OGH 6Ob41/21d

OGH6Ob41/21d23.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, und deren Nebenintervenienten 1. H***** Ges.m.b.H., *****, und 2. F ***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Peter Karlberger und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 772.682,36 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 2. Februar 2021, GZ 2 R 5/21a‑50, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 27. November 2020, GZ 34 Cg 58/19i‑44, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00041.21D.0623.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass beide Nebeninterventionen zurückgewiesen werden.

Die Erst- und die Zweitnebenintervenientinnen sind jeweils schuldig, der beklagten Partei die mit 3.330,35 EUR (darin enthalten 555,10 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten anteiligen Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die beklagte Partei beauftragte die klagende Partei im Zuge des Zu- und Umbaus eines Hotelgebäudes in Wien mit der Ausführung von Dachgewerken, insbesondere im Bereich Zimmermann-, Spengler-, Dachdecker- und Schwarzdeckerarbeiten. Die Erst- und die Zweitnebenintervenientinnen (als Arbeitsgemeinschaft) wurden von der Beklagten für dieses Bauvorhaben mit der Planung und örtlichen Bauaufsicht (ÖBA) beauftragt.

[2] Die Klägerinbegehrt die Bezahlung des Werklohns für ihre auftragsgemäß erbrachten und bis dato abgeschlossenen Werkleistungen. Die Nebenintervenientinnen hätten auftrags der Beklagten die gelegten Teilrechungen ausdrücklich freigegeben und deren Richtigkeit durch Gegenzeichnung anerkannt. Diese Prüfung und Freigabe durch die vertraglich hierzu befugte ÖBA müsse sich die Beklagte zurechnen und gegen sich gelten lassen. Es sei bereits knapp nach Beginn der Bauarbeiten zu massiven, von der Beklagten zu vertretenden Bauverzögerungen gekommen. Die Klägerin habe die Beklagte unter Hinweis auf § 1170b Abs 1 ABGB aufgefordert, eine Sicherheit in Form einer Bankgarantie zu legen, und für den Fall des ungenützten Verstreichens dieser Frist den Rücktritt vom abgeschlossenen Werkvertrag angedroht. Nach Ablauf der Frist habe sie den Rücktritt erklärt und Schlussrechnung gelegt. Unter Berücksichtigung des ausgesprochenen Vertragsrücktritts und nach Abzug der erhaltenen Teilzahlungen hafte der Klagsbetrag als Gesamtsaldo aus. Die Ordnungsgemäßheit der erbrachten Leistungen und deren fristgerechte Fertigstellung seien auch ausdrücklich von den Nebenintervenientinnen anerkannt und bestätigt worden.

[3] Die Beklagte wendete ein, die Klägerin habe ihre Leistungen aus ausschließlich in ihrer Sphäre liegenden Gründen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt bzw innerhalb der vereinbarten Leistungsfrist, nicht vollständig und teilweise mangelhaft erbracht. Eine „Freigabe“ seitens der ÖBA habe keine Auswirkung auf die Beklagte. Daraus könne ein Anerkenntnis der Leistungen als vertragsgerecht und mängelfrei nicht abgeleitet werden. Die gelegten Rechnungen hätten auch nicht die nötige prüffähige Form aufgewiesen, weil Aufmaßblätter, Pläne, Berechnungen und Zeichnungen gefehlt hätten. Sie seien daher auch nicht fällig. Es werde überdies eine die Klagsforderung übersteigende Gegenforderung aufgrund einer vereinbarten Pönale kompensando eingewendet, zumal die Klägerin erhebliche zeitliche Verzüge zu verantworten und die Arbeiten bisher immer noch nicht fertiggestellt habe.

[4] Die Beklagte verkündete beiden Nebenintervenientinnen den Streit mit der Begründung, die Klägerin habe insbesondere die Gegenforderung betreffend behauptet, sie sei nicht in Verzug geraten. Die Verzögerungen beim Bauvorhaben seien auf fehlende Pläne, Details, Freigabe, Vorgaben und eine unzureichende Koordination vor Ort zurückzuführen. Da die Beklagte diese Aufgabengebiete vertraglich an die Nebenintervenientinnen ausgegliedert habe, müsse sich die Beklagte deren diesbezügliches Fehlverhalten zurechnen lassen. Es sei damit evident, dass für den Fall, dass sich das Vorbringen der Klägerin als stichhältig erweisen sollte, der Beklagten Nicht‑ bzw Schlechterfüllungsansprüche gegenüber den Nebenintervenientinnen zustehen könnten. Auch mit der Rechnungsprüfung und -freigabe seien die Nebenintervenientinnen beauftragt gewesen. Es sei damit weiters evident, dass für den Fall, dass das Gericht zur Ansicht gelangen sollte, dass die unrichtigen Freigaben der Nebenintervenientinnen bezüglich der Rechnungen zu einem Anerkenntnis der Beklagten geführt haben, der Beklagten Nicht‑ bzw Schlechterfüllungsansprüche gegenüber den Nebenintervenientinnen zustehen könnten.

[5] Die Nebenintervenientinnen erklärten, dem Rechtsstreit auf Seite der Klägerin beizutreten. Sie brachten dazu vor, es lasse sich eine vertragliche Anspruchsgrundlage für potenzielle Regressansprüche der Beklagten gegenüber ihnen für den Fall ableiten, dass die von ihnen vorgenommenen Rechnungsprüfungen mit Fehlern behaftet bzw Empfehlungen an die Beklagte, die sachlich und rechnerisch geprüften Rechnungen anzuweisen, zu Unrecht erfolgt seien. Die Beklagte behaupte zudem, dass ihr im Zusammenhang mit den erhobenen Pönaleforderungen Ersatzansprüche gegenüber den Nebenintervenientinnen zustünden, wenn sich im Verfahren herausstellen sollte, dass die von der Beklagten erhobenen Gegenforderungen nicht zu Recht bestünden, weil die Terminverzüge auf fehlerhafte Leistungen der Nebenintervenientinnen zurückzuführen seien. Die Nebenintervenientinnenhätten ein rechtliches Interesse an den im Zusammenhang mit der Rechnungsprüfung, der Koordination der Leistungen vor Ort, der Planlieferungen sowie der aufrechnungsweise von der Beklagten eingewandten Pönaleforderungen vom Gericht zu treffenden Feststellungen. Wenn sich aus diesen bindenden Feststellungen ergeben sollte, dass den Nebenintervenientinnen keine Vorwürfe gemacht werden können, könnten auch keine Regressansprüche der Beklagten gegen die Nebenintervenientinnen entstehen. Aus diesem Grund bestehe ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Klägerin.

[6] Die Beklagte beantragte die Zurückweisung beider Nebeninterventionen. Ein rechtliches Interesse bestehe nur im Verhältnis zur Beklagten, nicht aber gegenüber der klagenden Partei, weil die Nebenintervenienten zu dieser keine rechtliche Beziehung hätten.

[7] Das Erstgerichtwies die Nebeninterventionen ab. Bei Obsiegen der Klägerin sei denkbar, dass den Nebenintervenientinnen ein Regressanspruch der Beklagten drohe. Sie hätten daher ein rechtliches Interesse (nur) am Obsiegen der Beklagten. Ein Regressanspruch der Klägerin gegenüber den Nebenintervenientinnen, der ein rechtliches Interesse am Beitritt auf Seiten der Klägerin begründen könne, liege nicht vor und werde von den Nebenintervenientinnen auch nicht behauptet.

[8] Das Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag der Beklagten, die Nebeninterveniention zurückzuweisen, abwies. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.

[9] Das Rekursgericht war der Ansicht, die Nebenintervenientinnen hätten zwar insoweit ein Interesse am Obsiegen der Beklagten, als dann Ansprüche gegenüber den Nebenintervenientinnen aufgrund des behaupteten, der Beklagten zuzurechnenden Anerkenntnisses nicht mehr drohten. Dies schließe jedoch nicht aus, dass die Beklagte auch in diesem Fall aus der behaupteten fehlerhaften Rechnungsprüfung und ‑freigabe resultierende Nicht- und Schlechterfüllungsansprüche gegenüber den Nebenintervenientinnen erhebe, wie sie es auch bereits angedroht haben. Andererseits sei nicht zu verkennen, dass sich durch das Obsiegen der Klägerin die Rechtslage der Nebenintervenientinnen verbessere, weil damit die Behauptungen der Beklagten betreffend die Unrichtigkeit der Rechnungsprüfung seitens der Nebenintervenientinnen als unrichtig erwiesen werden könnten, wovon die von der Beklagten behaupteten Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis zu den Nebenintervenientinnen berührt würden. Aus der Entscheidung über die eingewendete Gegenforderung könne hingegen kein rechtliches Interesse an der Nebenintervention abgeleitet werden.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil das Rekursgericht im Einzelfall von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist; er ist auch berechtigt.

[11] Die Beklagte macht geltend, der Beitretende könne nur dann wählen, auf welcher Seite er dem Streit beitritt, wenn seine Inanspruchnahme je nach dem Prozessausgang durch den schließlich Unterlegenen denkbar sei. Ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientinnen bestünde hier jedoch lediglich am Obsiegen der Beklagten; eine Inanspruchnahme durch die Klägerin sei nicht denkbar. Ob die Rechnungsprüfung der Nebenintervenientinnen richtig gewesen sei oder nicht, sei für die Entscheidung im Hauptprozess rechtlich nicht relevant. Den Beitritt auf Seiten der Klägerinwürden die Nebenintervenientinnen lediglich mit dem Interesse an der Erzielung bestimmter Beweisergebnisse begründen, was jedoch nicht genüge.

[12] Hiezu wurde erwogen:

[13] 1. Ein rechtliches Interesse hat ein Nebenintervenient dann, wenn sich die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig auswirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über ein bloß wirtschaftliches Interesse hinausgeht (RS0035724). Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen; es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RS0035638). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse daher gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RS0035724 [T3]). Das ist insbesondere im Fall drohender Regressnahme in einem Folgeprozess als Folge des Prozessverlustes der streitverkündenden Partei im Hauptprozess zu bejahen (RS0106173 [T1]). Das bloße Interesse an einer bestimmten Beweislage berührt aber nur wirtschaftliche Interessen und rechtfertigt daher eine Nebenintervention nicht (3 Ob 7/19d; RS0035565 [T1]).

[14] 2. Die Nebenintervention ist zurückzuweisen, wenn schon aus den vorgebrachten Tatsachen kein rechtliches Interesse zu erkennen ist (RS0035638 [T6]). In diesem Sinn hat der Beitretende sein rechtliches Interesse iSd § 18 Abs 1 ZPO zu spezifizieren, insbesondere auch dahingehend, dass es am Obsiegen derjenigen Prozesspartei besteht, auf deren Seite der Nebenintervenient beitritt (3 Ob 7/19d; 3 Ob 211/10s). Die Zulässigkeit der Nebenintervention darf nicht aus anderen als den von der Nebenintervenientin zum Beitritt vorgebrachten Tatsachen abgeleitet werden (RS0035678 [T1]). Soweit über die Erklärung des Nebenintervenienten hinausgehende Tatsachen und Rechtsüberlegungen der Entscheidung zugrundelegt werden, ist dies nicht zulässig (3 Ob 7/19d; 3 Ob 197/19w; RS0035678 [T3]).

[15] 3. Grundlage der hier vorzunehmenden Prüfung ist daher allein die beim Beitritt gegebene Begründung des Interventionsinteresses der Nebenintervenientinnen. Danach liegt im vorliegenden Fall kein rechtliches Interesse am Obsiegen der Klägerin vor:

[16] 3.1 Auf einen möglichen Regressanspruch der Klägerin haben sich die Nebenintervenientinnen beim Beitritt nicht gestützt, sodass auf ein allfälliges darin begründetes Beitrittsinteresse nicht einzugehen ist (vgl 1 Ob 123/18x).

[17] 3.2 Zutreffend hat bereits das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass die bloß von dem rechtlichen Interesse an der Entscheidung über eine im Prozess eingewendete Gegenforderung abgeleitete Nebenintervention sowohl auf Seite des Beklagten wie auch auf Seite des Klägers unzulässig ist (RS0033869). Die Nebenintervenientinnen können ihr rechtliches Interesse am Beitritt daher nicht erfolgreich auf angedrohte Regressansprüche im Zusammenhang mit der erhobenen Gegenforderung stützen.

[18] 3.3 Richtig ist auch die Ansicht des Rekursgerichts, dass die Nebenintervenientinnen ein Interesse am Obsiegen der Beklagten haben, weil dann Regressansprüche aufgrund des behaupteten, der Beklagten zuzurechnenden Anerkenntnisses der gelegten Rechnungen nicht mehr drohen. Ein Obsiegen der Klägerin aus diesem Grund wäre hingegen Voraussetzung für einen Rückgriff der Beklagten gegenüber den Nebenintervenientinnen.

[19] 3.4 Eine Inanspruchnahme der Nebenintervenientinnen durch die Beklagte bloß wegen des Umstands, dass die Rechnungsprüfung mangelhaft war, hängt rechtlich (etwa im Sinn eines Regresses) nicht vom Ausgang dieses Verfahrens ab. Sie könnte sich allein auf deren Vertragsbeziehung gründen und dadurch – wie die Nebenintervenientinnen selbst vorbringen – nur insoweit beeinflusst werden, als sich aufgrund der Beweisergebnisse herausstellten sollte, ob eine fehlerhafte Rechnungsprüfung durch die Nebenintervenientinnen erfolgt war. Damit stützen die Nebenintervenientinnen ihr rechtliches Interesse am Obsiegen der Klägerin aber lediglich auf Auswirkungen auf der Sachverhaltsebene, nämlichaufdie Erzielung bestimmter Beweisergebnisse (vgl 3 Ob 211/10s; 3 Ob 73/10x). Das Interesse, die diesbezügliche Beweislage durch Obsiegen der Klägerin zu verbessern, ist aber ein bloß wirtschaftliches, was für einen Streitbeitritt nicht ausreicht (Punkt 1.).

[20] 4. Damit war der Beschluss des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederherzustellen, dass beide Nebeninterventionen zurückgewiesen werden.

[21] 5. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die Zulassung der Nebenintervenientinnen wird auch dieser kostenersatzpflichtig (RS0035436).

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