European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133378
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Gegnerin der gefährdeten Parteien ist schuldig, den gefährdeten Parteien deren mit 435,57 EUR (darin 72,59 EUR USt) bestimmte Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Erstantragsteller und die Antragsgegnerin waren verheiratet. Die Zweit‑ bis Viertantragsteller sind deren gemeinsame Kinder. Die Fünft‑ und der Sechstantragsteller sind die Eltern des Erstantragstellers und die Großeltern der Kinder.
[2] Die Ehe der Eltern wurde im Jahr 2014 einvernehmlich geschieden. Im dazu abgeschlossenen Scheidungsvergleich wurde vereinbart, dass beiden Elternteilen weiterhin die gemeinsame Obsorge für die drei Kinder zukommt. Als Hauptbetreuungsort wurde der jeweilige Wohnort der Antragsgegnerin vereinbart. Dem Erstantragsteller kam ein 14‑tägiges Kontaktrecht zu.
[3] Der Erstantragsteller brachte die Kinder nach dem letzten Ferienkontakt, der Ende Juli 2020 geendet hatte, nicht mehr zur Antragsgegnerin zurück. Er beantragte im Juli 2020 die Übertragung der alleinigen Obsorge. Seither führen die Eltern vor dem zuständigen Pflegschaftsgericht ein Verfahren über die Obsorge, den hauptsächlichen Aufenthalt der Kinder und über das Kontaktrecht.
[4] Mit Beschluss vom 12. 4. 2021 hielt das Pflegschaftsgericht die gemeinsame Obsorge aufrecht, legte den Hauptbetreuungsort jedoch beim Erstantragsteller fest und räumte der Antragsgegnerin ein begleitetes Kontaktrecht ein. Es erkannte dem Beschluss gemäß § 44 AußStrG vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu.
[5] Am 9. 5. 2021 veröffentlichte die Antragsgegnerin auf ihrem Facebook‑Account, der öffentlich für jeden Facebook‑Nutzer einsehbar ist, einen Text über ihr Familienleben. Darin führt sie aus, dass sie sich 2014 scheiden habe lassen, sich mit ihrem Ex‑Mann das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Kinder teile und mit den Kindern weggezogen sei. Sie habe die Kinder in ihrem Haus betreut und der Vater habe sein Kontaktrecht ausgeübt. Im Juli 2020 seien die Kinder nach einem Urlaub mit ihrem Papa nicht mehr zu ihr zurückgekehrt. Ihr seien „im Juli plötzlich und aus heiterem Himmel schwerwiegende Dinge vorgeworfen [worden]. Wie richterlich angeordnete Gutachten mittlerweile nachweislich belegen, sind diese Anschuldigungen alle haltlos und unwahr. Aber die Justiz und beteiligte Gutachter zucken mit den Schultern und schauen weg. Warum bekomme ich meine Kinder nicht zurück?“ Sie hinterfragt, ob sie als alleinerziehende Mutter, die sieben Jahre lang die drei Kinder großgezogen habe, „weniger Rechte als ein Mann [habe,] der das große gutgehende elterliche Unternehmen weiterführt?“. Sie habe, obwohl sie nachweislich nichts falsch gemacht habe, ihre Kinder nur hin und wieder mit einer Besuchsbegleitung sehen dürfen. Mittlerweile werde auch das schwieriger und habe zuletzt gar nicht mehr geklappt. Auch die wöchentlichen Telefonate klappten nicht mehr. „Es gelingt doch tatsächlich, die Kinder immer mehr von mir zu entfremden, sie verweigern unsere Treffen, brechen die Telefonate sofort ab. Ich kann nur mutmaßen, warum, ich glaube die Herkunft dieser negativen Motivation gegen mich zu kennen.“ Alle Schritte, die sie bislang gesetzt habe, würden im Sand verlaufen, man höre ihr zu und gebe ihr Recht, aber entschieden werde anders. Sie kämpfe um ihre Kinder und sie wolle sie wieder bei sich haben. Sie könne aber „das alles nicht mehr nur für mich behalten, diese Ungerechtigkeit, die hier mir gegenüber passiert, muss einfach gehört werden“. „Ich bitte euch, teilt es, damit die Welt sieht, was alles falsch laufen kann, wenn man nicht hinschaut.“
[6] Unter diesem Posting sind auf dem Facebook‑Account der Antragsgegnerin Kommentare anderer Nutzer zu lesen. Die Antragsgegnerin als Inhaberin des Accounts könnte die Kommentare löschen. Es haben zumindest 15 Nutzer öffentlich einsehbare Kommentare hinterlassen. Darin heißt es unter anderem:
„[…] anscheinend geht es bei dir darum wer mehr Geld, mehr Beziehungen und dadurch Macht hat. Aber am Ende siegt die Gerechtigkeit ... und in [Wohnort der Antragsteller] wissen Viele darüber Bescheid und geben dir recht!“
„[...] du kennst diese Familie ... [...] eine, wie sie sich selbst nennen,? 'angesehene Unternehmer'? [...] aber leider, scheinbar doch eine entbehrenswerte Partie!!!, bis auf wenige Ausnahmen. [...] Es gilt die Unschuldsvermutung ...“
„Diesen 'ehrenwerten' Großeltern samt 'wunderbarem Vater' g'hört der Marsch geblasen. ... eine Sauerei, den Kindern die Mutter zu entfremden und zu nehmen ... Es wird ihnen retourkommen ... dieser Tag wird dann gefeiert werden ... jedoch ohne Denun ...“
„'ehrenwert' ist ein Synonym für etwas, was man nicht sagen darf ...“
„Eine Frechheit ist das. Kenne deine Ex Schwiegermutter von früher. Der ist der Wohlstand anscheinend schlecht bekommen. ...“
„[...] Eines aber weiß ich das diese sogenannten Großeltern eh ein jeder kennt hier sie sind oberflächlich und falsch. Der Vater steht leider noch immer unter dem Einfluss seiner Eltern [...] echt traurig und zum Schämen.“
[7] Am 28. 5. 2021 schrieb die Antragsgegnerin an den Erstantragsteller, nachdem er ihre Anrufe mehrfach nicht angenommen hatte, eine WhatsApp‑Nachricht, in der sie sich über sein Verhalten beklagt und ihm „verspricht“, dass die Öffentlichkeit erfahren wird, was er tut.
[8] Am 27. 5. 2021 beantragten die Antragsteller, der Antragsgegnerin gemäß § 382g Abs 1 Z 7 EO zu verbieten, unter Verwendung eines Computersystems Tatsachen ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs, insbesondere Umstände, die Gegenstand des Pflegschaftsverfahrens seien, auf ihrem Facebook‑Account oder auf vergleichbare Weise, derart, dass die Beteiligten identifizierbar seien, für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar zu machen. Weiters beantragten sie, der Antragsgegnerin aufzutragen, ihr Posting vom 9. 5. 2021 sowie die dazu veröffentlichten Kommentare, in denen die Antragsteller („Vater“, „Großeltern“, „diese Familie“) genannt würden, auf ihrer Facebook‑Seite zu löschen. Das für jeden Facebook‑Nutzer einsehbare Posting der Antragsgegnerin greife massiv in ihre Privatsphäre ein. Alle Beteiligten hätten denselben Familiennamen und seien im Wohnort der Antragsteller bekannt. Der Inhalt des Postings könne unschwer auf sie bezogen werden. Die Antragsgegnerin unterstelle, dass ihr der Erstantragsteller rechtswidrig die Kinder entzogen habe. Im Posting werde zudem die Familiengeschichte veröffentlicht. Die Antragsgegnerin berichte über das anhängige Pflegschaftsverfahren und über die Einholung eines Sachverständigengutachtens, das sie falsch wiedergebe. Dadurch würden Details aus dem Familienleben öffentlich gemacht, die nur einem eingeschränkten Kreis von Familienangehörigen zugänglich seien. Andere Personen würden unter dem Posting Kommentare hinterlassen, die teilweise massive Anschuldigungen gegenüber dem Erst‑, der Fünft‑ und dem Sechstantragsteller enthalten. Diese seien in ihrem Wohnort bekannt und führten dort ein Unternehmen. Der Ruf der Familie werde durch das Posting geschädigt. Die Anschuldigungen seien teilweise ehrverletzend. Die Antragsgegnerin könne diese Nachrichten auf ihrem Account löschen, lasse sie jedoch öffentlich für jeden sichtbar stehen.
[9] Die Antragsgegnerin trat dem Sicherungsantrag entgegen. Sie wandte ein, der Erstantragsteller unterbinde ihre Kontakte zu den Kindern. Sie solle unter Druck gesetzt werden. Sie berufe sich auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung.
[10] Das Erstgericht erließ antragsgemäß die einstweilige Verfügung für die Dauer eines Jahres. Durch die Veröffentlichung des vollen Namens der Antragsgegnerin und weiterer Umstände aus dem Familienleben seien die Antragsteller für einen größeren Personenkreis unschwer identifizierbar. Dies zeige sich nicht zuletzt aus den Kommentaren, die die Großeltern – Fünft‑ und Sechstantragsteller – betreffen. Der Text unterstelle, dass die Antragsgegnerin sowohl die vom Pflegschaftsgericht getroffene Regelung als auch das ablehnende Verhalten der Kinder ihr gegenüber auf eine unrechtmäßige Einflussnahme des Erstantragstellers und dessen Familie zurückführe. Die Kommentare würden dem Erstantragsteller und dessen Eltern (Fünft‑ und Sechstantragsteller) vorwerfen, die Kinder bewusst von der Antragsgegnerin fernzuhalten und zu entfremden. Dabei handle es sich um Informationen aus dem Privat‑ und Familienleben, die nur einem sehr eingeschränkten Kreis von Personen bekannt seien. Die Vorwürfe gegenüber dem Erst-, der Fünft‑ und dem Sechstantragsteller, sie würden die Kinder bewusst von der Antragsgegnerin fernhalten und entfremden, seien ehrverletzend. Sämtliche Antragsteller, auch die Kinder, hätten ein schutzwürdiges Interesse daran, dass diese Umstände nicht einer unbeschränkten Öffentlichkeit, wozu auch ihre Freunde und Schulkameraden zählten, bekannt würden. Das Posting sei kein Beitrag zu einer allgemein‑gesellschaftlichen Debatte, die über den geschilderten Einzelfall hinausreichen würde. Aus der WhatsApp‑Nachricht vom Mai 2021 lasse sich schließen, dass es der Antragsgegnerin auch darum gehe, durch die Veröffentlichung Druck auf den Erstantragsteller und sein Umfeld auszuüben. Die Durchsetzung von Obsorge‑ und Kontaktrechten habe durch Gerichtsverfahren zu erfolgen und nicht dadurch, dass versucht werde, die öffentliche Meinung für den eigenen Standpunkt zu gewinnen.
[11] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an und führte ergänzend aus, das Posting der Antragsgegnerin enthalte unsachliche Wertungen, Vorwürfe und Unterstellungen, die beim neutralen Leser den Verdacht unrechtmäßiger Einflussnahmen durch den Erst‑, die Fünft- und den Sechstantragsteller aufkommen ließen. Die Antragsgegnerin unterstelle mit ihren Ausführungen zur Entfremdung der Kinder dem Erstantragsteller und seiner Familie unredliche und manipulative Methoden und zeichne ein Charakterbild, dem die Gesellschaft mit Geringschätzung und Abwertung begegne. Sie beschränke sich nicht auf eine sachliche und neutrale Wiedergabe bestimmter Geschehnisse. Ihr Posting diene vor allem dazu, ein bestimmtes öffentliches Meinungsbild über die Antragsteller zu begründen, um gesellschaftlichen Druck auszuüben. Ihr Versuch, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, rechtfertige nicht den Eingriff in die Privatsphäre anderer Personen. Die Antragsgegnerin könne die bereits aufgrund des Postings anzunehmende Wiederholungsgefahr nicht entkräften; diese werde angesichts ihrer nachfolgenden WhatsApp‑Nachricht noch erhärtet. Die verfügten Maßnahmen seien weder unangemessen noch unverhältnismäßig.
[12] Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Rechtsfrage, nach welchen Kriterien die Interessenabwägung zwischen dem Recht auf Privatleben und der durch Art 10 EMRK garantierten Freiheit der Meinungsäußerung vorzunehmen sei, wenn Inhalte aus einem Pflegschaftsverfahren in sozialen Netzwerken veröffentlicht werden, von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sei.
[13] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[14] Die Antragsteller beantragen in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
[15] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.
[16] Die Antragsgegnerin macht (nur) geltend, dass die Interessenabwägung zu Gunsten ihres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung, des Kindeswohls und des Anstoßes zu einer öffentlichen Debatte vorzunehmen sei.
Rechtliche Beurteilung
[17] 1. Da der Antrag vor dem 1. 7. 2021 beim Erstgericht einlangte, sind weiterhin die Bestimmungen in der Fassung vor der Gesamtreform des Exekutionsrechts (GREx) und damit auch § 382g EO in der Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019, BGBl I 2019/105, anzuwenden (vgl § 502 Abs 7 EO).
[18] Die sogenannte „Stalking“‑einstweilige Verfügung nach § 382g EO zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre enthält in Abs 1 einen demonstrativen Katalog der Mittel, mit denen der Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre gesichert werden kann. Die Antragsteller stützen ihren Antrag speziell auf § 382g Abs 1 Z 7 EO. Diese Bestimmung nennt als Sicherungsmittel das „Verbot, insbesondere im Wege der Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems, Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereichs oder Verletzungen der Ehre oder Privatsphäre der gefährdeten Partei ohne ihre Zustimmung für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar zu machen oder zu halten“.
[19] 2. § 382g Abs 1 Z 7 (nach der GREx, BGBl I 2021/86: § 382d Z 7 EO) soll – in Ergänzung der Z 4 zum Verbot der Weitergabe und Verbreitung von personenbezogenen Daten und Lichtbildern der gefährdeten Partei – einen wirksamen Behelf auch gegen sogenanntes „Cybermobbing“ bieten. Mit dieser Bestimmungsind insbesondere die Verbreitung „im Wege der Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems“, zum Beispiel über soziale Medien im Internet, aber auch die „herkömmliche“ Verbreitung, etwa über Plakate, erfasst (Initiativantrag 970/A 26. GP , 45; Pesendorfer, Das Gewaltschutzgesetz 2019 – Änderungen bei den einstweiligen Verfügungen, iFamZ 2019, 367 [370]). Neben Ehrverletzungen (vgl § 107c Abs 1 Z 1 StGB) werden sonstige Verletzungen der Privatsphäre (§§ 16 und 1328a ABGB) auch dann erfasst, wenn es sich dabei nicht um Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereichs handelt, wie zum Beispiel obszöne Bemerkungen oder Beschimpfungen. Solche Äußerungen können, wenn sie in sozialen Netzwerken gepostet werden, im Rahmen des § 382g Abs 1 Z 7 EO verboten und entfernt werden. Da sich der Unterlassungsanspruch unter Umständen auch gegen diejenige Person richten kann, von deren Account aus die Äußerungen getätigt werden, ist daher diese Person auch für eine entsprechende einstweilige Verfügung passivlegitimiert (Initiativantrag aaO 46).
[20] Neben dem Wahrnehmbarmachen (Verbreiten) soll ausdrücklich auch das Wahrnehmbarhalten verboten werden können. Damit kann der Antragsgegner etwa auch dazu verhalten werden, bestimmte digitale Inhalte insbesondere aus dem Internet zu entfernen (Löschung). Dies setzt selbstverständlich voraus, dass ihm die Entfernung oder deren Veranlassung möglich ist (Initiativantrag aaO 46). Dem Antragsgegner kann daher ein aktives Tun auferlegt werden, nämlich dafür zu sorgen, dass die Verletzungen wieder beseitigt werden. Das kann etwa durch Löschen von Bildern oder Beiträgen auf einer Seite eines sozialen Mediums geschehen, aber auch durch die Entfernung von Plakaten oder Teilen davon (Pesendorfer aaO 371; vgl Sailer in Deixler‑Hübner, Kommentar zur Exekutionsordnung, 382g EO Rz 7 [31. Lfg, Dezember 2020]; Mayrhofer in Deixler‑Hübner, Handbuch Familienrecht2 [2020] 220).
[21] 3. Unter „im Wege der Telekommunikation“ in § 382g Abs 1 Z 7 EO ist der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Nachrichten aller Art in Form von Zeichen, Sprache, Bildern oder Tönen mittels dazu dienender technischer Einrichtungen zu verstehen (ErläutRV 689 BlgNR 25. GP , 19 [zu § 107c StGB; Strafrechtsänderungsgesetz 2015]). Computersysteme sind sowohl einzelne als auch verbundene Vorrichtungen, die der automationsunterstützten Datenverarbeitung dienen (vgl § 74 Abs 1 Z 8 StGB). Erfasst sind insbesondere E‑Mails, SMS und Anrufe, aber auch MMS, instant messages, Postings, die Platzierung von Nachrichten und Bildern auf Internetseiten oder Internetplattformen aller Art und die Verbreitung über soziale Netzwerke (Pesendorfer aaO 371).
[22] Der höchstpersönliche Lebensbereich deckt sich mit dem Privat‑ und Familienleben nach Art 8 EMRK und erfasst etwa das Sexualleben, den sensiblen Bereich des Familienlebens, Krankheiten, Behinderungen und religiöse Ansichten (Pesendorfer aaO 371). Eine Verletzung an der Ehre ist jede Verminderung des Ansehens und der Achtung einer Person in den Augen der für sie maßgeblichen Umwelt. Gemeint ist auch in diesem Anwendungsbereich nicht das subjektive „Ehrgefühl“ im Sinn einer größeren oder geringeren Selbstachtung, sondern die Ehre eines Menschen in ihrer objektiven Bedeutung. Der Begriff der Privatsphäre betrifft den persönlichen Lebensbereich eines Menschen, der üblicherweise nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird (RS0125721). Erfasst sind davon etwa auch obszöne Bemerkungen oder Beschimpfungen, die nach § 382g Abs 1 Z 1 EO als Kontaktaufnahme verboten und, wenn sie auf sozialen Netzwerken gepostet werden, nach Z 7 entfernt werden können (Initiativantrag aaO 46; Pesendorfer aaO 371).
[23] Unter einer größeren Zahl von Menschen sind etwa zehn Menschen zu verstehen (ErläutRV 689 BlgNR 25. GP , 20 [zu § 107c StGB; Strafrechtsänderungsgesetz 2015]; Pesendorfer aaO 371).
[24] 4.1. Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO ist nur die Bescheinigung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer „Stalking“‑Handlungen oder anderer unzulässiger Eingriffe in die Privatsphäre. Mit der Anspruchsbescheinigung sind gleichzeitig auch die Anforderungen des § 381 Z 2 EO erfüllt (RS0121887).
[25] 4.2. Im Fall von Persönlichkeitsrechtsverletzungen leitete die Rechtsprechung aus § 16 ABGB Feststellungsansprüche sowie Abwehransprüche ab, nämlich Unterlassungsansprüche, die bei bereits erfolgtem Verstoß auch Beseitigungs‑ und Vernichtungsansprüche umfassen (RS0008994 [T4]; 7 Ob 81/16m mwN). § 20 Abs 1 Satz 1 ABGB idF Hass-im‑Netz‑Bekämpfungs‑Gesetz, BGBl I 2020/148, normiert nunmehr ausdrücklich den bisher schon in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung (dazu ErläutRV 481 BlgNR 27. GP , 7). Der Anspruch auf Unterlassung umfasst nach § 20 Abs 1 Satz 2 ABGB auch den Anspruch auf Beseitigung eines der Unterlassungsverpflichtung widerstreitenden Zustands.
[26] Wer durch einen Gesetzesverstoß einen Störungszustand geschaffen hat, stört weiter, solange dieser Zustand nicht beseitigt ist. Seine Pflicht zum Handeln folgt aus seinem vorangegangenen Verhalten (RS0079560). Wenn sich das widerrechtliche Verhalten des Störers nicht in einer vorübergehenden, abgeschlossenen Handlung erschöpft, sondern einen Dauerzustand herbeigeführt hat, umfasst der Anspruch auf Unterlassung jedenfalls auch das Recht, vom Verpflichteten die Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu verlangen, soweit ihm die Verfügung hierüber zusteht (RS0079560 [T1]). Die Verfügungsbefugnis des Störers ist vom Antragsteller zu behaupten und zu beweisen (RS0079560 [T4]).
[27] 5. Unstrittig ist, dass das Posting der Antragsgegnerin und die Kommentare auf ihrem Facebook‑Account von einer größeren Zahl von Menschen wahrgenommen werden konnten, haben doch zumindest 15 Nutzer die Veröffentlichung kommentiert.
[28] Die Antragsgegnerin vermag keine Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufzuzeigen:
6.1. Allgemeine Grundsätze in der Rechtsprechung:
[29] Steht ein Eingriff in die Privatsphäre fest, trifft den Verletzer die Behauptungs‑ und Beweislast dafür, dass er in Verfolgung eines berechtigten Interesses handelte und dass die gesetzte Maßnahme ihrer Art nach zur Zweckerreichung geeignet war. Stellt sich heraus, dass die Maßnahme nicht das schonendste Mittel war, erübrigt sich die Vornahme einer Interessenabwägung (RS0120423).
[30] Der höchstpersönliche Lebensbereich stellt den Kernbereich der geschützten Privatsphäre dar und ist daher einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich. Dieser höchstpersönliche Kernbereich ist nicht immer eindeutig abgrenzbar, es ist aber davon auszugehen, dass jedenfalls die Gesundheit, das Sexualleben und das Leben in und mit der Familie dazugehören (RS0008990 [T11]; RS0122148).
[31] Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen; es bedarf vielmehr einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (RS0008990; so auch ErläutRV 481 BlgNR 27. GP , 7). Bei Verletzung fremder absolut geschützter Rechte ist schon nach allgemeinen Grundsätzen das Rechtswidrigkeitsurteil nur aufgrund umfassender Interessenabwägung zu finden (RS0022917).
[32] 6.2. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Facebook‑Posting private Details des Familienlebens der Antragsteller bekanntgegeben sowie – trotz Kenntnis – gehässige Kommentare gegen diese geduldet und damit in deren geschützte Privatsphäre eingegriffen.
[33] Dass die Antragsgegnerin in ihrem Posting die Namen der Antragsteller nicht genannt hat, ist unerheblich, weil diese schon aufgrund der Namensgleichheit auch ohne Anführung der Familiennamen identifiziert werden konnten (vgl RS0008998 [T2]). Die leichte Identifizierbarkeit ist auch aus den konkret auf den Erstantragsteller und die antragstellenden Großeltern Bezug nehmenden Kommentaren der Facebook‑Nutzer ersichtlich.
[34] Im vorliegenden Fall sind das Persönlichkeitsrecht der Antragsteller auf Achtung ihrer Privatsphäre und des Familienlebens (vgl Art 8 EMRK) und das Recht der Antragsgegnerin auf freie Meinungsäußerung berührt (Art 10 EMRK). Wenn die Antragsgegnerin meint, ihr Posting diene dem öffentlichen Informationsinteresse, weil sie aufzeige, dass das mangelhaft geführte Pflegschaftsverfahren die Rechtsprechung zur Einschränkung des Kontaktrechts missachte und durch das Pflegschaftsverfahren sowie die negative Beeinflussung der Kinder deren Kindeswohl gefährdet werde, so zeigt sie damit keinen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse auf, geht es ihr doch ausschließlich darum, negative Stimmung gegen die Antragsteller und das Pflegschaftsgericht zu machen. Dass ihr diese negative und beleidigende Stimmungsmache geglückt ist, zeigen nicht zuletzt die als Reaktion auf ihre Mitteilung in den Kommentaren enthaltenen Äußerungen, in denen konkret der Erst‑, die Fünft‑ und der Sechstantragsteller angegriffen und teilweise auch beleidigt werden. Dass sie mit der Veröffentlichung bezwecke, die Kinder vor einer Kindeswohlgefährdung zu schützen, ist nicht nachvollziehbar und kann mit dem Posting gerade nicht erreicht werden. Sie legt auch nicht dar, warum ihr Posting geeignet sein sollte, ihre Obsorge‑ und Kontaktrechte durchzusetzen. Dies kann nur im Rahmen der dafür vorgesehenen gerichtlichen Verfahren geschehen. Damit überwiegt aber eindeutig das Interesse der Antragsteller am Schutz ihrer Privatsphäre das behauptete Interesse der Antragsgegnerin an der freien Meinungsäußerung.
[35] 6.3. Da die Antragsgegnerin durch ihr nach wie vor veröffentlichtes Posting in die Persönlichkeitsrechte der Antragsteller eingreift und auch die ihr zumutbare Löschung der beleidigenden Kommentare nicht veranlasst, ist die Wiederholungsgefahr, die durch ihre WhatsApp‑Nachricht vom 28. 5. 2021 noch verstärkt wird, jedenfalls gegeben. Sie beharrt auch im Prozess darauf, zur Veröffentlichung des Postings berechtigt zu sein. Mit der Behauptung, mit der WhatsApp‑Nachricht habe sie gemeint, sie werde eines Tages möglicherweise ein Buch über ihre Erlebnisse schreiben, vermag sie jedenfalls die Wiederholungsgefahr nicht zu entkräften.
[36] 6.4. Damit sind sowohl die Sicherung des Unterlassungsbegehrens als auch des Löschungsbegehrens mit den Mitteln gemäß § 382g Abs 1 Z 7 EO berechtigt.
[37] Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.
[38] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 393 Abs 2 EO idF BGBl I 2009/40.
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