European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E117185
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:
Es wird festgestellt, dass das vom Antragsteller F* D*, geboren am *, am 7. 11. 1961 vor der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg zu GZ: Ju II A 50/17‑1961 abgegebene Vaterschaftsanerkenntnis zu M* H*, geborene *, geboren am *, gemäß § 154 Abs 1 Z 3 lit b ABGB rechtsunwirksam ist.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller binnen 14 Tagen die mit 1.981,31 EUR (darin 142,05 EUR USt und 1.129 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 312,19 EUR (darin 52,03 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 374,98 EUR (darin 62,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
Der Antragsteller anerkannte am 7. 11. 1961 vor der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg die Vaterschaft zu der am * geborenen Antragsgegnerin. Mit Eingabe vom 11. 11. 2015 begehrte er die Rechtsunwirksamerklärung seines Anerkenntnisses gemäß § 154 Abs 1 Z 3 lit b ABGB. Er habe durch ein DNA‑Gutachten vom 30. 10. 2015 Kenntnis von Umständen erlangt, die für die Nichtabstammung der Antragsgegnerin von ihm sprechen. Für ihn hätten zwar von Anfang an Verdachtsmomente bezüglich seiner Vaterschaft bestanden; diese würden jedoch nicht ausreichen, die zweijährige Frist des § 154 Abs 2 ABGB auszulösen.
Die Antragsgegnerin bestritt dieses Vorbringen und brachte vor, die Vaterschaftsbestreitung erfolge mehr als 50 Jahre nach dem Anerkenntnis zur Unzeit. Sowohl die 30‑jährige Frist des § 153 Abs 3 ABGB als auch die zweijährige Frist nach § 154 Abs 2 ABGB seien abgelaufen. Dem Antragsteller müsse schon aufgrund des zeitlichen Ablaufs von Anfang an klar gewesen sein, dass die Abstammung der Antragsgegnerin von ihm auszuschließen sei. Überdies seien die Ergebnisse der vorgelegten DNA‑Analyse verfälscht, weil beim Antragsteller zuvor eine Herztransplantation vorgenommen worden sei.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Unwirksamerklärung des Vaterschaftsanerkenntnisses ab. Dabei traf es im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Am * wurde die Antragsgegnerin als uneheliches Kind von S* A* geboren. Der Antragsteller und die Mutter der Antragsgegnerin hatten nach Ostern 1960, etwa Ende April/Anfang Mai einmaligen Geschlechtsverkehr. Am 4. 9. 1960 bezeichnete die Mutter der Antragsgegnerin den Antragsteller als Vater, nachdem sie dessen Namen in Erfahrung gebracht hatte. Der Antragsteller bestritt zunächst jeglichen Geschlechtsverkehr mit der Mutter der Antragsgegnerin. In der Folge anerkannte er jedoch die Vaterschaft. Im Nachhinein wurde dem Antragsteller bewusst, dass er am von der Mutter der Antragsgegnerin genannten 18. 6. 1960 nicht Geschlechtsverkehr gehabt haben konnte, da er an diesem Tag Brautunterricht für seine Eheschließung mit einer anderen Frau absolvierte. Aus diesem Grund hegte er bereits zu diesem Zeitpunkt Zweifel an seiner Vaterschaft zur Antragsgegnerin. Trotzdem leistete er bis zu deren Volljährigkeit Unterhalt, nahm aber keinerlei Kontakte zu ihr auf. Nach diesem Zeitpunkt gab es keine weiteren Momente oder Kenntnisse des Antragstellers, die die seinerzeit bestehenden Zweifel seiner Vaterschaft weiter bestärkten.
Nachdem der Antragsteller sich einer Herztransplantation unterziehen musste, beabsichtigte er, ein Testament zu errichten. Deshalb suchte er die Antragsgegnerin an ihrem Arbeitsplatz auf und forderte sie zur Durchführung eines Vaterschaftstests auf. Dem stimmte die Antragsgegnerin zu. Nach dem eingeholten Gutachten war die Vaterschaft des Antragstellers zur Antragsgegnerin ausgeschlossen. Daraufhin brachte der Kindesvater den Antrag auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses ein.
Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass die zweijährige Frist des § 154 Abs 2 ABGB bereits abgelaufen sei, weil der Antragsteller bereits mehr als zwei Jahre Zweifel an seiner Vaterschaft hatte.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
1. Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.
2.1. Nach § 154 Abs 1 Z 3 ABGB kann das Gericht das Vaterschaftsanerkenntnis auf Antrag des Anerkennenden für unwirksam erklären, wenn er beweist, dass sein Anerkenntnis durch List, ungerechte und gegründete Furcht oder Irrtum darüber veranlasst worden ist, dass das Kind von ihm abstammt, oder dass das Kind nicht von ihm abstammt und er erst nachträglich von Umständen Kenntnis erlangt hat, die für die Nichtabstammung des Kindes sprechen. Nach § 154 Abs 2 ABGB kann dieser Antrag längstens bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Entdeckung der Täuschung, des Irrtums oder der genannten Umstände erhoben werden, wobei die Frist frühestens mit der Geburt des Kindes beginnt.
2.2. Wenn der Antragsteller die „kurze Zweijahresfrist“ als sachlich nicht gerechtfertigt empfindet und im Hinblick auf die Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz eine Vorlage an den Verfassungsgerichtshof anregt, ist darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof schon zu 8 Ob 120/11x ausgesprochen hat, dass eine zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, eine Vaterschaft anzufechten, verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Auch hat der EGMR in der Entscheidung vom 28. 11. 1984, 8777/79 – Rasmussen/Dänemark, die in Dänemark geltende dreijährige Frist als unbedenklich erkannt.
3.1. Fristauslösend ist nach der Rechtsprechung die Kenntnis von Umständen, die für die Nichtabstammung des Kindes sprechen. Dies ist nicht schon anzunehmen, wenn dem Antragsteller nur einzelne Verdachtsumstände zur Kenntnis gekommen sind; die Umstände müssen vielmehr von so großer Beweiskraft sein, dass der Vater die Nichtabstammung des Kindes „als höchst wahrscheinlich ansehen und erwarten kann, seiner Beweispflicht im Bestreitungsprozess nachkommen zu können“ (RIS‑Justiz RS0048265). Der Antragsteller muss von den Umständen, die für die Nichtabstammung sprechen, zweifelsfrei Kenntnis haben. Bei zweifelhaften Verdachtsgründen liegt noch keine Kenntnis von Umständen vor, die für die Nichtabstammung des Kindes sprechen (RIS‑Justiz RS0048225). Zweifelhafte Verdachtsgründe sind noch keine Kenntnis von Umständen, die für die Nichtabstammung des Kindes sprechen (RIS‑Justiz RS0048232). Vermutungen, die auf unüberprüfbare Mitteilungen zurückgehen, oder in zweifelhaften, einer verschiedenen Deutung zugänglichen Tatumständen ihre Begründung finden, können nicht als „Kenntnis von den Umständen, die gegen eine Abstammung sprechen“ gelten (RIS‑Justiz RS0048226). Dementsprechend hat der Obersten Gerichtshof die Auffassung gebilligt, dass weder die Kenntnis vom Mehrverkehr noch die sowohl von der Mutter als auch vom Antragsgegner geäußerten Zweifel an der Vaterschaft als einzelne Verdachtsumstände ausreichend seien, die zweijährige Frist in Gang zu setzen (RIS‑Justiz RS0048225 [T6]). Wann dem Kläger ernstliche Bedenken gegen seine Vaterschaft gekommen sind, ist für den Beginn der Frist ohne Bedeutung (RIS‑Justiz RS0048232 [T4 und T5]). Es wäre auch verfehlt, den Antragsberechtigten mit einer Erkundungs- und Nachforschungsobliegenheit zu belasten (Bernat in Schwimann/Kodek 4 § 153 ABGB Rz 5; Stefula in Klang3 § 158 ABGB Rz 5).
3.2. Im gegenständlichen Fall hatte der Antragsteller nach den Feststellungen des Erstgerichts mit der Mutter der Antragsgegnerin nach Ostern 1960, etwa Ende April/Anfang Mai einmaligen Verkehr. Der Antragsteller wurde von der Bezirksverwaltungsbehörde damit konfrontiert, dass die Mutter der Antragsgegnerin ihn als Vater bezeichnete, wobei sie angegeben hatte, mit ihm mehrfach, zuletzt zwischen 15. und 18. 6. 1960 verkehrt zu haben, was sie später dahin präzisierte, dass der letzte Verkehr am 18. 6. 1960 stattgefunden habe. Angesichts der Geburt der Antragsgegnerin am * erstreckt sich die gesetzliche Vermutungsfrist von 15. 5. 1960 bis 14. 9. 1960, was mit den Angaben der Mutter der Antragsgegnerin gut in Einklang zu bringen war. Erst im Nachhinein wurde dem Antragsteller bewusst, dass der Verkehr nicht am 18. 6. 1960 stattgefunden haben konnte, weil er an diesem Tag einen Vorbereitungskurs für die Eheschließung mit einer anderen Frau besuchte, weshalb er schon damals erhebliche Zweifel an seiner Vaterschaft hatte.
3.3. Daraus ergibt sich, dass dem Antragsteller das Datum des Verkehrs nicht erinnerlich war und er vorerst auch einen Verkehr am 18. 6. 1960 für möglich gehalten hatte, wobei dieses Datum in die gesetzliche Vermutungsfrist fällt. Auch als sich später herausstellte, dass ein Verkehr am 18. 6. 1960 nicht stattgefunden haben konnte, war dies kein Umstand, durch den die Nichtabstammung des Kindes für den Antragsteller als „höchst wahrscheinlich“anzusehen gewesen wäre oder durch den der Antragsteller seiner „Beweispflicht im Bestreitungsprozess“ nachkommen hätte können, zumal auch die Mutter der Antragsgegnerin zuvor den letzten Verkehr zwischen 15. und 18. 6. 1960 datiert hatte und sohin das exakte Datum offenbar ebenfalls nicht mehr mit Gewissheit angeben konnte (siehe RIS‑Justiz RS0048265). Die festgestellten Zweifel des Antragstellers an seiner Vaterschaft sind nach der Rechtsprechung nicht fristauslösend (insbesondere RIS‑Justiz RS0048232 [T4 und T5]). Im Ergebnis hatte der Antragsteller daher erst mit Vorliegen des DNA‑Gutachtens vom 30. 10. 2015 Kenntnis von Umständen, die gegen die Abstammung sprechen, weshalb die Zweijahresfrist des § 154 Abs 2 ABGB eingehalten wurde.
4.1. Nach § 153 Abs 3 ABGB kann jedoch später als 30 Jahre nach der Geburt des Kindes nur mehr das Kind die Feststellung, dass das Kind nicht vom Ehemann der Mutter abstammt, begehren. Der Oberste Gerichtshof wendet diese absolute Frist analog auf den Antrag auf Unwirksamerklärung eines Vaterschaftsanerkenntnisses nach § 154 Abs 1 Z 3 ABGB an, der daher nach dem 30. Geburtstag des Kindes nicht mehr gestellt werden kann (1 Ob 106/08g). Für den Beginn des Fristenlaufs ist hier die Abgabe des Anerkenntnisses und nicht die Geburt des Kindes maßgebend, wenn die Vaterschaft erst nach dieser anerkannt („... Änderung der Abstammung ...“) wurde (Fischer‑Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.03 § 153 Rz 6).
4.2. Die Frist des § 153 Abs 3 ABGB wurde aber erst mit dem FamErbRÄG 2004 mit 1. 1. 2005 eingeführt. Die Übergangsbestimmung Art IV § 5 FamErbRÄG 2004 lautet:
„§ 5. (1) Auf abstammungsrechtliche Fristen, die am Tag des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen waren, sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden.
(2) Fristen zur Geltendmachung von abstammungsrechtlichen Ansprüchen, die vor dem In‑Kraft‑Treten dieses Bundesgesetzes nicht bestanden haben, beginnen frühestens mit dem In‑Kraft‑Treten dieses Bundesgesetzes zu laufen.“
4.3. Der Oberste Gerichtshof hat zu 9 Ob 43/06y die Anwendung der 30‑jährigen Frist auf Altfälle erwogen, musste darüber aber nicht entscheiden, weil die Klage damals noch vor dem 1. 1. 2005 eingebracht worden war. Schließlich hat der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 12/12x die analoge Anwendung der Frist des § 153 Abs 3 ABGB auf den Zeitraum vor Inkrafttreten des FamErbRÄG 2004 mit 1. 1. 2005 im Hinblick auf die Übergangsbestimmung Art IV § 5 Abs 2 FamErbRÄG 2004 abgelehnt. Dies käme einer § 5 ABGB widersprechenden Rückwirkung gleich. Diese Frist habe nach Art IV § 5 Abs 2 FamErbRÄG 2004 erst mit 1. 1. 2005 zu laufen begonnen. Damit würde die 30‑jährige Frist generell erst ab 1. 1. 2005 schlagend werden (Gitschthaler, EF‑Z 2012, 113).
5.1. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
5.2. Die Regelung des Art IV § 5 Abs 2 FamErbRÄG bezieht sich auf Ansprüche, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht bestanden haben. Die Gesetzesmaterialien (471 BlgNR 22. GP 36) verweisen in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den Anspruch des Kindes auf Feststellung der Nichtabstammung, der damals mit § 156 Abs 2 ABGB neu eingeführt wurde. Eine Bestreitung der Abstammung durch den Vater war jedoch auch schon nach der früheren Rechtslage für das eheliche Kind in § 156 Abs 1 ABGB und für das uneheliche Kind in § 164b ABGB vorgesehen. Würde man jedoch im vorliegenden Fall Art IV § 5 Abs 1 FamErbRÄG 2004 anwenden, so würde dies bedeuten, dass die Frist für die Feststellung der Unwirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses bereits im Jahr 1991, sohin fast 25 Jahre vor Inkrafttreten des FamErbRÄG 2004, das die 30‑jährige Befristung einführte, abgelaufen war. Dies würde einer § 5 ABGB widersprechenden Rückwirkung gleichkommen. Damit würde dem Antragsteller, der vor Inkrafttreten des FamErbRÄG 2004 insoweit unbefristet die Feststellung der Unwirksamkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses beantragen konnte, diese Möglichkeit ohne jede Übergangsfrist rückwirkend genommen.
5.3. In diesem Zusammenhang ist auch auf Abs 6 des Kundmachungspatents zum ABGB zu verweisen. Demnach richtet sich die Fristdauer grundsätzlich nach der Rechtslage, unter der die Verjährung begonnen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0008685; 6 Ob 278/06k; Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 5 Rz 40). Sofern die jüngere Vorschrift eine kürzere Frist vorsieht, kann sich der Schuldner wahlweise auf diese berufen; die kürzere Frist beginnt dann jedoch frühestens ab Inkrafttreten des neuen Gesetzes zu laufen. Dieser Grundsatz ist nach der Rechtsprechung verallgemeinerungsfähig (VfGH G 141/10 VfSlg 19.426; vgl auch RIS‑Justiz RS0008705; 8 Ob 508/87 SZ 60/137; 5 Ob 2355/96a; Posch in Schwimmann/Kodek, ABGB4 § 5 Rz 7; Kodek aaO; Vonkilch, Intertemporales Privatrecht 166 ff; Vonkilch/Kehrer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 5 Rz 17). Die rückwirkende Verkürzung von Verjährungsfristen ohne ausreichende Übergangsregeln in einer ausländischen Rechtsordnung hat der Oberste Gerichtshof als Verletzung des inländischen ordre public beurteilt (6 Ob 7/58 SZ 31/33).
5.4. Dies bedeutet im Ergebnis, dass die 30‑jährige Frist für die Bekämpfung eines Vaterschaftsanerkenntnisses erst mit Inkrafttreten des FamErbRÄG 2004 am 1. 1. 2005 zu laufen begann. Der Antrag des Antragstellers ist daher nicht verfristet.
6. Damit war dem Antrag des Antragstellers in Stattgebung des Revisionsrekurses stattzugeben und die Entscheidungen der Vorinstanzen spruchgemäß abzuändern. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 78 AußStrG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)