OGH 4Ob96/08h

OGH4Ob96/08h26.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Zechner als Vorsitzenden und die Hofrätin Dr. Schenk sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Daniel G*****, im Unterhaltsverfahren vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger des Landes Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft Amstetten, Fachgebiet Jugendwohlfahrt), über den Revisionsrekurs des Vaters Peter G*****, vertreten durch Dr. Josef Lindlbauer, Rechtsanwalt in Enns, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 12. September 2007, GZ 23 R 217/07w-U39, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Haag vom 16. Mai 2007, GZ 1 P 96/05x-U26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der von der Mutter geschiedene Vater, der ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen (inklusive anteiliger Sonderzahlungen) von 2.335 EUR hat, ist zu monatlichen Unterhaltszahlungen für den am 1. Mai 1998 geborenen mj Antragsteller von 358 EUR sowie die am 21. Februar 1994 geborene Tochter von 425 EUR verpflichtet. Beide Kinder befinden sich in Pflege und Erziehung der Mutter.

Der Regelbedarf für Kinder zwischen 6 und 10 Jahren betrug ab Juli 2005 270 EUR und ab Juli 2006 275 EUR.

Der Antragsteller war vom 19. September 2005 bis 17. Juli 2006 in psychotherapeutischer Behandlung, wofür Kosten von 2.360 EUR aufzuwenden waren. Der Sozialversicherungsträger erstattete einen Teilbetrag von 784,80 EUR.

In der weiteren Wohnumgebung des Antragstellers gab es für die Behandlung eines 1998 geborenen verhaltensauffälligen Patienten nur drei Therapeuten mit Kassenvertrag, die aufgrund längerer Warteliste innerhalb einer Woche keine psychotherapeutische Behandlung zu Verfügung stellen konnten.

Der Antragsteller begehrte, dem geldunterhaltspflichtigen Vater den Ersatz der Hälfte des von jenem selbst getragenen Therapieaufwands von 787,60 EUR zusätzlich zum laufenden Unterhalt aufzutragen.

Der Vater wendete ein, ohnehin deutlich über dem Regelbedarf liegende monatliche Unterhaltszahlungen zu leisten und überdies an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu sein.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater zur Bezahlung des geltend gemachten Sonderbedarfs. Die Dringlichkeit der psychotherapeutischen Behandlung sei unstrittig, die Betrauung eines Wahlarztes im Hinblick auf die sonst in Kauf zu nehmende Wartezeit gerechtfertigt. Die Leistungsfähigkeit des Vaters werde nicht überschritten. Würde man dem Antragsteller zumuten, den Sonderbedarf aus der Differenz zwischen den Geldunterhaltsleistungen des Vaters und dem Regelbedarf seiner Altersgruppe zu decken, müsste er mit für den allgemeinen Unterhalt zu verwendenden Mitteln in Höhe des Regelbedarfs auskommen. Damit wäre das Ziel der Unterhaltsbemessung, den Unterhaltsberechtigten angemessen an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen teilnehmen zu lassen, vereitelt.

Das Rekursgericht bestätigte die Sonderbedarfsdeckungsverpflichtung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Deckung des Sonderbedarfs aus der Differenz zwischen Regelbedarf und laufenden höheren Unterhaltsbeiträgen abgewichen sei. Folge man der Differenzjudikatur, wonach bei über den Regelbedarf liegenden laufenden Unterhaltsbeiträgen Sonderbedarf aus der Differenz zwischen diesen und dem Regelbedarfssatz zu decken sei, so sei das von der Rechtsprechung geforderte Teilhaben des Unterhaltsberechtigten an den gehobenen Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen nicht mehr gewährleistet. Die ermittelten Regelbedarfssätze seien darüber hinaus bedenklich niedrig. Bei intakten Familienverhältnissen wäre das Kind vermutlich nicht gezwungen, in gleicher Weise eine Reduktion der für seinen allgemeinen Unterhalt aufzuwendenden Mittel hinzunehmen. Die vom Vater erstmals im Rekurs eingewendete Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Mutter bilde ungeachtet des im Pflegschaftsverfahren anzuwendenden Untersuchungsgrundsatzes eine unbeachtliche Neuerung, weil der Vater zur Behauptung des Bestehens einer weiteren Unterhaltspflicht im erstinstanzlichen Verfahren verhalten gewesen wäre und weder behauptet noch schlüssig dargelegt habe, dass es sich bei der Verspätung oder Unterlassung des Vorbringens um eine entschuldbare Fehlleistung gehandelt habe. Dass Unterhaltsleistungen für die Mutter tatsächlich erbracht worden seien, habe der Vater nicht einmal im Rekurs behauptet. Seine Leistungsfähigkeit sei im Hinblick auf das ihm auch nach Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen für beide minderjährige Kinder verbleibende Einkommen nicht überbeansprucht, sondern ermögliche vielmehr die Leistung des geltend gemachten Sonderbedarfs. Der Mutter könne nicht angelastet werden, für die Psychotherapie des Antragstellers einen Wahlarzt beigezogen zu haben. Der bloße Verweis auf zahlreiche in der näheren Wohnumgebung praktizierende Psychotherapeuten, von denen etliche auch mit Kassenvertrag behandeln sollen, genüge angesichts der für eine erfolgreiche Psychotherapie erforderlichen speziellen Eignung des Therapeuten einerseits und des erforderlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Therapeuten und Patienten andererseits nicht. Aufgrund aufgetretener massiver Verhaltensauffälligkeiten sei auch akuter Handlungsbedarf gegeben gewesen, ein Zuwarten wäre nicht zu verantworten gewesen. Am Beginn der Behandlung sei der Vater in diese überdies eingebunden gewesen und habe sich nicht gegen die Wahl der Therapeutin ausgesprochen, sondern sogar deren Ratschlag (Verlassen der Ehewohnung) befolgt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters, mit dem er die Abweisung des Antrags auf Verpflichtung zur Leistung des geltend gemachten Sonderbedarfs anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1.) Der Oberste Gerichtshof sprach wiederholt - auch zum neuen Außerstreitrecht - aus, dass auch im Bereich des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens in Außerstreitsachen subjektive Behauptungslastregeln und Beweislastregeln jedenfalls dann heranzuziehen sind, wenn über vermögensrechtliche Ansprüche, in denen sich die Parteien in verschiedenen Rollen gegenüberstehen, zu entscheiden ist (RIS-Justiz RS0006261). Der Unterhaltspflichtige hat daher die seine Unterhaltungsverpflichtungen aufhebenden oder vermindernden Umstände zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0006261 [T8]). Gemäß § 49 Abs 2 AußStrG können Neuerungen nur insoweit geltend gemacht werden, als das Unterlassen des Vorbringens im Verfahren erster Instanz eine entschuldbare Fehlleistung bildet. Der Rechtsmittelwerber hat die Zulässigkeit der Neuerungen zu behaupten und schlüssig darzulegen, dass die Verspätung (Unterlassung) des Vorbringens auf einer entschuldbaren Fehlleistung beruht (RIS-Justiz RS0120290). Diesen Grundsätzen ist das Rekursgericht gefolgt. Die vom Revisionsrekurswerber dagegen ins Treffen geführten Gründe vermögen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.

Die behauptete Tatsache, der in erster Instanz über den Sonderbedarf entscheidende Richter sei mit dem zur Entscheidung über den von der Mutter gegen den Vater geltend gemachten Unterhaltsanspruch berufenen Richter identisch, weshalb der Umstand einer weiteren Unterhaltsverpflichtung des Vaters gerichtsbekannt und offenkundig gewesen sei, ändert an der Behauptungslast für die eine bestimmte Unterhaltspflicht einschränkenden Umstände nichts.

2.) Erwächst einem unterhaltsberechtigten Minderjährigen ein Mehrbedarf, der über den allgemeinen Durchschnittsbedarf (Regelbedarf) eines gleichaltrigen Kindes ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse der Eltern hinausgeht, so können diese Kosten einen Sonderbedarf bilden. Ein solcher Mehrbedarf ist jedoch nur deckungspflichtig, wenn er aus gerechtfertigten, in der Person des Minderjährigen liegenden Gründen entstanden ist. Der Sonderbedarf muss individuell, außergewöhnlich und dringlich sein. Darunter fallen hauptsächlich Aufwendungen für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und die Persönlichkeitsentwicklung. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Mehrfach wurden vom Obersten Gerichtshof bereits gesundheitsbedingte Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, als Sonderbedarf anerkannt (10 Ob 61/05a mwN = SZ 2005/124). Auch bei der Berücksichtigung eines Sonderbedarfs hat sich der Geldunterhalt im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu halten; diesem muss ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag verbleiben (RIS-Justiz RS0047544). Ob ein Sonderbedarf vom Unterhaltspflichtigen zu zahlen ist, hängt davon ab, ob er ihm angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist (RIS-Justiz RS0107179).

Das Bestehen eines vom Unterhaltsschuldner zu bestreitenden Sonderbedarfs des Unterhaltsberechtigten muss dann streng geprüft werden, wenn Ersterer ohnehin Unterhaltsleistungen erbringt, die den Regelbedarf beträchtlich übersteigen. Denn darf der Unterhaltspflichtige zur Deckung eines Sonderbedarfs nur verhalten werden, wenn es für den Unterhaltsberechtigten trotz der den Regelbedarf erheblich überschreitenden Unterhaltsbeträge unmöglich wäre, diese Kosten zu tragen. Das wäre etwa dann der Fall, wenn der Überhang der regelmäßigen Unterhaltsleistungen (über dem Regelbedarf) durch die Bestreitung anderen anerkennenswerten Sonderbedarfs aufgezehrt wird (1 Ob 585/90 = SZ 63/81 ua). Erhält somit der Unterhaltsberechtigte über den Regelbedarf hinausgehende Unterhaltsbeiträge, ist im Rahmen der Unterhaltsbemessung ein Sonderbedarf nur insoweit zu ersetzen, als diese Aufwendungen höher sind als die Differenz zwischen dem Regelbedarf und dem zuerkannten laufenden Unterhalt (1 Ob 635/92 mwN ua).

Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller im Anlassfall ohnehin nur die Hälfte der vom Sozialversicherungsträger nicht ersetzten Therapiekosten als Sonderbedarf geltend macht, also die Hälfte seines gesundheitsbedingten Mehraufwands, die im Übrigen etwa der Differenz zwischen dem Regelbedarf und den laufenden Unterhaltsbeträgen während des Behandlungszeitraums entspricht, ohnehin selbst trägt, stellt sich nicht die vom Rekursgericht aufgeworfene Frage nach der Berechtigung der Differenzjudikatur im Hinblick auf das Postulat, der Unterhaltsberechtigte habe angemessen an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen teilzuhaben. Demnach weicht hier die Unterhaltsbemessung der Vorinstanzen von der Differenzjudikatur des Obersten Gerichtshofs in Wahrheit nicht ab. Der zuerkannte Sonderbedarf übersteigt vielmehr die Differenz zwischen Regelbedarf und bestehender (höherer) Geldunterhaltspflicht.

3.) Sowohl die Frage, ob durch die konkrete Verpflichtung zur Deckung des Sonderbedarfs die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen überschritten wird, als auch die Beurteilung, inwieweit die Inanspruchnahme eines Wahlarztes mit bloß teilweiser Kostendeckung durch den Sozialversicherungsträger einen Sonderbedarf des Unterhaltsberechtigten begründet, wenn ihm die Betrauung eines Psychotherapeuten mit Kassenvertrag, etwa aufgrund längerer Wartezeit oder größerer Entfernung vom Wohnort nicht zumutbar sein sollte, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf. Insofern ist hier jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende gravierende Fehlbeurteilung zu erkennen.

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