OGH 5Ob216/20f

OGH5Ob216/20f21.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Alexander Bosio, Rechtsanwalt in Zell am See, gegen die beklagte Partei E*, vertreten durch C*, Vereinigtes Königreich, dieser vertreten durch Mag. Michael Rattenwander, Rechtsanwalt in Saalfelden, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 30. Jänner 2019, GZ 22 R 393/18z‑23, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am See vom 5. November 2018, GZ 18 C 184/18d‑18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130608

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.253,04 EUR (darin enthalten 208,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens einschließlich des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Union zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Beide Parteien sind Wohnungseigentümer eines im Bundesland Salzburg gelegenen Hauses. Der Kläger bewohnt sein Wohnungseigentumsobjekt. Die beklagte Gesellschaft hat ihren Sitz im Vereinigten Königreich. Sie benutzt ihr Wohnungseigentumsobjekt, das zu Wohnzwecken gewidmet wurde, zu touristischen Zwecken, indem sie es regelmäßig an Feriengäste vermietet.

[2] Der Kläger begehrt in seiner beim Bezirksgericht Zell am See eingebrachten Klage die Unterlassung der widmungswidrigen und mangels Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer eigenmächtigen touristischen Nutzung, die das Wohnungseigentumsrecht des Klägers beeinträchtige. Er berief sich auf den Gerichtsstand des Art 24 Nr 1 Unterabs 1 erste Alternative EuGVVO 2012.

[3] Die Beklagte erhob die Einrede der örtlichen und internationalen Unzuständigkeit.

[4] Das Erstgericht verneinte seine örtliche und internationale Zuständigkeit und wies die Klage zurück. Der Rechtsstreit über eine privatrechtliche Nutzungsvereinbarung zwischen Wohnungseigentümern berühre nicht unmittelbar deren dingliche Rechtsstellung.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und wies die Einrede der örtlichen und internationalen Unzuständigkeit ab. Es bejahte den ausschließlichen Gerichtsstand der gelegenen Sache nach Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012. Dieser erfasse auch Eigentumsfreiheitsklagen eines Wohnungseigentümers nach § 523 ABGB. Lediglich Streitigkeiten in Wohnungseigentumsangelegenheiten, bei denen ausschließlich schuldrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, fielen nicht darunter. Die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts beruhe zwar auf der privatrechtlichen Einigung der Wohnungseigentümer (in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag). Die Widmung zu einer bestimmten Nutzung und das Festhalten an der dadurch definierten Nutzung gehöre aber zu den absolut geschützten, dinglichen Rechten eines Wohnungseigentümers. Das Rekursgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs aufgrund fehlender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage zu, ob die Abwehr einer widmungswidrigen Nutzung eines anderen Wohnungseigentumsobjekts auf Grundlage der dinglichen Rechtsstellung des Wohnungseigentümers erfolge.

[6] Aus Anlass des – beantworteten – Revisionsrekurses der Beklagten leitete der Oberste Gerichtshof zu 5 Ob 52/19m ein Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung der Fragen ein, ob Klagen eines Wohnungseigentümers, die einem anderen Wohnungseigentümer verbieten wollen, sein Wohnungseigentumsobjekt, insbesondere dessen Widmung eigenmächtig ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, 1. Art 24 Nr 1 Unterabs 1 erste Alternative der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die Gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (EuGVVO 2012), 2. in eventu Art 7 Nr 1 Buchstabe a EuGVVO 2012 unterliegen.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1.1 Der Gerichtshof der Union hat auf diese Fragen wie folgt geantwortet (C‑433/19 ):

„1. Art. 24 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die Klage eines Wohnungseigentümers, mit der einem anderen Wohnungseigentümer der selben Liegenschaft verboten werden soll, die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung seines Wohnungseigentumsobjekts eigenmächtig und ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, ein Verfahren ist, welches 'dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen' im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand hat, soferne diese Widmung nicht nur den Miteigentümern dieser unbeweglichen Sache, sondern jedermann entgegengehalten werden kann, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

2. Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass dann, wenn die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts nicht jedermann entgegengehalten werden kann, die Klage eines Wohnungseigentümers, mit der einem anderen Wohnungseigentümer der selben Liegenschaft verboten werden soll, die Widmung seines Wohnungseigentumsobjekts eigenmächtig und ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, ein Verfahren ist, das 'ein[en] Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag' im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand hat. Unter Vorbehalt einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist der Erfüllungsort der Verpflichtung der Ort, an dem das Wohnungseigentumsobjekt gelegen ist.“

[8] 1.2 Zur ersten Frage, ob die auf Unterlassung der widmungswidrigen Verwendung eines Wohnungseigentumsobjekts gerichtete Klage ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache im Sinn von Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012 zum Gegenstand hat, und damit der in dieser Bestimmung geregelte ausschließliche Gerichtsstand der gelegenen Sache verwirklicht ist, ist nach Auffassung des Gerichtshofs zu prüfen, ob die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts – hier zu Wohnzwecken – gegenüber jedermann wirke. Dies wäre dann der Fall, wenn die Widmung nicht nur den anderen Wohnungseigentümern, sondern auch Personen entgegengehalten werden könnte, die nicht als Parteien dieser Vereinbarung anzusehen seien (Rn 31 und 32).

[9] 1.3 Zur Antwort auf die zweite Frage führte der Gerichtshof aus, dass der Eintritt in eine Eigentümergemeinschaft durch den Erwerb einer Eigentumswohnung samt Miteigentumsanteilen eine freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung sei, in der sich der Wohnungseigentümer mit dem Aufrechterhalten sämtlicher Bestimmungen des Wohnungseigentumsvertrags einverstanden erkläre, weshalb die Wohnungseigentümer aufgrund des Wohnungseigentumsvertrags in einer freiwillig eingegangenen vertraglichen Beziehung im Sinn des Art 7 Nr 1 Buchst a der EuGVVO 2012 stünden (Rn 38–40). Die Pflicht, an der durch die Widmung definierten Nutzung festzuhalten, gehöre zum absolut geschützten Recht jedes Wohnungseigentümers. Diese Pflicht solle die ungestörte Nutzung des Wohnungseigentumsobjekts durch den Eigentümer gewährleisten und sei am Ort der gelegenen Sache zu erfüllen. Dieses Ergebnis entspreche auch dem Ziel der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften, weil ein durch den Wohnungseigentumsvertrag an eine Widmung gebundener Wohnungseigentümer vernünftigerweise erwarten könne, vor den Gerichten des Ortes der gelegenen Sache verklagt zu werden. Dieses Gericht sei auch am besten geeignet, um über diesen Rechtsstreit zu entscheiden(Rn 44–46).

[10] 2.1 Der ausschließliche Gerichtsstand nach Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012 steht nach der Entscheidung des Gerichtshofs nur dann zur Verfügung, wenn die Widmung nicht nur den anderen Wohnungseigentümern, sondern auch dritten Personen entgegengehalten werden kann.

[11] 2.2 Die Widmung eines Wohnungseigentums‑objekts bestimmt sich ausschließlich nach der privatrechtlichen Einigung der Wohnungseigentümer, die in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag erfolgt (RIS‑Justiz RS0120725). Die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts zu einer bestimmten Nutzung und das Festhalten an der dadurch definierten Nutzung gehört zu den absolut geschützten Rechten jedes Wohnungseigentümers (5 Ob 148/11t; 5 Ob 200/12s; RS0083132 [T8]). Eine Änderung der Widmung von Wohn‑ auf Geschäftszwecke (und umgekehrt), die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte, bedarf der Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG (stRsp RS0083132 [T5, T7]). Eine – hier beanstandete – wiederholte und kurzfristige Vermietung von als Wohnung gewidmeten Wohnungseigentumsobjekten zu touristischen Zwecken kann nach der Rechtsprechung eine derartige genehmigungspflichtige Änderung sein (3 Ob 158/11y; 5 Ob 59/14h; RS0083132 [T7, T9]).

[12] 2.3 Gegen eine eigenmächtige Widmungsänderung kann jeder andere Wohnungseigentümer mit Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB vorgehen (stRsp RS0083156 ua). Diese Klage steht nach der Rechtsprechung sowohl gegen den änderungswilligen Wohnungseigentümer (RS0012137; 5 Ob 65/17w mwN) als auch gegen Dritte zur Verfügung, wie gegen den Mieter eines zu Wohnzwecken gewidmeten Wohnungseigentumsobjekts, in dem ein Unternehmen betrieben wird (5 Ob 241/09s; RS0083132 [T6]).

[13] 2.4 Die Wirkung der zwischen den Wohnungseigentümern privatrechtlich geregelten Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts beschränkt sich daher nicht auf die Wohnungseigentümer. Der Kläger beruft sich zu Recht auf den Gerichtsstand der gelegenen Sache nach Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012. Der Revisionsrekurs ist aus diesen Erwägungen nicht berechtigt.

[14] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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