OGH 6Ob655/90

OGH6Ob655/9018.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 30. Juni 1981 geborenen mj. Oliver P***, infolge Revisionsrekurses des Kindes, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 15. Bezirk, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 17. Mai 1990, GZ 47 R 192/90-75, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 30. Jänner 1990, GZ 2 P 285/84-71, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Der Vater des Minderjährigen, Gerhard P***, ist auf Grund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 2. Juni 1989 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.900 verpflichtet. Dieser Bemessung wurden ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters als Servicemonteur bei der Firma Helmut Heinz B*** von rund S 17.300 und eine weitere Sorgepflicht für ein am 2. Februar 1987 geborenes uneheliches Kind zugrundegelegt.

Am 5. Jänner 1990 beantragte der Vater die Herabsetzung seines Unterhaltsbeitrages auf monatlich S 1.700, nachdem er schon vorher mitgeteilt hatte, er sei "per 3.10.1989 fristlos gekündigt" worden. Er beziehe seit 1.November 1989 nur mehr Arbeitslosengeld von S 326,20 täglich.

Das Erstgericht wies das Herabsetzungsbegehren ab. Es stellte fest, daß das Arbeitsverhältnis des Vaters mit der Firma Helmut Heinz B*** zum 3.Oktober 1989 aus dem Verschulden des Dienstnehmers gelöst wurde und der Vater seit 1.November 1989 Arbeitslosenunterstützung von S 326,20 pro Tag bezieht. Das Erstgericht führte aus, daß der Vater seinen Arbeitsplatz durch sein Verschulden verloren habe, dürfe dem Kind nicht zum Nachteil gereichen. Hätte Gerhard P*** seine beruflichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt, könnte er weiterhin bei seinem bisherigen Arbeitgeber arbeiten und das zuletzt bezogene Einkommen weiterbeziehen. Der Unterhaltsbemessung sei daher das vom Vater bei Anspannung seiner Kräfte erzielbare Einkommen und nicht die tatsächlich bezogene Arbeitslosenunterstützung zugrundezulegen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und setzte dessen Unterhaltsverpflichtung ab 1.12.1989 auf monatlich S 1.700 herab. Es führte aus:

Die Entlassung eines Unterhaltspflichtigen, der selbst verschuldete Verlust des Arbeitsplatzes allein begründen noch nicht die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes. Dies sei nur dann möglich, wenn der Unterhaltspflichtige nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle tatsächlich in der Lage wäre, eine gleichwertige Erwerbstätigkeit zu finden, seine Arbeitskraft aber nicht entsprechend einsetzen wolle. Ausgehend von der Arbeitslosenunterstützung sei daher eine Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages auf S 1.700 monatlich gerechtfertigt.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Rechtsprechung der zweiten Instanz in der hier maßgeblichen Frage, ob ein Unterhaltsschuldner, der den Verlust seines Arbeitsplatzes durch (begründete) Entlassung verloren habe, angespannt werden könne, nicht einheitlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Kindes, in welchem die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses angestrebt wird, ist gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zulässig, er ist im Sinne einer Aufhebung der Vorentscheidungen auch berechtigt.

Schon vor der Familienrechtsreform war anerkannt, daß der Unterhaltsschuldner alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können (vgl. Petrasch in ÖJZ 1989, 748; Pichler in ÖA 1976, 53 ff). Der Gesetzgeber der Familienrechtsreform brachte die Geltung dieses Grundsatzes dadurch zum Ausdruck, daß der im § 140 Abs 1 ABGB anordnete, die Eltern haben zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften beizutragen (RV 60 BlgNR XIV. GP 21 f; AB 587 BlgNR XIV. GP 3 f). Den Unterhaltspflichtigen trifft demnach die Obliegenheit, im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können. Jedes Kind hat das Recht, daß seine Bedürfnisse gemäß den Lebensverhältnissen der Eltern angemessen gedeckt werden (Pichler in Rummel2, ABGB, Rz 5 und 5a zu § 140 mwN). Dieser Verpflichtung darf sich ein Unterhaltsschuldner weder dadurch entziehen, daß er ohne triftigen Grund eine gut dotierte Stellung aufgibt, noch daß er eine solche Beschäftigung, die ihm zumutbar und möglich ist, nicht anstrebt und dadurch in beiden Fällen die Teilnahme unterhaltsberechtigter Kinder an den adäquaten Lebensverhältnissen der Eltern hindert. Auch der geschiedene eheliche Vater darf Änderungen in seinen Lebensverhältnissen, die mit Einschränkungen seiner Unterhaltspflichten verbunden wären, nur insoweit vornehmen, als dies bei gleicher Sachlage ein pflichtbewußter Familienvater in aufrechter Ehe getan hätte (vgl. Pichler in ÖAV 1976, 55). Maßgeblich ist neben den Bedürfnissen des Kindes immer die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners. Dies bedeutet, daß dessen fristlose Entlassung als Dienstnehmer für sich allein - ebenso wie eine Kündigung des Dienstverhältnisses oder eine strafgerichtliche Verurteilung - noch kein Beurteilungskriterium für die Ausmessung des Unterhaltes ist, die von vornherein ohne weitere Prüfung im Einzelfall eine Anspannung in Höhe der zuletzt erzielten Einkünfte erlaubt. Sie kann jedoch ein Indiz dafür bilden, in welcher Weise der Unterhaltsschuldner bemüht ist, seine Kräfte anzuspannen, so etwa, wenn die Entlassung in der Absicht herbeigeführt worden wäre, um sich der Unterhaltspflicht zu entziehen. Es muß auch das Verhalten des Unterhaltspflichtigen nach der Entlassung in die Beurteilung mit einbezogen werden. Denn ein Unterhaltspflichtiger hat unter Berücksichtigung seiner geistigen und körperlichen Veranlagung sowie seiner Ausbildung und seines Könnens alles zu unternehmen, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Dazu würde die bloße Meldung bei den zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehenden Stellen allein nicht ausreichen, es ist auch Eigeninitiative zur Erzielung eines entsprechenden Einkommens zu fordern. Die bloße Feststellung, daß der Unterhaltsschuldner fristlos entlassen wurde und in der Folge Arbeitslosengeld bezog - bis zur Beschlußfassung in erster Instanz sind immerhin vier Monate verstrichen - reicht noch nicht aus.

Das Erstgericht wird deshalb im fortgesetzten Verfahren unter Bedachtnahme auf die vorstehenden Ausführungen die Stoffsammlung zu ergänzen haben. Erst dann kann entschieden werden, ob die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen bis zur Höhe des zuletzt erzielten Arbeitseinkommens oder für eine Unterhaltsherabsetzung vorliegen.

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