OGH 5Ob140/09p

OGH5Ob140/09p1.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Mj Ralf T*****, geboren am 2. März 1996, *****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft L***** als Jugendwohlfahrtsträger, *****, über den Revisionsrekurs der Ulrike R*****, vertreten durch Dr. Ursula Schwarz, Rechtsanwältin in Bruck/Mur, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 16. April 2009, GZ 2 R 130/09f-U19, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leoben vom 11. März 2009, GZ 2 P 12/99x-U15, bestätigt wurde, nachstehenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Ulrike R***** ist die Mutter des am 2. 3. 1996 geborenen Ralf T*****, der bei seinem Vater Rudolf T***** lebt, welchem auch die Obsorge zur Gänze übertragen wurde.

Die Mutter geht keiner Beschäftigung nach. Sie ist verheiratet und hat ein weiteres Kind im Alter von sieben Jahren. Ihr Ehemann ist berufstätig.

Die Bezirkshauptmannschaft L***** als Jugendwohlfahrtsträger stellte am 19. 12. 2008 den Antrag, die Mutter Ulrike R***** mit Wirkung vom 1. 7. 2008 zu einem monatlichen Unterhaltsbetrag von 250 EUR zu verpflichten. Bei entsprechendem Bemühen könne die Mutter eine Beschäftigung annehmen, bei der es ihr möglich wäre, den begehrten Unterhaltsbetrag an den Kindesvater zu bezahlen.

Die Kindesmutter sprach sich gegen jede Zahlungsverpflichtung unter Hinweis auf ihre mangelnde Leistungsfähigkeit aus. Sie verfüge über keinerlei Einkommen und keinerlei sonstige Bezüge, sei Hausfrau und habe für ein weiteres Kind im Alter von sieben Jahren zu sorgen. Sie sei nicht in der Lage, einem Erwerb nachzugehen.

Laut Auskunft des AMS L***** sind derzeit sechs Stellen für ungelernte Kräfte im Gastgewerbe und zwei Stellen als Raumpflegerinnen zur Besetzung gemeldet.

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter, mit Wirkung ab 1. 7. 2008 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des mj Ralf einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 150 EUR zu bezahlen und wies das Mehrbegehren ab.

Nach der Sachlage wäre die Mutter in der Lage, ein angemessenes Einkommen zu erzielen. Sie sei daher zu einem Unterhaltsbeitrag für den Minderjährigen anzuspannen. Die Annahme einer Arbeit als Kellnerin, Hilfsarbeiterin oder Reinigungsfrau sei ihr zumutbar, um ihren Unterhaltspflichten nachzukommen. Unter Berücksichtigung einer weiteren Sorgepflicht für ein Kind von sieben Jahren, des Existenzminimums und der steuerlichen Entlastung könne sie ein monatliches Nettoeinkommen von 720 EUR erzielen und davon einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 150 EUR leisten.

Es laufe dem Gleichheitsgrundsatz zuwider, wenn die Unterhaltspflichtige einem Kind die volle Unterhaltsleistung in Form der häuslichen Betreuung zuteil werden lasse, während ihrem anderen Kind der Geldunterhalt versagt werde.

Die im erstinstanzlichen Verfahren rechtsanwaltlich nicht vertretene Mutter erhob dagegen einen Protokollarrekurs und brachte darin vor:

Seit der Geburt des mj Ralf habe sie keine Arbeit mehr ausgeübt und werde dazu wahrscheinlich auch nicht mehr in der Lage sein. Im November 2008 sei sie nämlich aufgrund einer Brustkrebserkrankung operiert worden. Sie müsse seither ständig nach Graz und Leoben ins Krankenhaus zu Untersuchungen, weshalb es ihr unmöglich sei, nebenbei eine Arbeit auszuüben. Sie sei daher zur Leistung des begehrten Unterhalts nicht fähig.

Dem Rekurs schloss die Mutter einen ärztlichen Bericht vom 18. 3. 2009 an, aus dem hervorgeht, dass die erste Routinekontrolle nach einer Operation am 11. 2. 2009 stattgefunden hatte und dass alle drei Monate weitere Routinekontrollen erforderlich würden. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Es setzte sich mit den im Rekurs vorgebrachten Neuerungen bezüglich der Erkrankung der Mutter auseinander, sprach jedoch der behaupteten Tatsache der Erkrankung der Mutter eine Relevanz für die Entscheidung ab. Es sei lediglich nachgewiesen, dass im Abstand von drei Monaten medizinische Routinekontrollen vorzunehmen seien, woraus sich eine Unfähigkeit zur Berufsausübung der Mutter nicht ableiten lasse. Eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verneinte das Rekursgericht implicite, weil die Rekurswerberin im erstinstanzlichen Verfahren keinerlei Vorbringen über eine krankheitsbedingte Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit erstattet habe. Über Zulassungsvorstellung änderte das Rekursgericht seinen Ausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch für zulässig erklärt wurde. Es sei die Ansicht vertretbar, dass das Erstgericht bei Aufnahme des Protokollarrekurses seiner Anleitungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei und das Rekursgericht diesen Verfahrensmangel im Sinn des § 57 Z 4 AußStrG zu Unrecht nicht berücksichtigt habe.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag auf Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und Zurückverweisung der Sache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht. Hilfsweise wird ein Abänderungsantrag im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Unterhaltsbegehrens gestellt.

Der Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des in ihm gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Zufolge § 49 Abs 2 AußStrG sind Tatsachen, die zur Zeit des Beschlusses erster Instanz schon vorhanden waren und die von der Partei schon vor Erlassung des Beschlusses hätten vorgebracht werden können, dann zu berücksichtigen, wenn die Partei dartun kann, dass es sich bei der Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung handelt. Bei unvertretenen Parteien ist dieser Sorgfaltsmaßstab weniger streng zu deuten als bei vertretenen Parteien und überdies am Maß der erfolgten Anleitung durch das Erstgericht auszurichten (vgl Klicka in Rechberger AußStrG Rz 1 zu § 49 AußStrG; 1 Ob 98/08f; 4 Ob 96/08h; RIS-Justiz RS0120290). Diesen Grundsätzen ist das Rekursgericht gefolgt, hat die Neuerung als beachtlich erkannt und sich mit dem entsprechenden Vorbringen auseinandergesetzt.

Zu Unrecht hat das Rekursgericht dabei allerdings eine Relevanz des neuen Vorbringens verneint, indem es nur auf die während des laufenden Verfahrens notwendigen Kontrolluntersuchungen eingegangen ist. Es hat nicht beachtet, dass aus dem vorgelegten Attest erkennbar war, dass von der von der Mutter behaupteten Erwerbsunfähigkeit infolge der Krebserkrankung auch ein Zeitraum erfasst war, in dem sie sich einer Operation unterzog, und der insofern verfahrensgegenständlich ist, als auch für diesen eine Unterhaltsfestsetzung erfolgte. Die Auferlegung von Unterhalt ist für die Zeit ab August 2008 beantragt worden, sodass der Zeitraum der stationären Behandlung durch Krebsoperation und Nachbehandlungen davon erfasst ist.

Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts liegt aber kein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens vor, weil bis zur Erhebung des Rekurses für das Erstgericht der Umstand der schweren Erkrankung der Unterhaltspflichtigen nicht erkennbar war.

Allerdings ist eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens zu konstatieren, die abstrakt auch geeignet ist, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (vgl für das Außerstreitverfahren: 3 Ob 15/02f = EFSlg 100.346; 103.058; 3 Ob 86/05a ua). Ausgehend von dem zutreffend als zulässig bewerteten Neuerungsvorbringen der Rekurswerberin wäre das Rekursgericht nämlich gehalten gewesen, eine vollständige Klärung jenes Sachverhalts zu bewirken, der eine abschließende Beurteilung des Bestehens einer Unterhaltspflicht der Mutter ermöglicht hätte.

Diesen Verfahrensmangel rügt die Revisionsrekurswerberin zutreffend (vgl RIS-Justiz RS0048529); dass er zweifellos auch abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (vgl RIS-Justiz RS0037095; RS0043027), wurde bereits erwähnt.

Wird eine Leistungspflicht des Unterhaltspflichtigen nach dem sogenannten Anspannungsgrundsatz in Betracht gezogen, folgt nämlich aus der Formel „nach ihren Kräften" in § 140 Abs 1 ABGB die Maßgeblichkeit der Umstände, aus denen der Unterhaltspflichtige keinem Erwerb nachgeht (vgl etwa 10 Ob 523/95 = ÖA 1996, 121 ua). Es versteht sich von selbst, dass während jenes Zeitraums, in dem ein Unterhaltspflichtiger durch eine Krebserkrankung und deren unmittelbare Folgen an der Erzielung von Einkünften gehindert ist, eine Anspannung nicht in Betracht kommt.

In diesem Sinn wird das Erstgericht neuerlich die Leistungsfähigkeit der geldunterhaltspflichtigen Mutter zu prüfen haben. Der Revisionsrekurs war daher berechtigt.

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