European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00230.21S.0113.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Mutter unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Begründung:
[1] Die Minderjährigen entstammen der im Mai 2020 beendeten Lebensgemeinschaft der Eltern. Die Obsorge für ihren Sohn kommt den Eltern gemeinsam, für ihre Tochter hingegen nur der Mutter allein zu.
[2] Seit Auflösung der Lebensgemeinschaft kam es zu heftigen Streitigkeiten der Eltern. Ihr Konflikt ist mittlerweile hoch eskaliert.
[3] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 19. Oktober 2020 (ON 30) wurde den Eltern die Absolvierung von zehn Stunden gemeinsamer Eltern‑ und Erziehungsberatung aufgetragen.
[4] Das Erstgericht erteilte mit Beschluss vom 19. April 2021 der Mutter wegen Verletzung und zur Durchsetzung ihrer mit diesem Beschluss auferlegten Pflicht im Zeitraum vom 19. Oktober 2020 bis 13. April 2021 einen Verweis und trug dem Vater auf, binnen 14 Tagen über den aktuellen Stand der Erziehungsberatung zu berichten. Die Mutter habe dem Gericht keine Auskunft darüber erteilt, weshalb sie die begonnene Erziehungsberatung wieder abgebrochen habe, es sei daher davon auszugehen, dass sie dies ohne tauglichen Grund zur bloßen Verzögerung getan habe. Zur Durchsetzung der Verpflichtung sei als geringst mögliche Beugestrafe ein Verweis auszusprechen.
[5] Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Mutter als unzulässig zurück. Zwar fehle der in der ursprünglichen Fassung des § 19 Abs 1 Satz 1 AußStrG 1854 genannte Verweis in der aktuellen Gesetzesbestimmung des § 79 Abs 2 AußStrG 2005. Dies schließe die Anwendung dieses Zwangsmittels durch das Außerstreitgericht aber nicht aus. Der Mutter fehle aber das Rechtsschutzbedürfnis, die Erteilung des Verweises im Rechtsmittelweg anzufechten. Es seien nur Gerichtsakte anfechtbar, die eine Anordnungs‑ oder Regelungsabsicht enthalten und auf die Erzeugung von Rechtswirkungen gerichtet seien, daher nicht bloße Ankündigungen, Belehrungen oder Mitteilungen, die nicht in die Rechtsstellung des Adressaten eingreifen. Die Erteilung eines Verweises sei kein Zwangsmittel, das bereits nachteilig in die Rechtssphäre der Partei eingreife. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu, seine Entscheidung sei im Rahmen einheitlicher Rechtsprechung ergangen.
[6] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, in dem sie die Abänderung im Sinn der ersatzlosen Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses, hilfsweise die Zurückverweisung an die Vorinstanzen anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist auch berechtigt.
[8] 1. Beschwerdegegenstand ist bei Beugestrafen – selbst bei Verhängung einer Geldstrafe – nicht deren Geldwert, sondern die Bestrafung als solche (vgl RS0038625). Der Ausspruch einer Beugestrafe ist in keinem Fall rein vermögensrechtlicher Natur. Der Revisionsrekurs ist daher wertunabhängig nach Maßgabe des § 62 Abs 1 AußStrG zu behandeln (RS0038625 [T2]).
[9] 2. Im Vollstreckungsverfahren nach § 110 AußStrG iVm § 79 Abs 2 AußStrG ist eine Zweiseitigkeit des Rechtsmittelverfahrens nicht ausdrücklich vorgesehen (RS0120860 [T16]). § 68 Abs 1 AußStrG sieht die Einholung einer Revisionsrekursbeantwortung nur für Beschlüsse vor, mit denen über die Sache oder über die Kosten entschieden wurde. Die Einräumung rechtlichen Gehörs des Vaters zur (isolierten) Frage der Zulässigkeit des Rechtsmittels der Mutter hält der erkennende Senat nicht für geboten.
[10] 3. In ihrem Revisionsrekurs führt die Mutter im Wesentlichen ins Treffen, das Erstgericht habe weder eine Rechtsbelehrung erteilt noch künftige Zwangsmittel angedroht, sondern den Verweis ausdrücklich als Zwangsmittel und Beugestrafe zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Absolvierung der Erziehungsberatung ausgesprochen. Auch inhaltlich ergebe sich aus den Ausführungen des Erstgerichts, dass der Verweis Bestrafungscharakter haben sollte. Es habe damit – vermeintliches – Fehlverhalten der Mutter mit einer ersten Stufe der Sanktion belegt. Die Entscheidung 7 Ob 524/82 habe den Verweis als Beugestrafe für anfechtbar erklärt.
[11] Diesen Ausführungen ist im Wesentlichen zu folgen.
[12] 3.1. Gemäß § 107 Abs 3 AußStrG kann das Gericht zur Sicherung des Kindeswohls konkrete Aufträge und Verbote an die Eltern aussprechen und erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln nach § 79 AußStrG durchsetzen (Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG2 § 107 Rz 14 mwN). Gemäß § 110 Abs 2 AußStrG hat das Pflegschaftsgericht auf Antrag oder von Amts wegen angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG zur Durchsetzung von Regelungen der Obsorge oder des Rechts auf persönliche Kontakte anzuordnen. Gemäß § 79 Abs 2 AußStrG kommen als Zwangsmittel insbesondere in Betracht:
1. Geldstrafen, auch um vertretbare Handlungen zu erzwingen; für deren Ausmaß und Rückzahlung gilt § 359 EO sinngemäß;
2. die Beugehaft, die nur bei unvertretbaren Handlungen, bei Duldungen oder Unterlassungen bis zur Gesamtdauer von einem Jahr verhängt werden darf;
3. die zwangsweise Vorführung;
4. die Abnahme von Urkunden, Auskunftssachen und anderen beweglichen Sachen,
5. die Bestellung von Kuratoren, die auf Kosten und Gefahr eines Säumigen vertretbare Handlungen vorzunehmen haben.
[13] Diese Zwangsmittel sind keine Strafe für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung, sondern sollen dazu dienen, der Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RS0007330 [T2]; 9 Ob 15/21b).
[14] 3.2. Die Vorinstanzen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass die Aufzählung der Zwangsmittel in § 79 Abs 2 AußStrG nur demonstrativen Charakter hat, was aus dem Wort „insbesondere“ hervorgeht (Albiez in Schneider/Verweijen AußStrG § 79 Rz 6). Das Gericht muss sich daher nicht auf die in § 79 Abs 2 AußStrG genannten Zwangsmittel beschränken, es hat ein anderes, dort nicht aufgezähltes Zwangsmittel zu wählen, wenn dies im konkreten Fall zur Durchsetzung der prozessualen Verfügung angemessen ist. Ein solches Zwangsmittel ist etwa der Verweis, der in § 19 Abs 1 Satz 2 AußStrG 1854 ausdrücklich angeführt war (Pimmer in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG I2 § 79 Rz 19).
[15] 3.3. § 19 AußStrG 1854 sah in der bis 2004 geltenden Fassung vor, dass gegen Parteien, die an sie ergangene Verfügungen des Gerichts unbefolgt lassen, ohne weiteres rechtliches Verfahren von Amts wegen angemessene Zwangsmittel in Anwendung zu bringen sind. Wenn Verweise, Geld‑ und Arreststrafen nicht fruchten sollten, so waren nach Umständen auf Kosten der Saumseligen Kuratoren zur Beendigung der Sache zu bestellen.
[16] 3.4. In der Entscheidung 7 Ob 524, 527/82 (vgl RS0006293 [T2]) befasste sich der Oberste Gerichtshof mit der Anfechtbarkeit eines erteilten Verweises in einem Kontaktrechtsverfahren. Dort behob er den auf Zurückweisung des Rekurses der Mutter lautenden Beschluss des Rekursgerichts und trug diesem die inhaltliche Entscheidung über deren Rekurs auf. Der Beschluss des Erstrichters habe nicht nur die – unbekämpfbare – Androhung einer Geldstrafe enthalten, sondern bereits den Ausspruch eines Verweises wegen Zuwiderhandelns gegen den Exekutionstitel über das Recht des Vaters zum persönlichen Verkehr mit dem Kind. Dabei handle es sich um die Verhängung einer Beugestrafe – wenn auch nur als Verweis – der nach der allgemeinen Regel des § 9 Abs 1 AußStrG (1854) anfechtbar sei.
[17] 4.1. Dem Rekursgericht ist zunächst dahin zu folgen, dass die bloße Androhung einer Ordnungsstrafe für den Fall der Nichtbefolgung der ergangenen Verfügung nur eine Belehrung und Warnung über die im Gesetz normierten Ungehorsamsfolgen ist, nicht aber schon eine der Anfechtung und Überprüfung zugängliche Verfügung des Gerichts im Sinn des § 9 AußStrG 1854 (RS0006293, RS0006399). Sie ist daher nicht der Rechtskraft fähig und gefährdet die Rechtsstellung des Beteiligten noch nicht, weshalb ihm eine Beschwer zur Erhebung eines Rechtsmittels fehlt (RS0006399). Bloße Aufforderungen oder Androhungen sind – als nicht der Rechtskraft fähig – nicht geeignet, die Rechtsstellung des Beteiligten zu gefährden (RS0006399 [T5]).
[18] 4.2. Diese Rechtsprechung hat der Oberste Gerichtshof zum AußStrG 2005 ausdrücklich aufrecht erhalten (RS0006293 [T4]). Abzustellen ist darauf, ob der Gerichtsauftrag erst mit dessen zwangsweiser Durchsetzung durch Verhängung von Ordnungsstrafen in die Rechtssphäre des Beteiligten eingreift; diesfalls ist er nämlich selbst noch mit keiner unmittelbar nachteiligen Rechtsfolge verbunden und daher unanfechtbar (RS0006399 [T11]).
[19] 4.3. Von einer bloßen Belehrung oder Androhung einer Ordnungsstrafe ist bei dem hier vom Erstgericht erteilten Verweis nicht auszugehen. Der Verweis soll vielmehr nach seinem Spruch ausdrücklich der Durchsetzung des auf § 107 Abs 3 AußStrG gegründeten Auftrags zur gemeinschaftlichen Erziehungsberatung (somit der dadurch konkretisierten Elternpflichten – vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG2 § 107 Rz 18) dienen. Folgerichtig sprach das Erstgericht in seiner Begründung mehrfach von der Anwendung von Zwangsmitteln und Verhängung einer Beugestrafe. Wenn es meint, mit der „geringstmöglichen Strafe“ das Auslangen zu finden und der Verweis mit keinen weiteren Rechtsfolgen verbunden sei, ist doch nicht außer Acht zu lassen, dass ein rechtskräftig der Mutter wegen Missachtung der ihr nach § 107 Abs 3 AußStrG auferlegten Verpflichtung zur Absolvierung einer Erziehungsberatung erteilter Verweis geeignet sein kann, ihre Rechtsstellung im (nach wie vor anhängigen) Obsorge‑ und Kontaktrechtsstreit nachteilig zu beeinflussen. Bei ungerechtfertigter Weigerung der Eltern, gerichtliche Anordnungen nach § 107 Abs 3 AußStrG zu erfüllen, werden daraus nämlich Zweifel an ihrer uneingeschränkten Erziehungsfähigkeit gefolgert werden müssen (Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG2 § 107 Rz 14). Dass ein rechtskräftig erteilter Verweis – gerade im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG – keine nachteiligen Rechtswirkungen für sie auslöste, kann in dieser Allgemeinheit nicht gesagt werden. Es ist daher von einem grundsätzlich anfechtbaren, nicht bloß verfahrensleitenden Beschluss im Sinn des § 45 AußStrG auszugehen.
[20] 4.4. Auch im Verfahren außer Streitsachen muss ein Rechtsschutzinteresse an der inhaltlichen Behandlung des Rechtsmittels bestehen (RS0006598). Die materielle Beschwer reicht dafür aus; sie liegt vor, wenn die rechtlich geschützten Interessen des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt werden (RS0006641). Dies ist hier aber der Fall; die Erteilung des Verweises begründete das Erstgericht damit, die Mutter habe nicht ausreichend erläutert, weshalb sie die begonnene Erziehungsberatung abgebrochen habe, sodass davon auszugehen sei, sie habe dies zur bloßen Verzögerung getan. Im Fall der Rechtskraft dieses Beschlusses könnten daraus – wie bereits erörtert – Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit abgeleitet werden. Die Legitimation der Mutter gegen den ihr erteilten Verweis ein Rechtsmittel zu erheben, ist daher zu bejahen.
5. Zusammenfassend folgt:
[21] Ungeachtet des Umstands, dass der Verweis nunmehr in § 79 Abs 2 AußStrG nicht mehr ausdrücklich als Zwangsmittel genannt wird, kann dieser – auch zur Durchsetzung von nach § 107 Abs 3 AußStrG ergangenen Aufträgen im Kontaktrechts‑ und Obsorgeverfahren – als Beugemittel eingesetzt werden. Im Hinblick auf den Charakter des Verweises als Beugemittel zur Erzwingung eines dem rechtskräftigen gerichtlichen Auftrag entsprechenden Verhaltens und die aus der Missachtung eines solchen Auftrags ableitbaren Zweifel an der Erziehungsfähigkeit ist die Anfechtbarkeit eines solchen Verweises sowie die materielle Beschwer und das Rechtsschutzinteresse des Adressaten dieses Verweises zu bejahen.
[22] 6. Damit war der rekursgerichtliche Zurückweisungsbeschluss aufzuheben. Das Rekursgericht wird unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund das Rechtsmittel der Mutter inhaltlich zu behandeln haben. Dass der Erstrichter mittlerweile vom Rekursgericht mit Entscheidung vom 20. Juli 2021 (vgl hiezu auch 5 Ob 162/21s) rechtskräftig für befangen erklärt wurde, wird dabei nicht zu berücksichtigen sein. Das Rekursgericht sah rechtskräftig von einer Nichtigerklärung der Verfahrenshandlungen des Erstrichters vor dem Ablehnungsantrag der Mutter vom 18. Mai 2021 ab, der nunmehr angefochtene Beschluss des Erstgerichts wurde noch davor gefasst.
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