Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Herabsetzungsantrages des Rekurswerbers als unbekämpft unberührt bleiben, werden im übrigen hinsichtlich des Erhöhungsbegehrens aufgehoben und dem Erstgericht eine nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.
Text
Begründung
Der Rekurswerber ist zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S
4.500 für den minderjährigen von der Mutter betreuten Sohn aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 23.10.1986, 7 P 161/89-78 verpflichtet.
Die den Minderjährigen betreuende Mutter verdient als Pharmareferentin monatlich rund 21.000 S netto. Der Vater führte bis 30.6.1986 eine Ordination als praktischer (Kassen)Arzt in Salzburg und bezog daraus im Jahre 1985 ein monatliches Nettoeinkommen von S 34.113,-. Nach Aufgabe der Kassenpraxis (weil er sich dazu nicht in der Lage fühlte), ist ihm medizinischerseits jedoch eine Anstellung als Arzt oder die Führung einer privatärztlichen Praxis zumutbar. Er versuchte vergeblich, eine Anstellung als Arzt zu erhalten, führte aber vom 3.7.1986 bis 31.10.1987 eine Privatpraxis in einem Kurhotel. Mit 1.9.1992 eröffnete er wieder eine Ordination als praktischer Arzt. Derzeit erzielt er daraus offenbar keine Einkünfte, aus denen er seinen Lebensunterhalt bestreitet oder die Mittel für die Alimentationszahlungen aufbringt. Privatentnahmen konnten nicht ermittelt werden.
Das Erstgericht erhöhte den monatlichen Unterhaltsbeitrag ab 1.1.1992 auf S 8.000 und wies den Herabsetzungsantrag des Vaters auf S 2.800 monatlich ab. Seiner Entscheidung legte es unter Anwendung des Anspannungsgrundsatzes ein fiktiv erzielbares monatliches Nettoeinkommen von S 40.000 zugrunde.
Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Der Vater habe nicht offengelegt, welche Anstrengungen er ab 1986 bzw ab Aufgabe der vom 3.7.1986 bis 31.10.1987 geführten Privatpraxis unternommen habe, um eine Anstellung als Arzt zu erreichen oder sich um eine Privatpraxis zu bemühen. Von einem verantwortungsbewußten Familienvater könne erwartet werden, daß er bei Aufgabe einer gut gehenden Kassenpraxis besonderen Einsatz zeige, um einer angemessenen Erwerbstätigkeit nachzugehen, anstatt sich während eines Zeitraumes von über fünf Jahren auf die Unterstützung von Freunden zu verlassen. Auch der Aufbau einer Praxis auf homöopathischem Gebiet wäre innerhalb des genannten Zeitraumes möglich gewesen. Bei dieser Situation seien die Verluste im nunmehr eröffneten Ordinationsbetrieb außer Betracht zu lassen und von einem fiktiv erzielbaren Einkommen auszugehen, das unter Berücksichtigung der langjährigen Erfahrung des Vaters, der gegebenen Arbeitsfähigkeit und bei Annahme einer kontinuierlichen ärztlichen Tätigkeit vom Erstgericht nicht unrealistisch angenommen worden sei. Obwohl der erhöhte Unterhaltsbetrag den derzeit geltenden Durchschnittsbedarf um fast 100 % übersteige, sei dies nicht als unangemessen hoch und daher pädagogisch als nicht ungerechtfertigt zu bezeichnen, sondern begründe nur ein angemessenes Teilhaben an den Lebensverhältnissen des Vaters.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters, der wegen Verletzung erheblicher Rechtsgrundsätze zulässig und berechtigt ist.
Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Unterhaltspflichtiger alle persönlichen Fähigkeiten, also seine gesamte Leistungskraft unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Könnens auszuschöpfen, um den Unterhaltsberechtigten entsprechend zu alimentieren. Veränderungen in den Lebensverhältnissen, die mit einer Einschränkung der Unterhaltspflicht verbunden wären, dürfen nur so weit vorgenommen werden, als dies bei gleicher Sachlage auch ein pflichtbewußter Familienvater getan hätte (RZ 1994/18; 1 Ob 532/95 mwN). Die Aufgabe einer bisher ausgeübten gut bezahlten Berufstätigkeit zu Lasten des Unterhaltsberechtigten bedarf triftiger Gründe (ÖA 1991, 43 U 17 = 6 Ob 654/90). Kommt der Unterhaltspflichtige seiner Verpflichtung zur Erzielung eines den angemessenen Unterhalt ermöglichenden Einkommens nicht nach, so ist ein nach den Umständen erzielbares fiktives Einkommen zur Unterhaltsbemessung heranzuziehen (RZ 1991/48).
Auf den vorliegenden Fall bezogen war zu erwägen:
Da medizinische Gründe nur gegen die Führung einer Kassenarztpraxis, aber nicht dagegen sprachen, einen Beruf als angestellter Arzt oder eine sonstige unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit, wie als Privatpraktiker auszuüben, ist eine Spezialisierung auf dem Gebiet der Homöopathie kein Nachweis dafür, alles unternommen zu haben, um zumindest ein dem bisherigen entsprechendes Einkommen zu erzielen (RZ 1992/48). Ausgehend von den seinerzeitigen Einkommensverhältnissen als Kassenarzt einschließlich allgemeiner realer Änderungen (RZ 1993/38) kann die im Gesetz vorgesehene Anspannung zu Leistungen eines Kassenarztes, die auch über den Regelbedarf grundsätzlich zulässig wäre (RZ 1991/25 mwN; 8 Ob 1603 bis 1605/93), dennoch nicht vorgenommen werden, weil die Änderung der beruflichen Situation durch den Rechtsmittelwerber gesundheitlich bedingt war und daher diese Änderung der Verhältnisse auch bei einem pflichtbewußten Familienvater eingetreten wäre. Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen (EFSlg 67.952), was der Fall wäre, wenn man ein von den Vorinstanzen ohne nachvollziehbare Prüfung der gegebenen Verhältnisse herangezogenes fiktives Einkommen von S 40.000,- berücksichtigte. Die Anspannung muß immer auf der Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Lage auf dem Arbeitsmarktsektor (hier als angestellter Arzt oder auf dem Privatarztsektor) zu erzielen in der Lage gewesen wäre (6 Ob 530/92, 1 Ob 552/93, 2 Ob 576/94, 2 Ob 596/94, 7 Ob 528/94, 7 Ob 596/94).
Im vorliegenden Fall sind zwei Phasen zu unterscheiden: Die vom 1.1.1992 bis zur Eröffnung des Ordinationsbetriebes am 1.9.1992 und die ab 1.9.1992. Die erste Phase ist davon gekennzeichnet, daß der Rekurswerber ohne nachgewiesene Bergründung weder die ihm zumutbare Tätigkeit eines angestellten Arztes noch die eines Privatpraktikers ausgeübt hat. Er ist daher auf das Einkommen anzuspannen, das er bei Ausübung dieser Berufe erzielen hätte können.
Für die zweite Phase eines anlaufenden Ordinationsbetriebes muß dem Rekurswerber eine gewisse Anlauffrist bis zur Konsolidierung des Ordinationsbetriebes zugebilligt werden (Pfurtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 255 E 12, EFSlg 70.969 ff ua). Bei Begründung einer selbständigen Erwerbstätigkeit muß während der von der Art des Betriebes und der Zielstrebigkeit und den persönlichen Bemühungen des Unternehmers abhängigen Übergangsfrist auch eine vorübergehende Unterhaltsreduktion in Kauf genommen werden (Pfurtscheller/Salzmann aaO; EFSlg 68.000 ff). Einkommenseinbußen sind aber nur dann hinzunehmen, wenn es sich um die Begründung einer realistischen Einkommensquelle handelt und in absehbarer Zeit mit einem gegenüber dem bisherigen höheren angemessenen Einkommen gerechnet werden kann (EFSlg 68.002).
Für den Fall, daß aus dieser Erwerbsquelle jedoch kein Einkommen realisierbar ist oder nur ein unter dem Einkommen einer durchschnittlichen Arztpraxis liegendes erzielt wird, ist unter Bedachtnahme auf die Sorgepflicht, die durch einen Berufswechsel bzw die Begründung einer selbständigen Tätigkeit nicht gefährdet werden darf, eine Anspannung im Sinne der ersten Phase auf das Einkommen zumindest eines angestellten Arztes oder einer durchschnittlichen gleichartigen Arztpraxis vorzunehmen.
All diese entscheidungswesentlichen Umstände sind aber noch ungeklärt und werden im zu ergänzenden Verfahren festzustellen sein.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)