OGH 8Ob64/21a

OGH8Ob64/21a3.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Mag. Robert Stadler, Rechtsanwalt in Gallneukirchen, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch mep+k Rechtsanwälte und Notar in Deutschland und die Einvernehmenrechtsanwälte Wildmoser/Koch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen zuletzt 20.661,24 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. März 2021, GZ 6 R 20/21k‑36, mit dem das Endurteil des Landesgerichts Linz vom 14. Dezember 2020, GZ 2 Cg 38/19i‑32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132612

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.399,44 EUR (darin 223,44 EUR an 19 % USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist der Onkel der Beklagten. Gegen ihn wurde beim Landesgericht Linz ein Strafverfahren wegen des Verdachts nach § 206 Abs 1 erster Fall und Abs 3 erster Fall StGB geführt, weil ihn die Beklagte beschuldigte, sie als Kind im Jahr 1996 mehrfach sexuell missbraucht zu haben. Das Strafverfahren endete im Mai 2019 mit einem Freispruch nach § 259 Z 3 StPO. Die Aussagen der Beklagten hinsichtlich des Missbrauchs durch den Kläger sind Pseudoerinnerungen, das heißt, dass die Beklagte meint, die von ihr angegebenen Übergriffe erlebt zu haben, diese Übergriffe aber in der Realität nicht erlebt wurden. Es liegt keine intentionale Falschaussage vor.

[2] DerKläger begehrte von der Beklagten zuletzt die Zahlung der Kosten für die Verteidigung im Strafverfahren von 20.661,24 EUR sA. Die Beklagte habe ihn zu Unrecht eines Missbrauchs verdächtigt. Die Beklagte hafte auch ohne Verschulden nach § 1310 ABGB für den von ihr verursachten Schaden. Ein Deckungsstock in Form eines Vermögens der Beklagten sei jedenfalls gegeben, zumal sie sich auch die Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung leisten könne. Dessen ungeachtet müsse die Beklagte auch einen entsprechenden Privathaftpflichtversicherer haben, welcher in den Schaden eintreten müsse.

[3] Das Erstgerichtwies (im zweiten Rechtsgang) das (restliche) Klagebegehren mit Endurteil ab.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Eine Inanspruchnahme nach § 1310 ABGB setze – abgesehen von der mangelnden Deliktsfähigkeit – ein deliktisches Handeln des Unmündigen (Geisteskranken) voraus. Eine Haftung komme nicht in Betracht, wenn entweder keine Handlung vorliege oder diese nicht rechtswidrig gewesen sei. Die Beklagte habe den Tatbestand der Verleumdung mangels Wissentlichkeit nicht erfüllt. Zudem mache der Kläger einen reinen Vermögensschaden geltend, sodass kein Eingriff in ein absolut geschütztes Rechtsgut releviert werde. Daher sei das Verhalten der Beklagten nicht als rechtswidrig zu werten.

[5] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erklärt, weil – soweit ersichtlich – noch keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob die Haftung eines deliktsfähigen Schädigers nach § 1310 dritter Fall ABGB analog zu bejahen sei, wenn die fehlende Rechtswidrigkeit (Wissentlichkeit) des Verhaltens des Schädigers ihre Ursache in seiner Persönlichkeitsstruktur habe (Pseudoerinnerungen).

[6] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1.1 Dem „Vermögen“ einer Person kommt in der Regel kein absoluter Schutz zu (RS0022462). Die Verursachung eines Vermögensschadens macht nur dann ersatzpflichtig, wenn das schädigende Verhalten rechtswidrig war. Die Rechtswidrigkeit der Schädigung kann sichaus einem sittenwidrigen Verhalten des Schädigers, aus der Verletzung vertraglicherbzw vorvertraglicher Pflichten oder absoluter Rechte sowie aus der Übertretung von Schutzgesetzen ergeben (RS0023122 [T2, T7]; RS0022813).

[8] Kosten von Rechtsverfolgungs- und Rechtsverteidigungshandlungen sind typischerweise reine Vermögensschäden (RS0022462 [T7]).

[9] 1.2 Der Kläger vermag aus dem festgestellten Sachverhalt, wie er zuletzt selbst einräumt, kein rechtswidriges Verhalten der Beklagten abzuleiten:

[10] § 297 StGB dient zwar unter anderem dem Schutz des Vermögens des Verleumdeten (Pilnacek/Świderski in Höpfel/Ratz, WK² § 297 StGB Rz 3). Der Kläger zieht allerdings gar nicht in Zweifel, dass der Tatbestand der Verleumdung nicht erfüllt ist, weil die Beklagte Pseudoerinnerungen hat und daher glaubt, die von ihr geschilderten Vorfälle seien tatsächlich passiert, sodass es an der Wissentlichkeit, also Gewissheit im Sinne einer zweifelsfreien Kenntnis (RS0088890), dass die Anschuldigungen unwahr sind, fehlt.

[11] Damit lässt sich eine Haftung der Beklagten aber auch nicht auf einen Eingriff in dieeinen absoluten Schutz genießenden Rechte der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufs des Klägers (vgl RS0008987) gründen:

[12] Bei Aussagen in Strafanzeigen oder in Partei- oder Zeugenvernehmungen kann sich der Täter trotz der Unrichtigkeit der Tatsachenbehauptungen auf den Rechtfertigungsgrund des öffentlichen Interesses am Funktionieren einer ordnungsgemäßen Rechtspflege berufen (RS0114015 [T1, T2]). Der Rechtfertigungsgrund ist nur dann nicht gegeben, wenn Behauptungen wider besseres Wissen und insofern rechtsmissbräuchlich erhoben wurden (RS0031927 [T5]; vgl RS0105665). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Behauptung wider besseren Wissens erhoben wurde, ist nicht, ob der Täter die Unrichtigkeit hätte kennen müssen; es kommt vielmehr auf sein konkretes Wissen von der Unrichtigkeit an (RS0114015 [T16]).

[13] Die Beklagte kannte die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen aber gerade nicht.

[14] 2.1 Die in § 1310 ABGB angeordnete Billigkeitshaftung Deliktsunfähiger setzt für alle darin geregelten Tatbestände Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens voraus. Ist ein Schuldvorwurf ausgeschlossen, weil den Schädiger kein Verschulden trifft, kommt somit zwar unter Umständen eine Haftung nach § 1310 dritter Fall ABGB („Tragfähigkeitshaftung“) in Betracht. Die Anwendung dieser Bestimmung scheidet jedoch dann aus, wenn das schädigende Verhalten auch nicht rechtswidrig war (7 Ob 553/84; 7 Ob 55/99k; 3 Ob 111/16v mwN). Die Haftung nach § 1310 ABGB setzt somit voraus, dass ein voll Deliktsfähiger im gleichen Fall haften würde (RS0027662).

[15] 2.2 Mit dieser Rechtsprechung steht die Auffassung der Vorinstanzen in Einklang, dass eine (analoge) Anwendung des § 1310 dritter Fall ABGB in der vorliegenden Konstellation ausgeschlossen ist:

[16] Die Beklagte ist – wie der Kläger zugesteht – nach den Feststellungen nicht deliktsunfähig. Selbst wenn man mit den Revisionsausführungen ihre pathologische Persönlichkeitsstruktur, die sie in ihrer Zeugentüchtigkeit und Aussagevalidität einschränkt, einer (partiellen) Deliktsunfähigkeit gleichhalten würde, könnte damit nicht die fehlende Rechtswidrigkeit überbrückt werden, die hier erst zur Ersatzfähigkeit des geltend gemachten Vermögensschadens führen würde. Andernfalls wäre der Geschädigte im Anlassfall nämlich gegenüber der Beklagten besser gestellt als gegenüber einem in Bezug auf die Unrichtigkeit der erhobenen Anschuldigungen fahrlässig handelnden Täter, obgleich § 1310 ABGB insofern keine Ausweitung der Haftung, sondern eine Einschränkung zugunsten nicht voll Zurechnungsfähiger enthält (7 Ob 553/84 mwN).

[17] 3. Insgesamt gelingt es dem Kläger daher nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

[18] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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