European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00052.16I.1024.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin ist Abgeordnete zum Nationalrat, Klubobfrau der Grünen im Parlament und Bundessprecherin der Grünen.
Der Beklagte war Inhaber und Betreiber der Facebookseite „Ö***** F***** P*****“, auf der er Beiträge zur Politik in Österreich veröffentlichte.
Er entdeckte auf einer Facebookseite ein Bild der Klägerin mit dem Bildtext „Schutzsuchende müssen das Recht haben auf Mädchen loszugehen!“ im Bereich der Stirn und „Alles andere wäre rassistisch Flüchtlingen gegenüber!“ im Bereich des Halses der Klägerin. Am 23. 11. 2015 veröffentlichte er dieses Bild samt Bildtext auf seiner Facebookseite mit seiner neben das Bild fett geschriebenen Anmerkung „Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“.
Dieses Lichtbild der Klägerin samt Text auf der Facebookseite des Beklagten wurde von 135 Nutzern mit „mir gefällt das“ kommentiert und von 61 Nutzern „geteilt“, wodurch das Lichtbild der Klägerin mit dem Text auch auf deren Facebookseiten für deren „Facebook‑Freunde“ ersichtlich war.
Die Klägerin vertrat zu keiner Zeit die Meinung, dass Schutzsuchende das Recht haben sollten, auf junge Mädchen loszugehen. Ebenso wenig hat sie jemanden als rassistisch bezeichnet, der Schutzsuchenden ein solches Recht nicht zugestehen wollte.
Mit dem angefochtenen Beschluss erließ das Rekursgericht die begehrte einstweilige Verfügung, mit der dem Beklagten verboten wurde, die Klägerin zeigende Lichtbilder zu veröffentlichen, wenn im Bildtext und/oder in einem beigefügten Kommentar die (sinngleichen) Behauptungen „Schutzsuchende müssen das Recht haben auf Mädchen loszugehen!“ und „Alles andere wäre rassistisch Flüchtlingen gegenüber!“ als Äußerungen der Klägerin aufgestellt und/oder verbreitet werden. Die beanstandete Veröffentlichung sei nach § 78 UrhG unzulässig. Das Lichtbild der Klägerin sei mit einem Bildtext versehen worden, den sie aus politischer Überzeugung völlig ablehne und bekämpfe. Bei dem verwendeten Bildtext handle es sich um eine schockierend ausländerfeindliche, ja menschenverachtende Äußerung, die umso schwerer ins Gewicht falle, als gerade seit Herbst 2015 die Frage der Integration der großen Zahl nach Österreich kommender Flüchtlinge im Brennpunkt der öffentlichen Diskussion stand. Gerade in diesem Zusammenhang sei es in den sozialen Medien zu einer großen Anzahl rassistischer und ausländerfeindliche Äußerungen gekommen. Die politische Debatte sei in den letzten Monaten von diesem Thema beherrscht worden, wobei zunehmend Ängste laut würden, dass die Republik Österreich mit der Integration der großen Zahl von Flüchtlingen überfordert sein könnte. Die Klägerin und die von ihr vertretene Partei setzten sich für Solidarität mit den Flüchtlingen und deren Integration öffentlich ein. Ein Tatsachensubstrat für das abfällige Werturteil über die Klägerin, ihr sei zuzutrauen, dass sie die Ansicht vertrete, Schutzsuchende müssten das Recht haben, auf Mädchen loszugehen, weil alles andere rassistisch gegenüber den Flüchtlingen wäre, sei in keiner Weise erkennbar. Die Äußerung sei als menschenverachtend, rassistisch zu tiefst abzulehnen. Der Beklagte habe keine Tatsachen bescheinigt, auf die sich diese Äußerung stützen könnte. Durch die Unterstellung, der Klägerin sei eine derartige Äußerung zuzutrauen, werde aber keine satirische Verzerrung einer Kritik an der Flüchtlingspolitik der Klägerin geübt. Vielmehr werde die Klägerin selbst herabgesetzt und mit Überzeugungen in Verbindungen gebracht, die sie niemals vertreten würde, im Gegenteil bekämpfend ablehne. Es sei damit der innere Kern der menschlichen Ehre und Menschenwürde der Klägerin verletzt, weil für die herabsetzende Veröffentlichung kein wie immer geartetes Tatsachensubstrat vorliege. Der Beklagte habe die Grenzen der zulässigen Kritik in Form eines Wertungsexzesses überschritten, weil er sich für das von ihm geäußerte abfällige Werturteil, möge er es auch als Satire bezeichnen, nicht auf ein ausreichendes Tatsachensubstrat berufen könne. Vielmehr liege der Schluss nahe, dass durch die Veröffentlichung die Klägerin als Bundessprecherin ihrer Partei herabgesetzt und verunglimpft werden sollte. Die Grenzen zulässiger Kritik seien weit überschritten und damit in berechtigte Interessen der Klägerin eingegriffen worden.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten zeigt keine im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage auf.
§ 78 UrhG verbietet die Veröffentlichung von Personenbildnissen, sofern dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden. Durch diese Bestimmung soll jedermann gegen einen Missbrauch seiner Abbildung insbesondere dagegen geschützt werden, dass sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Missdeutungen Anlass geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt (RIS‑Justiz RS0078161). Das Gesetz legt den Begriff der „berechtigten Interessen“ nicht näher fest, weil es bewusst einen weiten Spielraum offen lassen wollte, um den Verhältnissen des Einzelfalls gerecht zu werden (4 Ob 100/94 mwN ua). Die Beurteilung, ob berechtigte Interessen verletzt wurden, ist darauf abzustellen, ob Interessen des Abgebildeten bei objektiver Prüfung und unter Würdigung des Gesamtzusammenhangs als schutzwürdig anzusehen sind; es kommt nicht darauf an, was mit der Bildnisveröffentlichung beabsichtigt war oder wie sie vom Betroffenen subjektiv aufgefasst wurde, sondern es ist maßgebend, wie die Art der Veröffentlichung vom Publikum verstanden wird (4 Ob 100/94 mwN; vgl auch RIS‑Justiz RS0043508, RS0078077, RS0078088). Eine Verletzung berechtigter Interessen kann dann vorliegen, wenn ein Bild in einem derartigen Zusammenhang veröffentlicht wird, dass damit der (dem) Abgebildeten eine politische Auffassung unterstellt wird, die sie (er) in Wahrheit nicht teilt oder sogar ausdrücklich ablehnt und bekämpft (RIS‑Justiz RS0077941).
Der Rechtsmittelwerber hält den Revisionsrekurs für zulässig, weil das Rekursgericht von der einschlägigen Rechtsprechung – „soweit ersichtlich“ – abweiche und hinsichtlich des „konkreten Sachverhalts, der Beurteilung einer öffentlichen bzw politischen Äußerung zur Frage der 'Flüchtlingspolitik'“, eine Rechtsprechung überhaupt fehle.
Dass die angefochtene Entscheidung „der deutschen Judikatur“ widersprechen soll, vermag eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO nicht zu begründen, ist doch auf den Sachverhalt deutsches Recht nicht anzuwenden.
Entgegen der Meinung des Beklagten ist das Rekursgericht nicht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu satirischen Äußerungen (RIS‑Justiz RS0031735) abgewichen. Es hat diese Rechtsprechung zitiert und nicht verfehlt. Greift eine Satire, der als Kunstform die Verzerrung beziehungsweise Übertreibung der Wirklichkeit immanent ist, in Rechte Dritter, insbesondere deren Ehre ein, bedarf es zunächst der Feststellung des „Aussagekerns“, der auf seine Verletzungseignung zu prüfen ist. Die Verletzung des Kerns der menschlichen Ehre, der Menschenwürde oder des gesamten öffentlichen Ansehens einer Person setzen auch der Satire jedenfalls Grenzen, nicht aber schon jede, wenn auch sonst (außerhalb der Kunstfreiheit) beleidigende Bezeichnung oder Darstellung (RIS‑Justiz RS0031735 [T4]). Im übrigen Bereich hat eine Güterabwägung stattzufinden.
Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung ist eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der konkreten Formulierung in ihrem Zusammenhang abhängt (RIS‑Justiz RS0115693). Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und bildet demnach keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0107768), es sei denn, es läge eine unvertretbare Beurteilung vor (RIS‑Justiz RS0107768 [T1]).
Der Rechtsmittelwerber bekämpft nicht die Beurteilung des Rekursgerichts, dass der Bildtext eine ausländerfeindliche, ja menschenverachtende Äußerung ist. Er setzt sich auch nicht mit der die angefochtene Entscheidung tragenden Begründung auseinander, dass der Beklagte durch seinen Bild- und Textkommentar „Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“ keine satirische Verzerrung einer Kritik an der Flüchtlingspolitik der Klägerin übt, sondern diese selbst herabsetzt, weil für den Kommentar kein ausreichendes Tatsachensubstrat vorliegt.
Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass die Äußerung des Beklagten im gegebenen Bezugszusammenhang die Kundgabe der Missachtung gegenüber der Klägerin enthält, ist jedenfalls vertretbar:
Nach Meinung des Beklagten stellt sogar ein unterdurchschnittlich intellektueller bzw interessierter Leser bei der offenkundig satirisch „verzogenen“ Äußerung den Konnex zur „diesbezüglich sehr offenen“ Integrationspolitik der Grünen und zu den diesbezüglich noch unbeantworteten Fragen der konkreten Umsetzung her. Jedem Leser sei aufgrund der Berichterstattung über die aktuellen politischen Ereignisse die Problematik einer gänzlich anderen Haltung gegenüber Frauen in islamisch geprägten Kulturen gegenwärtig. Dazu, dass die „sehr offene“ Integrationspolitik der Grünen die durch die Äußerung angeblich kritisierte Position umfasste, die Integration muslimischer Männer müsse deren Haltung gegenüber Frauen respektieren und hinnehmen, fehlt jedes Vorbringen des Beklagten. Woraus sich ergeben soll, dass die inkriminierte Äußerung die „Integrationskompetenz“ der Grünen kritisiert, legt der Revisionsrekurs nicht schlüssig dar.
Die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes sind im Allgemeinen weiter gesteckt als bei Privatpersonen, weil sich Politiker unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen (RIS‑Justiz RS0115541). Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art 10 EMRK geht aber ein Werturteil über das hinaus, was in einer politischen Debatte zu tolerieren ist, wenn dem Werturteil eine hinreichende Tatsachenbasis fehlt; sie berücksichtigt bei der Beurteilung, ob ein Werturteil diffamierenden Charakter hat, auch die Art der verwendeten Begriffe und insbesondere die zugrundeliegende Absicht, die andere Seite zu diffamieren oder zu stigmatisieren (zB EGMR Appl no 55495/08 – Genner v Austria Rz 38 f). Von dieser Rechtsprechung ist das Rekursgericht nicht abgewichen. Die Frage, ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist, hängt von den jeweiligen Umständen ab und stellt im vorliegenden Einzelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0113943).
Die behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Dieser Rechtsmittelgrund betrifft nur die Feststellungen, nicht die rechtliche Beurteilung. Dieser liegt zu Grunde, dass der Beklagte das Bild mit dem von einem anderen stammenden Bildtext zustimmend auf seiner Facebookseite mit seinem Kommentar veröffentlichte. Dass er den Bildtext nicht selbst verfasste, ist nicht fallentscheidend.
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