktrecht eingeräumt werden soll, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RS0087024 [T6]; RS0097114 [T10, T17]).
[6] 4. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
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