European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00246.15K.0825.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien 1.973,59 EUR (darin 328,93 EUR Umsatzsteuer), der ersten Nebenintervenientin 1.644,66 EUR (darin 274,11 EUR Umsatzsteuer) und dem dritten Nebenintervenienten 1.647,18 EUR (darin 274,53 EUR Umsatzsteuer) an Kosten des Revisionsverfahrens jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die erste Nebenintervenientin war ursprünglich Alleineigentümerin der Liegenschaften EZ *****8 und EZ *****9 je GB *****. Im Rahmen eines Bauträgerprojekts errichtete sie auf der Liegenschaft EZ *****9 (mit dem Grundstück 572/10) ein Reihenhaus mit zwei Wohneinheiten (G*****weg 1 und 1a), auf der Liegenschaft EZ *****8 (mit dem Grundstück 572/1) ein Einzelhaus (G*****weg 1b).
Mit Kaufvertrag vom 15. 3. 2011 erwarben der Erstkläger und die Zweitklägerin von der ersten Nebenintervenientin die zur Begründung von Wohnungseigentum an den Objekten W top 2 und Pkw top 2 erforderlichen Miteigentumsanteile an der EZ *****9. Dieser Kaufvertrag wurde vom dritten Nebenintervenienten als Substitut für den zweiten Nebenintervenienten errichtet. Die grundbücherliche Durchführung dieses Kaufvertrags unterblieb vorerst.
Mit Kaufvertrag vom 1. 3. 2012 erwarben der Drittkläger und die Viertklägerin von der ersten Nebenintervenientin die zur Begründung von Wohnungseigentum an den Objekten W top 1 und Pkw top 1 erforderlichen Miteigentumsanteile an der EZ *****9. Dieser Kaufvertrag wurde vom dritten Nebenintervenienten als selbständiger Notar errichtet.
Mit Kaufvertrag vom 8. 3. 2012 erwarb die Beklagte von der ersten Nebenintervenientin die Liegenschaft EZ *****8 GB ***** [„das Haus auf dem Grundstück 572/1“].
Die einzige Möglichkeit, um zu den auf den Liegenschaften EZ *****8 und EZ *****9 situierten Häusern zu gelangen, stellt eine im Herbst 2011 fertiggestellte Zufahrtsstraße dar. Die Zufahrtsstraße zweigt vom öffentlichen Gut ab und verläuft zunächst über einen über das Grundstück 572/12 führenden Servitutsweg, der unter anderem im Miteigentum der Kläger und der Beklagten steht. In weiterer Folge mündet sie in das (nunmehr im Eigentum der Beklagten stehende) Grundstück 572/1 und verläuft entlang der südlichen Grundstücksgrenze bis zur Höhe der Parkfläche vor dem Haus der Beklagten. Danach gelangt man auf das (nunmehr im Eigentum der Kläger stehende) Grundstück 572/10. Die Straße ist seit Herbst 2011 durchgehend in einer Breite von 3,5 m asphaltiert und verläuft über das Grundstück 572/1 der Beklagten in einer Länge von etwa 15 m. Auf diesem Teil befindet sich auch ein handelsüblicher Kanaldeckel.
Die zwischen der ersten Nebenintervenientin und den Klägern abgeschlossenen Kaufverträgen vom 15. 3. 2011 (Erstkläger und Zweitklägerin) und 1. 3. 2012 (Drittkläger und Viertklägerin) enthalten gleichlautende Dienstbarkeitsvereinbarungen. Darin räumt die erste Nebenintervenientin für sich und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum des Grundstücks 572/1 (EZ *****8), sich und den Klägern jeweils für sich und ihre Rechtsnachfolger im Eigentum des Grundstücks 572/10 (EZ *****9), für immerwährende Zeiten und ohne weiteres Entgelt a) die Dienstbarkeit des Geh‑ und Fahrrechts mit Fahrzeugen aller Art über das Grundstück 572/1 zum Grundstück 572/10 und b) die Dienstbarkeit der Verlegung, Benützung und Wartung sämtlicher Ver‑ und Entsorgungsleitungen sowie die Erneuerung und Erweiterung dieser Ver‑ und Entsorgungsleitungen im Falle der technologischen Veränderungen auf bzw über das Grundstück 572/1 zum Grundstück 572/10 ein.
In dem zwischen der ersten Nebenintervenientin und der Beklagten abgeschlossenen Kaufvertrag vom 8. 3. 2012 finden diese den Kaufgegenstand belastenden Dienstbarkeiten des Gehens und Fahrens und die Leitungsrechte keine Erwähnung. Der Punkt 6. dieses Kaufvertrags lautet auszugsweise wie folgt
„[...] Die Verkäuferin haftet weiters dafür, dass der Vertragsgegenstand frei von allen bücherlichen und außerbücherlichen Lasten und Besitzrechten Dritter ist und verpflichtet sich, die Käuferin diesbezüglich klag‑ und schadlos zu halten; […]“
Die Kläger begehrten gegenüber der Beklagten die Feststellung des Bestehens der in ihren Kaufverträgen mit der ersten Nebenintervenientin vereinbarten Dienstbarkeiten und die Einwilligung in deren Einverleibung im Grundbuch. Sie brachten im Wesentlichen vor, dass es sich bei diesen Verträgen um offenkundige Dienstbarkeiten gehandelt habe, die die Beklagte gegen sich gelten lassen müsse, auch wenn diese nicht verbüchert gewesen seien und ihr vom Verkäufer die Lastenfreiheit zugesichert worden sei. Sie hätte jedenfalls zumutbare Nachforschungen anstellen müssen, um sich Klarheit über die Richtigkeit des Grundbuchstands verschaffen zu können.
Die Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wandte ein, dass sich für sie bei der Besichtigung der Liegenschaft keine Hinweise auf das Bestehen einer Dienstbarkeit ergeben hätten. Der Geschäftsführer der ersten Nebenintervenientin habe Belastungen des Kaufgrundstücks ausdrücklich ausgeschlossen. Sie habe erst nach der Übergabe der Liegenschaft von den Kaufverträgen der Kläger und den darin enthaltenen Dienstbarkeiten erfahren. Selbst wenn diese Dienstbarkeiten offenkundig gewesen wären, hätte weder ein Wege‑ noch ein Leitungsrecht entstehen können. Die Verkäuferin sei im Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft EZ *****8 durch die Beklagte auch Eigentümerin der Nachbarliegenschaft EZ *****9 gewesen. Sie habe daher mit der Zusicherung der Lastenfreiheit im Kaufvertrag vom 8. 3. 2012 wirksam die Erklärung abgeben können und abgegeben, dass keine Servitut an der von der Beklagten erworbenen Liegenschaft entstehen solle.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zum Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbs durch die Beklagte sei aufgrund der vorhandenen asphaltierten Zufahrtsstraße und des dort befindlichen Kanaldeckels offenkundig gewesen, dass das Grundstück der Beklagten dem Grundstück der Kläger diene und auch weiter dienen solle. Die Kläger seien daher berechtigt, die Eintragung einer diesem Zustand entsprechenden Dienstbarkeit zu verlangen, weil die Beklagte zumutbare Nachforschungen unterlassen habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Nach herrschender Rechtsprechung entstehe bei der Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen – wie hier – eine offenkundig der anderen diene und weiterhin dienen solle, auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit, wenn der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt der Übertragung durch offenkundige oder doch ersichtliche Anlagen erkennbar gewesen sei. Auf diese Weise könne die Dienstbarkeit nicht nur für den Erwerber des herrschenden, sondern auch für den Veräußerer des dienenden Grundstücks begründet werden. Die Parteien einer solchen Vertragskonstellation könnten allerdings ausdrücklich und schlüssig auch etwas anderes vereinbaren. Ob die Beklagte als redliche Erklärungsempfängerin die Willenserklärung der ersten Nebenintervenientin über die Zusicherung der Lastenfreiheit im Kaufvertrag vom 8. 3. 2012 unter Bedachtnahme auf die anlässlich der Besichtigung am 3. 3. 2012 erlangten Informationen und Kenntnisse dahin verstehen habe dürfen, dass keine Rechte der Bewohner der gegenüberliegenden Häuser (also der Kläger) an der Vertragsliegenschaft bestehen, könne hier aber dahingestellt bleiben. Es entspreche nämlich der ständigen Rechtsprechung, dass auch eine bloß schuldrechtliche Beziehung zwischen zwei Personen gegen Eingriffe Dritter grundsätzlich zu schützen sei. Dritte dürften das Recht des Gläubigers auf obligationsgemäße Willensrichtung des Schuldners nicht beeinträchtigen. Das Recht auf Leistungsbewirkung entfalte absolute Wirkung. Ein Schadenersatzanspruch werde aber nicht nur bei Verleitung zur Nichteinhaltung des Vertrags, also wissentlicher Beeinträchtigung oder bei arglistigem Zusammenspiel mit dem Vertragspartner bewusst zum Nachteil des Geschädigten bejaht. Bei Verletzung eines – wie hier – besitzverstärkten Forderungsrechts genüge zur Durchsetzung des schadenersatzrechtlichen Restitutionsanspruchs bereits, dass der Erwerber die obligatorische Position gekannt habe oder bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen hätte müssen. Der Besitz bilde gleichsam ein Alarmsignal, das den Erwerber zu Nachforschungen verpflichte, wobei es nicht auf den Besitz als Institut des Sachenrechts, sondern auf seine Funktion als Instrument der typischen Erkennbarkeit von Forderungsrechten ankomme. Der Restitutionsanspruch nach § 1323 ABGB bestehe also schon dann, wenn der Erwerber das durch den physischen Besitz des Gläubigers verstärkte Forderungsrecht leicht fahrlässig nicht erkannt habe. Die Beklagte habe vor Abschluss ihres Kaufvertrags Kenntnis davon erlangt, dass die Bewohner der klägerischen Liegenschaft die teilweise über die Vertragsliegenschaft verlaufende Zufahrtsstraße zu Geh‑ und Fahrzwecken benutzten. Ihr sei in der Natur auch die Grenze zur Liegenschaft der Kläger gezeigt worden, woraus für sie auch ersichtlich sein habe müssen, dass ein Teil der Zufahrtsstraße, auf dem sich auch ein Kanaldeckel befunden habe, über die Vertragsliegenschaft verlaufe. Es hätten somit ausreichende Indizien bestanden, die bei ihr als Liegenschaftserwerberin in sozial-typischer Betrachtung den dringenden Verdacht nach einem den Klägern an jener Fläche eingeräumten Geh‑ und Fahrrecht aufkommen lassen hätte müssen. Ebenso habe sie aus der Lage eines Kanaldeckels in diesem Bereich die Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass auch die angrenzende Liegenschaft der Kläger an dort verlegte Leitungen angeschlossen seien. Die Beklagte habe sich daher nicht einfach auf die Zusicherung der Verkäuferin verlassen dürfen, die Vertragsliegenschaft sei lastenfrei, sondern wäre vielmehr verpflichtet gewesen, sich durch einfache und ihr leicht zumutbare Nachforschungen – etwa durch schlichtes Nachfragen bei der Verkäuferin vor Vertragsunterfertigung oder durch Erkundigung bei den Eigentümern der angrenzenden (klägerischen) Liegenschaft – Gewissheit darüber zu verschaffen, auf welcher Rechtsgrundlage die ihr bekannte Benutzung der Zufahrtsstraße erfolge und welche Liegenschaft durch die im Bereich des Kanaldeckels verlegten Leitungen versorgt werde. Durch derartige einfache Nachforschungen hätte sie Kenntnis von den in den Verträgen zwischen den Klägern und der ersten Nebenintervenientin vereinbarten Dienstbarkeitsrechten erlangen können. Durch das Unterlassen derartiger naheliegender Nachforschungen habe sie in fahrlässiger Weise in die mit der ersten Nebenintervenientin vereinbarten obligatorischen Rechte der Kläger auf Einräumung und Verbücherung der Dienstbarkeiten eingegriffen, weshalb das Erstgericht ihrem Klagebegehren auf Feststellung des Bestehens und auf Einwilligung der Beklagten zur Einverleibung der Dienstbarkeiten zu Recht stattgegeben habe.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.
Den Klägern und den Nebenintervenienten wurde die Revisionsbeantwortung freigestellt. Die Kläger und die erste Nebenintervenientin beantragen, der Revision nicht Folge zu geben, der dritte Nebenintervenient deren Zurück- und in eventu Abweisung. Der zweite Nebenintervenient hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung zwar ausschließlich auf die Beeinträchtigung eines fremden besitzverstärkten Forderungsrechts und damit auf eine für die Parteien überraschende Rechtsansicht gestützt. Der geltend gemachte Anspruch und die Berechtigung des Klagebegehrens lässt sich jedoch verfahrensfehlerfrei aus einem anderen Rechtsgrund ableiten. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für diesen Rechtsgrund, die – von den Klägern behauptete und vom Erstgericht bejahte – Entstehung einer offenkundigen Eigentümerdienstbarkeit, zwar dargestellt; die Frage, ob diese im vorliegenden Fall tatsächlich verwirklicht sind, hat es aber ausdrücklich offen gelassen.
Dazu im Einzelnen:
1. Das Berufungsgericht hat die Berechtigung des Klagebegehrens wegen der Beeinträchtigung eines fremden besitzverstärkten Forderungsrechts bejaht. Ein solcher schadenersatzrechtlicher Restitutionsanspruch wurde im Verfahren vor dem Erstgericht nicht thematisiert; weder erstatteten die Parteien ein gesondertes Sach- und Rechtsvorbringen dazu, noch hat das Gericht diesen rechtlichen Gesichtspunkt mit den Parteien erörtert.
2.1 Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sind der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt und die hierfür angegebenen Tatsachen (RIS‑Justiz RS0037610 [T34, T37], RS0037659 [T5], RS0058336 [T4]). Der Kläger muss seinen Anspruch nicht rechtlich qualifizieren; es genügt vielmehr, dass er seinen aus irgendeinem Rechtsgrund ableitbaren Anspruch durch das Vorbringen von Tatsachen umschreibt (RIS‑Justiz RS0037447, RS0037551, RS0107229). Das Gericht ist daher an eine vom Kläger vorgenommene rechtliche Qualifikation des der Klage zugrundeliegenden Sachverhalts nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0037659). Ist kein bestimmter Rechtsgrund geltend gemacht worden, dann verstößt das Gericht daher nicht gegen die Vorschrift des § 405 ZPO, wenn es unter den in concreto möglichen Ansprüchen die Wahl trifft. Nur dann, wenn ein bestimmter Rechtsgrund ausdrücklich geltend gemacht wird, ist das Gericht daran gebunden und darf der Klage nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (RIS‑Justiz RS0037610 [T43], RS0037593 [T1, T4]). Im Zweifel ist aber keine Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Frage kommenden Rechtsgründen anzunehmen (RIS‑Justiz RS0037610 [T36]). Wenn also der Klage nicht unzweifelhaft entnommen werden kann, dass der Kläger eine andere rechtliche Beurteilung ausschließen wollte, kann im Berufungsverfahren die rechtliche Qualifikation geändert werden, wenn dies das Tatsachenvorbringen in erster Instanz zulässt und die tatsächlichen Behauptungen keine Änderung erfahren haben (RIS‑Justiz RS0037610 [T12]).
2.2 Dem Vorbringen der Kläger hier ist (zumindest im Zweifel) nicht zu entnehmen, dass sie ihren Anspruch ausschließlich auf sachenrechtliche Rechtsgründe und nicht hilfsweise auch auf andere, insbesondere nicht auch auf einen schadenersatzrechtlichen Restitutionsanspruch, stützen wollten. Da die Kläger in diesem Sinne keinen bestimmten Rechtsgrund geltend gemacht haben, stellt es– entgegen der Ansicht der Revisionswerber – keinen Verstoß gegen die Vorschrift des § 405 ZPO dar, wenn das Berufungsgericht unter den in concreto möglichen Ansprüchen die Wahl traf (RIS‑Justiz RS0037610 [T43]).
3.1 Allerdings darf das Gericht seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (§ 182a ZPO). Dieses Verbot von Überraschungsentscheidungen bedeutet zwar nicht, dass das Gericht seine Rechtsansicht vor der Entscheidung kundtun muss. Anderes gilt aber dann, wenn rechtserhebliche Tatsachen nicht vorgebracht wurden (RIS‑Justiz RS0122749).
3.2 In einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflichten des § 182a ZPO muss der Rechtsmittelwerber dartun, dass der Verfahrensmangel erheblich ist, sich also auf das Ergebnis des Verfahrens auswirken kann; dieser hat daher darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er auf Grund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (RIS‑Justiz RS0120056 [T2, T8, T12], RS0037095 [T4, T5, T6, T14, T16]).
3.3 Das von der Revisionswerberin zur Relevanz des behaupteten Verstoßes gegen § 182a ZPO dargelegte Vorbringen zu Erfordernis und Wesen des physischen Besitzes, der sozial‑typischen Erkennbarkeit von unterirdischen Leitungen, zum Erfordernis der Wissentlichkeit und dem Fehlen der Fahrlässigkeit des Handelns der Beklagten sowie der Behauptungs‑ und Beweislast erschöpft sich nicht in rechtlichen Ausführungen. Diese Ausführungen beinhalten vielmehr auch über die Feststellungen des Erstgerichts hinausgehende Tatsachenbehauptungen. Es kann also nicht gesagt werden, dass die Verletzung des § 182a ZPO hier keine Rechtsfolgen haben kann, weil nur dieselben Tatsachen, die schon der bisher erörterten Rechtslage zu Grunde lagen, rechtlich anders gewertet werden (vgl RIS‑Justiz RS0120056 [T1, T13]).
4.1 Die Klärung der Rechtsfrage, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für einen schadenersatzrechtlichen Restitutionsanspruch zufolge Beeinträchtigung eines fremden besitzverstärkten Forderungsrechts vorliegen, ist aber zur abschließenden Beurteilung der Berechtigung des Klagebegehren gar nicht erforderlich. Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch lässt sich nämlich jedenfalls aus einem anderen Rechtsgrund ableiten.
4.2 Die erste Nebenintervenientin war im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages mit der Beklagten – mangels grundbücherlicher Durchführung des mit dem Erstkläger und der Zweitklägerin am 15. 3. 2011 abgeschlossenen Kaufvertrags – nach wie vor Alleineigentümerin der beiden Liegenschaften. Nach herrschender Rechtsprechung entsteht bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit, wenn der tatsächliche Zustand im Zeitpunkt der Übertragung durch offenkundige oder doch ersichtliche Anlagen erkennbar war. Auf diese Weise kann die Dienstbarkeit nicht nur für den Erwerber des herrschenden, sondern auch für den Veräußerer des dienenden Grundstücks begründet werden (vgl RIS‑Justiz RS0011547 [T1], RS0011618, RS0119170 [T2], RS0011643, RS0011628, RS0011554). Wesentlich für das Entstehen einer Dienstbarkeit auf diesem Weg ist demnach unabhängig vom angenommenen Begründungsansatz (vgl dazu 5 Ob 273/07v), dass ein Grundstück offenkundig dem anderen dient und weiterhin dienen soll; im Zeitpunkt der Übereignung des dienenden Grundstücks müssen also Anlagen vorhanden sein, die den Zweck des Dienens offenkundig machen (7 Ob 186/15a mwN). Allerdings können die Vertragsparteien ausdrücklich oder schlüssig etwas anderes vereinbaren. Es ist denkbar (wenngleich im Regelfall nicht anzunehmen), dass sie das Entstehen einer Dienstbarkeit ungeachtet von darauf hinweisenden Anlagen durch Vereinbarung ausschließen (7 Ob 186/15a mwN; RIS‑Justiz RS0011618 [T2, T18], RS011554 [T2]).
4.3 Diese Grundsätze sind auch auf den Fall der Veräußerung eines Miteigentumsanteils an der herrschenden Liegenschaft anzuwenden (vgl 7 Ob 186/15a).
4.4 Ob im Zeitpunkt des Erwerbs des dienenden Grundstücks Anlagen oder sonstige Einrichtungen vorhanden waren, die diesen Zweck des Dienens als offenkundig erkennen ließen und eine Erkundigungspflicht auslösten, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0034803 [T19]). Nach dem festgestellten Sachverhalt war es im Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft durch die Beklagten offenkundig, dass der über ihr Grundstück führende Weg (auch) der Nachbarliegenschaft dienen soll und dass dieser für die Benützung dieser Liegenschaft weiterhin notwendig sein wird. Gleiches gilt im Hinblick auf die Lage des Kanaldeckels für die notorisch erforderliche Erschließung der angrenzenden Liegenschaft der Kläger durch unterirdisch, regelmäßig unter Straßenanlagen verlegte Leitungen.
5.1 Die Voraussetzungen für das außerbücherliche Entstehen der vom Kläger behaupteten Dienstbarkeiten liegen demnach grundsätzlich vor. Die Revisionswerberin vertritt jedoch den Standpunkt, dass die Beklagte und die erste Nebenintervenientin das Entstehen einer Dienstbarkeit durch die Zusicherung der Lastenfreiheit im Punkt 6. des Kaufvertrags wirksam vertraglich ausgeschlossen haben.
5.2 Die Auslegung eines Vertrags hat zufolge § 914 ABGB nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern unter Berücksichtigung aller Umstände die Absicht der Parteien zu erforschen. Der Vertrag ist so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Hiebei ist nicht so sehr auf die Wortwahl der Parteien, sondern auf die von ihnen bezweckte Regelung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen abzustellen. Es ist also zwar zunächst vom Wortsinn und der gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, aber in weiterer Folge auch der Wille der Parteien im Sinne der dem Erklärungsempfänger erkennbaren Absicht des Erklärenden zu beurteilen und letztlich sind auch die Grundsätze des redlichen Verkehrs zur Auslegung heranzuziehen (vgl RIS‑Justiz RS0017797, RS0017817, RS0017915).
5.3 Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Sohn des Geschäftsführers der ersten Nebenintervenientin der Beklagten im Zuge der Besichtigung des Hauses vor Abschluss des Kaufvertrags die Grundstücksgrenze zur Liegenschaft der Kläger in der Natur gezeigt und sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Zufahrtsstraße auch von den Bewohnern der gegenüber liegenden Häuser zu Geh- und Fahrzwecken benützt werde. Der (vom Ehemann der Beklagten) mit der Errichtung des Kaufvertrags beauftragte Notar kannte die Gegebenheiten vor Ort nicht. Unmittelbar vor der Unterzeichnung des Kaufvertrags am 8. 3. 2012 fragte dieser den Geschäftsführer der ersten Nebenintervenientin „nach Lasten bzw Belastungen“. Der Geschäftsführer der ersten Nebenintervenientin verneinte diese Frage, weil er der Ansicht war, dass er nach Geldlasten gefragt worden sei. Er wurde nicht ausdrücklich danach gefragt, ob die Liegenschaft mit einer Wegdienstbarkeit belastet sei. Er erklärte dem Vertragserrichter, dass sich dieser bei allfälligen Unklarheiten an seinen Notar, den dritten Nebenintervenienten, wenden solle. Auch die Beklagte fragte weder beim Geschäftsführer der ersten Nebenintervenientin noch im Vorfeld bei den Klägern explizit hinsichtlich des Bestehens allfälliger Dienstbarkeiten nach. Vor diesem Hintergrund ist die im Kaufvertrag vom 8. 3. 2012 schriftlich getroffene Vereinbarung der Lastenfreiheit insofern einschränkend auszulegen, als sich diese nicht auf beim Vertragsabschluss nicht erörterte offenkundige Dienstbarkeiten bezieht. Nach der erkennbaren Absicht der Parteien sollte mit Punkt 6. des Kaufvertrags vom 8. 3. 2012 also nicht vom Regelfall des Entstehens einer Dienstbarkeit abgewichen werden (vgl 7 Ob 186/15a).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Für die Bemessungsgrundlage gemäß den §§ 3 f RATG ist weiterhin die Bewertung des Streitgegenstands durch den Kläger maßgeblich. Den Klägern gebührt nach § 15 RATG (nur) für die Vertretung von drei Mehrparteien ein Streitgenossenzuschlag von 20 %. Die auf Seiten der Kläger beigetretenen, von anderen Rechtsanwälten vertretenen Nebenintervenienten stehen diesen nicht gegenüber (vgl RIS‑Justiz RS0045327, RS0072290, RS0036033).
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