Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Teilurteil über das Unterlassungs- und Feststellungsbegehren lautet:
"Das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, es ab sofort zu unterlassen, die Behauptung, der Kläger sauge sich höchst Abstruses aus den Fingern und/oder gleichartige oder ähnliche Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten;
es werde festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger für Schäden hafte, die diesem aus den Folgen dieser Behauptung entstanden sind oder künftig entstehen werden,
wird abgewiesen".
Die Entscheidung über die Verfahrenskosten wird dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Mitherausgeber der Zeitschrift N***** und als Redakteur mit der politischen Berichterstattung und der Verfassung politischer Kommentare betraut. Er verfasste auch Artikel im Zusammenhang mit der sogenannten "Spitzelaffäre", aus deren Anlass gerichtliche Vorerhebungen gegen Politiker und Mitarbeiter der Freiheitlichen Partei Österreichs geführt wurden. Es ist allgemein bekannt, dass in der Zeitschrift N***** eine heftige politische Kontroverse eines Teils ihrer Mitarbeiter mit der FPÖ ausgetragen wurde. In der Ausgabe Nr 47 vom 23. 11. 2000 erschien zur Spitzelaffäre ein vom Kläger verfasster Artikel mit der Überschrift "Anklageschrift schon im Jänner". Darin wurde sinngemäß darüber berichtet, dass die zuständigen Staatsanwaltschaften beantragten, spätestens im Jänner 2001 Entwürfe von Anklageschriften fertigzustellen, die von den Behördenleitern und letztlich vom Justizminister zu genehmigen seien, wobei sich der Justizminister vermutlich heraushalten werde. Es wurde die "Verteidigungslinie" der FPÖ-Politiker dargestellt und den belastenden Aussagen des Josef K*****, dessen Behauptungen Anlass zu den Erhebungen gaben, gegenübergestellt. Schließlich wurde ausgeführt, dass "mit wilden Rundumschlägen" der FPÖ zu rechnen sei. Der Kläger war im Besitz von Kopien der Strafakten, die ihm von den Verteidigern zur Verfügung gestellt worden waren. Bei seinen Recherchen bei den Pressestellen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, der Staatsanwaltschaft Wien und anderer Staatsanwaltschaften sowie der Oberstaatsanwaltschaft Wien und dem Bundesministerium für Justiz hatte er erfahren, "dass man in der Zielgeraden sei". Daraus schloss er, dass die Anklageschriften "schon im Jänner" zu erwarten seien. Die Behauptung, dass bei Anklageerhebung mit "wilden Rundumschlägen" der FPÖ zu rechnen sei, leitete er daraus ab, dass der FPÖ-Politiker Ewald S***** während einer mit dem Kläger geführten Fernsehdebatte Richter und Staatsanwälte angegriffen hatte sowie aus den seitens der FPÖ gegen den Innenminister und den Leiter der Wirtschaftspolizei erhobenen Vorwürfen.
Die Beklagte ist Stellvertreterin des Landesparteiobmanns der Wiener FPÖ und Nationalratsabgeordnete. In einer OTS-Presseaussendung vom 23. 11. 2000 wird sie wie folgt zitiert:
"Während sich schon die jüngsten 'Enthüllungen' des Journalisten W***** als 'W*****krepierer' der Sonderklasse erwiesen haben (Stichwort 'hochgeheimes' APA-Material über die Caritas), dürfte sich W***** für N***** auch in der aktuellen Ausgabe wieder höchst Abstruses aus den eigenen Fingern gesogen haben."
Der Kläger stellte das aus dem Spruch ersichtliche Unterlassungs- und Feststellungsbegehren. Weiters begehrte er, die Beklagte zum Widerruf der strittigen Behauptung und zur Veröffentlichung des Widerrufs auf einer Internetseite der APA im Rahmen der OTS des Freiheitlichen Pressedienstes sowie in zwei Tageszeitungen und in der Zeitschrift N***** zu verpflichten. Die strittige Äußerung enthalte den Vorwurf, der Kläger habe bewusst unwahr berichtet, somit den Vorwurf eines unehrenhaften Verhaltens. Es handle sich um eine unrichtige Tatsachenbehauptung, die ehrenbeleidigend und kreditschädigend sei. Der Kläger habe keinen einzigen Artikel ohne Recherche und ohne entsprechende Information geschrieben. Der Beklagten sei die Unwahrheit ihrer Behauptung bewusst gewesen. Es sei der Eintritt eines hohen Schadens zu erwarten. Denn der Kläger sei vom wirtschaftlichen Erfolg der Zeitschrift N***** abhängig, der durch die strittige Behauptung gefährdet sei. Der Kläger sei schon jetzt gezwungen gewesen, erhebliche zusätzliche Leistungen zu erbringen, die der Vorbereitung dieses Verfahrens gedient hätten. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Presseaussendung stelle eine zulässige Reaktion und wertende Stellungnahme zum Zeitungsartikel des Beklagten im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung dar. Die Äußerung sei nicht gegen ihn persönlich, sondern gegen seine tendenzielle Schreibweise gerichtet gewesen. Beim Kläger handle es sich um eine Person des öffentlichen Lebens. Im Hinblick auf diese Umstände bewege sich der Vorwurf im Rahmen zulässiger Kritik und sei durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt. Der Eintritt eines Schadens beim Kläger werde bestritten.
Das Erstgericht gab dem Begehren auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs (Punkte 1. bis 3. des Ersturteils) statt und wies das Feststellungsbegehren ab (Punkt 4.) Es stellte weiters noch fest, dass der Kläger durch die Presseaussendung der Beklagten keinen materiellen Schaden erlitten habe. Er habe jedoch seine Behauptungen in der Folge in Redaktionssitzungen wiederholt verteidigen müssen. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass die Äußerung der Beklagten vom angesprochenen Publikum in dem Sinn verstanden werde, dass der Kläger seinen Artikel ohne entsprechende Recherche veröffentlicht und die darin behaupteten Tatsachen frei erfunden habe. Die Beklagte habe nicht erwiesen, dass dieser Vorwurf richtig sei. In der Äußerung sei ein schwerwiegender Verstoß gegen § 1330 ABGB zu erblicken. Die Beklagte habe die Grenzen zulässiger Kritik überschritten. Es sei ihr offensichtlich darum gegangen, den Kläger in der Meinung der Öffentlichkeit herabzusetzen. Der Kläger bekämpfte den abweisenden Teil dieses Urteiles (Feststellungsbegehren), die Beklagte den stattgebenden Teil (Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs) mit Berufung.
Das Berufungsgericht hob die Punkte 2. und 3. des Ersturteils (Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs) wegen Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO als nichtig auf, weil das Erstgericht seine Entscheidung über diesen Teil des Begehrens überhaupt nicht begründet habe. Über die übrigen Begehren entschied das Berufungsgericht mit Teilurteil dahin, dass es der Berufung des Klägers Folge und der Berufung der Beklagten nicht Folge gab, somit die Unterlassungsverpflichtung bestätigte und auch dem Feststellungsbegehren - insoweit in Abänderung des Ersturteiles - stattgab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ein Feststellungsbegehren sei nicht schon deshalb unberechtigt, weil kein Schaden eingetreten sei. Da der Kläger hiezu auch vorgebracht habe, dass er zu Vorträgen nicht mehr eingeladen werde und ausgesagt habe, dass die strittige OTS-Meldung seine Erwerbschancen reduziere, sei davon auszugehen, dass künftig ein konkreter Schaden eintreten könnte, weshalb der Berufung des Klägers Berechtigung zukomme. Der erhobene Vorwurf, der Kläger veröffentliche seine Artikel ohne Recherchen, habe keinen politischen Bezug, sondern es werde die Arbeitsweise des Klägers herabgesetzt. Die Äußerung sei auch nicht im Zug einer politischen Debatte gefallen. Eine rufschädigende unwahre Tatsachenbehauptung sei auch unter Berufung auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nicht gestattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist entgegen dem Unzulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes zulässig und auch berechtigt. Eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen kann nicht mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung gerechtfertigt werden (RIS-Justiz RS0032201). Selbst im politischen Meinungsstreit können zwar unter Umständen auch massiv in die Ehre des Gegners eingreifende Werturteile noch zulässig sein, es ist jedoch auch hier zu prüfen, ob die notwendige Tatsachenbasis für einen wertenden Vorwurf vorliegt (6 Ob 25/99s; 6 Ob 171/99m; 6 Ob 238/02x). Die Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung und zulässiger Kritik erfordert eine Interessenabwägung, bei der es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses und auch auf den Zweck der Meinungsäußerung ankommt (SZ 61/210; RIS-Justiz RS0022917; Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz 60). Dabei kommt dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert zu. Die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern oder auch an Privatpersonen, sofern sie die "politische Bühne" betreten haben, sind - auf Basis eines wahren Tatsachensubstrats - weiter gesteckt als bei (sonstigen) Privatpersonen; sie müssen einen höheren Grad an Toleranz zeigen, vor allem dann, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (6 Ob 168/01a mwN), wie etwa dann, wenn der Verletzte durch eine herabsetzende und provokante Schreibweise selbst die Kritik seines Werkes ausgelöst hat (6 Ob 47/02h).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall entscheidend, dass in verschiedenen Artikeln der Zeitschrift N***** schon seit längerem die FPÖ und deren Funktionäre angegriffen wurden und diese Auseinandersetzung mit der FPÖ allgemein bekannt war. Für die Leser der Presseaussendung war erkennbar, dass sowohl die kritische Berichterstattung des Klägers über die gerichtliche Verfolgung von zum Teil namentlich genannten FPÖ-Politikern wegen Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit ihren politischen Funktionen als auch die Reaktion der Beklagten auf diesen Artikel im Rahmen einer politisch geführten Auseinandersetzung erfolgten und die Beklagte durch die hier beanstandete Aussage ihre Kritik an der im Artikel gewählten Darstellungsweise des Klägers zum Ausdruck bringen wollte. Diese Kritik beruhte angesichts der vom Kläger verbreiteten Inhalte im Gegensatz zur Ansicht der Vorinstanzen auf einem im Kern richtigen Sachverhalt. Denn der Umstand, dass der Kläger bei seinen Recherchen bei den Pressestellen verschiedener Staatsanwaltschaften, des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und des Bundesministeriums für Justiz - welche er dort gepflogen hatte, legte er nicht näher dar - "erfuhr", dass man "in der Zielgeraden sei, rechtfertigten noch nicht den von ihm gezogenen und im Artikel als sicheres Faktum dargestellten Schluss, dass die Anklageerhebungen "spätestens im Jänner 2001" erfolgen würden, also unmittelbar bevorstünden. Die Beweislage gegen die zum Teil namentlich Genannten wurde im Artikel als erdrückend dargestellt, die drohenden Strafen (wegen Amtsmissbrauchs bzw Anstiftung hiezu) dem Leser drastisch vor Augen geführt. Dieser tendenziellen Berichterstattung, die auf eine "Vorverurteilung" der FPÖ-Funktionäre und Politiker abzielte, trat die Beklagte durch eine Presseaussendung noch am selben Tag, an dem der Artikel erschien, sinngemäß dahin entgegen, dass die "Enthüllungen" des Klägers einer seriösen Grundlage entbehrten. Tatsächlich kam es in etlichen in der "Spitzelaffäre" eingeleiteten Verfahren, insbesondere gegen die im Artikel namentlich genannten Personen, weder im Jänner 2001 noch überhaupt zu Anklageerhebungen. Letztlich beruhten die im Artikel des Klägers enthaltenen Prognosen über die strafrechtlichen Konsequenzen für Funktionäre und Politiker der FPÖ und auch die Behauptung, dass "mit wilden Rundumschlägen der FPÖ" zu rechnen sei, auf einer persönlichen Einschätzung der Situation durch den Kläger, die sich letztlich als nicht zutreffend herausstellte. Im Gesamtzusammenhang mit dem kritisierten Zeitungsartikel und unter Berücksichtigung des gesamten Textes der Presseaussendung wird klar, dass die Beklagte zum Ausdruck bringen wollte, der Kläger habe ohne entsprechende Sachverhaltsgrundlage eine persönliche Sicht der Situation in einer Weise dargelegt, dass Stimmung gegen die FPÖ gemacht werden sollte. Die Äußerung der Beklagten stellt somit, wie für den Leser der Presseaussendung erkennbar, ein Werturteil im Rahmen einer schon seit längerem in der Zeitschrift N***** ausgetragenen politischen Kontroverse insbesondere auch des Klägers mit der von der Beklagten repräsentierten politischen Partei und deren Spitzenpolitikern dar. Sie hat hinreichenden Bezug zu einer Tatsachenbasis, nämlich dass der Kläger im kritisierten Artikel im Wesentlichen persönliche Einschätzungen in tendenzieller Form wiedergab.
Die nach den aufgezeigten Grundsätzen vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier zugunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus: Die Äußerung der Beklagten erfolgte vor einem politischen Hintergrund; auch der als "Enthüllungsjournalist" bekannte Kläger ist eine in der Öffentlichkeit stehende Person, bei der die Grenzen zulässiger Kritik weiter gezogen sind. Die Äußerung stellte eine Reaktion auf in nicht gerade zurückhaltender Form dargestellte Verdächtigungen gegen FPÖ-Funktionäre dar, mit denen der Kläger die Kritik der Beklagten im Pressedienst jener Partei auslöste, deren Repräsentanten und Funktionäre angegriffen wurden. Der Kläger muss sich daher einen höheren Grad an Toleranz gegenüber der Kritik des politischen Gegners zurechnen lassen (vgl 6 Ob 168/01a; 6 Ob 191/01h). Schwerwiegende Gründe, die eine Einschränkung der Ausübung der Meinungsfreiheit in diesem Zusammenhang rechtfertigen könnten, sind im vorliegenden Fall nicht zu erkennen. Das Teilurteil des Berufungsgerichtes ist daher im Sinn einer Abweisung des Unterlassungs- und auch des Feststellungsbegehrens abzuändern, ohne dass auf die Frage des Feststellungsinteresses eingegangen werden muss.
Wegen der teilweisen Aufhebung des Urteiles des Erstgerichtes über das Widerrufsbegehren und das Begehren auf Veröffentlichung des Widerrufs als nichtig, kann der Oberste Gerichtshof darüber nicht abschließend entscheiden. Insoweit ist die Entscheidung durch Endurteil dem Erstgericht vorbehalten.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.
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