OGH 7Ob45/22a

OGH7Ob45/22a25.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Österreich, *, vertreten durch die Hule Bachmayr-Heyda Nordberg Rechtsanwälte GmbH in Wien, Nebenintervenienten auf Seite der klagenden Partei 1. Dr. G* als Masseverwalter im Konkurs der o* GmbH, *, vertreten durch die Freimüller Obereder Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, und 2. G* GmbH, *, vertreten durch Mag. Rudolf Siegel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. U* AG, *, und 2. W* AG *, beide vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 182.429 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 11. Jänner 2022, GZ 13 Nc 17/21f‑7, mit dem der Antrag der beklagten Parteien auf Ablehnung von Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. *, Richterin des Oberlandesgerichts Mag. * und Kommerzialrat * als Mitglieder des im Verfahren AZ * des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien zuständigen Rechtsmittelsenats zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00045.22A.0525.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei und der Zweitnebenintervenientin die mit jeweils 2.376,16 EUR (darin 396,02 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der klagende Fachverband ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts gemäß § 3 Abs 1 Z 4 WKG, BGBl I 1998/103.

[2] Der Kläger – über Vermittlung der Zweitnebenintervenientin als Versicherungsmaklerin – hatte mit den beklagten Versicherungsunternehmen eine Vertrauensschadenversicherung geschlossen; an diesem Vertrag hatten sich Erst‑ und Zweitbeklagte zu 90 % bzw 10 % beteiligt.

[3] Der Erstnebenintervenient ist Masseverwalter einer in Konkurs verfallenen Hausverwaltungsgesellschaft, deren Geschäftsführer durch Malversationen Liegenschafts-Eigentümergemeinschaften Schaden zugefügt haben soll.

[4] Im Anlassverfahren des Handelsgerichts Wien zu AZ * begehrte der Kläger von den Beklagten im Ausmaß ihrer jeweiligen Beteiligung am Versicherungsvertrag die Zahlung des Schadens von insgesamt 182.429 EUR an die geschädigten Eigentümergemeinschaften, in eventu an den Erstnebenintervenienten.

[5] Die Beklagten bestritten ihre Deckungspflicht.

[6] Das Handelsgericht Wien wies das Klagebegehren zu GZ * ab.

[7] Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht gab zu GZ * den Berufungen des Klägers und der Zweitnebenintervenientin Folge, änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Der Berufungssenat entschied in der Zusammensetzung Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. * als Vorsitzende, Richterin des Oberlandesgerichts Mag. * und Kommerzialrat * (in der Folge: Kommerzialrat).

[8] Die Beklagten lehnten mit Ablehnungsantrag, den sie mit einer außerordentlichen Revision gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung verbanden, alle drei Mitglieder des berufungsgerichtlichen Rechtsmittelsenats ab. Sie begründeten dies damit, sie hätten erstmals mit Zustellung der Berufungsentscheidung von der Teilnahme des Kommerzialrats an Entscheidungsfindung und Urteilsfällung erfahren. Der Kommerzialrat übe zahlreiche Funktionen im Sinne des WKG in der Wirtschaftskammer Österreich und in der Wirtschaftskammer Wien aus. Der Kläger sei „bekanntlich eine Organisationseinheit der Wirtschaftskammer Österreich“. Der Kommerzialrat könne „als solches WKO-Organ“ in einer Streitigkeit, in welcher „der Sache nach ebenfalls die WKO Partei“ sei, nicht unbefangen sein. Jedenfalls liege der Anschein einer Voreingenommenheit vor. Die Tatsache, dass der Kommerzialrat den Fall in der der Urteilsfällung vorangehenden, nichtöffentlichen Sitzung des Berufungssenats mit den beiden anderen Senatsmitgliedern diskutiert und dabei seine – offenbar nicht unbefangenen – Standpunkte eingebracht hätte, habe eine unsachliche Beeinflussung auch der beiden Berufsrichterinnen bewirkt, welche die von ihm „eingebrachten Argumente nicht mehr aus ihrem Gedächtnis entfernen“ könnten. Sie hätten das Berufungsurteil in Abstimmung und Diskussion mit einem befangenen Laienrichter erlassen und sich insoweit auch auf eine bestimmte, von ihm beeinflusste Rechtsansicht festgelegt. Dies bewirke den Anschein der Befangenheit auch der beiden Berufsrichterinnen auch für das weitere Verfahren.

[9] Der Oberste Gerichtshof unterbrach das Revisionsverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens über den Ablehnungsantrag (7 Ob 166/21v).

[10] Die abgelehnten Mitglieder des Berufungssenats erklärten, sich nicht als befangen zu erachten; der Kommerzialrat gab weiters an, es treffe zu, dass er in seinen Funktionen in der Wirtschaftskammer * vertrete.

[11] Der Kläger und die Zweitnebenintervenientin sprachen sich gegen den Ablehnungsantrag aus.

[12] Der zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag berufene Senat des Oberlandesgerichts Wien wies den Ablehnungsantrag zurück. Da die Ablehnungswerber nicht einmal behaupten würden, die abgelehnten Richter wären tatsächlich befangen, sei nur auf die Rechtsfrage einzugehen, ob der Anschein der Befangenheit begründet werde. Die bloße Zugehörigkeit zu Großorganisationen oder Vereinigungen, die die Interessen von Wirtschaft oder Arbeitnehmern verträten, begründe für sich allein nicht den Anschein der Befangenheit, sofern nicht ein besonderes persönliches Interesse am Verfahrensausgang hinzutrete. Selbst wenn ein (Laien‑) Richter Dienstnehmer einer Prozesspartei wäre, sei dies allein ohne Beziehung zu dem einzelnen Streitfall kein Grund für die Annahme des Anscheins der Befangenheit. Bloß die Mitgliedschaft in einer institutionell organisierten Interessenvertretung, ohne selbst am Verfahrensausgang irgendein persönliches, berufliches oder finanzielles Interesse zu haben, vermöge selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs nicht den Eindruck zu erwecken, der (Laien‑) Richter könne die Sache nicht frei von unsachlichen Erwägungen entscheiden. Vielmehr könne in solchen Fällen eine professionelle Trennung von Beruf und Mitgliedschaftsverhältnis erwartet werden. Nur wenn irgendeine Art von persönlicher Betroffenheit denkbar sei, spreche der äußere Anschein für die Annahme von Befangenheit. Dass die Berufsrichter, ob nun durch den Kommerzialrat beeinflusst oder nicht, in der bekämpften Entscheidung einen Rechtsstandpunkt geäußert haben, mache sie nicht befangen.

[13] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekursder Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Ablehnungsantrags abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[14] Der Kläger und die Zweitnebenintervenientin beantragen – im zweiseitigen Rekursverfahren (RS0126587) –, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

[15] Der Rekurs ist zulässig (§ 24 Abs 2 JN), jedoch nicht berechtigt.

[16] Der Oberste Gerichtshof hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, erachtet hingegen die damit bekämpfte Begründung des angefochtenen Beschlusses für zutreffend (§§ 500a, 526 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist das Folgende auszuführen:

Rechtliche Beurteilung

[17] 1. Im angefochtenen Beschluss wwurden die Grundsätze der Rechtsprechung über die Umstände, die vorliegen müssen, um einen Richter als befangen im Sinne des § 19 Z 2 JN anzusehen, umfassend und zutreffend dargelegt (RS0046024; RS0045975; RS0046052; RS0045949; RS0109379; RS0046087); die Bestimmungen der §§ 19 bis 25 JN gelten auch für (fachkundige und fachmännische) Laienrichter (RS0045951 [T1, T2]; 2 Ob 196/15k).

[18] Davon geht auch das Rechtsmittel aus.

[19] 2.1. Die Beklagten bemühen sich jedoch, aus einer Schilderung der Organisationsstruktur der Wirtschaftskammerorganisation, der Stellung des Klägers und Funktionen des Kommerzialrats dessen Befangenheit im Sinne einer Voreingenommenheit zugunsten des Klägers abzuleiten.

[20] 2.2. Vorab ist dazu festzuhalten, dass die in § 3 Abs 1 WKG genannten Organisationen der gewerblichen Wirtschaft Körperschaften öffentlichen Rechts sind, nämlich Bundeskammer und (Bundes-) Fachverbände – wie der Kläger – sowie die Landeskammern und (Landes-) Fachgruppen (§ 1 Abs 2 und 3 WKG). Beim Kläger einerseits und den Fachorganisationen (§ 1 Abs 2 WKG), der die Beklagten angehören, andererseits handelt es sich daher um – zudem nach der Spartengliederung der Wirtschaftskammerorganisation (§§ 13 f WKG) auch zu verschiedenen Sparten gehörende – eigenständige Körperschaften öffentlichen Rechts.

[21] 2.3.1. Nach der unstrittigen Aktenlage ist der Kommerzialrat einerseits Mitglied des Ausschusses und damit eines Organs (§ 48 WKG) des Fachverbands *, also einer vom Kläger ebenso wie den Fachorganisationen (§ 1 Abs 2 WKG), denen die Beklagten angehören, verschiedenen Körperschaft öffentlichen Rechts; er ist in dieser Stellung nicht gesetzlicher Vertreter des Fachverbands oder mit dessen Leitung und Geschäftsführung betraut (§ 48 iVm § 22 WKG).

[22] Dieser Fachverband gehört – so wie der Fachverband der Versicherungsunternehmen, dem die Beklagten angehören – zur Sparte „Bank und Versicherung“ (§ 5 der gemäß § 15 WKG verordneten Fachorganisationsordnung [FOO]), während der Kläger zur Sparte „Information und Consulting“ gehört (§ 8 Z 7 FOO).

[23] Der Kommerzialrat ist weiters Vorsitzender der Fachvertretung, der sich „sein“ (Bundes-) Fachverband (mangels Errichtung einer eigenen Fachgruppe auf Wiener Landeskammerebene) für die Vertretung der fachlichen Interessen auf Landeskammerebene bedient (§ 43 Abs 2 WKG). Dieser Fachvertretung stehen die gleichen Befugnisse zu, wie sie im § 45 Abs 3 WKG für den Fachgruppenausschuss festgelegt sind, ihr kommt aber keine Rechtspersönlichkeit zu (§ 14 Abs 2 WKG).

[24] 2.3.2. Andererseits ist der Kommerzialrat Mitglied der Spartenkonferenz der Sparte „Bank und Versicherung“, dem zur Behandlung grundsätzlicher sparteneigener Fragen berufenen Organ der Wiener Landeskammer (§ 21 Z 7 iVm § 26 Abs 5 WKG), sowie Spartenvertreter der Sparte „Bank und Versicherung“ im Bereich der Wiener Landeskammer und in dieser Funktion Mitglied des Wirtschaftsparlaments, einem weiteren Organ der Wiener Landeskammer (§ 25 Abs 1 WKG). Der Kläger ist nicht gesetzlicher Vertreter der Landeskammer oder mit deren Leitung und Geschäftsführung betraut (§§ 22 f WKG).

[25] 3.1. Das Oberlandesgericht hat bereits auf die ständige Rechtsprechung hingewiesen, wonach die bloße Mitgliedschaft bei einem Verein oder die bloße Zugehörigkeit zu Großorganisationen für sich allein keine Befangenheit begründet, sofern nicht über die bloße Mitgliedschaft hinaus persönliche Interessen oder Aktivitäten befürchten lassen, dass unsachliche Motive die Entscheidung beeinflussen könnten. Die bloße Zugehörigkeit zu politischen Parteien, Mieterschutz- oder Konsumentenschutzorganisationen, Autofahrerclubs, Sportorganisationen und dergleichen mehr genügt daher nicht, um Befangenheit annehmen zu können oder auch bloß den Anschein einer Befangenheit zu erwecken, sofern nicht ein besonderes persönliches Interesse des Richters am Verfahrensausgang hinzutritt (vgl RS0045944; RS0045892; 8 Ob 68/15f mwN).

[26] 3.2. Nichts anderes gilt hier, zumal der Kommerzialrat weder im klagenden Fachverband irgendeine Funktion, noch in einer der anderen Körperschaften der Wirtschaftskammerorganisation eine Vertretungs- oder Leitungsfunktion ausübt. Mit dem Sachverhalt zu 1 Ob 116/70, SZ 43/104, kann die vorliegende Konstellation nicht ernstlich verglichen werden, da dort eine Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft an einer GmbH Anteile hielt und einer der Vizepräsidenten derselben Landeskammer im Prozess der dort beklagten GmbH als Laienrichter fungierte. Auch in 2 Ob 43/11d wird auf Mitgliedschaften und Funktionen bei einer Streitpartei abgestellt. Ein dem vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor.

[27] 3.3. Es ist auch nicht ersichtlich, welches sonstige konkrete Interesse der Kommerzialrat aufgrund seiner Kammerfunktionen am Ausgang des Rechtsstreits zwischen einem ihm fremden Fachverband und zwei Versicherungsgesellschaften haben könnte. Ein solches vermögen die Beklagten in ihrem Rechtsmittel auch nicht schlüssig darzutun. Die bloße Nennung von im WKG angeführten „Interessen“ und deren Verfolgung durch einen „Interessenvertreter“ wie den Kommerzialrat bleibt unsubstanziiert, zumal das Rechtsmittel auch die Vielzahl und Vielfalt der im Rahmen der Wirtschaftskammerorganisation bestehenden juristischen Personen übergeht. Mit bloßen Mutmaßungen, der Kommerzialrat könnte sich rein psychologisch mit den Anliegen des klagenden Fachverbands solidarisch fühlen, wird kein konkreter Befangenheitsgrund (vgl RS0045962 [T5–T7, T17]) dargelegt. Dass die professionelle Trennung von individuellen Interessen und richterlichen Aufgaben von (auch Laien‑) Richtern zu erwarten ist (vgl 8 Ob 68/15f = RS0045944 [T3] = RS0045892 [T7]), wurde bereits vom Oberlandesgericht zutreffend aufgezeigt.

[28] 3.4. Da eine Befangenheit des Kommerzialrats nicht zu erkennen ist, muss auf die sich gänzlich in Spekulationen verlierenden Überlegungen der Rekurswerberinnen, warum daraus die Befangenheit der Berufsrichterinnen abzuleiten sei, nicht eingegangen werden.

[29] 4. Da somit Umstände, die objektiv geeignet sein könnten, den Anschein einer Voreingenommenheit der abgelehnten Mitglieder des Berufungssenats zu begründen, nicht vorliegen, muss dem Rekurs ein Erfolg versagt bleiben.

[30] 5. Das Ablehnungsverfahren ist ein Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist, weshalb die Beklagten dem Kläger und der Zweitnebenintervenientin die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen nach §§ 41, 50 ZPO zu ersetzen haben (RS0126588; 2 Ob 43/11d; 3 Ob 18/14i; 9 Ob 47/14y).

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