European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00111.16V.0713.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 143,43 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Die Klägerin wurde am 4. Juli 2014 im Rahmen eines Abschlussfestes einer Volksschule auf einer Spielwiese von einem Fußball getroffen, den der zu diesem Zeitpunkt 10‑jährige Beklagte – ein Klassenkollege der Tochter der Klägerin – seinem 12‑jährigen Mitspieler ungestoppt retournieren wollte. Dabei „riss“ ihm der Ball ab und traf das Gesicht der Klägerin, die sich etwa 5 m entfernt mit ihrem 3‑jährigen Sohn auf der Wiese im Bereich zwischen Schaukel und Rutsche hin‑ und herbewegte.
Die Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin auf Schmerzengeld, pauschale Unkosten und auf Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftige Schäden ab.
Das Berufungsgericht vertrat dazu die Auffassung, die Klägerin habe sich in ihrer Berufung ausschließlich auf § 1310 Fall 1 ABGB gestützt. Die Haftung nach diesem Tatbestand setze rechtswidriges Verhalten und subjektives Verschulden des deliktsunfähigen Beklagten voraus. Ein Verschulden könne dem Beklagten nicht angelastet werden: Er habe den Ball nicht gezielt auf die Klägerin geschossen, der Ball sei ihm vielmehr ungewollt in Richtung der Klägerin „abgerissen“. Derartiges komme auch unter Profifußballern vor und sei daher nicht vorwerfbar. Es habe auch kein Verbot bestanden, auf der Spielwiese Fußball zu spielen. Der Beklagte und sein Mitschüler hätten sich ohnedies im Randbereich der Spielwiese und nicht in unmittelbarer Nähe zu Menschen aufgehalten. Von einem gefahrenträchtigen Verhalten, das auch für den Beklagten als solches ohne weiteres erkennbar gewesen wäre, könne daher nicht ausgegangen werden.
Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich mit der zusammengefassten Begründung zu, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch der dritte Tatbestand des § 1310 ABGB vom Berufungsgericht zu prüfen gewesen wäre.
Die Revision der Klägerin ist ungeachtet dieses den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs nicht zulässig.
Die in der Revision als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob die Klägerin in ihrer Berufung auch § 1310 Fall 3 ABGB geltend machte, kann auf sich beruhen:
Rechtliche Beurteilung
1. Die in § 1310 ABGB angeordnete Billigkeitshaftung Deliktsunfähiger setzt für alle darin geregelten Tatbestände Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens voraus. Ist ein Schuldvorwurf ausgeschlossen, weil den minderjährigen Täter kein Verschulden trifft, kommt somit zwar unter Umständen eine Haftung nach § 1310 Fall 3 ABGB in Betracht. Die Anwendung dieser Bestimmung scheidet jedoch dann aus, wenn das schädigende Verhalten auch nicht rechtswidrig war (7 Ob 553/84 ZVR 1985/127; 7 Ob 55/99k; Karner in KBB4 § 1310 Rz 6). Die Haftung nach § 1310 ABGB setzt somit voraus, dass ein voll Deliktsfähiger im gleichen Fall haften würde (4 Ob 65/99h; 2 Ob 83/09h mwN; RIS‑Justiz RS0027662).
2. Bei Verletzung fremder absolut geschützter Rechte ist das Rechtswidrigkeitsurteil nur aufgrund umfassender Interessenabwägung zu finden (RIS‑Justiz RS0022917). Zwar indiziert die Verletzung absolut geschützter Rechte in gewissem Maß die Rechtswidrigkeit (RIS‑Justiz RS0022939 [T2]; RS0022917 [T17, T18]). Zu berücksichtigen ist, welche Rechtspflichten die Normadressaten überhaupt erfüllen können, ferner die Eignung des in Frage stehenden Verhaltens, einen schädigenden Erfolg herbeizuführen und schließlich der Wert der bedrohten Güter und Interessen. Das Interesse an der körperlichen Unversehrtheit ist gegen das Interesse an einer Ausübung des Bewegungsdrangs abzuwägen (RIS‑Justiz RS0022899).
In erster Instanz hat die Klägerin dazu vor allem behauptet, das Fußballspielen sei auf der Spielwiese nicht erlaubt gewesen und der Beklagte habe den Ball – erkennbar gemeint: gezielt – „auf die Klägerin“ geschossen. Beide Vorwürfe haben sich nicht erwiesen. Berücksichtigt man ferner, dass sich der Beklagte und sein Mitspieler am Rande der Spielwiese in einer Entfernung von nur rund zehn Metern den Ball zuspielten, ist mit dem Erstgericht davon auszugehen, dass eine objektive Sorgfaltswidrigkeit nicht vorlag.
3. Da der Beklagte auf die Unzulässigkeit der Revision hinwies, gebührt ihm der Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung.
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