Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 987,84 EUR (darin enthalten 163,14 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Zwischen den Streitteilen besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die ARB 2007 (in Hinkunft ARB) zugrunde liegen. Zu den versicherten Risiken zählt unter anderem der Arbeitsgerichts‑Rechtsschutz.
Artikel 20 ARB lautet auszugsweise:
„Arbeitsgerichts‑Rechtsschutz
Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Berufs‑ und/oder Betriebsbereich.
1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?
Versicherungsschutz haben
1.1 im Berufsbereich
der Versicherungsnehmer und seine Familienangehörigen (Artikel 5 Punkt 1) in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer im Sinn des § 51 Arbeits‑ und Sozialgerichtsgesetzes gegenüber ihrem Arbeitgeber;
1.2 im Betriebsbereich
der Versicherungsnehmer für den versicherten Betrieb als Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern.
2. Was ist versichert?
2.1 Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeits‑ oder Lehrverhältnissen in Verfahren vor österreichischen Gerichten als Arbeitsgerichte. [...]
3. Was ist nicht versichert?
Soweit nichts anderes vereinbart ist, besteht im Arbeitsgerichts‑Rechtsschutz ‑ neben den in Artikel 7 genannten Fällen ‑ kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem kollektiven Arbeitsrecht.“
Der Betriebsrat der Arbeitnehmer der Klägerin brachte am 18. 6. 2010 eine Klage gegen diese ein, mit der er die Feststellung begehrt, dass alle bei der Klägerin (der dortigen Beklagten) beschäftigten Pflegeeltern Angestellte seien, somit der Vollversicherung gemäß § 4 Abs 2 ASVG unterlägen und in den Anwendungsbereich des Kollektivertrags für ArbeitnehmerInnen, die bei Mitgliedern der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheit und Sozialberufe (BAGS) beschäftigt seien, fielen. Der Betriebsrat stützt seine Klagslegitimation auf § 51 Abs 1 ASGG. Die wesentliche Frage jenes Verfahrens ist, ob zwischen der Klägerin und den Pflegeeltern ein Arbeitsverhältnis oder ein freier Dienstvertrag vorliegt. Im zweiten Rechtsgang wurde die Klage in erster Instanz abgewiesen, dagegen erhob der Betriebsrat Berufung.
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Deckungspflicht. Der Betriebsrat mache im zu deckenden Verfahren seine Sonderlegitimation gemäß § 54 Abs 1 ASGG geltend, die auf Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG beschränkt sei; diese Bestimmung umfasse ausschließlich individuelle Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Die Beklagte wendet ein, der Versicherungsschutz gelte gemäß Artikel 20.1.2 ARB nur gegenüber Arbeitnehmern, nicht aber gegenüber dem Betriebsrat als Kollegialorgan. Bei einer Feststellungsklage, bei der die Grundsätze des kollektiven Arbeitsrechts zur Anwendung kämen, sei die Beklagte daher gemäß Artikel 20.3 ARB leistungsfrei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dem zu deckenden Verfahren liege eine Streitigkeit aus dem Individualarbeitsrecht zugrunde, sodass gemäß Artikel 20 ARB Rechtsschutzdeckung bestehe. Die Prozessführung der Klägerin sei auch keineswegs offenbar aussichtslos.
Das Berufsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Der Wortlaut des Artikels 20.1.2 ARB stelle klar, dass der Versicherungsschutz nur Rechtsstreitigkeiten des Versicherungsnehmers, welche dieser als Arbeitgeber gegen seine Arbeitnehmer führe, umfasse, nicht aber solche gegen den Betriebsrat. Diese Einschränkung des Versicherungsschutzes mache auch Sinn, weil der Betriebsrat den hier erhobenen Anspruch im eigenen Namen geltend mache, also nicht als Vertreter der Belegschaft oder des einzelnen Arbeitnehmers, sodass seine Klagebefugnis und der Ausgang des Verfahrens vom Verhalten, den Wünschen und den Vorstellungen der einzelnen Arbeitnehmer unabhängig sei. Dementsprechend wirke ein gemäß § 54 Abs 1 ASGG gefälltes Feststellungsurteil auch nur zwischen den Parteien dieses Verfahrens.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Da oberstgerichtliche Judikatur zur Auslegung des Artikel 20 ARB 2007 fehlt und die fragliche Regelung nicht so eindeutig ist, dass nur eine Möglichkeit der Beurteilung in Betracht kommt, ist die Revision entgegen dem Ausspruch des Berufsgerichts zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
Die Klägerin vertritt in ihrer Revision die Auffassung, § 54 Abs 1 ASGG räume dem Betriebsrat die Möglichkeit ein, Individualansprüche von Arbeitnehmern gerichtlich geltend zu machen. Da es damit im zu deckenden Verfahren nicht um die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus dem kollektiven Arbeitsrecht gehe, sei der Versicherungsschutz nach Artikel 20.3 ARB nicht ausgeschlossen.
1. Gemäß § 54 Abs 1 ASGG können in Arbeitsrechtssachen nach § 50 Abs 1 ASGG die parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft im Rahmen ihres Wirkungskreises sowie der jeweilige Arbeitgeber auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeitnehmer ihres Betriebs oder Unternehmens betreffen, klagen oder geklagt werden.
1.1 Der Betriebsrat ist nicht der (gesetzliche) Vertreter der Belegschaft oder einzelner Arbeitnehmer (RIS‑Justiz RS0035156). Dem besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG liegt der Gedanke des kollektiven Klagsrechts zugrunde. Dieses beruht auf der Überlegung, dass es den Organen der Arbeitnehmerschaft (und gemäß § 54 Abs 2 ASGG der kollektiven vertretungsfähigen Körperschaften) möglich sein soll, Verfahren selbst durchführen zu können, die im Interesse einzelner oder mehrerer Arbeitnehmer gelegen sind, von diesen aber nicht geführt werden, weil sie Nachteile ‑ insbesondere die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses ‑ fürchten. § 54 Abs 1 ASGG normiert eine gesetzliche Prozessstandschaft; die Organe der Arbeitnehmerschaft machen im eigenen Namen Rechte der Arbeitnehmer bzw der Belegschaft geltend. Dementsprechend wirkt ein in einem Verfahren gemäß § 54 Abs 1 ASGG gefälltes Feststellungsurteil nur zwischen den Parteien des Verfahrens (ihren Rechtsnachfolgern) und nur deklarativ. Die betroffenen Arbeitnehmer haben im Verfahren nach § 54 Abs 1 ASGG weder eine Rolle als Partei, noch entfaltet das Urteil für oder gegen sie unmittelbare Wirkung. Weder erwerben sie daher aufgrund eines gemäß § 54 Abs 1 ASGG ergangenen Urteils Rechte, noch verlieren sie solche. Ihre Rechte bleiben unberührt, die Entscheidung kann nur auf faktischer Ebene von Bedeutung sein (RIS‑Justiz RS0085545, 8 ObA 14/13m mwN).
2. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die diesbezüglichen Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901; 7 Ob 69/13t mwN).
3. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RIS‑Justiz RS0080166, RS0080068).
3.1 Nach der Systematik der vorliegenden ARB wird zunächst in Artikel 20.1.2 die primäre Risikobeschreibung des „Arbeitsgerichts‑Rechtsschutzes“ vorgenommen. Dabei wird der Versicherungsschutz des Versicherungsnehmers in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern (im Betriebsbereich) geregelt. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut geht Artikel 20.1.2 ARB ‑ wie bereits Artikel 20.1.2 ARB 1988 ‑ bei seiner personalen Risikoumschreibung von einem „geschlossenen“ Personenkreis aus. Versicherungsschutz genießt nicht ‑ wie noch nach den ARB 1965/82 (Punkt 1 Abs 1 SBR) ‑ der Versicherungsnehmer in seiner Eigenschaft als Dienstgeber, sondern der Versicherungsnehmer in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern. Damit ist klargestellt ‑ worauf bereits das Berufsgericht zutreffend verwies ‑, dass es für die Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat oder sonstigen Interessensvertretungen keine Deckung aus dem Arbeitsgerichts‑Rechtsschutz gibt ( Kronsteiner/Lafenthaler , Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung [ARB 1994] Punkt 1.2.; Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat , Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung [ARB 2007] Punkt 1.2.; Fenyves/Holzer , Zum Ausschluss des kollektiven Arbeitsrechts im Arbeitsgerichts‑Rechtsschutz nach dem ARB 1988; VR 1992, 207 ff).
3.2 Bei isolierter Betrachtung der personalen Risikobeschreibung in Artikel 20.1.2 ARB fällt, sofern eine konkrete arbeitsrechtliche Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorliegt, auch das kollektive Arbeitsrecht grundsätzlich in den Deckungsschutz. Erst vor diesem Hintergrund erlangt sodann Artikel 20.3 ARB, wonach der Versicherungsschutz für Wahrnehmungen rechtlicher Interessen aus dem kollektiven Arbeitsrecht ausgeschlossen ist, Bedeutung.
3.3 Da im vorliegenden Fall bereits aufgrund der primären Risikoumschreibung in Artikel 20.1.2 ARB kein Versicherungsschutz für die Streitigkeit zwischen der Klägerin und dem Betriebsrat besteht, erübrigt sich ein näheres Eingehen sowohl darauf, ob in dem oben dargestellten besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG rechtliche Interessen aus dem kollektiven Arbeitsrecht wahrgenommen werden, als auch darauf, welchen konkreten Voraussetzungen der Risikoausschluss nach Artikel 20.3 ARB im Zusammenhang mit einer Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer greift.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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