OGH 6Ob40/04g

OGH6Ob40/04g26.8.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Univ. Prof. DDr. Johannes H*****, vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Dr. Andreas L*****, vertreten durch Dr. Werner Masser und andere Rechtsanwälte in Wien, und 2. D***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Kammerlander, Piaty & Partner in Graz, wegen Unterlassung einer ehrenrührigen Behauptung, deren Widerrufs, Veröffentlichung des Widerrufs und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 16. Dezember 2003, GZ 2 R 172/03h, 2 R 247/03p-23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 19. Mai 2003, GZ 24 Cg 12/02a-19, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Beklagte hat dem Kläger die mit insgesamt 3.903,14. EUR (darin enthalten 473,69 EUR USt und 1.061 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Leiter der Klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Sterilitätsbehandlung am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien, Vorsitzender der Bio-Ethikkommission der Bundesregierung und Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung. Er ist Doktor der Medizin und der Theologie und war 10 Jahre lang Sekretär von Kardinal Dr. König. Er betreibt eine Ordination für Geburtshilfe und Frauenheilkunde.

Der Erstbeklagte ist Weihbischof der Erzdiözese S*****. Die Zweitbeklagte ist Medieninhaberin der periodischen Druckschrift "D*****". Das Verfahren gegen sie ruht. In der Samstagsausgabe der Zeitung vom 16. März 2002 wurde in der Zeitungsbeilage "Spectrum" ein vom Erstbeklagten (in der Folge: Beklagten) verfasster Leserbrief mit folgendem Wortlaut veröffentlicht:

"Ob sich Gott an Ethik-Kommission halten wird?

'Moralapostel und die Last der Geschichte: In Irland ist Abtreibung

noch ein Politikum', 6. März

Dazu möchte ich klarstellen:

1. Die Diskussion über Abtreibung ist nicht vergleichbar einer solchen über die Abschussquoten in einem Revier, um den Wildbestand konstant zu halten. Vielmehr geht es dabei um das dem Staat vorausgehende Recht auf Leben, das auch dann besteht, wenn die Menschen es missachten.

2. Spöttisch meint der Vf., Abtreibung sei nach katholischer Lehre "des Teufels". Gegenfrage: Wessen sonst soll sie denn sein?

3. Es ist ein widersprüchliches, morbides Denken, das Suizid für schlecht, die Zerstückelung eines Kindes im Mutterleib hingegen für gut und das Austragen eines Kindes wiederum für schlecht hält.

4. Der Vf. sollte bemerkt haben, dass nicht nur die Iren, sondern auch der österreichische Gesetzgeber Abtreibung für "unethische Praxis" hält: Bei uns wird sie zwar nicht bestraft, ist und bleibt aber unerlaubt - warum wohl?

5. Um sich eine Auseinandersetzung mit der Kirche zu sparen, teilt der Vf. dem Leser mit: Die Kirche "wettet gar von der Kanzel". Pfui, nein so etwas, was für ein kindisches Verhalten von der Kirche ... In der Vorstellung des Vf. war Moses wohl nur als "Privatperson" am Sinai, zum Bergsteigen oder wozu auch immer. Gebote von Gott? Sind nicht vorgesehen und sicher nicht EU-konform. Wir haben die Trennung von Staat und Kirche, dabei ist das Denken dem Staat zugefallen und jetzt macht der Staat Ethik-Kommissionen zur Versorgung der Bevölkerung mit Moral, natürlich "getrennt" von Gott, Moses und der Kirche. Der bekannte Vorsitzende einer solchen Kommission treibt selbst ab und verbreitet seine Abtreibungs-Technik im Internet. Zudem hat der Mann einen akademischen Titel der theologischen Fakultät und stand einmal im kirchlichen Dienst ... Ob sich Gott bei seinem Gericht an Ethik-Kommissionen wohl halten wird?

6. Der Vf. meint, in Irland würden die Uhren zurückgedreht. Im Gegenteil, das Land ist fortschrittlich, weil menschlich in seinen Gesetzen. Übrigens, Afghanistan hat man jetzt via finanzieller Erpressung durch bestimmte Instanzen der UNO ein liberales Abtreibungsgesetz aufgezwungen - im Namen der Freiheit, versteht sich. So freilich haben die Taliban auch schon argumentiert. Weihbischof Andreas L*****

*****"

Der Kläger begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerung, der Kläger würde selbst Abtreibungen durchführen und/oder sinngleiche Äußerungen zu unterlassen sowie den Widerruf dieser Äußerung gegenüber den Lesern der periodischen Druckschrift "D*****" und die Veröffentlichung des Widerrufs in dieser periodischen Druckschrift. Weiters begehrte er die Zahlung von 500 EUR aus dem Titel des Schadenersatzes und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Schäden, die dem Kläger wegen der im Leserbrief aufgestellten Behauptungen, er führe Abtreibungen durch, in Hinkunft entstünden. Diese Behauptung sei unwahr. Sie sei ehrenbeleidigend und kreditschädigend. Dass der Kläger Adressat des Vorwurfs sei, sei aufgrund des Hinweises auf seinem Beruf als Gynäkologe und seine Funktion als Vorsitzender der Ethikkommission auch ohne ausdrückliche Namensnennung erkennbar. Nach dem Verständnis der Leser der Zeitung beginne die Schwangerschaft mit der Nidation, der Einnistung des befruchteten Eies in die Gebärmutterschleimhaut. Die Position der katholischen Kirche, wonach bereits mit dem Eindringen des männlichen Samens in die weibliche Eizelle menschliches Leben im Sinn der Rechtsordnung entstehe, sei verfehlt. Die katholische Morallehre und der darin verwendete Begriff der Empfängnis seien selbst den gebildetsten Lesern der Zeitung "D*****" nicht bekannt. Die Verwendung der "Pille danach", die die Einnistung verhindere, sei kein Schwangerschaftsabbruch. Der Umstand, dass die im Zusammenhang mit der Invitro-Fertilisation, die der Kläger anbiete, nicht transferierte Embryonen nach einem Jahr vernichtet werden müssten, habe mit einer Abtreibung nichts zu tun. Auch nach der katholischen Morallehre sei es nicht einhellige Meinung, dass die "Pille danach" eine strafbare Abtreibung darstelle. Die Nennung des Namens des Klägers in einer Studie betreffend Abtreibungen im zweiten Schwangerschaftsdrittel sei darauf zurückzuführen, dass an jener medizinischen Abteilung, an der er tätig sei, Studien über die Physiologie des Stickmonoxyds im Zusammenhang mit der gewünschten Gewebeerweiterung während des Geburtsvorgangs durchgeführt worden seien. Die in dieser Studie erwähnten, medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüche erfolgten nicht an der von ihm geleiteten Abteilung, sondern an der Abteilung für Pränataldiagnostik. Der Kläger habe wegen des Leserbriefs einige Patientinnen verloren. Der dadurch entstandene Schaden betrage mindestens 500 EUR. Da mit dem Fernbleiben weiterer Patientinnen zu rechnen sei, habe er ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Der Beklagte habe es unterlassen, den Kläger vor Erhebung des Vorwurfs zu kontaktieren und habe daher auch schuldhaft gehandelt.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die vom Kläger befürwortete "Pille danach" bewirke eine Abtreibung im Sinn der Tötung menschlichen Lebens nach der Erzeugung. Diese Ansicht entspreche der katholischen Ethik. Der informierte Durchschnittsleser der Zeitung "D*****" erkenne, dass der Vorwurf der Abtreibung nicht im engen strafrechtlichen Sinn, sondern im biologisch-ethischen Sinn unter dem Aspekt der katholischen Moralethik gemeint sei. Der Kläger habe an einer Studie zum Thema Abtreibung bei eugenischer Indikation im zweiten Schwangerschaftsdrittel mitgearbeitet und sei als Co-Autor der Studie genannt worden. Auch mit den Methoden der künstlichen Befruchtung (Screening) und der pränatalen Diagnostik empfehle der Kläger Methoden, die das Ziel hätten, ungeborenes Leben zu vernichten und vermittle allenfalls Frauen zu ausführenden Kollegen, sodass er Mittäter im Sinne der kirchlichen Moral sei. Weiters seien die für die Invitro-Fertilisation bereitgehaltenen Embryonen nach einem Jahr zu vernichten. Die der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, deren Vizepräsident der Kläger sei, nahe stehende "International Planned Parenthood Federation" propagiere Abtreibungen. Die englische Fassung der Homepage der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung nenne als Ziel unter anderem die Förderung der Abtreibung. Aus all diesen Gründen sei die hier strittige Behauptung wahr. Der Beklagte habe dem Kläger nicht die Tötung menschlichen Lebens nach erfolgter Nidation, sondern die Abtreibung im Sinn der Tötung menschlichen Lebens nach der Zeugung vorgeworfen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren - mit Ausnahme eines Zinsenteilbegehrens - statt. Es traf noch folgende Feststellungen:

Neben dem Leserbrief des Beklagten erschienen auf der selben Seite der Zeitungsbeilage sechs Leserbriefe zu unterschiedlichen Themen. Die Mediaanalyse 2000 weist für die Tageszeitung "D*****" für Samstagausgaben einen Jahresdurchschnittswert von 432.000 Lesern (pro Nummer) aus. Knapp die Hälfte der Leser stammt aus Wien. Bezogen auf das Jahr 2001 gaben 73,6 % der österreichischen und 49,2 % der Wiener Wohnbevölkerung an, römisch-katholischen Glaubens zu sein. Nach dem Katechismus der Katholischen Kirche ist das menschliche Leben vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen. Schon im ersten Augenblick seines Daseins ist dem menschlichen Wesen das Recht der Person zuzuerkennen. Nach der katholischen Morallehre und auch der Ansicht des Erstbeklagten als ihren Vertreter ist unter Abtreibung jegliche Form der Vernichtung menschlichen Lebens ab dem Zeitpunkt der Empfängnis, somit bereits vor der Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut zu verstehen. Auch der Einsatz der "Pille danach", die die Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut verhindert, ist nach dem Verständnis der katholischen Morallehre Abtreibung. Nach dem Lexikon für Theologie und Kirche, herausgegeben von Josef Höfer und Karl Rahner, ist unter Abtreibung moraltheologisch jedwede direkte Tötung der Leibesfrucht, also nicht nur die gewollte und direkt herbeigeführte Ausstoßung, sondern auch ihre direkte Tötung im Mutterschoß zu verstehen. Das Wort "Abtreibung" bedeutet nach dem Duden "die Leibesfrucht aus der Gebärmutter entfernen und dadurch die Schwangerschaft abbrechen".

Der Kläger hat selbst niemals Abtreibungen im Sinn letzterer Definition durchgeführt. Er beendet weder Schwangerschaften im Sinn einer Tötung der Leibesfrucht noch befürwortet er einen solchen Schwangerschaftsabbruch. An der Abteilung für Pränataldiagnostik des Allgemeinen Krankenhauses Wien wurde eine Studie mit dem Ziel durchgeführt, ob durch Anwendung einer bestimmten Methode das Einleitungs-Abortus-Intervall bei Frauen im zweiten Schwangerschaftsdrittel verkürzt wird. Die Untersuchungen wurden an 40 Patientinnen, die sich aufgrund chromosomaler Aberrationen oder anderer Fehlbildungssyndrome zur Beendigung der Schwangerschaft entschieden hatten, durchgeführt. In einer im Internet abrufbaren Veröffentlichung dieser Studie wurde auch der Kläger als Mitautor genannt. Er hatte jedoch mit dem klinischen Teil der Arbeit nichts zu tun und war in die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen persönlich nicht eingebunden. Er wurde entsprechend den Usancen derartigen Veröffentlichungen als Co-Autor genannt, weil die vom im geleitete Abteilung an der Physiologie des Stickmonoxyds forscht, die bei der in der Studie untersuchten Methode eine Rolle spielt. Der Kläger ist der Überzeugung, dass die "Pille danach" ein mit den christlichen Grundwerten zu vereinbarendes Notfallskontrazeptivum sei. Seiner Meinung nach beginnt die Schwangerschaft erst mit der Nidation. Er lehnt die Position der Katholischen Kirche, wonach bereits nach dem Eindringen des männlichen Samens in die weibliche Eizelle menschliches Leben entstehe, ab. Der Kläger bietet künstliche Befruchtung an. Dabei müssen eingefrorene Embryonen, soweit sie nicht in den Mutterleib eingesetzt werden, nach einem Jahr vernichtet werden. Die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung, deren Vizepräsident er ist, bietet Informationen über die Verhütung und Vermeidung unerwünschter Schwangerschaften an. In der englischen Fassung ihrer Homepage wird als Ziel der Gesellschaft unter anderem der Zugang zu leistbarer und sicherer Empfängnisverhütung und zu sicherer und legaler Abtreibung genannt.

Die Ordination des Klägers wird pro Öffnungstag von 15 bis 20 Patientinnen aufgesucht. Das Honorar des Klägers beträgt pro Patientin 120 EUR. Aufgrund des strittigen Leserbriefs hat der Kläger mindestens 5 Patientinnen verloren, weil sie der Ansicht waren, er führe Abtreibungen im Sinn einer Tötung der Leibesfrucht durch. Es ist nicht auszuschließen, dass er weitere Patientinnen verlieren oder weniger neue Patientinnen gewinnen wird. Anlässlich eines Vortrags des Klägers zu Fragen der Ethik war es ihm nicht möglich, mit dem Vortrag zu beginnen. Einer der Zuhörer schwenkte eine Ausgabe der "P*****" in der Hand, rief dem Kläger zu, er treibe ab und habe keine Berechtigung, zu ethischen Fragen zu sprechen und hielt ihm vor, Schwangerschaften durch Kürettage zu beenden.

Der Beklagte nahm aufgrund der Nennung des Namens des Klägers im Zusammenhang mit der im Internet veröffentlichten Studie der Abteilung für Pränataldiagnostik des AKH Wien an, dass der Kläger selbst Abtreibungen vorgenommen oder an diesen mitgewirkt habe. Er nahm vor der Veröffentlichung seines Leserbriefs keinen Kontakt mit dem Kläger auf. Hätte er dies getan, hätte er erfahren, dass der Kläger keine Abtreibungen im Sinn der Entfernung der Leibesfrucht aus der Gebärmutter vornimmt, welche Einstellung der Kläger zu Fragen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Abtreibung einnimmt und aus welchen Gründen der Kläger als Mitautor der genannten Studie aufscheint.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass der Beklagte im strittigen Leserbrief nicht ausreichend deutlich dargelegt habe, ob er dem Kläger Abtreibung nach dem moraltheologischen Verständnis der Katholischen Kirche oder im strafrechtlichen Sinn und der Definition im Duden entsprechend vorwerfe. Er vertrete zwar in einzelnen Abschnitten katholische Positionen, spreche aber von der "Zerstückelung eines Kindes im Mutterleib" und davon, dass Abtreibung vom österreichischen Gesetzgeber für unerlaubt erklärt sei. Es sei davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Teil unbefangener Leser, sei er politisch, religiös und ethisch interessiert oder uninteressiert, diese Äußerung dahin verstehen werde, dass der Kläger Schwangerschaftsabbrüche im Sinn einer Entfernung der Leibesfrucht aus der Gebärmutter durchführe. Im Zweifel müsse der Beklagte die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen. Der Vorwurf, der Kläger nehme Abtreibungen vor, sei unter dem Gesichtspunkt, dass Abtreibungen grundsätzlich rechtswidrig seien, sowohl ehrenbeleidigend als auch kreditschädigend. Die vom Beklagten aufgestellte Behauptung sei unwahr. Dem Beklagten sei fahrlässige Unkenntnis der Unwahrheit vorzuwerfen, weil er eine Kontaktaufnahme mit dem Kläger oder eine entsprechende Recherche unterlassen habe, die ihn in Kenntnis der Unrichtigkeit der Behauptung gesetzt hätte. Allein aus der Nennung des Klägers als Co-Autor der genannten Studie habe der Beklagte nicht den Schluss ziehen dürfen, der Kläger führe selbst Abtreibungen durch oder wirke daran mit. Dem Kläger stehe daher auch der verschuldensabhängige Anspruch auf Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs sowie auf Ersatz des durch die strittige Äußerung entstandenen Schadens zu. Dass ein darüber hinaus gehender Schaden eintreten werde, sei nicht unwahrscheinlich.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Beklagte habe im Leserbrief eindeutig klar gestellt, dass er die katholische Lehre vertrete, wie sich insbesondere aus den in den Punkten 1. und 2. gebrauchten Formulierungen ergebe. Da der Beklagte in seinem Leserbrief die - auf die Bibel gegründete - römisch-katholische Position vertrete und sich mit der gegenteiligen staatlichen Auffassung kritisch auseinandersetze, sei klar, dass die von ihm gebrauchten Ausdrücke nicht den staatlich-ethischen Definitionen, sondern der römisch-katholischen Morallehre entsprächen. Demnach sei das menschliche Leben vom Augenblick der Empfängnis an zu schützen, und es betreibe Abtreibung, wer dies unterlasse oder menschliches Leben erst ab der Einnistung des befruchteten Eies in die Gebärmutterschleimhaut schütze, zuvor aber vernichte. Da der Kläger solche Handlungen, wie er zugestanden habe, vornehme, treibe er im Sinn des Standpunktes der Römisch-katholischen Kirche ab. Der vom Beklagten erhobene Vorwurf sei somit wahr. Auch in Punkt 5. des Leserbriefs komme ganz deutlich zum Ausdruck, welche Position der Beklagte einnehme, stelle er doch die vom Staat eingerichtete Ethikkommission zur Versorgung der Bevölkerung mit "Moral" als Gegensatz zu Gott, zu Moses und zur Kirche hin. Der "offizielle" Standpunkt der Römisch-katholischen Kirche könne auch dem Katechismus entnommen werden. Es sei unrichtig, dass die Römisch-katholische Kirche in ihrer Lehre uneinig sei, nur weil manche Theologen anderer Ansicht seien. Der Beklagte vertrete jedenfalls im Leserbrief den einheitlichen offiziellen römisch-katholischen Standpunkt, der aufgrund zahlreicher Publikationen zur Empfängnisverhütung allgemein bekannt sei. Scheine eine Person als Autor oder Mitautor einer Studie auf, ohne dies sofort zu dementieren, könne ohne weiteres angenommen werden, dass die Studie oder ein beträchtlicher Teil davon tatsächlich von der genannten Person stamme und dass sich diese mit der Studie identifiziere. Es sei daher nicht ersichtlich, warum der Beklagte mit dem Kläger Kontakt aufnehmen hätte sollen. Dass sich der Beklagte nicht weiter erkundigt habe, begründe keine Fahrlässigkeit. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs übereinstimme. Die Revision des Klägers ist jedoch zulässig, weil das Urteil des Berufungsgerichts mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 1330 ABGB nicht in Einklang zu bringen ist. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Ein auf § 1330 ABGB gestützter Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass der in Anspruch Genommene unwahre Tatsachen verbreitet hat. Unwahr ist eine Äußerung nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn ihr sachlicher Kern im Zeitpunkt der Äußerung nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Gegenstand des Wahrheitsbeweises ist nicht der vollständige Beweis der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung; es genügt der Beweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns (6 Ob 328/99z ua). Der Wahrheitsbeweis ist schon dann als erbracht anzusehen, wenn er den Inhalt der Mitteilung im Wesentlichen bestätigt (RIS-Justiz RS0079693). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung die innerstaatlichen Gerichte zu beachten haben (6 Ob 47/02h), legt zu Gunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) und des Interesses der Öffentlichkeit an der Diskussion von Fragen allgemeinen Interesses einen großzügigen Maßstab an (6 Ob 296/02a = MR 2003, 27 mwN). Für die Interessenabwägung ist auch die Gewichtigkeit des Themas, zu dem die zu beurteilende Kritik geäußert wurde, von Bedeutung (SZ 71/96). Ein Beitrag im geistigen Meinungskampf zur Willensbildung in einer die Öffentlichkeit besonders berührenden Frage ist wegen der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn die geäußerte Meinung extrem erscheint (6 Ob 244/02d). Selbst im politischen Meinungsstreit kann aber ein Werturteil ohne jede unterstützende Tatsachengrundlage exzessiv sein (6 Ob 238/02x = MR 2002, 381). Nichts anderes kann im Meinungsstreit zu Themen von besonderem öffentlichen Interesse zwischen in der Öffentlichkeit stehenden und der Allgemeinheit durch die Medienberichterstattung bekannten Personen gelten. Auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit vermag eine unrichtige, in schutzwürdige Interessen des von der Äußerung Betroffenen eingreifende Aussage nicht zu rechtfertigen (RIS-Justiz RS0032201). Der Kläger hat den Beweis erbracht, dass er niemals Abtreibungen im Sinn eines Schwangerschaftsabbruchs nach der Nidation des befruchteten Eies durchgeführt hat. Der Beklagte rechtfertigt den Vorwurf, dass der unschwer zu identifizierende Kläger (vgl RIS-Justiz RS0031757) Abtreibungen durchführe, sinngemäß damit, die Formulierung sei eine Wertung des Verhaltens des Klägers, Methoden zur Verhinderung der Nidation wie die "Pille danach" anzuwenden oder zu befürworten, künstliche Befruchtung anzubieten (weil eingefrorene Embryonen nach Jahresfrist vernichtet werden müssen) und einer Institution vorzustehen, die die Abtreibung billigt. Entscheidend ist daher, ob diese Interpretation des Begriffs "Abtreibung" unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts des Artikels, auf den bei der Beurteilung, ob eine Tatsachenbehauptung wahr ist, abzustellen ist, dem Verständnis der Leser der Zeitung entsprach. Es kommt darauf an, ob diese klar erkennen konnten, dass damit nicht der Vorwurf des Schwangerschaftsabbruchs nach Nidation, sondern (ausschließlich) der Vorwurf, schon die Einnistung des befruchteten Eies zu verhindern, um ungewünschten Schwangerschaften entgegen zu wirken, zum Ausdruck kommen sollte.

Die Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung kann auch in der Unvollständigkeit des bekanntgegebenen Sachverhalts liegen, wodurch ein falscher Eindruck erweckt wird (RIS-Justiz RS0031963; 4 Ob 391/86; 6 Ob 238/02x). Ist der Bedeutungsinhalt einer Äußerung mehrdeutig, hat der Beklagte die ungünstigste Auslegung gegen sich gelten zu lassen (RIS-Justiz RS0079648). Dass von einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung der Vorwurf, ein Arzt treibe selbst ab, nicht oder zumindest nicht in erster Linie der Sinn beigemessen wird, dass der Arzt die "Pille danach" verordnet oder sonstige Methoden zur Verhinderung der Nidation anwendet, sondern Schwangerschaftsabbrüche im strafrechtlich relevanten Sinn vornimmt, hat schon das Erstgericht zutreffend dargelegt. In der heutigen Strafrechtslehre ist unbestritten, dass aus strafrechtlicher Sicht die Schwangerschaft erst mit der Nidation beginnt und nicht schon auf den Zeitpunkt der Empfängnis abzustellen ist, sodass die Verwendung nidationshemmender und antikonzeptioneller Mittel nicht unter den Begriff des Schwangerschaftsabbruchs fällt (Eder-Rieder in Wiener Komm.z.StGB² § 96 Rz 7 mwN). Es wird auch aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerung nicht klar, dass es um die subtile Frage geht, ab wann menschliches Leben beginnt. Vielmehr hat der Beklagte mit der der strittigen Passage vorangehenden Wendung über die "Zerstückelung eines Kindes im Mutterleib" für einen unbefangenen Leser ein ganz bestimmtes Verständnis des Ausdrucks "Abtreibung" im Bezug auf seinen nachfolgenden Vorwurf, "der bekannte Vorsitzende ... treibt selbst ab" festgelegt. Zudem hat er auch auf den österreichischen Gesetzgeber verwiesen, der Abtreibung für eine "unethische Praxis" halte, die zwar nicht bestraft werde, aber unerlaubt sei. Solche Formulierungen erwecken beim Leser die Assoziation zu den seinerzeit heftig diskutierten und noch immer für Kontroversen sorgenden "Abtreibungsparagraphen" des Strafgesetzbuches (§§ 96 bis 98 StGB) und nicht zur zivilrechtlichen Frage der Rechtsfähigkeit (§ 22 ABGB). Es findet sich im gesamten Artikel kein Hinweis darauf, dass der Vorwurf der Abtreibung nur im dem Sinn zu verstehen sei, dass der Kläger Methoden zur Schwangerschaftsverhütung durch Verhinderung der Nidation anwende. Es wird nicht einmal ausgeführt, dass solche Methoden von der Katholischen Kirche bereits als Abtreibung angesehen werden. Selbst wenn der Text des Leserbriefs fraglos erkennen lässt, dass der Beklagte (zumindest auch) als Repräsentant der Katholischen Kirche gegen die Abtreibung Stellung bezieht und die katholische Lehre verteidigt und selbst wenn man unterstellt, dass den politisch interessierten und entsprechend gebildeten Lesern der Samstagbeilage der "P*****" geläufig ist, dass nach der katholischen Lehre menschliches Leben schon mit der Befruchtung der Eizelle beginnt, ist doch die strittige Passage im Gesamtzusammenhang zumindest im Zweifel dahin zu verstehen, dass der Kläger (auch) im strafrechtlich relevanten Sinn Abtreibungen vorgenommen habe. Überhaupt keine Anhaltspunkte bietet der Leserbrief dafür, der Beklagte habe mit dem Vorwurf der Abtreibung lediglich die Tatsache einer kritischen Wertung unterziehen wollen, dass der Kläger einer Organisation vorsteht, die direkt oder indirekt Abtreibungen befürwortet und dass er künstliche Befruchtungen vornimmt.

Die strittige Behauptung ist daher - beurteilt nach dem Gesamtzusammenhang und dem Verständnis der Leser - unwahr. Sie fiel zwar in einer öffentlich ausgetragenen Diskussion über ein Thema von großem öffentlichen Interesse. Dennoch ist sie nicht als bloß kritisch wertende, noch zu tolerierende Meinungsäußerung des Beklagten zu qualifizieren. Dass der Vorwurf ehrenrührig und für den Kläger kreditschädigend im Sinn einer wirtschaftlichen Nachteiligkeit ist, wird vom Beklagten zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Im Übrigen steht fest, dass der Kläger bereits einige Patientinnen aufgrund des Leserbriefs verloren hat. Sein Unterlassungsbegehren ist daher berechtigt.

Wie das Schadenersatz- und das Feststellungsbegehren hängt auch der Anspruch auf Widerruf und dessen Veröffentlichung vom Vorliegen eines Verschuldens des Beklagten ab (6 Ob 235/02f mwN ua). Die Herstellung des Tatbestandes des § 1330 Abs 2 ABGB setzt kein grobes Verschulden voraus. Es genügt, dass der Verbreiter unwahrer Behauptungen zumindest wissen musste, dass diese unrichtig waren (RIS-Justiz RS0031775; RS0031859). Ein Verschulden des Behauptenden kann nur verneint werden, wenn er gute Gründe hatte, seine Behauptung als wahr anzusehen (6 Ob 328/00d). Solche Gründe lagen hier aber im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichts nicht vor. Allein der Umstand, dass in einer im Internet veröffentlichten Studie über wissenschaftliche Arbeiten betreffend einen Vergleich der Methoden zur problemloseren Durchführung eugenisch (embryopathisch) indizierter Schwangerschaftsabbrüche in einer bestimmten Phase der Schwangerschaft unter anderem auch der Name des Klägers genannt wurde, weist zwar darauf hin, dass auch Forschungsarbeiten des Klägers oder der von ihm geleiteten Abteilung in die Erkenntnisse miteinbezogen wurden, lässt aber völlig offen, in welche Richtung diese zielten und ob sie überhaupt im Zusammenhang mit Abtreibungen standen. Zudem bezieht sich die Studie ausschließlich auf embryopathisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche, also solche, bei denen objektiv die ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde (§ 97 Abs 1 Z 2, 2. Fall StGB), während der strittige Leserbrief dem Kläger uneingeschränkt die Vornahme von Abtreibungen vorwirft. Das Erstgericht hat daher dem Beklagten zutreffend als fahrlässiges Fehlverhalten angelastet, dass er den Kläger vor Veröffentlichung des Leserbriefes nicht kontaktierte und auch nicht auf sonstige Art überprüfte, warum der Name des Klägers in der Studie aufscheint und ob dieser tatsächlich selbst Abtreibungen durchführte oder daran mitwirkte. Es ist daher in Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichts das der Klage stattgebende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

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