OGH 8ObA14/13m

OGH8ObA14/13m27.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Monika Lanz und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der Antragstellerin Wirtschaftskammer Österreich, 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 63, vertreten durch die Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Antragsgegner Österreichischer Gewerkschaftsbund, 1020 Wien, Johann Böhm Platz 1, vertreten durch die Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, dass die Antragstellerin berechtigt ist, für die Dauer von zehn Jahren das bestehende Faktorsystem zur jährlichen Erhöhung der Aktiv- und Ruhegenussentgelte so anzuwenden, dass ab einer dem (letzten) Aktivgehalt zugrunde liegenden Grundgehaltseinstufung einschließlich Vorrückungsautomatismen von 1.441 bis zu einer Grundgehaltseinstufung einschließlich Vorrückungs-automatismen ab 1.801 der jeweilige Faktor in Vierzigerstufen um 0,1 bis 1 Prozentpunkte reduziert wird, wenn dabei sichergestellt ist, dass es durch das Faktorsplitting zu keiner nominellen Reduktion der Aktiv- und Pensionsbezüge kommt, wird abgewiesen.

Die Stellungnahme der Einschreiter Dr. M***** G*****, Univ.-Prof. Dr. H***** H*****, und Dr. M***** M*****, vom 15. April 2013 wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Antragstellerin ist eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitgeber nach § 4 Abs 1 und § 7 ArbVG. Der zugrunde liegende Antrag betrifft die Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin und bezieht sich auf Arbeitsverhältnisse, für die sie selbst nach § 7 ArbVG kollektivvertragsfähig ist. Gemäß § 55 WKG bildet das gesamte Personal der nach dem genannten Bundesgesetz errichteten Organisationen der gewerblichen Wirtschaft (Landeskammern, Bundeskammer) einen einheitlichen Körper. Die Antragstellerin ist daher Arbeitgeberin des gesamten Personals des nach Maßgabe des WKG errichteten Kammersystems (9 ObA 52/07y). Der Antragsgegner ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Berufsvereinigung der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 2 ArbVG und für die in Rede stehenden Arbeitsverhältnisse zuständig (RIS-Justiz RS0051126).

Die Antragstellerin begehrt die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG. Antragstellerin und Antragsgegner seien kollektivvertragsfähige Körperschaften und im vorliegenden besonderen Feststellungsverfahren legitimiert. Die dem Antrag zugrunde liegende Rechtsfrage betreffe mehr als drei Arbeitnehmer. Der Feststellungsantrag beziehe sich auf die Frage, ob die Antragstellerin berechtigt sei, einem Teil ihrer Arbeitnehmer bzw einem Teil ihrer (aufgrund direkter Leistungszusagen) Pensionsberechtigten die inflationsabhängige „Teuerungszulage“ nach dem System der Faktorformel durch eine Modifikation dieses Systems (Faktorsplitting) einkommensabhängig zu kürzen. Dazu sei im Jahr 2011 zwischen der Antragstellerin und dem Zentralbetriebsrat eine Verhandlungslösung erzielt worden.

Der Antragsgegner hat innerhalb der ihm eingeräumten Äußerungsfrist keine Stellungnahme zum Antrag abgegeben. Am 16. April 2013 wurde von drei betroffenen Pensionisten eine persönliche Stellungnahme (vom 15. April 2013) eingebracht.

Über Auftrag des Obersten Gerichtshofs teilte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27. Mai 2013 mit, dass der verfahrensgegenständliche Anspruch zwischen den verfahrensbeteiligten kollektivvertraglichen Einrichtungen strittig sei. Der Antragsgegner habe der Antragstellerin lediglich vermittelt, dass er das Faktorsplittingmodell aus gesellschaftspolitischer Sicht für nicht bedenklich halte. Dieser Erklärung des Antragsgegners könne nicht die Bedeutung beigelegt werden, dass dieser von rechtlich unstrittigen Ansprüchen ausgehe.

Der Antragsgegner gab über Auftrag des Obersten Gerichtshofs die Erklärung ab, dass er die von der Antragstellerin konzipierte Lösung in gewerkschaftspolitischer Hinsicht für vertretbar halte. Seitens des Antragsgegners werde dabei in keiner Weise übersehen, dass von der betroffenen Regelung einzelne ArbeitnehmerInnen, unter diesen auch Mitglieder des Antragsgegners, nachteilig betroffen sein können. Dessen ungeachtet halte es der Antragsgegner nicht für tunlich, inhaltlich eine Stellungnahme zum Antrag vom 26. Februar 2013 abzugeben.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Die Voraussetzungen für einen Feststellungsantrag nach § 54 Abs 2 ASGG liegen aus folgenden Erwägungen nicht vor:

Beim besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG handelt es sich um ein Musterverfahren auf überbetrieblicher Ebene. Dadurch sollte die Möglichkeit eröffnet werden, arbeitsrechtliche Fragen aus privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen, die für einen größeren Personenkreis von Bedeutung sind, in einem nach den Grundsätzen des Außerstreitgesetzes zwischen den betreffenden Interessenvertretungen geführten Verfahren aufgrund eines behaupteten Sachverhalts einer Klärung zuzuführen (Kuderna, ASGG2 § 54 Anm 21; Adamovic, Handbuch zum ASG-Verfahren § 54 Rz 5). Die Antragslegitimation liegt bei den kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Mit dem Erfordernis der Kollektivvertragsfähigkeit sollte eine Interessenwahrung nur durch die dazu im arbeitsrechtlichen Bereich typischerweise berufenen Verbände statuiert werden (Adamovic Rz 5).

1.2 Der Antragstellerin ist darin zuzustimmen, dass § 54 Abs 2 ASGG eine gesetzliche Prozessstandschaft normiert. Dementsprechend machen die genannten Körperschaften im eigenen Namen Rechte der von ihnen vertretenen Betroffenen geltend (9 ObA 112/09z mwN). Dies hat zur Folge, dass dem über den Feststellungsantrag gefassten Beschluss nur zwischen den Parteien des Verfahrens bindende Wirkung zukommt. Die Entscheidung wirkt aber weder zum Vorteil noch zum Nachteil der betroffenen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer (RIS-Justiz RS0085545), diese kann nur auf faktischer Ebene für sie von Bedeutung sein (8 ObA 31/09f mwN).

1.3 Diese verfahrensrechtlichen Konsequenzen können bei der Beurteilung des rechtlichen Interesses des besonderen Feststellungsantrags nach § 54 Abs 2 ASGG nicht unberücksichtigt bleiben. Der in Rede stehende Antrag ist nach dem Vorbild des § 228 ZPO gestaltet. Nach dieser Bestimmung kann das Bestehen oder Nichtbestehen von Rechten oder Rechtsverhältnissen mit Feststellungsklage dann geltend gemacht werden, wenn ein rechtliches Interesse an der Feststellung besteht (9 ObA 150/03d). Dies gilt auch für den Feststellungsantrag nach § 54 Abs 2 ASGG; zudem muss die konkrete Betroffenheit von mindestens drei Arbeitgebern oder Arbeitnehmern gegeben sein (Adamovic Rz 1 und 6).

Die Besonderheit der dargestellten Prozessstandschaft besteht nun darin, dass ihr der Gedanke des kollektiven Klagerechts zugrunde liegt. Dieses beruht auf der Überlegung, dass es den kollektivvertragsfähigen Körperschaften möglich sein soll, Verfahren selbst durchführen zu können, die im Interesse einzelner oder mehrerer Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gelegen sind. Die betroffenen Arbeitgeber oder Arbeitnehmer haben im Verfahren aber keine Rolle als Parteien. Sie erwerben aufgrund des Verfahrens weder Rechte noch verlieren sie solche. Nach der im Gesetz gewählten Konstruktion hat der Antragsteller im Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG - mögen materiell auch Rechte der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer geltend gemacht werden - auch ein eigenes Interesse an der Verfahrensführung.

Aus diesen Überlegungen folgt, dass das besondere Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG nach seiner Zweckbestimmung zur Beantwortung konkreter arbeitsrechtlicher Rechtsfragen des materiellen Rechts führen und durch Klärung der zwischen den Verfahrensparteien strittigen Rechtslage der Prävention und der Prozessökonomie dienen soll (RIS-Justiz RS0109383; Kuderna Anm 12 und 14; Adamovic Rz 6). Ist der geltend gemachte Rechtsanspruch, der den Gegenstand des Verfahrens bildet, zwischen den Parteien nicht strittig, so ist diese Zweckbestimmung des besonderen Feststellungsverfahrens nicht erfüllt. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Beurteilung des rechtlichen Interesses für den Feststellungsantrag, zumal dieses das Verfahrensinteresse der antragstellenden Körperschaft notwendigerweise miteinschließt.

Ist zwischen den Parteien des Verfahrens kein Recht oder Rechtsverhältnis strittig, so fehlt es damit am rechtlichen Interesse (vgl RIS-Justiz RS0109383; 9 ObA 128/04w).

1.4 Der Ansicht von Kuderna (Anm 15), wonach es belanglos sei, ob die betreffende Rechtsfrage nur zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder auch bzw nur zwischen den kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer strittig sei, und wonach es genüge, dass die Rechtsfrage für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung sein könne, ist nicht beizupflichten. Diese Ansicht würde dazu führen, dass der Oberste Gerichtshof mit nach dem Standpunkt der Parteien rein abstrakten, theoretischen Rechtsfragen befasst werden könnte. Dies ist aber nicht Zweck des besonderen Feststellungsverfahrens nach § 54 Abs 2 ASGG (RIS-Justiz RS0109383).

Der Antragstellerin ist zwar darin beizupflichten, dass die reine Unterlassung der Einbringung einer Stellungnahme durch den Antragsgegner das Feststellungsinteresse noch nicht beseitigt. Zur Vermeidung einer reinen Gutachtertätigkeit des Obersten Gerichtshofs ist aber zu klären, ob der dem Verfahren zugrunde liegende Rechtsanspruch überhaupt strittig ist. Ist dies nach den Ausführungen des Antragstellers, sonst nach der Aktenlage oder nach den Erklärungen des Antragsgegners nicht der Fall, so kann nicht mehr von einem aufrechten Feststellungsinteresse des Antragstellers ausgegangen werden. Das Fehlen des Feststellungsinteresses führt nach ständiger Rechtsprechung zur Abweisung des Feststellungsantrags (vgl RIS-Justiz RS0117528).

Im Anlassfall hält der Antragsgegner die der Feststellungsklage zugrunde liegende Lösung der Antragstellerin für vertretbar. Er äußert damit kein Interesse an der Verfahrensführung, weshalb von einem zwischen den Parteien strittigen Rechtsanspruch nicht ausgegangen werden kann.

2. Die Stellungnahme der persönlich einschreitenden Pensionisten vom 15. April 2013 war zurückzuweisen, weil im besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 2 ASGG nur kollektivvertragsfähigen Körperschaften Parteistellung zukommt. Um die Parteienlegitimation (Prozessstandschaft) von Einzelpersonen und Belegschaftsorganen abzugrenzen, wurde sie auf die kollektivvertragsfähigen Körperschaften beschränkt, zumal auf diese Weise eine repräsentative Vertretung der beteiligten Personen oder Personengruppen sichergestellt ist. Als Antragsgegner kommt daher ebenfalls nur eine derartige Körperschaft im Rahmen ihres Wirkungsbereichs in Betracht (9 ObA 52/05w).

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