European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00058.24Y.0926.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.316,40 EUR (darin 219,40 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin erhielt in einer Krankenanstalt der Beklagten eine schmerzmedizinische Behandlung unter anderem mit Lidocain-Infusionen. Dabei handelte es sich um eine „Off-Label-Anwendung“, also die Anwendung eines Medikaments außerhalb seiner Zulassung. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es aufgrund der verabreichten vier Lidocain-Infusionen zu einer Verschlechterung des physischen und/oder psychischen Zustands der Klägerin kam.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte das die Arzthaftungsklage abweisende Ersturteil. Über den Umstand an sich, dass es sich um eine „Off-Label-Anwendung“ gehandelt habe, hätten die behandelnden Ärzte die Klägerin nicht aufklären müssen.
[3] Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zur Frage zu, inwieweit sich die für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels relevante Zulassung auf den Umfang der Aufklärungspflicht auswirke.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die auf Klagsstattgebung gerichtete, von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Dies ist wie folgt zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):
[5] 1. Auf Basis des festgestellten Sachverhalts ist es nicht entscheidend, ob die Beklagte über die zulassungsüberschreitende Anwendung des Arzneimittels Lidocain aufklären hätte müssen.
[6] 1.1. Selbst wenn man nämlich eine durch den behandelnden Arzt verletzte Aufklärungspflicht über den Umstand unterstellt, dass es sich bei den Lidocain-Infusionen um eine „Off-Label-Anwendung“ handelte, ist die Haftung der Beklagten auf die Verwirklichung desjenigen Risikos beschränkt, auf das hätte hingewiesen werden müssen. Das pflichtwidrige Verhalten – der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff – muss den geltend gemachten Schaden verursacht haben (RS0026783 [T4; T9; T11]).
[7] 1.2. Im gegenständlichen Fall steht nicht fest, dass es aufgrund der verabreichten vier Lidocain-Infusionen zu einer Verschlechterung des physischen und/oder psychischen Zustands der Klägerin gekommen ist. Im Zusammenhalt mit dieser Negativfeststellung kann sich die weitere Sachverhaltsannahme, wonach es bei der Klägerin zu erwartbaren Nebenwirkungen gekommen ist, nur auf die zusätzlich zu den Infusionen oral verabreichten Medikamente beziehen. Dass auch die Infusionen für diese Beeinträchtigungen mitursächlich waren, steht jedoch nicht fest.
[8] 2. Nach § 1299 ABGB hat der Geschädigte den Schaden, das Vorliegen eines Kunstfehlers und die Ursächlichkeit oder die Mitursächlichkeit zu beweisen. Im Arzthaftungsprozess werden an den Kausalitätsbeweis zwar geringere Anforderungen gestellt (RS0038222). Ist der ursächliche Zusammenhang allerdings nicht zu erweisen, geht das zu Lasten des Geschädigten, nicht des Schädigers (RS0022664; RS0026209). Die bei Vorliegen ärztlicher Fehler angenommene Beweislastumkehr zu Lasten des behandelnden Arztes gelangt erst dann zur Anwendung, wenn vorher der geschädigte Patient den Nachweis erbracht hat, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts durch den ärztlichen Fehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde (RS0026768 [T8]; RS0038222 [T11, T22]; RS0106890 [T39]).
[9] 2.1. Anhaltspunkte dafür sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Die Negativfeststellung geht daher zu Lasten der Klägerin. Zu den ihr zusätzlich verordneten, oral eingenommenen Medikamenten enthält die Revision keine Ausführungen.
[10] 2.2. Eine auf einen allfälligen Aufklärungsmangel betreffend die zulassungsüberschreitende Anwendung der Infusionen gestützte Haftung der Beklagten scheidet demnach aus.
[11] Die Rechtsfrage, ob und wie über einen Off‑Label-Use von Arzneimitteln aufzuklären wäre, erweist sich deshalb als nicht präjudiziell, sodass sie ungeeignet ist, die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zu begründen (RS0088931 [T2, T8]).
[12] 3. Da die Revision auch keine weiteren erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist sie zurückzuweisen.
[13] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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