OGH 6Ob530/92

OGH6Ob530/9225.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Vormundschaftssache der mj. Kinder Timo, ***** David, ***** und Patrick, ***** H*****, alle Schüler, in Obsorge der Mutter Gertraud M*****, Hilfsarbeiterin, ***** in Verfolgung ihrer Unterhaltsansprüche vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, ***** wegen Herabsetzung der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung des Vaters Robert K*****, zuletzt Lagerleiter, derzeit arbeitslos, ***** infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der mj. Kinder gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 8. Januar 1992, AZ 44 R 1101/91(ON 138), womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 21.Oktober 1991, GZ 8 P 33/87-126, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht stattgegeben.

Text

Begründung

Die 1946 geborene Mutter der Pflegebefohlenen lebte nach der Scheidung ihrer Ehe, der drei Kinder entstammten, zehn Jahre in Lebensgemeinschaft mit dem 1954 geborenen Vater der Minderjährigen. Dieser außerehelichen Verbindung entsprossen der am 3.Juli 1976 geborene Timo, der am 28.Juni 1977 geborene David und der am 15.November 1978 geborene Patrick. Die Kinder wachsen im Haushalt ihrer Mutter heran.

Der Vater hatte sich im Juni 1983 in dem vor dem Jugendwohlfahrtsträger geschlossenen Vergleich als Lagerarbeiter mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 10.000 S verpflichtet, zum Unterhalt der beiden älteren Söhne monatlich je 1.600 S und zum Unterhalt des jüngsten Sohnes monatlich 1.400 S zu zahlen.

Der Vater heiratete im April 1984; seine Ehefrau gebar am 12. Dezember 1984 eine Tochter. Sein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen stieg auf rund 16.000 S.

Mit Beschluß vom 8.Januar 1987 (ON 28) erhöhte das Vormundschaftsgericht die monatliche Unterhaltszahlungsverpflichtung des Vaters für die Zeit ab 1. Oktober 1986 in Ansehung des ältesten Sohnes auf 2.250 S und in Ansehung der beiden anderen Kinder auf je 1.800 S.

Am 12.August 1988 gebar die Ehefrau des Vaters einen Sohn. Der Vater hatte am 1.November 1987 eine Beschäftigung als Lagerleiter angetreten und bei einem Bruttomonatslohn von 30.000 S im Monatsdurchschnitt rund 23.000 S netto bezogen.

Mit Beschluß vom 28.Juli 1989 (ON 47) erhöhte das Vormundschaftsgericht die monatliche Unterhaltszahlungsverpflichtung des Vaters für die Zeit ab 1.Juni 1989 in Ansehung der beiden älterern Söhne auf 2.750 S und in Ansehung des jüngsten Sohnes auf 2.100 S.

Das im November 1987 begründete Beschäftigungsverhältnis des Vaters endete im Sinne einer Dienstgeberkündigung mit Jahresende 1989. Die Handlungsbevollmächtigte des Dienstgebers nannte als Beweggrund für die Kündigung, daß sich der Lagerleiter als Geschäftsführer ausgegeben habe, ohne behördliche Lenkerberechtigung ein Firmenauto gelenkt und vorgegeben habe, einen Führerschein zu besitzen; er habe sich auch sonst in Lügen verstrickt.

Ab 9.März 1990 bezog der Vater Arbeitslosengeld, seit 1.Januar 1991 steht er im Genuß der Notstandshilfe.

Vom 24.Mai bis 3.September 1990 befand sich der Vater wegen Verdachtes von Vermögensdelikten zum Nachteil seines ehemaligen Dienstgebers in Untersuchungshaft. Er wurde letztlich wegen schweren Betruges, Veruntreuung, Gebrauches eines fremden Ausweises und der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

Am 15.Mai 1990 erklärte der Vater unter Berufung auf seine Arbeitslosigkeit und das auf den Bezug des Arbeitslosengeldes gesunkene Einkommen in der monatlichen Höhe von 14.826 S einen Unterhaltsherabsetzungsantrag zu gerichtlichem Protokoll, mit dem er eine Neufestsetzung seiner monatlichen Unterhaltszahlungspflicht für jeden der drei außerehelichen Söhne mit 1.650 S anstrebte.

Die durch den Jugendwohlfahrtsträger als Unterhaltssachwalter vertretenen Kinder sprachen sich gegen das Herabsetzungsbegehren des Vaters aus. Ohne weitere konkrete Behauptung über ein vom Vater etwa erzielbares, gegenüber dem Arbeitslosengeld höheres Einkommen machten die Kinder lediglich geltend, daß das Dienstverhältnis des Vaters aus dessen Verschulden aufgelöst worden sei; dies dürfe den Unterhaltsberechtigten nicht zum Nachteil gereichen.

Das Vormundschaftsgericht gab dem Herabsetzungsbegehren des Vaters antragsgemäß statt. Es erachtete die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters zur Erzielung eines über dem Arbeitslosengeld liegenden Arbeitseinkommens als nicht gegeben und zog das Arbeitslosengeld als Bemessungsgrundlage heran.

Auch in ihrem vom Unterhaltssachwalter verfaßten Rekurs führten die Kinder lediglich den bereits in erster Instanz eingenommenen Standpunkt aus, die Dienstgeberkündigung habe auf schuldhaftem Verhalten ihres unterhaltspflichtigen Vaters beruht.

Das Rekursgericht faßte einen Aufhebungsbeschluß.

Im ergänzenden Verfahren des zweiten Rechtsganges konkretisierte die Handlungsbevollmächtigte des Dienstgebers dessen Motive für die zum 31.Dezember 1989 ausgesprochene Kündigung. Der Vater wurde am 2.April 1991 vor dem Vormundschaftsgericht vernommen. Er gab an, seit Jahresbeginn 1991 Notstandshilfe in der monatlichen Höhe von 13.166 S zu beziehen. Über seine Bemühungen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, wurde er nicht befragt. Das Strafverfahren gegen ihn war damals noch anhängig.

Mit dem im zweiten Rechtsgang gefaßten Beschluß vom 21.Oktober 1991 (ON 126) gab das Vormundschaftsgericht dem Herabsetzungsbegehren des Vaters neuerlich im wesentlichen statt; nur für den ältesten der drei Knaben, der am 3.Juli 1991 sein 15. Lebensjahr vollendet hatte, beschränkte das Gericht nun die Herabsetzung für die Zeit ab 1.August 1991 auf den monatlichen Betrag von 1.850 S. Auch dieser neuerlichen Bemessung legte das Vormundschaftsgericht die tatsächlichen Bezüge des Vaters an Notstandshilfe und nicht ein fiktives Einkommen, insbesondere nicht das durch die Dienstgeberkündigung verlorene, zugrunde. Dazu führte das Gericht aus, daß das gegen den Vater anhängige Strafverfahren das Auffinden eines neuen Arbeitsplatzes wesentlich erschwere.

Auch im Rekurs gegen diese im zweiten Rechtsgang erfolgte Unterhaltsherabsetzung beschränkten sich die durch den Unterhaltssachwalter vertretenen Kinder auf den Rechtsstandpunkt, es dürfe ihnen keinesfalls zum Nachteil gereichen, daß das Dienstverhältnis des Vaters aus dessen Verschulden zur Auflösung gebracht worden sei.

Mit dem angefochtenen Beschluß (ON 138) bestätigte das Rekursgericht die erstinstanzliche Entscheidung. Dazu sprach es aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, daß der unterhaltspflichtige Vater zwar nur wegen schuldhaften Verhaltens gegenüber seinem Dienstgeber den Arbeitsplatz verloren habe, bei den arbeitsrechtlichen Pflichtwidrigkeiten aber doch nicht die Absicht im Vordergrund gestanden wäre, sich den Unterhaltspflichten zu entziehen; eine Gefährdung des Arbeitsplatzes sei vom Unterhaltspflichtigen nicht beabsichtigt gewesen. Eine Anspannung käme ausschließlich bei einer Säumnis in den Bemühungen um Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes in Betracht. Bis zum Abschluß des Strafverfahrens im August 1991 habe jedoch der Vater selbst bei intensiver persönlicher Bemühung nicht mit einer erfolgreichen Arbeitsplatzsuche rechnen können. Eine Vertrauensstellung mit entsprechend hoher Bezahlung werde der Vater nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung in absehbarer Zeit nicht erwarten dürfen. Durch erreichbare untergeordnete Arbeiten würde er aber mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit kein höheres Einkommen als die derzeit ausbezahlte Notstandshilfe verdienen.

Die vom Unterhaltssachwalter vertretenen Kinder fechten die Rekursentscheidung mit außerordentlichem Revisionsrekurs an. Sie streben eine Abweisung des Herabsetzungsbegehrens an. Die Rechtsmittelwerber erachten eine Anspannung ihres Vaters auf den Verdienst als gerechtfertigt, der ihm durch verschuldeten Arbeitsverlust entgangen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist wegen der zu lösenden Fragen der Voraussetzungen und Folgerungen aus dem Anspannungsgrundsatz im Falle eines vom Unterhaltspflichtigen verschuldeten Einkommensverlustes zulässig.

Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Nicht jede auch schon im vorhinein als gewagt oder als unwirtschaftlich erkennbare wirtschaftliche Disposition eines selbständig Erwerbstätigen und nicht jede Verletzung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen eines unselbständig Erwerbstätigen sind automatisch auch als Verletzung der unterhaltsrechtlichen Obliegenheit zum angemessenen Einsatz aller Kräfte zu werten, um zu einer erforderlichen Deckung der Bedürfnisse eines Unterhaltsberechtigten beitragen zu können.

Nur solche arbeitsrechtlichen Pflichtwidrigkeiten, die auf einem Mangel an gebotenem Willen zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistungen beruhen, sind auch als Verletzung der unterhaltsrechtlichen Obliegenheit zur Kräfteanspannung zu begreifen.

Der mit einem Arbeitsplatzverlust verbundene Einkommensentfall löst auch bei verschuldetem Arbeitsplatzverlust nur die Obliegenheit aus, alle nach den konkreten persönlichen und Arbeitsmarktverhältnissen sinnvollen Anstrengungen zu unternehmen, wieder einen Arbeitsplatz mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten zu finden. Daß sich der Unterhaltspflichtige selbst in die Lage gebracht hat, einen neuen Arbeitsplatz finden zu müssen, ist solange unerheblich, als ihm nicht nachgewiesen werden kann, er hätte es auf den Verlust des Arbeitsplatzes deshalb angelegt gehabt, um seine Unterhaltspflichten nicht erfüllen zu müssen. Denn es wäre sittenwidrig, sich auf eine solcherart verminderte Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berufen. Im Falle eines sonstigen selbst verschuldeten Arbeitsplatzverlustes mögen die Anforderungen an die eigenen Bemühungen zur Wiedererlangung eines neuen Erwerbseinkommens gegenüber den Fällen unverschuldeten Arbeitsplatzverlustes höher angesetzt werden. Im Grundsatz kommt es aber nur auf das zielstrebige Betreiben oder Unterbleiben einer Arbeitsplatzsuche an (i.s.S. die n.v.E 6 Ob 655/90).

Dazu haben die Rechtsmittelwerber ihrem Vater keinerlei Nachlässigkeit vorgeworfen, und das Rekursgericht hat das Vorliegen einer solchen auch ohne Rechtsirrtum verneint.

Keinesfalls wäre aber der Folgerung beizutreten, daß bei einem vom Unterhaltsschuldner verschuldeten Arbeitsplatzverlust in Anwendung des Anspannungsgrundsatzes automatisch davon auszugehen wäre, daß dem Unterhaltspflichtigen weiterhin das verlorene Einkommen zur Verfügung stünde. Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage wäre.

Auch dazu treffen die rekursgerichtlichen Erwägungen im vorliegenden Falle zu.

Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

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