European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E117708
Spruch:
Aus Anlass des Rekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos behoben.
Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Begründung:
Die Klägerin begehrt mit ihrer am 23. 6. 2006 eingebrachten Wiederaufnahmsklage die Aufhebung der Feststellung einer Konkursforderung der Beklagten in Höhe von 190 Mio EUR im zur AZ * beim Handelsgericht Wien anhängig gewesenen Konkurs der B* GmbH. Aufgrund eines neuen, erst seit 16. 6. 2006 vorliegenden Sachverständigengutachtens könne die Klägerin nachweisen, dass die Forderung der Beklagten nicht zu Recht bestehe.
Die Beklagte brachte (neben den bereits rechtskräftig verworfenen Einreden des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit, der mangelnden örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sowie der fehlenden Aktivlegitimation) vor, die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme seien nicht erfüllt; weder sei das vorgelegte Gutachten neu, noch sei es geeignet, die Richtigkeit der Forderungsfeststellung in Frage zu stellen.
Während des Wiederaufnahmsverfahrens wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 18. 1. 2012, AZ *, der Konkurs über das Vermögen der Klägerin eröffnet. Nach Rechtskraft eines angenommenen Sanierungsplans wurde das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 25. 7. 2014 wieder aufgehoben.
Mit Schriftsatz vom 2. 10. 2014 stellte die Klägerin den Antrag, das gemäß § 7 Abs 1 IO durch die Konkurseröffnung unterbrochene Wiederaufnahmeverfahren fortzusetzen.
Die Beklagte beantragte (unter anderem), die Wiederaufnahmsklage wegen nicht gehöriger Fortsetzung des Verfahrens zurück-, hilfsweise abzuweisen.
Die Ausschlussfrist des § 534 ZPO werde analog § 1497 ABGB nur dann durch die Einbringung der Klage unterbrochen, wenn das Verfahren auch gehörig betrieben werde. Die Klägerin sei aber während ihres Insolvenzverfahrens grundlos untätig geblieben. Es wäre ihr möglich gewesen, eine Erklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 8 IO zu beantragen, ob er in den Rechtsstreit eintreten wolle. Hätte sie diesen Schritt unternommen, wäre das Verfahren entweder vom Insolvenzverwalter fortgesetzt worden, oder – wenn dieser dazu nicht bereit gewesen wäre – hätte sie das Verfahren selbst aufnehmen können. Sogar nach der Aufhebung des Konkurses habe die Klägerin nicht umgehend die Fortsetzung des Verfahrens beantragt.
Das Erstgericht sprach mit „Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO“ aus, dass „der Einwand der nicht gehörigen Fortsetzung des Verfahrens“ verworfen werde.
Die Klägerin habe den Fortsetzungsantrag jedenfalls noch innerhalb der absoluten, zehnjährigen Frist des § 534 Abs 3 ZPO gestellt, weshalb eine Zurückweisung der Klage als verspätet nicht möglich sei. Es komme nicht darauf an, ob ihr schon früher eine Fortsetzung des Verfahrens möglich gewesen wäre.
Das Rekursgericht bewertete die in Urteilsform ergangene Entscheidung des Erstgerichts aufgrund ihres Inhalts als Beschluss. Es gab dem folgerichtig als Rekurs behandelten Rechtsmittel der Beklagten Folge und hob die Entscheidung des Erstgerichts zur neuerlichen Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung auf.
Bei der vorliegenden „Einrede der nicht gehörigen Verfahrensfortsetzung“ handle es sich um keinen Anwendungsfall des § 393a ZPO, sondern um einen Antrag auf Zurückweisung der Klage wegen Ablaufs der in § 534 Abs 1 ZPO geregelten Frist.
Grundsätzlich wende die herrschende Rechtsprechung die Regelung des § 1497 ABGB über die Unterbrechung der Verjährungszeit regelmäßig analog auch auf Präklusivfristen an, soweit dem nicht der Zweck der betreffenden Fristbestimmung entgegenstehe, etwa auf die Fristen der § 34 AngG und § 1162d ABGB und weitere Ausschlussfristen des Arbeitsrechts, ebenso auf § 6 DHG, § 12a Abs 2 MRG, die Anfechtungsfrist des § 43 Abs 2 IO, die Fristen der AnfO, die §§ 1097, 1111 ABGB und andere.
Die relative Klagefrist des § 534 Abs 1 ZPO sei eine prozessuale Notfrist, jene des Abs 3 leg cit eine Präklusivfrist. Gemeinsam hätten sie den Zweck, die Angreifbarkeit der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen einzugrenzen und deren Bestand und Wirksamkeit zu sichern. Dieser entspreche auch dem Sinn und Zweck des § 1497 ABGB, der darin liege, eine rasche Klärung strittiger Ansprüche vor dem zeitbedingten Anwachsen von Beweisschwierigkeiten herbeizuführen und den Verjährungs- und Ersitzungsbestimmungen den nötigen Nachdruck zu verleihen. Das Erfordernis der gehörigen Fortsetzung einer rechtzeitig eingebrachten Klage sei daher auch im Wiederaufnahmeverfahren zu bejahen.
Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht den Antrag der Beklagten inhaltlich zu behandeln, die dazu angebotenen Beweisanträge zu erledigen und danach neuerlich zu entscheiden haben, ob das Verfahren gehörig fortgesetzt wurde.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage, ob § 1497 ABGB über die Verjährungsfrist auch analog auf die Frist zur Erhebung einer Wiederaufnahmsklage nach § 534 Abs 1 ZPO anzuwenden sei, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Der Rekurs der Klägerin strebt die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung an. Die Beklagte hat eine Rechtsmittelbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass des Rekurses sind die Entscheidungen der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben.
1. Nach § 1497 ABGB werden Ersitzung und Verjährung unterbrochen, wenn der Beklagte vom Berechtigten belangt und die Klage gehörig fortgesetzt wird (R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03§ 1497 Rz 1; zur Verjährung ua: Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB³ § 1497 Rz 77; R. Madl in aaO § 1497 ABGB Rz 4; RIS‑Justiz RS0044578 [T1]; RS0034645; 4 Ob 25/00f).
2. Nach ständiger Rechtsprechung unterliegen auch Fall- bzw Präklusivfristen in Analogie zu den §§ 1494 ff ABGB der Hemmung bzw der Unterbrechung wie bei der Verjährung (RIS‑Justiz RS0050744 [T1]; RS0034507 [T7, T10, T12]; Dehn in KBB4 § 1497 Rz 13; M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1497 Rz 1).
Ob und inwieweit die Analogie im konkreten Fall gerechtfertigt ist, hat sich am Zweck der gesetzlichen Vorschrift zu orientieren (RIS‑Justiz RS0034507 [T4, T6]), der bei den meisten Präklusivfristen des allgemeinen bürgerlichen Rechts in der Wahrung der Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs durch rasche Bereinigung aller offenen Streitfragen (RIS‑Justiz RS0029716) liegt.
Insbesondere wurde eine analoge Anwendung der Verjährungsbestimmungen auf die Frist des § 95 EheG bejaht (Gitschthaler in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 95 EheG Rz 12; 1 Ob 681/90), auf die Anfechtungsfrist des § 43 Abs 2 IO (Rebernig in Konecny/Schubert § 43 KO Rz 31; 5 Ob 135/72), die Fristen der §§ 2 und 3 AnfO (3 Ob 206/10f; RIS‑Justiz RS0050744; RS0034507), der § 34 Abs 1 AngG, § 1162d ABGB, § 22 Abs 3 UVG, § 6 DHG und § 12a Abs 2 MRG.
3. Allen diesen Beispielen ist die Eigenschaft gemeinsam, dass es sich um Fristen des materiellen Rechts handelt. Bei der Frist des § 534 Abs 1 ZPO handelt es sich, wie das Rekursgericht richtig erkannt hat, hingegen um eine prozessuale Frist (RIS‑Justiz RS0044583; RS0044578).
Die Versäumung einer prozessualen Frist bewirkt nicht den Verlust eines materiell‑rechtlichen Anspruchs, sondern lediglich den Ausschluss von der Geltendmachung eines Rechtsbehelfs (3 Ob 2360/96x [verst Senat]).
Während die Verjährungsfrist nach Eintritt eines Unterbrechungsgrundes wieder neu zu laufen beginnt, wird eine prozessuale Frist durch jene Prozesshandlung, für deren Vornahme sie bestimmt ist, nicht unterbrochen, sondern ein für alle Mal gewahrt.
4. Die Beklagte argumentiert, das Ergebnis des Rekursgerichts trage dem Zweck der Verjährungsbestimmungen Rechnung und entspreche offenbar der Intention des Gesetzgebers, weil die nicht gehörige Fortsetzung der fristgebundenen Wiederaufnahmsklage mit dem Versäumen einer Verbesserungsfrist nach § 85 Abs 2 ZPO vergleichbar sei, die zur Zurückweisung des ursprünglich rechtzeitig überreichten Schriftsatzes führe. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Mit einem iSd § 84 Abs 1 ZPO mangelhaften Schriftsatz wird die für sein Einbringen vorgesehene ursprüngliche Frist nicht eingehalten. Dieser Fall ist daher nicht vergleichbar.
Im Wiederaufnahmeverfahren enthalten die Bestimmungen der §§ 530 ff ZPO neben den Klagsfristen weder weitere Notfristen noch besondere Säumnisfolgen. Es liegt ohnehin im eigenen Interesse des Wiederaufnahmsklägers, die ihn belastende Entscheidung ohne unnötigen Verzug zu beseitigen.
Der bloße Umstand, dass die Fristen des § 534 ZPO einen den Verjährungsbestimmungen ähnlichen Zweck haben, die Angreifbarkeit bereits eingetretener Rechtskraft eingrenzen und Bestand und Wirksamkeit rechtskräftiger Urteile sichern sollen (Jelinek in Fasching/Konecny² § 534 ZPO Rz 1 mwN), kann eine analoge Erstreckung materiell‑rechtlicher Verjährungsbestimmungen nicht begründen.
5. Sehr wohl kann der Einwand der nicht gehörigen Fortsetzung des Wiederaufnahmsverfahrens unter Umständen zur Abweisung einer Wiederaufnahmeklage führen, wenn die Untätigkeit des Klägers gemäß § 1497 ABGB zur Verjährung des von ihm im wiederaufzunehmenden Verfahren verfolgten materiellen Anspruchs geführt hat (1 Ob 552/94). Art XLVI EGZPO schließt nur die durch die Unrichtigkeit der Entscheidung im Vorprozess fortgesetzte Verjährung zum Nachteil der davon betroffenen Prozesspartei aus (RIS-Justiz RS0035091; 1 Ob 552/94).
Hier verfolgt die Wiederaufnahmsklägerin aber keinen materiell‑rechtlichen Anspruch, der iSd § 1497 ABGB der Verjährung unterliegen könnte, sondern sie strebt die Abwehr einer gegen sie gerichteten Forderung an.
6. Nach § 261 Abs 2 ZPO in der hier bereits anzuwendenden Fassung BGBl I 94/2015 hat das Gericht über die Einreden nach § 239 Abs 3 Z 1 oder § 260 Abs 2 ZPO mit Beschluss zu entscheiden.
Die Bestreitung der Rechtzeitigkeit einer Wiederaufnahmsklage wegen Versäumung der Frist des § 534 Abs 1 ZPO zählt jedoch nicht zu den Einreden über eine Prozessvoraussetzung iSd § 239 Abs 3 Z 1 ZPO (vgl allgemein zu den Prozessvoraussetzungen: Konecny in Fasching/Konecny³Einleitung ZPG Rz 148 ff), sodass darüber im Fall ihrer Verneinung nicht mit Beschluss zu entscheiden ist. Im Ergebnis waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher mangels prozessualer Rechtsgrundlage ersatzlos zu beheben.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO (s RIS‑Justiz RS0035879).
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