OGH 5Ob2/24s

OGH5Ob2/24s3.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Grundbuchsache der Antragsteller 1. A* W*, MSc, *, 2. M* G*, beide vertreten durch die Gruböck und Lentschig Rechtsanwälte OG in Baden, wegen Begründung von Wohnungseigentum an einem Kfz‑Abstellplatz ob EZ * KG *, über den ordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 10. Oktober 2023, AZ 17 R 95/23a, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 27. Juli 2023, TZ 4769/2023, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00002.24S.0903.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Antragsteller sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Das Wohnungseigentum wurde im Jahr 1977 nach dem Regime des WEG 1975 begründet.

[2] Mit den Miteigentumsanteilen der Zweitantragstellerin ist das Wohnungseigentum an der Wohnung W 6 St III verbunden. Dieser Wohnung sind gemäß dem Nutzwertfestsetzungsbeschluss vom 25. 5. 1976 die Autoabstellplätze 8 und 9 als Zubehör zugeordnet. In diesem Nutzwertfestsetzungsbeschluss ist für diese Abstellplätze („Abstellplatz 8 + 9“) eine Nutzfläche von 32,94 m2 und ein Nutzwert von 10 ausgewiesen.

[3] Die Antragsteller begehrten unter Berufung auf einen „Vertrag über einen Autoabstellplatz“ vom 13. 7. 2023, der die Übertragung des Abstellplatzes 9 an den Erstantragsteller regelt und dem der Nutzwertfestsetzungsbeschluss vom 25. 5. 1976 angeschlossen ist, zu je 5/3084stel Anteilen die Begründung von Wohnungseigentum an den Abstellplätzen 8 und 9.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag ab.

[5] Für die Begründung von Wohnungseigentum müsse sich der Nutzwert des Abstellplatzes zweifelsfrei aus der früheren Nutzwertermittlung ergeben (§ 56 Abs 1 WEG 2002). Dem Nutzwertfestsetzungsbeschluss vom 25. 5. 1976 sei nur der Gesamtnutzwert für die Abstellplätze 8 und 9 zu entnehmen. Zudem sei dieser Beschluss im Original und einwandfrei lesbar vorzulegen.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller nicht Folge.

[7] Der mit der WRN 2006 dem § 56 Abs 1 WEG 2002 angefügte letzte Satz ermögliche die erleichterte „Abspaltung“ bisher – gemäß dem Regime des WEG 1975 – im Zubehör-Wohnungseigentum gestandener Abstellplätze für Kraftfahrzeuge in selbständiges Wohnungseigentum. Nach dieser Bestimmung bedürfe die Begründung von selbständigem Wohnungseigentum an einem im Zubehör-Wohnungseigentum stehenden Abstellplatz für ein Kraftfahrzeug nicht der Zustimmung der anderen Miteigentümer und eine Nutzwertfestsetzung gemäß § 9 Abs 2, 3 oder 6 WEG 2002 sei entbehrlich, wenn sich der Nutzwert des Abstellplatzes zweifelsfrei aus der früheren Nutzwertermittlung ergebe.

[8] Entgegen der Argumentation im Rekurs ergebe sich aus dem Nutzwertfestsetzungsbeschluss vom 25. 5. 1976 nicht zweifelsfrei, dass den Abstellplätzen 8 und 9 ein Nutzwert von jeweils 5/3084stel Anteilen zukomme, weil die Abstellplätze 8 und 9 (so wie auch die Abstellplätze 12 und 13) nie getrennt ausgewiesen seien. Dem Nutzwertfestsetzungsbeschluss könne auch nicht entnommen werden, dass sämtliche Parkplätze der Anlage gleich groß seien, auch wenn eine – nach dem Gesetzeswortlaut nicht ausreichende – gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spreche.

[9] Der Frage der ausreichenden Lesbarkeit, von der das Rekursgericht zugunsten der Antragsteller ausgehe, wie auch der Frage, ob die Vorlage einer bloßen Ausfertigung des Nutzwertfestsetzungsbeschlusses vom 25. 5. 1976 ausreiche, komme keine entscheidende Bedeutung zu, weil auf Basis dieses Beschlusses die Begründung von selbständigem Wohnungseigentum an den Abstellplätzen 8 und 9 ausgeschlossen sei.

[10] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Verständnis des in § 56 Abs 1 Satz 3 WEG 2002 verwendeten Begriffs „zweifelsfrei“.

Rechtliche Beurteilung

[11] Der Revisionsrekurs der Antragsteller ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) – nicht zulässig.

[12] 1. Nach dem WEG 1975 war selbständiges Wohnungseigentum an einem Kfz-Abstellplatz außerhalb von Parkhäusern nicht möglich. Die Begründung eines ausschließlichen dinglichen Nutzungsrechts an einem Kfz‑Abstellplatz war nur in Form von Zubehör-Wohnungseigentum vorgesehen. Mit dem WEG 2002 entschloss sich der Gesetzgeber die selbständige Wohnungseigentumsbegründung an Kfz‑Abstellplätzen zuzulassen (5 Ob 32/05z; 5 Ob 109/09d).

[13] 2. Nach dem mit der WRN 2006 dem § 56 Abs 1 WEG 2002 angefügten letzten Satz bedarf die Begründung von selbständigem Wohnungseigentum an einem im Zubehör-Wohnungseigentum stehenden Abstellplatz für ein Kraftfahrzeug nicht der Zustimmung der anderen Miteigentümer; eine Nutzwertfestsetzung gemäß § 9 Abs 2, 3 oder 6 WEG 2002 ist entbehrlich, wenn sich der Nutzwert des Abstellplatzes zweifelsfrei aus der früheren Nutzwertermittlung ergibt.

[14] Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es damit allein in der Entscheidungsfreiheit des jeweiligen Wohnungseigentümers liegen, den nach früherem Recht in seinem Zubehör-Wohnungseigentum stehenden Kfz‑Abstellplatz in ein selbständiges Wohnungseigentumsobjekt umzuwandeln. In dem Fall, dass sich der Nutzwert des Kfz‑Abstellplatzes bereits eindeutig aus der ursprünglichen Nutzwertermittlung (unabhängig davon, ob die bisherigen Nutzwerte auf einem Gutachten oder einer gerichtlichen oder behördlichen Nutzwertfestsetzung beruhten) ergebe, solle es nicht erforderlich sein, eine (Neu-)Festsetzung der Nutzwerte und damit eine Neuberechnung der Nutzwerte für die gesamte Liegenschaft (der ja auch alle übrigen Miteigentümer beizuziehen wären) vorzunehmen. Der Wohnungseigentümer brauche diesfalls daher für die bücherliche Eintragung des neuen Wohnungseigentumsobjekts „Kraftfahrzeug-Abstellplatz“ keine Nutzwertfestsetzung vorzulegen. Freilich setze die Entbehrlichkeit einer Nutzwertfestsetzung voraus, dass der Nutzwert des Abstellplatzes auch ohne technisches Sachverständigenwissen ohne Zweifel erkennbar sei (RV 1183 BlgNR XXII. GP  31).

[15] 3. Die Antragsteller begründen die Zulässigkeit des Revisionsrekurses – die Zulassungsbegründung des Rekursgerichts verallgemeinernd – damit, dass es zur Bestimmung des § 56 Abs 1 Satz 3 WEG 2002 keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebe.

[16] Das Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung begründet allerdings dann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige, Regelung trifft, sich die relevanten Rechtsfragen also unmittelbar aufgrund des Gesetzes und seiner Materialien zweifelsfrei lösen lassen (RS0042656). Das ist hier der Fall.

[17] Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht die wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt (RS0008896 [T4]). Die Gesetzesauslegung darf zwar bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben. Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv‑teleologische Interpretation; RS0008836 [T4]). Nur wenn nach der Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes noch zweifelhaft bleibt, ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen (RS0008836 [T2]).

[18] Der Wortlaut des § 56 Abs 1 Satz 3 WEG 2002, nach dem eine Nutzwertfestsetzung nur dann entbehrlich ist, wenn der Nutzwert des Abstellplatzes sich „zweifelsfrei“ aus der früheren Nutzwertermittlung ergibt, ist insoweit klar und eindeutig. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem des Gesetzgebers bedeutet „zweifelsfrei“ (ummissverständlich) eindeutig und so beschaffen, dass keine Zweifel bestehen (vgl RV 1183 BlgNR XXII. GP  31 [„eindeutig“, „ohne Zweifel“]).

[19] (Nur) Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung zur allgemeinen Prüfpflicht nach § 94 Abs 1 GBG. Danach hat das Grundbuchsgericht das Ansuchen und dessen Beilagen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Es darf eine grundbücherliche Eintragung unter anderem nur dann bewilligen, wenn das Begehren durch den Inhalt der beigebrachten Urkunden begründet erscheint (§ 94 Abs 1 Z 3 GBG). Dabei ist es dem Grundbuchsgericht verwehrt, eine undeutliche und zu begründeten Zweifeln Anlass gebende Urkunde auszulegen. Durch den Inhalt der Urkunden erweckte und nicht restlos beseitigte Zweifel haben vielmehr zur Abweisung des Grundbuchsgesuchs zu führen (RS0060573). Wenn es auch dem Grundbuchsgericht durchaus zusteht, aus den ihm vorgelegten Urkunden unmittelbar logische Schlussfolgerungen zu ziehen (RS0060878 [T36]; RS0060573 [T16]), hat es sich doch im Übrigen auf die Auslegung des Wortlauts eines Vertrags zu beschränken, keinen davon abweichenden Parteiwillen zu ermitteln und keine Zweifelsfragen durch vom Wortsinn nicht mehr gedeckte Interpretation zu klären (5 Ob 157/23h mwN). Für eine großzügigere teleologische Interpretation des § 56 Abs 1 Satz 3 WEG 2002 besteht im Grundbuchsverfahren daher kein Raum.

[20] 4. Ob sich der Nutzwert des Abstellplatzes „zweifelsfrei“ aus der früheren Nutzwertermittlung, also aus einem Nutzwertgutachten oder einer behördlichen oder gerichtlichen Nutzwertfestsetzung ergibt, richtet sich nach den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls; diese Beurteilung könnte daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufwerfen, wenn dem Rekursgericht eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (vgl RS0060573 [T18]; RS0060878 [T55]).

[21] Eine solche korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zeigen die Antragsteller in ihrem Revisonsrekurs aber nicht auf. Den Abstellplätzen 8 und 9 wurde im Nutzwertfestsetzungsbeschluss ein Nutzwert von insgesamt 10 zugewiesen. Gleichzeitig wurde festgehalten, dass die Nutzfläche dieser beiden Parkplätze 32,94 m2 beträgt. Den Antragstellern ist zwar zuzugestehen, dass aus dem Nutzwertfestsetzungsbeschluss ersichtlich ist, dass die Nutzfläche der Abstellplätze jener Wohnungseigentumsobjekte, denen nur ein Abstellplatz zugeordnet ist, jeweils mit 16,47 m2 ausgewiesen ist, die Nutzfläche der beiden Abstellplätze 8 und 9 also insgesamt genau doppelt so groß ausgewiesen ist. Aus diesem Umstand allein ergibt sich aber nicht zwingend, dass sämtliche Parkplätze in der Anlage – also auch jene, die ausnahmsweise gemeinsam einem Wohnungseigentumsobjekt zugeordnet wurden – gleich groß sind. Analoges gilt für die den Abstellplätzen zugewiesenen Nutzwerte: Allein aus dem Umstand, dass bei allen Wohnungseigentumsobjekten, denen nur ein Abstellplatz zugewiesen wurde, der Nutzwert der Abstellplätze jeweils mit 5 ausgewiesen ist, der den beiden Abstellplätzen 8 und 9 zugewiesene Nutzwert also genau dem Doppelten entspricht, ergibt sich nicht zwingend, dass den Abstellplätzen 8 und 9 jeweils nur ein Nutzwert von 5 zukommen kann. Die Bedachtnahme auf außerhalb des Urkundenbeweises liegende Tatsachen kommt nicht in Betracht (5 Ob 10/23s).

[22] Die Beurteilung des Rekursgerichts, der (Einzel-) Nutzwert der Abstellplätze 8 und 9 könne dem Nutzwertfestsetzungsbeschluss nicht zweifelsfrei entnommen werden, ist damit keine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[23] 5. Weitere Abweisungsgründe müssen nicht geprüft werden, weil das Grundbuchsgesuch mit den vorgelegten Urkunden nicht wiederholt werden kann (RS0060544).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte