OGH 7Ob107/24x

OGH7Ob107/24x28.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende unddie Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J* E*, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Z*‑Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. Mai 2024, GZ 33 R 12/24p‑31, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 6. Dezember 2023, GZ 53 Cg 1/23b‑26, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00107.24X.0828.001

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.639,40 EUR (darin enthalten 439,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 2005) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

[…]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

2.1. dass hinreichende Aussicht besteht, in einem Verfahren im angestrebten Umfang zu obsiegen, hat er sich zur Übernahme aller Kosten nach Maßgabe des Artikel 6 (Versicherungsleistungen) bereit zu erklären;

2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1. Für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Unfallversicherungsvertrag gewährte die Beklagte dem Kläger gemäß Art 9.2.2. ARB 2005 Deckung für die eigenen Kosten, lehnte jedoch die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten ab („gemischte Deckungsablehnung“).

[4] Strittig ist im Revisionsverfahren nur die Beurteilung, ob das Klagebegehren des Klägers gegenüber dem Unfallversicherer im Sinn des Art 9.2.2. ARB 2005 keine oder – wovon das Berufungsgericht ausging – entsprechend Art 9.2.1. ARB 2005 doch hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

[5] 1.2. Im Deckungsprozess ist grundsätzlich aufgrund der Klagserzählung und des Versicherungsvertrags zu klären, ob Rechtsschutz zu gewähren ist (7 Ob 161/16a [Punkt 2.]; 7 Ob 123/18s [Punkt 2.]).

[6] 2.1. In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144 [T3]). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0081929 [T3]).

[7] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass dann, wenn der Ausgang im zu deckenden Prozess bei Fehlen einer klaren Gesetzeslage von einer bisher nicht gelösten Rechtsfrage abhängt, dies nicht die Annahme rechtfertigt, dass keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl Art 9.2.2. ARB 2005) besteht (RS0081927 [T6] = RS0081929 [T2] = RS0116448 [T2] = RS0117144 [T4] = RS0124256 [T3]). Eine Vorwegnahme des Ergebnisses des zu deckenden Prozesses im Deckungsprozess durch Klärung der dort gegenständlichen – bisher noch nicht gelösten – Rechtsfragen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten kommt ebenso wenig in Betracht wie die Vorwegnahme der Klärung der Tatfragen (7 Ob 161/16a [Punkt 3.1 und 3.3]; 7 Ob 123/18s [Punkt 3.2]; [24. 8. 2022] 7 Ob 65/22t [Rz 15]). Dies gilt auch für die vorliegende Konstellation.

[8] 3.1. Der erkennende Fachsenat hat sich bereits mit der Frage beschäftigt, unter welchen Umständen eine Erfrierung beim Bergsteigen durch die Unfallversicherung gedeckt ist. Er ist dabei zusammengefasst zum Schluss gekommen, dass Erfrierungen zwar Gesundheitsschädigungen sind, aber – an sich – keine Unfallereignisse, weil Erfrierungen allmählich und gerade nicht „plötzlich“ auftreten. Sie können daher nur dann unter den Versicherungsschutz fallen, wenn sie durch ein Unfallereignis verursacht wurden, weil sich das Erfordernis der Plötzlichkeit lediglich auf das von außen auf den Körper wirkende Ereignis bezieht, nicht jedoch auf die Unfallfolge (Gesundheitsschädigung) (RS0131134; 7 Ob 79/16t [Punkt 3.2.] = SZ 2016/101; 7 Ob 32/17g [Punkt 4.] = SZ 2017/114; 7 Ob 66/20m [Punkt 2.]).

[9] 3.2. In diesem Zusammenhang sprach der Oberste Gerichtshof aber auch aus: Wenngleich das Vorliegen eines Unfalls im Regelfall eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Versicherten voraussetzt, kann eine gleichwertige, ebenfalls zur Annahme eines Unfalls führende Situation dann vorliegen, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von Außen auf den Körper einwirkendes Ereignis – ohne eine Verletzung am Körper – in einer wesentlichen körperlichen Funktionalität (zB Fortbewegungsmöglichkeit) so beeinträchtigt wird, dass er dadurch in eine hilflose Lage gerät, die dann zumindest mitursächlich für den relevanten Gesundheitsschaden ist (7 Ob 32/17g [Punkt 5.4.]).

[10] 3.3. Das Berufungsgericht erachtete den Schwächeanfall eines Bergsteigerkollegen des Klägers (die beide an einer organisierten Expedition teilnahmen), der ein längeres Ausharren in eisiger Kälte zur Folge hatte, ebenso wie den darauffolgenden, von einer anderen Bergsteigergruppe verursachten Stau am Eingang zu einem Pass als Alpinereignisse, die der Kläger bei einem gewöhnlichen Ablauf seines Abstiegs aus dem Hochgebirge nicht hätte vorhersehen müssen. Im Prozess gegen den Unfallversicherer berufe er sich darauf, durch diese Ereignisse vermehrt der Einwirkung von Kälte ausgesetzt worden zu sein, was das Entstehen seiner Erfrierungen gefördert habe. Eine gewisse Ausweglosigkeit sei der Situation, die der Kläger vorbringe und die auf einer unglücklichen Verkettung näher dargestellter Umstände beruhe, nicht abzusprechen.

[11] Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der in der Rechtsprechung des Senats (7 Ob 32/17g) erwogene Ausnahmegrund eines plötzlich von außen ohne unmittelbare Verletzung auf den Körper einwirkenden Ereignisses, durch das der Versicherungsnehmer in einer wesentlichen körperlichen Funktionalität so beeinträchtigt werde, dass er dadurch – unausweichlich – in eine hilflose Situation gerate, die dann zumindest mitursächlich für einen relevanten Gesundheitsschaden sei, nach seinen Behauptungen im Unfallversicherungsprozess vorliegen könnte, ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig. Zum oben wiedergegebenen Sachvorbringen des Klägers fehlte zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

[12] 3.4. Vor diesem Hintergrund erlaubt sich ohne vorgreifende Würdigung der im zu deckenden Prozess zu klärenden Rechtsfrage des Vorliegens eines Unfalls (nach den Bedingungen des Unfallversicherungsvertrags) nicht die Beurteilung, dass das Unterliegen des Klägers wahrscheinlicher ist als sein Obsiegen. Die Voraussetzungen für eine teilweise Deckungsablehnung mangels Aussicht auf hinreichenden Erfolg nach Art 9.2.2. ARB 2005 konnte die Beklagte, wovon das Berufungsgericht vertretbar ausging, damit nicht aufzeigen.

[13] 3.5. Da dem Kläger auf der Grundlage von Art 9.2.1. ARB 2005 Deckung zu gewähren ist, braucht auf von ihm angeschnittene Rechtsfragen zu Art 9.2.2. ARB 2005 nicht eingegangen werden. Ebenso erübrigt sich die von ihm angeregte Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens.

[14] 4. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[15] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen.

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