OGH 7Ob55/99k

OGH7Ob55/99k9.3.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich, Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Manuel L*****, geboren am 6. 10. 1985, Schüler, vertreten durch seinen Vater Hermann L*****, dieser vertreten durch Dr. Hans‑Jörg Vogl, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei mj. Mario L*****, geboren am 5. 6. 1985, Schüler, vertreten durch seinen Vater Andreas L*****, dieser vertreten durch Achammer‑Mennel‑Welte & Partner Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen S 43.100 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert S 78.100), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 7. Juli 1998, GZ 3 R 219/98y‑14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 2. April 1998, GZ 4 C 2207/97s‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit S 10.651,20 (hierin enthalten S 1.775,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Anfang Dezember 1995 wurde von Kindern in der Nachbarschaft der beiden Streitteile auf einer schrägen Garagenzufahrt eine Rutschbahn errichtet, indem sie die Zufahrt mit Wasser, das sich dann zu Eis bildete, behandelten. Am 6. oder 12. 12. 1995 rutschte der damals 10‑jährige Beklagte mit zwei Kameraden bereits für mehrere Stunden auf dieser Rutschbahn herunter, wobei sie nach dem Rutschen auf der Seite der Hauszufahrt in einer Entfernung von ca 1 m wieder hinaufstiegen. Der damals ebenfalls 10‑jährige Kläger kam dazu, beobachtete das Treiben seiner Freunde und entschloß sich, bei diesem Sportspiel mitzumachen. Er rutschte daher ebenfalls auf der vereisten Rutschbahn hinunter und ging dann auf der Seite wie die anderen wieder hinauf. Bei diesem Rutschen begaben sich die Kinder mit angezogenen Füßen in eine Hockestellung. Als der Beklagte wieder an der Reihe war, verlor er auf dem eisigen Untergrund das Gleichgewicht, weshalb er versuchte, durch Strecken des linken Beines wieder in aufrechte Position zu kommen; dabei geriet er mit dem linken Bein an die Füße des gerade hochsteigenden Klägers, der dadurch stürzte, mit dem Gesicht auf dem Boden aufschlug und hiedurch zwei Schneidezähne verlor. Auch der Beklagte kam zu Sturz, verletzte sich jedoch bis auf einige Abschürfungen nicht.

Seitens der Eltern des Beklagten besteht bei der W***** Versicherung AG eine Privathaftpflichtversicherung, aufgrund derer der Beklagte als minderjähriger Sohn haftpflichtmitversichert ist. Mit Schreiben vom 30. 10. 1996 forderte der Klagevertreter namens des Klägers diese Versicherung mit der ‑ objektiv unrichtigen ‑ Behauptung, der Beklagte sei diesem „ohne ersichtlichen Grund in die Füße gegrätscht“ und habe den Kläger so „regelrecht gefällt“, zur Zahlung von Schadenersatzleistungen in Höhe von insgesamt S 301.000,‑- samt Zinsen auf. Mit Schreiben vom 15. 11. 1996 bestritt die Versicherung jegliches Verschulden des Beklagten, bot aber dennoch eine „erhöhte Prozeßkostenablöse von S 50.000“, um die Angelegenheit außergerichtlich bereinigen zu können. Im Zuge weiterer außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen, in denen der Klagevertreter neben Schadenersatzzahlungen auch die Anerkennung einer vollständigen Haftung für zukünftige Folgen verlangte, bot die genannte Versicherung mit Schreiben vom 10. 4. 1997 einen Schadenersatzbetrag in Höhe von S 5.000 zuzüglich S 4.000 an Kanzleikosten an, und schrieb im weiteren: „Gleichzeitig geben wir bekannt, daß wir für unseren Versicherungsnehmer im Rahmen der Versicherungssumme haften. Darüber hinaus geben wir namens unseres Versicherungsnehmers die Erklärung ab, im Rahmen der Versicherungssumme mit Wirkung eines Feststellungsurteils für zukünftige kausale Spätschäden auf den Einwand der Verjährung zu verzichten.“

Mit der am 23. 12. 1997 eingebrachten und pflegschaftsgerichtlich genehmigten Klage stellte der Kläger ein Leistungsbegehren in Höhe von S 43.000 samt 4 % Zinsen ab 1. 11. 1996 (hierin enthalten Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Heilbehandlungskosten und vermehrte Bedürfnisse) und erhob weiters ein mit S 35.000 bewertetes Feststellungsbegehren, daß der Beklagte für sämtliche zukünftigen Folgen, Schäden und Nachteile aus dem Vorfall vom 12. 12. 1995 gegenüber dem Kläger haftet, wobei die Haftung mit dem Vermögen des Beklagten, nämlich seiner Versicherungssumme im Zeitpunkt der Schädigung, begrenzt ist.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte die eingangs ‑ zusammengefaßt ‑ wiedergegebenen Feststellungen rechtlich dahin, daß seitens des Haftpflichtversicherers (des Vaters des Beklagten) nur ein Verjährungsverzicht, aber kein (konstitutives) Anerkenntnis abgegeben worden sei. Die zum Unfall führende Rutschpartie sei als spielerische Selbstentfaltung ohne spezifische Regeln samt Handeln auf eigene Gefahr zu werten. Daß der Beklagte hiebei das Gleichgewicht verloren und deshalb reflexartig eine Grätschbewegung gemacht habe, wodurch der Kläger zu Sturz gekommen sei, begründe keinen haftungsauslösenden Sorgfaltsverstoß.

Das Berufungsgericht, welches durch Verlesung des Pflegschaftsaktes des Klägers (in welchem die Klageführung genehmigt worden war) und der Allgemeinen Bedingungen für Haushaltversicherungen (ABH 1989) das Beweisverfahren ergänzte, gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt S 52.000, nicht jedoch S 260.000 übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig ist. Allfällige Erklärungen des Versicherers könnten keine zivilrechtliche Haftung des minderjährigen Beklagten begründen; hiefür hätte es der Zustimmung seiner beiden Eltern und der (weiteren) pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft. Beides liege hier nicht vor. Im übrigen habe es sich bei der Rutschpartie um keine besonders gefährdungsintensive Sportart gehandelt, bei der der Beklagte die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters gebraucht hätte. Das zur Gleichgewichtswiederherstellung versuchte Ausgrätschen eines Beines, wodurch es zur Berührung mit dem aufsteigenden Kläger kam, sei dem Beklagten nicht als Verschulden vorzuwerfen.

Über Antrag der klagenden Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch dahingehend ab, daß es die ordentliche Revision doch für zulässig erklärte.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte ordentliche Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, ein der Klage dem Grunde nach stattgebendes Zwischenurteil zu fällen, in eventu die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben, weil deren Tatsachenfeststellungen nicht ausreichen, um die Höhe des eingeklagten Schadens beurteilen zu können.

Die beklagte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher primär beantragt wird, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, im übrigen dieser keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Nach § 154a ABGB ist in zivilgerichtlichen Verfahren nur ein Elternteil allein zur Vertretung des Kindes berechtigt; obzwar bereits in der Klage (und ihr folgend in sämtlichen weiteren Schriftsätzen beider Streitteile) beide Elternteile des mj Klägers genannt werden und auch im Kopf der Entscheidungen beider Vorinstanzen dies so beibehalten wurde, ist doch nur von der Vertretungsbefugnis des Vaters allein auszugehen, da dieser in den beiden Streitverhandlungen (ON 6 und 7) als einziger Elternteil erschienen und damit (im Sinne des § 154a Abs 1 letzter Halbsatz ABGB) die erste Verfahrenshandlung gesetzt hat. Gleiches hat auch für den Vater des Beklagten zu gelten (siehe Protokoll ON 7). Demgemäß werden auch nur die Väter als jeweilige gesetzliche Vertreter beider minderjährigen Parteien im Kopf dieser Revisionsentscheidung genannt.

Die Deliktsfähigkeit eines Minderjährigen wird grundsätzlich erst mit dem 14. Lebensjahr erreicht (§ 153 ABGB; MGA ABGB33 E 2 zu § 153); ob und in welchem Ausmaß ein Ersatzanspruch dennoch besteht, wenn Unmündige jemandem einen Schaden zufügen, ist nach den Bestimmungen der § 1308 ff ABGB zu beurteilen (RZ 1982/67). Der Oberste Gerichtshof schließt sich mit dem Revisionsgegner der Rechtsmeinung der Vorinstanzen an, daß dem Beklagten im vorliegenden Fall ein Verschulden nicht angelastet werden kann. Nach den maßgeblichen Feststellungen der Tatsacheninstanzen handelte es sich bei der „Rutschpartie“ auf der schrägen Garagenzufahrt ‑ an der auch noch weitere Buben teilnahmen und an deren Herstellung er auch nicht selbst mitgewirkt hatte - um eine keineswegs typisch und grundsätzlich gefährliche Freizeitbeschäftigung, insbesondere nicht im Sinne einer Fremdgefährdung der beteiligten Kinder, zumal das Hinunterrutschen im Hocken mit angezogenen Beinen und auch nicht gemeinsam, sondern abwechselnd und hintereinander erfolgte, wobei die unten Angekommenen in einem (Sicherheits‑)Abstand von ca 1 m zur Rutschbahn wieder hinaufstiegen, und der Beklagte den Kläger auch nicht etwa durch rücksichtsloses, der von allen Kindern gepflogenen Übung widerstreitendes Verhalten, sondern nur deshalb zu Sturz brachte, weil er das Gleichgewicht verlor und bloß im Rahmen einer „reflexartigen Ausbalancierungsbewegung“ mit seinem linken Bein in die Füße des gerade heraufsteigenden Klägers geriet. Daß diese Handlungsweise des Beklagten, wie noch in der Klage und ‑ feststellungskonform ‑ im Forderungsschreiben des Klagevertreters an die Versicherung (objektiv falsch) behauptet worden war, gezielt darauf gewesen wäre, den Kläger zu Fall zu bringen und damit zu verletzen, ist durch die getroffenen Feststellungen jedenfalls widerlegt. Die geschilderte Verhaltensweise des Beklagten begründet daher ‑ wie bereits vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführt wurde - kein Verschulden im Sinne des § 1310 ABGB.

Wenn ein Schuldvorwurf ausgeschlossen ist, weil den minderjährigen Täter kein Verschulden trifft, kommt zwar unter Umständen der 3. Fall des § 1310 ABGB subsidiär als Haftungsmoment in Betracht (SZ 69/156; MGA ABGB33 E 38 zu § 1310), wobei nach ständiger Rechtsprechung auch eine zugunsten des Schädigers abgeschlossene Haftpflichtversicherung als „Vermögen“ im Sinne des § 1310 ABGB in Betracht kommt (MGA aaO E 40; RIS‑Justiz RS0027550; präziser SZ 69/156: Haftpflichtversicherungen sind zwar kein Vermögen, machen aber den Ersatz jedenfalls bis zur Versicherungsdeckung tragbar) und im Rahmen einer solchen Billigkeitsentscheidung neben der Schadenersatzforderung auch die Feststellung der Haftung für künftige Schäden zulässig ist („gedehnter Versicherungsfall“: RS0062256, 0062261). Die Anwendung dieser Bestimmung scheidet jedoch dann aus, wenn das schädigende Verhalten auch nicht rechtswidrig war (ZVR 1985/127 ‑ Schneeballschlacht mit Augenverletzung beim Versuch, zugeworfene Schneebälle mit einem Schistock abzuwehren; Harrer in Schwimann, ABGB VII Rz 1 zu § 1310), wovon nach Auffassung des Senates auch im hier vorliegenden Fall auszugehen ist. Selbst wenn man ‑ im Sinne der Revisionsausführungen - das Herabrutschen auf und das anschließende Hinaufgehen neben der (künstlich angelegten) „Rutschbahn“ als gefahrenträchtige „gesonderte Einheiten“ betrachtete, war doch nach Auffassung des Senates beides samt (und trotz) Sturz auf dem glatten Untergrund im Rahmen der sportlich‑spielerischen Betätigung der Buben weder an sich besonders gefahren‑, geschweige denn erkennbar verletzungsträchtig, was schon aus der eingenommenen Körperhaltung samt Abstandwahrung zum Aufstiegsweg erhellt. Damit ist aber der Sturz des Klägers dem Bereich des allgemeinen, grundsätzlich stets selbst zu vertretenden Lebensrisikos zuzurechnen. Ratio des § 1310 ABGB kann ja nur sein, einen Unmündigen versicherungsrechtlich vor begründeten Ansprüchen zu schützen (vgl Kerschner, Freiwillige Haftpflichtversicherung als „Vermögen“ iS des § 1310 ABGB? ÖJZ 1979, 282 [283]). Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch ganz wesentlich von jenem zu EvBl 1974/234 entschiedenen, wo ebenfalls der minderjährige Kläger über das Bein des minderjährigen Beklagten gestürzt war und sich dabei Zähne ausgebrochen hatte, weil dort dem Zwischenfall eine tätliche Auseinandersetzung vorangegangen war, im Zuge derer der Kläger flüchtete und vom Beklagten „in aufsässiger Gesinnung“ verfolgt wurde, worin zwar (zufolge des Alters der Buben) ein zurechenbares Verschulden vom Obersten Gerichtshof nicht erblickt, jedoch ein Anwendungsfall des § 1310 3. Fall ABGB aufgrund dieser festgestellten sonstigen Gegebenheiten bejaht wurde.

Zu prüfen bleibt daher nur noch, ob der Beklagte ‑ als Mitversicherter (Art 11 Z 2 der hier maßgeblichen ABH 1989) ‑ aufgrund der Erklärung des Privathaftpflichtversicherers „des Beklagten“ (richtig: seines Vaters als Versicherungsnehmer derselben) vom 10. 4. 1997, wie sie nach Beweisergänzung vom Berufungsgericht wörtlich festgestellt und weiter oben bereits wiedergegeben wurde, und welche vom Revisionswerber als „konstitutives Anerkenntnis“ mit Verpflichtungswirkung auch für den Beklagten gedeutet wird, in Haftung genommen werden kann. Der Oberste Gerichtshof spricht der vorliegenden Erklärung allerdings die Qualität eines solchen konstitutiven Anerkenntnisses ab (siehe hiezu ausführlich Ertl in Rummel, ABGB II2 Rz 6 zu § 1380); dieser Erklärung kann ‑ im Zusammenhalt mit den übrigen Feststellungen der Tatsacheninstanzen (auch zur zunächst objektiv unrichtigen Schadensmeldung über den Unfallshergang) ‑ nur als Zahlungszusage (der angebotenen S 5.000 plus S 4.000) im Namen ihres Versicherungsnehmers (aber wohl keineswegs - wie im Zulassungsbeschluß des Berufungsgerichtes formuliert ‑ „des minderjährigen Versicherten“) ‑ zur außergerichtlichen Bereinigung des Versicherungsfalles - sowie, in Hinkunft auf den Einwand der Verjährung verzichten zu wollen, gewertet werden (Harrer/Heidinger in Schwimann, ABGB VII2 Rz 16 zu § 1375). Ob ein konstitutives Anerkenntnis vorliegt, ist nämlich stets durch Auslegung des Parteiwillens im Einzelfall zu ermitteln (und begründet damit für sich auch regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO: 4 Ob 53/97s). In Ermangelung eines konstitutiven Anerkenntnisses kann damit aber die Beantwortung der weiteren (Rechts‑)Fragen, ob einem solchen auch Erstreckungswirkung auf einen bloßen Mitversicherten überhaupt zukommen kann (vgl hiezu etwa RIS‑Justiz RS0017360) und ob ‑ bejahendenfalls ‑ dann, wenn es sich hiebei (wie hier) um einen noch Minderjährigen handelt, hiefür die gemäß § 154 Abs 3 ABGB vorgeschriebenen besonderen Zustimmungs‑ und Genehmigungserfordernisse erforderlich wären, unbeantwortet bleiben. Daraus folgt ‑ zusammenfassend ‑, daß eine haftungsmäßige Inanspruchnahme des Beklagten persönlich für den Körperschaden des Klägers auch hieraus nicht mit Erfolg abgeleitet werden kann.

Aus allen diesen Erwägungen war daher der Revision des Klägers ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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