OGH 6Ob175/15a

OGH6Ob175/15a21.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H*****, 2. B*****, 3. M*****, alle vertreten durch Dr. Peter Perner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. H*****, 2. M*****, beide vertreten durch Berger & Partner Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Beseitigung und Wiederherstellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. Juli 2015, GZ 11 R 7/14z‑74, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00175.15A.1221.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Beklagten hatten eine dem Grundstück der Kläger benachbarte Liegenschaft erworben und im Jahr 2003 mit der Errichtung eines Bauwerks begonnen. Die Kläger nahmen die Beklagten daraufhin im Verfahren AZ 1 Cg ***** des Landesgerichts Salzburg auf Unterlassung der Bauführung in Anspruch. Sie beriefen sich auf eine zugunsten ihrer Liegenschaft (zu Lasten der Liegenschaft der Beklagten) eingeräumte nicht verbücherte Dienstbarkeit des Bauverbots. Die Beklagten wendeten ein, sie hätten das Bauverbot nicht gekannt und ihre Liegenschaft lastenfrei erworben. Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht gab in Abänderung der Entscheidung des Landesgerichts Salzburg der Unterlassungsklage weitgehend statt. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass die Beklagten das Bauverbot gegen sich gelten lassen müssen, weil sie nach dem festgestellten Sachverhalt bei Abschluss des Kaufvertrags Kenntnis der Dienstbarkeit ihrer Nachbarn hatten. Die außerordentliche Revision der Beklagten blieb erfolglos (5 Ob 141/04b).

Aufgrund dieses Unterlassungsurteils begehrten die Kläger im Verfahren AZ 6 Cg ***** des Landesgerichts Salzburg die Beseitigung des auf dem Grundstück der Beklagten errichteten Gebäudes. Das Landesgericht Salzburg bejahte eine Bindungswirkung des Urteils im vorangegangenen Unterlassungsverfahren und verpflichtete die Beklagten ohne weiteres Beweisverfahren zur Entfernung der Gebäude und zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, wobei es konkrete Wiederherstellungsmaßnahmen anordnete. Das Oberlandesgericht Linz bestätigte als Berufungsgericht die Entscheidung über die Beseitigungs‑ und Wiederherstellungsbegehren und wies lediglich das Begehren auf Vornahme konkret bezeichneter Maßnahmen ab. Die Entscheidung des Berufungsgerichts vom 19. 7. 2005 ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit Urteil vom 10. 4. 2006, GZ 1 Cg *****, bewilligte das Landesgericht Salzburg den Beklagten die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 1 Cg ***** des Landesgerichts Salzburg und änderte das Urteil im wiederaufgenommenen Verfahren teilweise ab, indem es den Beklagten gebot, nur einen bestimmt definierten Grundstücksstreifen ‑ in wesentlich geringerem Ausmaß ‑ nicht zu bebauen. Das Mehrbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren, gab den Berufungen beider Streitteile im wiederaufgenommenen Verfahren jedoch Folge und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung des wiederaufgenommenen Verfahrens auf (OLG Linz 3 R *****). Die außerordentliche Revision der Kläger blieb erfolglos (5 Ob 237/06y). Das Landesgericht Salzburg setzte daraufhin das wiederaufgenommene Verfahren fort und erkannte die Beklagten letztlich mit Urteil vom 15. 7. 2011 schuldig, die Bebauung eines bestimmt definierten bloß 10 Meter breiten Grundstücksstreifens zu unterlassen. Die dagegen erhobene Berufung der Beklagten blieb ebenso wie ihre außerordentliche Revision erfolglos (5 Ob 35/12a).

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 16. 3. 2007, GZ 6 Cg *****, wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 6 Cg ***** des Landesgerichts Salzburg bewilligt.

Im wiederaufgenommenen Verfahren verpflichtete das Erstgericht die Beklagten, die auf dem an die südöstliche Grenze des Grundstücks *****3 angrenzenden 10 m breiten Grundstreifen des Grundstücks *****7 errichteten Gebäudeteile zu entfernen. Das Mehrbegehren wies es ab.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts, das im Umfang der Abweisung des Mehrbegehrens unbekämpft geblieben war, dahin ab, dass es das Beseitigungsbegehren zur Gänze abwies. Eine schikanöse Rechtsausübung liege auch dann vor, wenn zwischen den Interessen ein krasses Missverhältnis bestehe. Nach dem Inhalt des Kaufvertrags aus dem Jahr 1962 hätten die damaligen Vertragsparteien ein Vorkaufsrecht einräumen wollen. Dass die Sicht auf den Fuschlsee und F***** nicht verbaut werden dürfe, sei Motiv für die Einräumung dieses Rechts gewesen. Auch aus dem späteren Vertrag im Jahr 1970 ergebe sich, dass es den Parteien inhaltlich um ein Bauverbot gegangen sei. Ein Bauverbot sei in wörtlicher Interpretation des Servitutsbestellungsvertrags als Aussichtsservitut einzuordnen. Durch die nun begehrte Beseitigung des Gebäudes werde aber die Sicht auf den Fuschlsee nicht wieder erlangt. Die Kosten für die Beseitigung seien jedoch sehr hoch. Ausschlaggebend für die Einräumung des Bauverbots sei die Erhaltung der Aussicht, nicht die Gewährleistung eines Bauabstands gewesen. Keine Partei sei schutzwürdiger als die andere. Die Beklagten hätten trotz des Hinweises auf ein Bauverbot mit der Bauführung begonnen. Die Kläger wiederum hätten die Bauverbotsfläche jeweils unterschiedlich und stets zu groß angegeben, ohne einen urkundlichen Nachweis zu erbringen. Sie erschienen auch nicht redlich. Es liege bei Abwägung der gegenseitigen Interessen ein krasses Missverhältnis vor.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Kläger zeigt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Die Revisionswerber meinen, ihr Rechtsmittel sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch derjenige, der vorsätzlich in subjektive Rechte eingegriffen bzw diese verletzt habe, sich auf den Schikaneeinwand iSd § 1295 Abs 2 ABGB berufen könne bzw ob bejahendenfalls auch hier die Prämisse des krassen Missverhältnisses zwischen den vom Handelnden verfolgten Interessen und beeinträchtigten Interessen des Anderen zu berücksichtigen sei oder ob in einem solchen Fall der Schikaneeinwand nur bei Vorliegen eines unlauteren Motivs bzw bei Schädigungsabsicht greifen könne.

Die Revision geht nicht von den Feststellungen aus, wenn sie einen vorsätzlichen Eingriff in subjektive Rechte der Kläger durch die Beklagten behauptet. Es ist festgestellt, dass die Beklagten mit dem Bau vor Einbringung der Klage am 26. 5. 2003 begannen und ihnen von ihrem damaligen Rechtsanwalt mitgeteilt wurde, dass wenn im Grundbuch keine Belastung eingetragen wäre, eine solche auch nicht bestehe bzw ein solches behauptetes Recht verjährt wäre. Die Rechtsrüge ist somit nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS‑Justiz RS0043312).

Unabhängig davon ist die Bewertung eines Begehrens als rechtsmissbräuchlich im Allgemeinen keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0026265 [T12]). Auch Fragen der Vertragsauslegung kommt außer bei Vorliegen einer auffallenden Fehlbeurteilung grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0042776).

Die Vertragsauslegung durch das Berufungsgericht ist durchaus vertretbar. Auch seine Rechtsansicht, dass keiner der Streitteile schutzwürdiger als der andere sei, aber eine Interessenabwägung aufgrund der Tatsache, dass auch bei Einhaltung des Bauverbots die Sicht auf F***** und den See nicht wiederhergestellt werde, der Abriss hingegen sehr viel kosten würde, ein krasses Missverhältnis ergibt, ist jedenfalls vertretbar. Nach seit 1993 ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt Schikane auch dann vor, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht (RIS‑Justiz RS0026271 [T19], RS0026265). Der Ausführung der Revision, dass nach RIS‑Justiz RS0026271 von einer schikanösen Rechtsausübung nicht gesprochen werden könne, weil es nicht nur um die Schädigung der Beklagten gehe, ist zu erwidern: Die ältere Rechtsprechungslinie des Obersten Gerichtshofs nahm nur auf jene Schikanefälle im engeren Sinn Bedacht, in denen demjenigen, der sein Recht ausübte, jedes andere Interesse abgesprochen werden musste, als eben das Interesse, dem anderen Schaden zuzufügen. Ein - neben der Schikane - zu beachtender Rechtsmissbrauch liegt aber nach der neueren Rechtsprechung nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern - wie schon dargestellt -wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht (1 Ob 198/99w = RIS‑Justiz RS0026271 [T23]; RS0026271 [T24]; RS0026265; 9 Ob 32/02z uva).

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