European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00014.23M.0324.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
I. Das angefochtene Urteil, das im Umfang der Bestätigung der Abweisung eines weiteren Zahlungsbegehrens von 16.266,16 EUR sA (Spruchpunkt 4 des Erstgerichts) unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, wird in Ansehung der Bestätigung des Herausgabebegehrens (Spruchpunkt 3b des Erstgerichts) als Teilurteil bestätigt.
Die Entscheidung über die auf diesen Teil des Klagebegehrens entfallenden Kosten wird der Endentscheidung vorbehalten.
II. Im Übrigen, somit in Ansehung des Zahlungsbegehrens von 45.182,69 EUR sA (Spruchpunkte 1, 2 und 3a des Erstgerichts), werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und dem Erstgericht insoweit die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
In diesem Umfang sind die Kosten des Revisionsverfahrens weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Die klagende GmbH ist seit 1998 Eigentümerin einer Liegenschaft mit mehreren sowohl zu Geschäfts‑ als auch zu Wohnzwecken vermieteten Objekten.
[2] Die Beklagte war bis 20. 5. 2014 geschäftsführende Alleingesellschafterin der Klägerin. Sie nahm bei Abschluss von Mietverträgen von den Mietern die Kautionen zumeist in Form von Barzahlungen entgegen. Manchmal wurde von ihr auch ein Sparbuch übernommen.
[3] Mit Vertrag vom 20. 5. 2014 trat die Beklagte ihre Gesellschaftsanteile ab, wobei es auch zu einem Wechsel in der Geschäftsführung kam.
[4] Die Klägerin begehrt von ihrer ehemaligen Geschäftsführerin die Ausfolgung der von den Mietern in ihrem Namen vereinnahmten (Bar-)Kautionen und eines von einem Mieter übergebenen (Kautions-)Sparbuchs. Auf das Verhältnis zwischen ihr und ihrer ehemaligen Geschäftsführerin seien die Bestimmungen über die Bevollmächtigung gemäß §§ 1002 ff ABGB anzuwenden. Die Beklagte sei als Gewalthaberin verpflichtet, ihr die Kautionen gemäß § 1009 ABGB zu überlassen. Weil sie einen Erfüllungsanspruch nach § 1009 ABGB geltend mache, auf den die 30‑jährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelange, sei Verjährung nicht eingetreten.
[5] Die Beklagte brachte – soweit für das Revisionsverfahren wesentlich – vor, sie habe zu keiner Zeit Kautionen für sich vereinnahmt. Die Kautionen seien allesamt bis auf eine Einzige (gemeint: das Sparbuch) „in die Kassa der Klägerin vereinnahmt worden“ und hätten sich somit mit dem gewöhnlichen Geschäftsvermögen der Klägerin vermischt bzw vermengt. Sie seien „zweckentsprechend“, beispielsweise für „Nichtzahlung von Mieten“, verwendet worden. § 25 Abs 6 GmbHG sei hier lex specialis, weshalb die Ansprüche der Gesellschaft ihr gegenüber wegen des Ablaufs von fünf Jahren vor Klagseinbringung bereits verjährt seien. Darüber hinaus wendete die Beklagte eine Gegenforderung in Höhe von 209.000 EUR bis zur Höhe der Klagsforderung compensando ein, welche sie mit (Mietzinszahlungs-) Rückständen begründete, die noch „der Beklagten zugestanden“ wären, in der Folge jedoch „von der Klägerin inkassiert“ worden seien.
[6] Das Erstgericht traf über den eingangs dargestellten Sachverhalt hinaus Feststellungen zur Entgegennahme von mehreren Barzahlungen der Mieter für Kautionen sowie zur Übergabe von Kautionssparbüchern in zwei Fällen. Weiters stellte es hinsichtlich eines Mieters fest, in welchem Umfang dessen Kaution zur Abdeckung eines Mietzinsrückstands herangezogen wurde, traf aber ansonsten zur Heranziehung von Kautionen zur Abdeckung von Mietzinsrückständen eine Negativfeststellung.
[7] Es erkannte die Klagsforderung als mit 45.184,69 EUR zu Recht, jedoch die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und verhielt die Beklagte zur Zahlung von 45.184,69 EUR sA sowie zur Herausgabe eines Kautionssparbuchs. Das darüber hinaus reichende Zahlungsbegehren von 16.266,16 EUR sA wies es ab.
[8] Den Zuspruch begründete das Erstgericht damit, dass die Beklagte als Gewalthaberin gemäß § 1009 ABGB verpflichtet gewesen sei, allen aus dem Geschäft entspringenden Nutzen dem Machtgeber zu überlassen. Die Kautionen seien solch ein Nutzen; es wäre daher an der Beklagten gelegen, die für die Klägerin vereinnahmten Kautionen zu übergeben. Da die Klägerin gegenüber der Beklagten keinen Schadenersatz, sondern einen Herausgabeanspruch, also einen Erfüllungsanspruch, geltend mache, welcher der 30‑jährigen Verjährung unterliege, komme § 25 Abs 6 GmbHG nicht zur Anwendung. Zur Gegenforderung habe die Beklagte nicht beweisen können, ob und in welcher Höhe für den Zeitraum bis 20. 5. 2014 Mietzinsrückstände bestanden hätten.
[9] Die Abweisung des Zahlungsmehrbegehrens beruhte darauf, dass eine bestimmte Kaution nicht bar, sondern in Form eines Sparbuchs übergeben worden war. Die Klägerin habe aber die Herausgabe dieses Sparbuchs nicht begehrt.
[10] Das Berufungsgericht gab den von beiden Streitteilen erhobenen Berufungen nicht Folge.
[11] Die Bestätigung der Abweisung des Zahlungsmehrbegehrens erwuchs in Rechtskraft; dieser Teil des Klagebegehrens ist damit nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.
[12] Zur Zahlungsverpflichtung und zur Herausgabe des Sparbuchs stützte sich das Berufungsgericht darauf, dass die Kautionen „entgegen der Anordnung in § 16b Abs 1 MRG nicht (mehr) im Vermögen der Klägerin vorhanden“ seien. Ungeachtet einer sachenrechtlichen Vermischung durch Einlage in die Kassa der Klägerin hätte die Beklagte als Geschäftsführerin die Kautionen gemäß § 16b Abs 1 MRG dergestalt anlegen müssen, dass sie der Klägerin immer abgrenzbar zur Verfügung gestanden wären. Es sei daher der Klägerin als Machtgeberin gegen die Beklagte als Machthaberin stets ein in § 1009 ABGB wurzelnder obligatorischer Ausfolgungsanspruch zugestanden, der neben den Barkautionen auch das ausgehändigte Kautionssparbuch umfasst habe.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und teilweise im Sinne des in eventu gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
I. Zur Herausgabe des Sparbuchs
[14] I.1. Die Klägerin stützte sich schon im Verfahren erster Instanz allein auf das zwischen ihr als Machtgeberin und der Beklagten als Machthaberin bestanden habende Bevollmächtigungsverhältnis, aus dem ihr Anspruch nach § 1009 auf Herausgabe des Nutzens resultiere. Dies bekräftigte sie in der Berufungsbeantwortung, in der sie ausdrücklich erklärte, sich nicht auf einen Schadenersatzanspruch zu stützen (weswegen auch die Verjährungsfrist des § 25 Abs 6 GmbHG nicht zur Anwendung käme). Auch in der Revisionsbeantwortung erklärt sie (weiterhin), den Erfüllungsanspruch nach § 1009 ABGB geltend zu machen.
[15] I.2. Die Beklagte erkannte, wie sich aus ihrem Vorbringen mehrfach ableiten lässt, nicht (hinreichend klar), dass Rechtsträger der Mietverhältnisse (immer) die von ihr vertretene Gesellschaft war (und ist). Der Umstand, dass (auch von ihr nicht bezweifelt) zwischen den Mietern und der Klägerin (als Vermieterin) in Bezug auf die Kautionen ein Verhältnis von Machtgeber und Machthaber vorlag/vorliegt, ist kein Ausschlussgrund dafür, dass ein Bevollmächtigungsverhältnis nach §§ 1002 ff ABGB nicht auch zwischen der Klägerin als Gesellschaft und der Beklagten als deren Geschäftsführerin bestand. Die Beklagte unterscheidet nicht immer klar zwischen der den Gesellschaftern zukommenden Position und der Gesellschaft selbst. Ihre insoweit verfehlte Sichtweise (mit der die Grenze zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern „verwaschen wird“) schlägt sich beispielsweise in ihrer Gegenforderung nieder, weil sie offenbar meint, Mietzinsrückstände (die immer nur der Klägerin als Gesellschaft und Vermieterin zustehen konnten) wären „noch“ ihr zugestanden, seien „aber“ von „der Klägerin inkassiert“ worden (womit sie sich offenbar auf die „neuen“ Gesellschafter und deren Verhältnis zu ihr als ehemalige Gesellschafterin bezieht).
[16] I.3.1. Anders als die Beklagte meint, treffen die Pflichten und Rechte aus dem Bevollmächtigungsvertrag nach den §§ 1002 ff ABGB, so auch die Pflicht des Gewalthabers gemäß § 1009 ABGB, allen aus dem Geschäft entspringenden Nutzen dem Machtgeber zu überlassen, auch den Geschäftsführer einer GmbH. § 1009 ABGB kommt nämlich grundsätzlich auch auf organschaftliche Vertreter zur Anwendung (RS0019588; so schon 5 Ob 135/64 JBl 1965, 90 [Ausfolgung von Plänen]; 5 Ob 764/78 SZ 52/158 [Provisionen]; 9 ObA 136/99m [Versicherungspolizze]; Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/Geroldinger ABGB4 § 1009 Rz 4; U. Torggler in U. Torggler, GmbHG [Stand 1. 8. 2014, rdb.at] § 20 GmbHG Rz 2).
[17] I.3.2. Der Herausgabeanspruch des Vollmachtgebers ist Erfüllunganspruch und nicht Schadenersatzanspruch. Er unterliegt der 30‑jährigen Verjährungsfrist (RS0019397; 1 Ob 52/20h [Rz 32]).
[18] I.3.3. Voraussetzung für den Herausgabeanspruch ist, dass der Nutzen dem Geschäftsbesorger zugekommen ist (RS0019312) und dieser ihn nicht dem Gewaltgeber herausgegeben hat.
[19] I.4. Dies ist hier in Bezug auf das Sparbuch der Fall, steht doch fest, dass ein bestimmter Mieter der Beklagten ein Kautionssparbuch übergeben hatte, sie dieses jedoch ihrerseits der Klägerin trotz Aufforderung nicht ausfolgte.
[20] Die in der Revision aufgestellte Behauptung, das Sparbuch sei „nicht mehr vorhanden“ bzw „entwertet worden“, ist als unzulässige Neuerung unbeachtlich und daher genauso untauglich, eine fehlerhafte Beurteilung durch die Vorinstanzen darzulegen, wie die unrichtige Behauptung § 16b MRG sei erst seit 1. 7. 2010 in Kraft (zum Inkrafttreten des mit BGBl I 2009/25 eingeführten § 16b MRG mit 1. 4. 2009 vgl § 49f Abs 1 MRG; zu dessen Anwendung auch auf vor diesem Zeitpunkt abgeschlossene Mietverträge und zur Verpflichtung des Vermieters, zuvor erhaltene Kautionen bis 30. 9. 2009 fruchtbringend auf Sparbüchern zu veranlagen, vgl § 49f Abs 2 MRG). Dieser die Pflichten des Vermieters gegenüber seinem Mieter regelnden Bestimmung kommt aber für den Herausgabeanspruch des Nutzens nach § 1009 ABGB im Verhältnis zwischen der Beklagten als machthabender Geschäftsführerin und der Klägerin als machtgebender Gesellschaft keine Bedeutung zu.
[21] Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist hinsichtlich des Herausgabeanspruchs daher fehlerfrei, das Urteil insoweit als Teilurteil zu bestätigen.
[22] I.5. Die Kostenentscheidung beruht insoweit auf § 52 Abs 4 ZPO.
II. Zu den Barkautionen
[23] II.1. Auch die Barkautionen sind, zumal gar nicht strittig war, dass die Beklagte sie inkassiert hat, ein ihr zugekommener „Nutzen“ iSd § 1009 ABGB. Zum Verhältnis zwischen der Beklagten und der Klägerin als Machtgeberin und Machthaberin und den daraus entspringenden Pflichten kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.
[24] II.2. Da die Klägerin nicht den Ersatz eines der Gesellschaft zugefügten Schadens begehrt und sich allein auf den Erfüllungsanspruch aus dem Bevollmächtigungsverhältnis gemäß §§ 1002 ABGB stützt, ist § 25 Abs 6 GmbHG (für diesen Anspruch) auch nicht lex specialis, bezieht sich diese Norm doch auf Schadenersatzansprüche, nicht aber auf Erfüllungsansprüche.
[25] II.3. Der auferlegten Zahlungspflicht tritt die Revision mit dem Umstand der Vermengung der Bargelder in der Kassa der Gesellschaft entgegen. Sie weist darauf hin, dass – weil diese Gelder bei der Gesellschaft verbliebenseien – ein (Rückforderungs-)Anspruch nicht möglich sei. Dazu hatte sie im Verfahren erster Instanz auch schon vorgetragen, sie hätte die Barkautionen in die Kassa „vereinnahmt“, wo sie sich mit dem gewöhnlichen Geschäftsvermögen der Klägerin vermengt hätten.
[26] Träfe dies zu, hätte die Beklagte, weil die Kassa Teil des Gesellschaftsvermögens ist (konkret des Umlaufvermögens: Brugger, Gesellschaftsvermögen, in RDB Keywords [Stand 11. 10. 2021, rdb.at] Rz 12), durch Einlage in die Kassa der Gesellschaft dieser (bereits damals) den „Nutzen überlassen“. Eine nochmalige Zahlung durch die Beklagte käme dann nicht in Frage, weil der Herausgabeanspruch durch Erfüllung bereits erloschen und das Gesellschaftsvermögen um die eingelegten Barkautionen bereits vermehrt worden wäre, auch wenn diese Mittel später für den Geschäftsbetrieb der Klägerin (damit aber zu deren Nutzen) verwendet worden wären.
[27] Die Klägerin bestritt dieses Vorbringen zur „Vereinnahmung in die Kassa“ und zur „Vermengung mit dem gewöhnlichen Gesellschaftsvermögen“ (erneut); sie hatte zudem ja von Anfang an (und dem Vorbringen der Beklagten diametral entgegengesetzt) dargelegt, die Beklagte habe ihr die Kautionen trotz mehrerer Aufforderungen bisher nicht ausgefolgt.
[28] II.4. Der Feststellung über diese strittige Behauptung der Zuwendung des Nutzens der Barkautionen durch Einlegen in die Kassa der Gesellschaft kommt damit zentrale Bedeutung zu.
[29] Das Erstgericht stellte dazu einerseits (auf Seite 6) fest: „Das Kautionsgeld (Anmerkung: damit sind die danach vom Erstgericht aufgelisteten Barkautionen gemeint) wurde in die Kassa der Gesellschaft gegeben, in der sich nicht nur die Barkautionen befanden. Fielen Zahlungen für die Liegenschaft an, so wurden diese teilweise auch aus der Kassa getätigt“; andererseits wurde aber auch (im letzten Teil der den Sachverhaltsfeststellungen gewidmeten Ausführungen des Ersturteils [Seite 9] und im Anschluss an die Feststellungen, die sich mit dem Gesellschafterwechsel befassen) die Feststellung getroffen: „Die Beklagte übergab der Klägerin keine der aus der Tabelle ersichtlichen vorhandenen Kautionen. Sie übergab auch das Sparbuch von [...] nicht. Im Jänner 2015 wurde hiezu von der Klägerin aufgefordert. Sie kam dem nicht nach“.
[30] Die Feststellungen, die Beklagte habe die Kautionen (bar) in die Kassa der Gesellschaft (= Klägerin) gegeben und die inhaltlich gegenteilige, sie habe der Klägerin keine der Kautionen übergeben, schließen einander aus, sodass (eindeutige) Feststellungen zu einer entscheidungswesentlichen Tatsache in Wahrheit fehlen. In dieser Widersprüchlichkeit liegt ein Feststellungsmangel, dem zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt (vgl RS0042744).
[31] Zur Behebung dieses Mangels – wobei es dem Erstgericht überlassen bleibt, ob es einer Verfahrensergänzung bedarf, um eindeutige Feststellungen treffen zu können – sind die Entscheidungen der Vorinstanzen in Ansehung des Ausspruchs über das Zahlungsbegehren von 45.182,69 EUR sA aufzuheben; dem Erstgericht war die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
[32] Angemerkt sei zuletzt, dass sich die Aufhebung zwar auch auf den Ausspruch, dass die Gegenforderung der Beklagten nicht zu Recht bestehe, zu erstrecken hat, weil dieser Ausspruch in einem mehrgliedrigen Urteil für sich allein nicht in Rechtskraft erwachsen kann (RS0041026 [T5]; RS0040742 [T5, T7]). Allerdings ist der durch diesen Ausspruch betroffene Sachantrag mangels jedweder Ausführungen dazu in der Revision als abschließend erledigter Streitpunkt anzusehen (vgl 10 Ob 25/22g [Rz 28] mwN).
[33] II. 5. Der Kostenvorbehalt beruht insoweit auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.
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