European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00081.23I.0830.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss des bereits rechtskräftig entschiedenen Teils lauten wie folgt:
„1. Der zwischen der klagenden und der beklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag über das Fahrzeug Audi A4 allroad quattro 2.0 TDI, Fahrzeugidentifizierungsnummer *, vom 8. 2. 2012 wird aufgehoben.
2. Die Klageforderung besteht mit 42.364,56 EUR zu Recht.
3. Die von der beklagten Partei aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung besteht mit 3.150 EUR zu Recht.
4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 39.214,56 EUR samt 4 % Zinsen aus 52.850 EUR von 8. 2. 2012 bis 3. 9. 2019 sowie aus 39.214,56 EUR seit 4. 9. 2019 Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs Audi A4 allroad quattro 2.0 TDI, Fahrzeugidentifizierungsnummer *, zu zahlen.
5. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 3.650 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des genannten Fahrzeugs wird abgewiesen.“
Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 2.806,66 EUR (darin 222,09 EUR Umsatzsteuer und 1.474,12 EUR Barauslagen) an Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger erwarb von der beklagten Händlerin am 8. 2. 2012 einen Neuwagen um einen Kaufpreis von 52.850 EUR. Dieses Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 aus der Euroschadstoffklasse 5 ausgestattet.
[2] Zwischen den Parteien ist nicht mehr strittig, dass das Fahrzeug bei Übergabe einen Mangel in Form der sogenannten „Umschaltlogik“ aufwies, die eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt (21. 2. 2023, 10 Ob 2/23a [Rz 46 ff]; 3 Ob 140/22t [Rz 31 ff]) und dass dieser Mangel im Ergebnis durch das Software‑Update nicht behoben wurde, weil auch danach eine, wenn auch aus einem anderen Grund, unzulässige Abschaltvorrichtung („Thermofenster“) vorhanden ist (21. 2. 2023, 10 Ob 2/23a [Rz 55 ff, 81]; 3 Ob 140/22t [Rz 49 f]; 3 Ob 77/23d [Rz 9]).
[3] Die vom Erstgericht ausgesprochene (und vom Berufungsgericht bestätigte) Aufhebung des Kaufvertrags wegen Wandlung ist mangels Bekämpfung in dritter Instanz ebenso wie der Zuspruch von 22.850 EUR sA in Rechtskraft erwachsen.
[4] Im Verfahren dritter Instanz ebenfalls nicht mehr in Zweifel gezogen oder thematisiert wird das Zurechtbestehen der vom Kläger (unter [Eigen-]Anrechnung eines Benützungsentgelts) geltend gemachten Forderung mit 42.364,56 EUR sA. Wiewohl im dreigliedrigen Urteil die Entscheidung über das Zurechtbestehen der Klagsforderung (hier: soweit sie über den mittlerweile rechtskräftigen Zuspruch hinausgeht) – auch bei Bekämpfung nur der Gegenforderung – für sich nicht in Rechtskraft erwächst (vgl RS0041026 [T8, T10]; RS0040742), ist der vom Ausspruch darüber betroffene Sachantrag mangels jedweder Ausführungen zur Höhe der Klagsforderung in den Rechtsmittelschriftsätzen als abschließend erledigter Streitpunkt anzusehen (vgl 6 Ob 14/23m [Rz 5] mwN). Strittig ist damit im Revisionsverfahren allein die Höhe der auf Benützungsentgelt gegründeten Gegenforderung (und ein sich daraus etwa ergebender weiterer Zuspruch).
[5] Das Erstgericht stellte dazu fest, dass das Fahrzeug eine erwartbare Gesamtlaufleistung von ca 250.000 km aufweist, der Kläger es trotz des Mangels weiter benützte und damit bis zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (Schluss der mündlichen Streitverhandlung) zwischen 64.000 und 65.000 km zurücklegte.
[6] Darüber hinaus hielt es den von ihm als maßgeblich erachteten Händlereinkaufspreis sowie einen „abnützungsbedingten“ Wertverlust fest. Der Kläger habe den Gebrauchsnutzen „Neuheit des Fahrzeugs“ jedenfalls zum Großteil bereits konsumiert, sodass der Beklagten ein angemessenes Benützungsentgelt von 30.000 EUR zustehe.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.
[8] Nur gegen das von ihm als zu hoch angesetzt angesehene Benützungsentgelt (und den daraus resultierenden zu niedrigen Zuspruch) richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers.
[9] Die Revision ist zulässig, weil mit den Entscheidungen der Vorinstanzen von mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berechnung des Benützungsentgelts gerade für derartige Fälle abgewichen wurde, und auch teilweise berechtigt:
Rechtliche Beurteilung
[10] 1. Der Oberste Gerichtshof ist mit ausführlicher Begründung und nach eingehender Auseinandersetzung mit bisheriger höchstgerichtlicher Rechtsprechung und Schrifttum zum Ergebnis gekommen, dass es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Käufer des Kfz die Wandlung nicht zu vertreten hat, sachgerecht ist, der Ausmittlung des Benützungsentgelts die lineare Wertminderung zugrunde zu legen. Der überproportional hohe anfängliche Wertverlust aus dem Verlust der Neuheit der Sache ist nicht dem Käufer, der die Wandlung nicht zu vertreten hat, aufzuerlegen. Dem Umstand, dass es sich um einen Neuwagen handelt, wird durch den gegenüber einem Gebrauchtwagen höheren, die Neuheit reflektierenden Kaufpreis, der in die Ausmittlung einfließt, Rechnung getragen. Der Wert der Gebrauchsnutzung ist daher – auch im vorliegenden Fall – ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (21. 2. 2023, 10 Ob 2/23a [Rz 92 ff]; 9 Ob 68/22y [Rz 31]; 2 Ob 82/23g [Rz 8 ff]; 3 Ob 140/22t [Rz 51 ff]; 3 Ob 142/22m [Rz 56 ff]; 6 Ob 150/22k [Rz 37 ff]; 3 Ob 77/23d [Rz 13]; RS0134263).
[11] 2. Angesichts der erwartbaren Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs und der festgestellten zurückgelegten Kilometerleistung ist im vorliegenden Fall das Benützungsentgelt gemäß § 273 ZPO in Höhe von 13.635 EUR festzusetzen. Unter Berücksichtigung der bereits durch den Kläger erfolgten Anrechnung eines Betrags von 10.485,44 EUR ergibt sich daher letztlich (noch) eine Gegenforderung von rund 3.150 EUR.
[12] 3. Den vom Kläger begehrten Vergütungszinsen trat die Beklagte – worauf schon die Vorinstanzen für die jeweiligen Verfahrensabschnitte hingewiesen haben – weder zur Höhe noch zum Beginn des Zinsenlaufs substantiiert entgegen. Auch die Schriftsätze im Revisionsverfahren enthalten dazu kein Vorbringen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind damit lediglich in Bezug auf das Zurechtbestehen der Gegenforderung (bloß) in Höhe von 3.150 EUR und dem daraus folgenden Zuspruch zu korrigieren.
[13] 4. Der Kläger obsiegt (nur) im Verfahren erster Instanz zu 92 %. Für das Verfahren erster Instanz könnte daher die Anwendung von § 43 Abs 2 ZPO erwogen werden (Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.177). Dann fiele eine komplette Neuberechnung sämtlicher Positionen auf Basis des ersiegten Betrags und damit eingehende Berechnungen an. In solchen Fällen kann der Oberste Gerichtshof in sinngemäßer Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO die Kostenentscheidungen aufheben und dem Erstgericht die Fällung einer neuerlichen Kostenentscheidung auftragen (RS0124588 [T13]; vgl 4 Ob 177/19m [ErwGr 6.2.]; 1 Ob 66/22w [Rz 22]). Dafür spricht insbesondere auch die Überlegung, dass dadurch die Überprüfung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung im Rekursweg ermöglicht wird (6 Ob 96/20s [ErwGr 9.]).
[14] Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren beruht auf § 43 Abs 1 ZPO iVm § 50 ZPO. Der Kläger obsiegt mit 84 %. Es steht ihm in diesem Umfang der Ersatz der Pauschalgebühr und von rund zwei Dritteln der Kosten der Revision zu. Warum der verzeichnete Streitgenossenzuschlag zustehen sollte, ist nicht nachvollziehbar.
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