OGH 6Ob66/17z

OGH6Ob66/17z29.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts St. Pölten zu FN ***** eingetragenen D***** GmbH mit dem Sitz in A***** über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und deren Geschäftsführer 1. Dipl.‑Kfm. G***** P*****, 2. Dipl.‑Ing. (FH) H***** O*****, 3. Dipl.‑Ing. L***** P*****, 4. Dipl.‑Ing. J***** G*****, alle vertreten durch Dr. Martin Brandstetter Rechtsanwalt GmbH in Amstetten, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 31. Jänner 2017, GZ 6 R 4/17b‑14, mit dem der Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 28. November 2016, GZ 28 Fr 4944/16d‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00066.17Z.0529.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Zwangsstrafverfahren eingestellt wird.

 

Begründung:

Der Jahresabschluss der Gesellschaft zum 31. 12. 2015 wurde (erst) am 11. 11. 2016 beim Erstgericht elektronisch eingebracht. Bereits zuvor hatte das Erstgericht mit Zwangsstrafverfügungen vom 31. 10. 2016 gemäß § 283 UGB jeweils 700 EUR Strafe über die Gesellschaft und deren vier Geschäftsführer verhängt.

In ihren Einsprüchen gegen diese Zwangsstrafverfügungen brachten die Gesellschaft und die Geschäftsführer unter Anschluss des maßgeblichen E‑Mail‑Verkehrs vor, mit der Einreichung der Jahresabschlüsse (gemeint: nicht nur der Gesellschaft, sondern auch anderer Konzerngesellschaften) sei das Notariat ***** in A***** beauftragt gewesen, welches über Anfrage vom 28. 9. 2016, 10:21 Uhr, am selben Tag um 17:01 Uhr geantwortet habe, „die Jahresabschlüsse [seien] eingereicht“. Dass dies offensichtlich doch nicht geschehen gewesen war, sei ein für die Gesellschaft und die Geschäftsführer unvorhersehbares und damit unabwendbares Ereignis gewesen.

Die Vorinstanzen folgten diesen Einsprüchen nicht und verhängten im ordentlichen Verfahren (wiederum) jeweils 700 EUR Strafe über die Gesellschaft und die vier Geschäftsführer; das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.

In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, der Begriff des unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignisses in § 283 Abs 2 UGB entspreche dem gleichlautenden Begriff in § 146 Abs 1 ZPO, weshalb sich die Organe einer offenlegungspflichtigen Gesellschaft, die die Einreichung des Jahresabschlusses einem Dritten überlassen, dessen Verschulden als Hilfsperson zurechnen lassen müssten. Darüber hinaus treffe die Organe eine Überwachungsverpflichtung des Dritten selbst dann, wenn sie die Einreichung einem Rechtsanwalt, einem Steuerberater oder – wie im vorliegenden Fall – einem Notar übertragen haben; die rechtzeitige Übermittlung der Unterlagen für den Jahresabschluss an diese Personen allein reiche nicht aus. Die Organe hätten sich durch Einsichtnahme in ein entsprechendes Übermittlungsprotokoll zu vergewissern, ob die Einreichung auch tatsächlich durchgeführt wurde; die bloße Nachfrage bei der zu überwachenden Person reiche nicht aus.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats zu § 283 UGB, dass die Organe offenlegungspflichtiger Gesellschaften ihrer Offenlegungsverpflichtung nicht persönlich nachkommen müssen; vielmehr dürfen sie diese auch an Hilfspersonen übertragen. Es ist dann aber ihre Sache, durch zweckentsprechende Organisationsmaßnahmen in ihrem Geschäftsbereich für eine rechtzeitige Erfüllung ihrer Offenlegungsverpflichtungen zu sorgen (RIS‑Justiz RS0127065). Darüber hinaus treffen sie Kontrollpflichten dahin, ob die Einreichung des Jahresabschlusses auch tatsächlich erfolgte, weil Fehler nie gänzlich ausgeschlossen werden können; andernfalls haben sie die Rechtsfolgen des § 283 UGB zu tragen. Die Kontrollpflichten bestehen sowohl gegenüber Mitarbeitern (6 Ob 200/11x) als auch gegenüber berufsmäßigen Parteienvertretern (6 Ob 55/14b). Die Frage, ob die Organe ihren diesbezüglichen Verpflichtungen nachgekommen sind, insbesondere eingeschaltete Hilfspersonen auch ausreichend kontrolliert haben, lässt sich regelmäßig nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantworten (6 Ob 200/11x). Als Kontrollmaßnahmen kommen dabei etwa eine Nachfrage, ob der Jahresabschluss tatsächlich eingereicht wurde, oder eine Einsichtnahme in das Firmenbuch in Betracht (6 Ob 200/11x; 6 Ob 55/14b).

Diesen Verpflichtungen sind die Geschäftsführer im vorliegenden Fall nachgekommen. Auf der Tatsachenebene ist (auch) das Rekursgericht davon ausgegangen, dass beim beauftragten Notariat nachgefragt wurde und von diesem eine positive Rückmeldung bezüglich der Einbringung des Jahresabschlusses erfolgte. Eine weitergehende Überwachungs- und Kontrollpflicht traf die Geschäftsführer hier schon allein deshalb nicht, weil die Aktenlage keinerlei Hinweise darauf bietet, dass dem beauftragten Notariat in der Vergangenheit bereits einschlägige Fehler oder Versäumnisse unterlaufen wären. Dass die Entscheidung 6 Ob 129/11f (ZFR 2011/144 [Urtz] = GesRZ 2012, 134 [Weh]; ebenso 6 Ob 55/14b) bei der Online‑Einreichung des Jahresabschlusses als „Mindesterfordernis die Einsichtnahme in ein entsprechendes Übermittlungsprotokoll“ verlangt, ändert daran nichts. Diese Aussage bezog sich lediglich auf die Frage, wie das Organ auf wirksame Weise zu kontrollieren hat, ob seine Übermittlung auch tatsächlich zustande gekommen ist. Dass das Organ bei Beauftragung eines berufsmäßigen Parteienvertreters dessen Bestätigung, den Jahresabschluss eingebracht zu haben, auch noch durch eine Einsichtnahme in dessen Übermittlungsprotokoll verifizieren müsste, lässt sich den genannten Entscheidungen jedoch nicht entnehmen.

2. Im Wiedereinsetzungsverfahren nach §§ 146 ff ZPO, auf welches sich das Rekursgericht ausdrücklich bezieht, besteht zwar tatsächlich Rechtsprechung, wonach die Partei, soweit es den Vertreter und dessen Verschulden betrifft, die Handlungen (und Versäumnisse) ihres Vertreters grundsätzlich gegen sich gelten lassen muss und dessen Verschulden zu vertreten hat (RIS‑Justiz RS0036729); sie hat sich ein Verschulden ihres Vertreters wie eigenes Verschulden anrechnen zu lassen (RIS‑Justiz RS0111777 [T2]). Dies wird mit § 39 ZPO begründet, wonach sich die Bestimmungen über die Parteien auch auf deren Bevollmächtigte beziehen (RIS‑Justiz RS0036800). Bei Hilfskräften des Vertreters wird regelmäßig darauf abgestellt, ob der Vertreter selbst die Organisation seines Kanzleibetriebs so eingerichtet hat, dass die richtige Vormerkung (etwa) von Terminen und damit die fristgerechte Vornahme von Prozesshandlungen sichergestellt wird (RIS‑Justiz RS0036813 [T3, T7], RS0127149; 7 Ob 18/13t). Auf das Zwangsstrafverfahren nach § 283 UGB lassen sich diese Grundsätze aber nicht unmittelbar übertragen:

Bei der Wiedereinsetzung geht es darum, die prozessualen Folgen der Versäumung einer Frist abzuwenden, die gemäß § 144 ZPO grundsätzlich darin bestehen, dass die Partei von der vorzunehmenden Prozesshandlung ausgeschlossen wird. Diese Präklusion ist keine „Strafe“, sondern eine grundsätzlich verschuldensunabhängige prozessuale Rechtsfolge, die im Interesse einer zügigen Verfahrensführung den Gegner vor einer ungebührlichen Verfahrensverzögerung schützen soll; eine Restituierung ist etwa im Exekutions- oder Grundbuchverfahren generell nicht möglich (vgl Deixler-Hübner in Fasching/Konecny³ II/3 [2015] § 144 ZPO Rz 2 ff). Demgegenüber erfordert die Verhängung einer Zwangsstrafe nach § 283 UGB – auch wenn es sich nicht um „echte“ Strafen im Sinn des Art 6 EMRK handelt (RIS‑Justiz RS0115894 [T11, T12, T13]) – jedenfalls Verschulden zumindest in Gestalt leichter Fahrlässigkeit (vgl bloß 6 Ob 214/15m [ErwGr 3.1.]; RIS‑Justiz RS0123571). Die Auffassung des Rekursgerichts hätte aber die Folge, dass über Gesellschaft und Geschäftsführer eine Strafe verhängt wird, obwohl diese selbst ein Verschulden nicht trifft, sondern sie (lediglich) für das Verschulden des Vertreters bestraft würden. Gesellschaft und Geschäftsführer träfe damit letztlich eine gesetzlich nicht vorgesehene Erfolgshaftung.

3. Damit war aber das Zwangsstrafverfahren einzustellen (vgl ErläutRV 981 BlgNR 24. GP  71; Dokalik/Birnbauer, Das neue Verfahren zur Erzwingung der Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB, GesRZ 2011, 22 [25]; Schuster in Straube, WK UGB § 283 Rz 39; Zib in Zib/Dellinger, UGB III/2 [2015] § 283 Rz 71).

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