OGH 5Ob196/22t

OGH5Ob196/22t31.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Krist Bubits Rechtsanwälte OG in Mödling, gegen die beklagten Parteien 1. I*, 2. M*, ebenda, beide vertreten durch anwaltschriefl KG in Mödling, wegen Feststellung, Beseitigung und Unterlassung, über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse 6.000 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 21. Juli 2022, GZ 58 R 59/22g‑70, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 28. Februar 2022, GZ 3 C 1050/18k‑64, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00196.22T.0131.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin (unter anderem) des Grundstücks 234/4 KG *, das als Wiese/Feld landwirtschaftlich genutzt wird. Ihr Grundstück grenzt östlich an das Grundstück 234/7 derselben KG an, das im Miteigentum der Beklagten steht. Die Rechtsvorgänger der Streitteile vereinbarten zugunsten der Eigentümer des herrschenden Grundstücks 234/4 zu Lasten des dienenden Grundstücks 234/7 ein auch grundbücherlich einverleibtes Geh‑ und Fahrtrecht, das dem Berechtigten die Ausübung folgender Rechte gewährleistet:

a) die Benützung des dienenden Grundstücks in einer Breite von mindestens 3 m durch Fahrzeuge und die Benützung dieses Grundstücksstreifens zum Zweck des Gehens;

b) die Benützung durch Einsatzfahrzeuge des Rettungs‑, Katastrophen‑ und Sicherheitsdienstes;

c) die Verlegung, Instandhaltung und Wartung aller für eine widmungsgemäße Verwendung des herrschenden Grundstücks als Bauplatz erforderlichen Ver‑ und Entsorgungsleitungen.

[2] Die Beklagten haben ihr Grundstück eingefriedet und ein Eisentor an der Einmündung des Servitutswegs in die *gasse sowie ein Tor im hinteren Bereich des Weges an der Grenze zum Grundstück 234/4 errichtet. Da die zunächst unversperrten Tore fallweise nicht sofort nach Passieren durch die Klägerin geschlossen wurden, versperrten sie die Beklagten. Sie schufen über eine Handy‑App die Möglichkeit, nach Anläuten oder Telefonanruf die Tore zu öffnen. Den Schlüssel hatte die Klägerin einem nahe am Tor angebrachten Schlüsselsafe zu entnehmen, zu dem sie die Kombination erhielt. Die Beklagten brachtenaußerdem sechs Kameras an ihrem Wohnhaus an, eine ist auf das vordere straßenseitige Eingangstor ausgerichtet.

[3] Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur mehr die Begehren der Klägerin, die auf das vordere straßenseitige Eingangstor gerichtete Kamera zu entfernen sowie das vordere straßenseitige Eisentor und das Zauntor am hinteren Ende des Servitutsweges entweder jederzeit offen zu halten oder vollständig zu entfernen undderartige Störungen der einverleibten Dienstbarkeit in Hinkunft zu unterlassen.

[4] Das Erstgericht wies auch diese Begehren ab.

[5] Das Berufungsgericht gab diesen Begehren statt. Als Störung der Servitut sei jedes Verhalten zu werten, das mit oder ohne weitere Mitwirkung des Störers in adäquat kausaler Weise eine Beeinträchtigung des Servitutsrechts zur Folge habe. Da die Klägerin den Servitutsweg nur nutzen könne, nachdem sie angerufen oder geläutet habe, und dabei von der auf das Eingangstor gerichteten Kamera registriert werde, liege eine Störung ihres Geh‑ und Fahrtrechts vor. Die Klägerin oder ihr zurechenbare Dritte könnten dadurch veranlasst werden, die Nutzung des Weges zu unterlassen. Die Errichtung versperrter Tore bewirke für den Berechtigten eine unzumutbare Erschwerung der Ausübung der Dienstbarkeit des Geh‑ und Fahrtrechts. Die Abwägung der jeweiligen Interessen rechtfertige es nicht, versperrbare Tore quer über den Servitutsweg anzubringen, die die Klägerin nur öffnen könne, wenn sie sich zuvor bei den Beklagten anmelde.

[6] Beide Begehren bewertete das Berufungsgericht mit jeweils 5.000 EUR, jedoch nicht 30.000 EUR übersteigend. Die ordentliche Revision ließ es zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob auch in der Registrierung durch eine Überwachungskamera eine Störung der Ausübung des Geh‑ und Fahrtrechts gelegen sein könne und ob die immer bedeutsamer gewordene Bedachtnahme auf das Kindeswohl die Einschränkung selbst gemessener Servituten rechtfertige.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, in der sie die Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung der abweisenden erstinstanzlichen Entscheidung auch in diesem Umfang beantragen, hilfsweise einen Aufhebungsantrag stellen.

[8] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

[9] Die Revision ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, sie kann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1.1. Sind – wie hier – Art und Ausmaß der Servitut durch den Titel unzweifelhaft konkret bestimmt, liegt eine „gemessene“ Servitut vor (RIS‑Justiz RS0116523). Gemessene Servituten dürfen nicht über die durch den Erwerbstitel gezogene Grenze ausgedehnt werden. Es wäre aber unzulässig, daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass gemessene Servituten keinesfalls eingeschränkt werden dürften (RS0105550 [T2]; 1 Ob 215/10i). Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist allerdings in Anbetracht des durch die Vereinbarung klar manifestierten Parteiwillens die Einschränkung nur bei nachträglicher wesentlicher Änderung der Umstände und klar überwiegender Interessenlage auf Seiten des Verpflichteten zulässig (RS0116522). Diese Beurteilung ist von den Umständen des konkreten Einzelfalls und der ebenfalls singulären Situierung des betroffenen Dienstbarkeitsrechts in der Natur abhängig und wirft daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (7 Ob 224/04y; 1 Ob 215/10i).

[11] 1.2. Unabhängig davon, ob es sich um eine gemessene oder ungemessene Servitut handelt, hat sichnach der Rechtsprechung (RS0011740) der Dienstbarkeitsberechtigte jedenfalls nur solche Einschränkungen gefallen zu lassen, die die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschweren. Erhebliche oder gar unzumutbare Erschwernisse musser nicht hinnehmen (RS0011733 [T5]; 8 Ob 25/21s). Selbst die Errichtung eines unversperrten Schrankens ist nach der Rechtsprechung dem Berechtigten nicht ohne weiteres zuzumuten (10 Ob 83/16b mwN). Die widerstreitenden Interessen sind in ein billiges Verhältnis zu setzen (RS0011740 [T1]). Auch diese Interessenabwägung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass sie keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufwirft (RS0011733 [T11]; RS0016369 [T10]).

[12] 2.1. Hier haben die Beklagten in Kenntnis des grundbücherlich einverleibten Geh‑ und Fahrtrechts der Klägerin zwei (letztlich) versperrte Tore quer über den Servitutsweg errichtet und ihr nicht etwa einen Schlüssel ausgefolgt, sondern diesen in einem Schlüsselsafe deponiert, zu dem sie erst nach Voranmeldung oder Anruf Zutritt hat. Darin eine erhebliche Erschwerung der Ausübung der Dienstbarkeit zu sehen, bewegt sich im Rahmen bereits vorliegender Rechtsprechung (vgl RS0011740 [T12 –Schrankenanlage] bzw [T13 – Absperrung mit Kette auch bei Ausfolgung von Schlüsseln unzulässig]).

[13] 2.2. Auch dass die Interessenabwägung hier nicht zugunsten der Servitutsverpflichteten auszuschlagen hat, ist keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Unabhängig davon, ob die Geburt ihrer Kinder überhaupt als nachträgliche wesentliche Änderung der Umstände im Sinn der Rechtsprechung angesehen werden könnte, wies das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, dass die Sicherheit der Kinder etwa durch eine andere Gestaltung der Einfriedung ihres Grundstücks problemlos erreicht werden könnte (zumal der Servitutsweg unmittelbar an der Grundstücksgrenze liegt). Gerade die Ausübung des Geh‑ und Fahrtrechts durch die Klägerin zu landwirtschaftlichen Zwecken wäre eher geeignet, allenfalls dort unbeaufsichtigt auf dem Grundstück spielende Kinder zu gefährden. Warum gerade das Versperrthalten der Tore über den Servitutsweg das geeignete Mittel sein sollte, um das in der Revision angesprochene Kindeswohl zu fördern, können die Revisionwerber daher nicht nachvollziehbar darstellen.

[14] 2.3. Ob die Kriterien des § 138 ABGB, die die Eltern im Verhältnis zu ihrem minderjährigen Kind unter dem Titel des Kindeswohls als leitende Gesichtspunkte berücksichtigen und bestmöglich gewährleisten müssen, nur bei Maßnahmen und Entscheidungen zu berücksichtigen sind, die sich nach dem Gesetz am Kindeswohl zu orientieren haben, so etwa bei Entscheidungen im Eltern‑Kind‑Verhältnis wie über die Obsorge oder persönliche Kontakte (so Hopf in KBB6 § 138 Rz 3), und daher auf die nach den Kriterien des § 484 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung zwischen den Eigentümern des belastenden Grundstücks und der Eigentümerin des herrschenden Grundstücks überhaupt nicht anzuwenden sind, bedarf keiner Erörterung. Selbst wenn das doch der Fall wäre (wovon das Berufungsgericht auszugehen scheint), ginge diese Interessensabwägung nach dessen im Einzelfall nicht zu beanstandender Auffassung zulasten der Beklagten aus.

[15] 3.1. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Unterlassungs‑ und/oder Beseitigungsbegehren betreffend eine Überwachungskamera dann berechtigt, wenn die Beklagten das Recht der Klägerin auf Achtung ihrer Privatsphäre, das als absolutes Persönlichkeitsrecht Schutz gegen Eingriffe Dritter genießt, verletzt haben (6 Ob 231/16p mwN). Eine solche Verletzung liegt bereits dann vor, wenn sich ein Betroffener durch die Art der Anbringung einer Überwachungskamera und dem äußeren Anschein einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt fühlt (RS0127583 [T1]).

[16] 3.2. Zu Störungshandlungen betreffend eine Dienstbarkeit verwies das Berufungsgericht zutreffend auf die ständige Rechtsprechung zur Verbotstafel (vgl RS0012128 [T2]), wonach die Frage, ob diese eine zu beseitigende Beeinträchtigung einer Dienstbarkeit bewirkt, nicht ausschließlich nach der objektiven Unrichtigkeit des Inhalts zu beurteilen, sondern auch zu berücksichtigen ist, welchen Eindruck sie beim unbefangenen Leser erweckt, insbesondere bei demjenigen, gegen den sich das Verbot richten könnte. Auch die Rechtsprechung (RS0012084) zu Bodenmarkierungen, die von Verkehrsteilnehmern dahin verstanden werden müssen, dass sie auf den dadurch gekennzeichneten Flächen Fahrzeuge abstellen dürfen, was bei Behinderung des Servitutsberechtigten einen unzulässigen Eingriff in dessen Rechte bedeutet, zog das Berufungsgericht zutreffend heran. Daraus leitete es ab, der Umstand, dass die Klägerin den Servitutsweg nur nutzen kann, wenn sie zuvor von einer Kamera registriert wird, sei eine nicht hinzunehmende Störungshandlung. Diese von den Umständen des Einzelfalls abhängige Beurteilung hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechungsgrundsätze zur Beeinträchtigung durch eine Überwachungskamera im Allgemeinen und zu beeinträchtigenden Störungshandlungen betreffend Servituten im Besonderen. Dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilt wurde, bedeutet nicht, dass eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen erheblichen Bedeutung vorliegt (RS0110702).

[17] 3.3. Dem Argument, vom Servitutsbelasteten angebrachte Bodenmarkierungen und Verbotstafeln hätten einen Erklärungswert, der bei einer auf das Eingangstor gerichteten Überwachungskamera fehle, ist zu entgegnen, dass der unbefangene BerechtigtedieExistenz dieser Kamera in dem Sinn interpretierenwird, dass der Servitutsbelastete seine Identität kennen will. Dass aber Überwachungsdruck – etwa durch eine Registrierung, die auch die Revisionswerber nicht bestreiten – geeignet sein kann, der Servitutsberechtigten die Ausübung der Servitut erheblich zu erschweren und sie allenfalls davon sogar abzuhalten, ist jedenfalls keine grobe Fehlbeurteilung des Einzelfalls, die eines korrigierenden Eingreifens des Obersten Gerichtshofs bedürfte.

[18] 4. Damit war die Revision zurückzuweisen.

[19] 5. Da die Klägerin die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung nicht geltend gemacht hat, hat sie deren Kosten selbst zu tragen (RS0035962).

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