European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132875
Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Dem Erstgericht wird aufgetragen, in Bezug auf den außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 23. Juni 2021, GZ 15 R 156/21y‑287, ein Verbesserungsverfahren iSd § 10 Abs 4 AußStrG durchzuführen und die Akten danach dem Rekursgericht vorzulegen.
Dem Rekursgericht wird aufgetragen, seinen Beschluss vom 16. Februar 2021, GZ 38 P 208/19y‑211, und in dem Fall, dass der außerordentliche Revisionsrekurs gegen seinen Beschluss vom 23. Juni 2021, GZ 15 R 156/21y‑287, fristgerecht verbessert und daher vom Erstgericht nicht zurückgewiesen wurde bzw nicht zurückzuweisen ist (§ 67 AußStrG), auch diesen durch einen Ausspruch über den jeweiligen Wert des Entscheidungsgegenstands zu ergänzen.
Begründung:
[1] Für die betroffene Person wurde gemäß § 120 AußStrG ein einstweiliger Erwachsenenvertreter bestellt. Dessen Wirkungsbereich umfasst die Vertretung in allen behördlichen Verfahren, insbesondere die Vertretung in allen anhängigen und anstehenden gerichtlichen Verfahren, in Verwaltungsverfahren, in verwaltungsgerichtlichen Verfahren und die Vertretung vor Kammern und Sozialversicherungsträgern.
[2] Am 14. 8. 2020 beantragte die betroffene Persondie pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu AZ 30 Nc 3/20b eingebrachten Feststellungsklage nach dem Amtshaftungsgesetz. Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 16. 2. 2021, GZ 38 P 208/19y-211,ab. Gegen diese Entscheidung richteten sich die Rekurse der betroffenen Person persönlichund des einstweiligen Erwachsenenvertreters im Namen der betroffenen Person. Das Rekursgericht gab diesen Rekursen nicht Folge und erklärte den Revisionrekurs jeweils für nicht zulässig (AZ 15 R 90/21t). Einen Bewertungsausspruch enthält diese Entscheidung nicht. Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der vom einstweiligen Erwachsenenvertreter im Namen der betroffenen Person erhobene außerordentliche Revisionsrekurs (5 Ob 164/21k).
[3] In der Zeit von 27. 1. 2021 bis 12. 3. 2021 beantragte die betroffene Person in mehreren gesonderten Eingaben die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung diverser Klagen, die sie beim Landesgericht Linz bereits eingebracht hatte. Das Erstgericht wies diese Anträge mit Beschluss vom 25. 3. 2021 (Punkt 1.), GZ 38 P 208/19y‑243, ab. Gegen diese Entscheidung richteten sich die Rekurse der betroffenen Person persönlich und des einstweiligen Erwachsenenvertreters im Namen der betroffenen Person. Das Rekursgericht gab diesen Rekursen nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionrekurs jeweils für nicht zulässig (AZ 15 R 156/21y). Einen Bewertungsausspruch enthält diese Entscheidung nicht. Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der betroffenen Person persönlich (5 Ob 165/21k); dieser Revisionsrekurs ist nicht durch einen Rechtsanwalt oder Notar unterfertigt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof ist verfrüht, weil über die Rechtsmittel derzeit noch nicht entschieden werden kann.
[5] 1.1. Im (allgemeinen) Außerstreitverfahren ist der Revisionsrekurs – außer im Fall der nachträglichen Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nach § 63 Abs 3 AußStrG – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat (§ 62 Abs 3 AußStrG). Das gilt nicht, soweit der Entscheidungsgegenstand nicht rein vermögensrechtlicher Natur ist (§ 62 Abs 4 AußStrG).
[6] 1.2. Ist der Entscheidungsgegenstand zwar rein vermögensrechtlicher Natur, besteht er aber nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, dann hat das Rekursgericht, wenn es den Revisionsrekurs nicht ohnedies zugelassen hat, auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt oder nicht (§ 59 Abs 2 AußStrG). Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Rekursgerichts, hat eine Zusammenrechnung nur zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des – auch im Außerstreitverfahren anwendbaren – § 55 Abs 1 JN erfüllt sind. Demnach sind mehrere in einem Antrag geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0042741). Wenn jeder der geltend gemachten Ansprüche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als selbständig anzusehen ist, ist die Frage der Rechtsmittelzulässigkeit daher für jedes Begehren getrennt zu beurteilen (RS0118275, RS0053096, RS0042753). Mehrere Ansprüche, die nicht nach § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnen sind, hat das Rekursgericht daher gesondert zu bewerten (RS0042741 [T18]).
[7] Sollte das Rekursgericht zum Ergebnis kommen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands in Bezug auf auch nur einen selbständigen Anspruch 30.000 EUR übersteigt, sind die Akten erneut dem Obersten Gerichtshof vorzulegen. Gleiches gilt im Fall einer allfälligen nachträglichen Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nach § 63 Abs 3 AußStrG.
[8] 1.3. Gegenstand der angefochtenen Entscheidungen des Rekursgerichts ist die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klage bzw mehrerer Klagen, die die betroffene Person bei Gericht eingebracht hat. Nach der Rechtsprechung ist die Genehmigung von Klagen über Vermögensrechte ein Entscheidungsgegenstand rein vermögensrechtlicher Natur (RS0109789).
1.4. Das gilt insbesondere für dievom Rekursgericht in seinem Beschluss vom 16. März 2021, GZ 15 R 90/21t-251, beurteilte pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klage auf Feststellung einer Haftung nach dem Amtshaftungsgesetz. Das Rekursgericht hat daher zunächst den unterlassenen Bewertungsausspruch nachzutragen (RS0007073). Erst danach kann beurteilt werden, ob überhaupt eine Entscheidungskompetenz des Obersten Gerichtshofs gegeben ist. Sollte das Rekursgericht zum Ergebnis kommen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR nicht übersteigt, steht dem Rechtsmittelwerber nämlich nur die Möglichkeit der Zulassungsvorstellung nach § 63 Abs 1 AußStrG offen. Ob der Rechtsmittelschriftsatz in diesem Fall einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109623 [T8]).
[9] 2.1. Auch die Klagen, deren pflegschaftsgerichtliche Genehmigung das Rekursgericht in seinem Beschluss vom 23. Juni 2021, GZ 15 R 156/21y-287, zu beurteilen hatte, haben Vermögensrechte zum Inhalt. Die Entscheidung darüberist daher jeweils rein vermögensrechtlicher Natur. Diese Klagen sind dabei zum Teil ausschließlich auf Zahlung eines Geldbetrags gerichtet (Beschluss des Erstgerichts Spruchpunkte 1.a, 1.c, 1.g, 1.j), zum Teil ist ein Geldleistungsbegehren mit einem Feststellungsbegehren (Spruchpunkt 1.b) oder einem Unterlassungsbegehren verbunden (Spruchpunkt 1.f). Andere Klagen wiederum beschränken sich auf ein Feststellungsbegehren (Spruchpunkte 1.d, 1.e, 1.h, 1.i).
[10] 2.2. Da es bei der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer reinen Geldleistungsklage um einen geldgleichen Anspruch geht, kann in diesem Fall die Bewertung des Entscheidungsgegenstands unterbleiben. Der Wert des Entscheidungsgegenstands der zweiten Instanz ergibt sich vielmehr aus dem eingeklagten Betrag (3 Ob 284/05v mwN).
[11] 2.3. Keiner der mittels Klage geltend gemachten Geldbeträge übersteigt 30.000 EUR. Anhaltspunkte dafür, dass einzelne dieser Klagen (und damit deren pflegschaftsgerichtliche Genehmigung) in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen, gibt es nach der Darstellung der jeweiligen Klagevorbringen im Beschluss des Erstgerichts nicht. Die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN sind daher – losgelöst von der Frage der Selbständigkeit der verschiedenen, vom Erstgericht in einem Beschluss behandelten Anträge – nicht erfüllt. Anderes gilt freilich in den zwei Fällen, in denen in der zu genehmigenden Klage das Geldleistungsbegehren mit einem Feststellungsbegehren (Spruchpunkt 1.b) bzw einem Unterlassungsbegehren (Spruchpunkt 1.f) verbunden ist. (Nur) Insoweit hat eine Zusammenrechnung der in der jeweiligen Klage zusammengefassten Teilbegehren zu erfolgen.
[12] 2.4. Auch in Bezug auf jene Klagen, die nicht bloß ein reines Geldleistungsbegehren beinhalten, hatte das Rekursgericht daher einen entsprechend differenzierten Bewertungsausspruch gemäß § 59 Abs 2 AußStrG vorzunehmen. Vor Behandlung des Revisionsrekurses durch den Obersten Gerichtshof hat das Rekursgericht diesen an sich nachzutragen und bei einer Bewertung unter 30.000 EUR vor der neuerlichen Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof § 63 AußStrG zu beachten. Allerdings leidet der gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 23. Juni 2021, GZ 15 R 156/21y-287, von der betroffenen Person selbst erhobene außerordentliche Revisionsrekurs (5 Ob 165/21k) an einem Formmangel, der weitere Verfahrensschritte vorerst hindert.
[13] 3.1. Nach der (mit dem 2. Erwachsenen-SchutzG eingeführten) Bestimmung des § 116a AußStrG kann die betroffene Person im Erwachsenenschutzverfahren unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit Verfahrenshandlungen vornehmen. Sie kann daher im gesamten Verfahren selbständig Anträge stellen und Rechtsmittel erheben. Ein Vertreter oder Rechtsbeistand (§ 119 AußStrG) schränkt die Möglichkeit der betroffenen Person nicht ein, im Verfahren selbständig zu handeln. Die betroffene Person kann auch bei einem durch ihren Rechtsbeistand oder Vertreter in ihrem Namen erhobenen Rechtsmittel ein weiteres, gesondertes Rechtsmittel selbst erheben. Erheben die betroffene Person persönlich und der Vertreter oder Rechtsbeistand im Namen der Betroffenen jeweils gesondert ein Rechtsmittel, so sind beide Rechtsmittel einer inhaltlichen Behandlung zu unterziehen (3 Ob 87/19v).
[14] 3.2. Nach § 6 Abs 2 AußStrG müssen sich die Parteien in Verfahren über die Erwachsenenvertretung im Revisionsrekursverfahren aber durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten lassen. Der Revisionsrekurs ist durch Überreichung eines mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts oder Notars versehenen Schriftsatzes beim Gericht erster Instanz zu erheben (§ 65 Abs 2 iVm Abs 3 Z 5 AußStrG). Der vorliegende außerordentliche Revisionsrekurs zu 5 Ob 165/21k wurde von der betroffenen Person ohne Unterschrift eines Rechtsanwalts oder Notars eingebracht und weist somit einen Formmangel auf. In diesem Fall hat das Gericht nicht sogleich ab- oder zurückzuweisen, sondern erst für die Verbesserung zu sorgen (§ 10 Abs 4 AußStrG).
[15] 3.3. Die Akten sind daher zweckmäßigerweise nicht direkt dem Rekursgericht zum Nachtrag der Bewertungsaussprüche, sondern zunächst dem Erstgericht zur Durchführung des Verbesserungsverfahrens in Bezug auf den gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 23. Juni 2021, GZ 15 R 156/21y-287, erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs (5 Ob 165/21k) zurückzustellen.
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