OGH 5Ob102/23w

OGH5Ob102/23w26.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. D* F*, vertreten durch DDr. Patrick Vergörer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R* T*, vertreten durch Dr. Thomas Obholzer, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen Wiederherstellung und Entfernung, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 7.500 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. April 2023, GZ 3 R 218/22p‑39, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 11. Juli 2022, GZ 5 C 60/21z‑33, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00102.23W.0226.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.000,75 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 166,79 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist Mit‑ und Wohnungseigentümerin einer Liegenschaft. Das Mit‑ und Wohnungseigentum wurde mit dem Pflichtteilsverzichts‑ und Wohnungseigentumsvertrag vom 18. 3. 2016 begründet. Bis dahin war der Vater der Klägerin der Alleineigentümer dieser Liegenschaft.

[2] Dem Wohnungseigentumsobjekt der Klägerin ist ein Garten als Zubehör zugeordnet (Zubehör-Wohnungseigentum). Dieser Garten ist von der angrenzenden Liegenschaft durch eine Mauer getrennt. Eigentümer dieser Nachbarliegenschaft ist aufgrund des Übergabs‑ und Schenkungsvertrags vom 6. 7. 2015 der Sohn des Beklagten. Bis dahin war der Beklagte Eigentümer dieser Liegenschaft, der diese auch nach wie vor bewohnt (daher im Folgenden der Einfachheit halber: „Liegenschaft des Beklagten“).

[3] Die beiden benachbarten Grundstücke sind seit 1977 im Grenzkataster eingetragen. Die Mauer im Bereich der Grenze hat der Beklagte spätestens im Jahr 1983 zur Befestigung des Geländes errichtet. Der Beklagte orientierte sich dabei an dem von Arbeitern der Gemeinde (und nicht von ihm) markierten Grenzverlauf und er ging davon aus, dass sich die Mauer zur Gänze auf seiner eigenen Liegenschaft befinde.

[4] Auch der Vater und Rechtsvorgänger der Klägerin ging davon aus, dass sich die Mauer zur Gänze auf der Liegenschaft des Beklagten befinde. Im Jahr 1985 errichtete der Vater der Klägerin auf dieser Mauer einen Maschendrahtzaun, zudem befestigte er ein mit Efeu bepflanztes Gitter mit in die Mauer eingeschlagenen Nägeln.

[5] Die Mauer steht zur Gänze auf der im Miteigentum der Klägerin stehenden Liegenschaft.

[6] Die Klägerin begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, a) die Mauer, soweit deren Fundament sich auf der Liegenschaft der Klägerin befindet, zu entfernen, b) nach Entfernung der Mauer den Zustand vor Errichtung der Mauer wiederherzustellen, indem das Fundament zugeschüttet und begrünt sowie eine natürliche verlaufende Böschung wiederhergestellt wird.

[7] Das Erstgericht gab dem Entfernungsbegehren zur Gänze und dem Wiederherstellungsbegehren insoweit statt, als es den Beklagten schuldig erkannte, das Fundament zuzuschütten und zu begrünen. Das Mehrbegehren auf Wiederherstellung einer natürlich verlaufenden Böschung wies das Erstgericht ab.

[8] Die Klägerin als Miteigentümerin der Liegenschaft sei ohne Zustimmung oder Mitwirken der anderen Miteigentümer dazu berechtigt, eigenmächtige Eingriffe in das gemeinsame Eigentum mit Eigentumsfreiheitsklage gegen den Störer abzuwehren.

[9] Der Beklagte sei passiv legitimiert, weil mit der Eigentumsfreiheitsklage nicht nur der Eigentümer der Liegenschaft, sondern auch der unmittelbare Störer in Anspruch genommen werden könne. Der Beklagte habe den Mauerbau beauftragt und bewohne das Haus.

[10] Gemeinschaftliches Eigentum für Grenzeinrichtungen setze gemäß § 854 ABGB voraus, dass sich die Einrichtung zwischen den benachbarten Grundstücken befände. Dies treffe auf die Mauer nicht zu, weil sich diese zur Gänze auf dem Grundstück der Klägerin befinde.

[11] Der Eigentumsfreiheitsanspruch unterliege nicht der Verjährung, ein Beseitigungsanspruch sei daher auch nach mehr als 30 Jahren nicht verjährt. Ein Rechtsverlust könne allenfalls durch Ersitzung entsprechender Rechte oder eine konkludente Zustimmung der Klägerin eintreten. Beide Grundstücke seien jedoch im Grenzkataster eingetragen, sodass eine Ersitzung des Eigentums ausgeschlossen sei.

[12] Die Erlangung außerbücherlichen Eigentums durch Bebauung eines fremden Grundes mit eigenem Material gemäß § 418 Satz 3 ABGB scheitere daran, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin nicht gewusst habe, dass die Mauer auf seinem Grund errichtet werde. Der Rechtsvorgänger der Klägerin ebenso wie der Beklagte seien zum Zeitpunkt der Bauführung der Ansicht gewesen, die Mauer werde auf der Liegenschaft des Beklagten errichtet. Das Eigentum an dem von der Mauer überbauten Teil der Liegenschaft sei daher nicht auf den Beklagten übergegangen.

[13] Der Beklagte sei stets der Meinung gewesen, die Mauer auf seiner Liegenschaft errichtet zu haben und dafür keinen fremden Grund in Anspruch zu nehmen. Schon aus diesem Grund scheide auch die Ersitzung einer Dienstbarkeit aus.

[14] Das Begehren der Klägerin sei aufgrund der Lage der Mauer nicht schikanös. Der Umstand, dass sie bzw ihr Rechtsvorgänger ebenso wie der Beklagte über den Grenzverlauf geirrt hätten und die Mauer für eigene Zwecke verwendet worden sei, könne nicht dahin interpretiert werden, dass die Klägerin die Errichtung der Mauer zur Gänze auf dem eigenen Grundstück hinnehmen müsse.

[15] Die Ansprüche der Klägerin auf Beseitigung und Wiederherstellung des vorigen Zustands bestünden daher zu Recht. Das über das Zuschütten und Begrünen des Fundaments der Mauer hinausgehende Begehren auf Herstellung einer natürlich verlaufenden Böschung gehöre jedoch – abgesehen davon, dass es zu unbestimmt sei – nicht mehr zur Wiederherstellung des vorigen Zustands, sondern bedeute eine Veränderung der Liegenschaft des Beklagten. In welcher Weise diese Liegenschaft im Grenzbereich befestigt werde, sei Angelegenheit des Beklagten bzw des Eigentümers.

[16] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das angefochtene Urteil in eine gänzliche Klageabweisung ab.

[17] Die Eigentumfreiheitsklage gemäß § 523 ABGB könne gegen jeden unberechtigten Eingriff in das Eigentumsrecht erhoben werden. Sie dringe bereits bei objektiver Rechtswidrigkeit der Störung durch; ein Verschulden des Störers sei nicht Voraussetzung. Der Kläger müsse lediglich sein Eigentum sowie einen zumindest unmittelbar drohenden Eingriff des Beklagten dartun; rechtfertigende Gründe dafür, etwa ein allfälliges Nutzungsrecht müsse der Beklagte beweisen.

[18] Der Klägerin sei der Beweis ihres Eigentums sowie des Eingriffs des Beklagten gelungen, liege doch die Mauer nach den Feststellungen zur Gänze auf der im (Mit‑)Eigentum der Klägerin stehenden Liegenschaft.

[19] Der Beklagte habe die Rechtswidrigkeit zwar auch unter Berufung auf eine konkludente Genehmigung der Mauer bestritten. Eine solche konkludente Genehmigung scheide hier aber trotz des über 30‑jährigen Bestandes der Mauer und der widerspruchslosen Hinnahme aus, weil der Rechtsvorgänger der Klägerin keine Kenntnis davon gehabt habe, dass sich die Mauer auf seinem Grundstück befinde.

[20] Bei der Ersitzung von Dienstbarkeiten sei nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ein Irrtum im Besitzwillen dann unbeachtlich, wenn der Irrende in Kenntnis der wahren Sachlage einen entsprechenden Besitzwillen gebildet hätte. Wolle daher jemand vermeintlich eigenen Grund benützen, so könne er grundsätzlich Eigentum ersitzen. Sei das aus rechtlichen Gründen – wie hier etwa aufgrund der Eintragung der Grundstücke in den Grenzkataster (§ 50 VermG) – nicht möglich, so sei die Ersitzung einer Grunddienstbarkeit möglich, wenn sich die Art der Benützung voll mit der Ausübung des Eigentumsrechts decke und der Wille des Benützers zumindest auf die Ausübung eines dinglich wirkenden Rechts gerichtet sei. Besitzer einer Dienstbarkeit könne also auch der sein, der die entsprechende Handlung aufgrund vermeintlichen oder angemaßten Eigentums unternehme. Der für die Ersitzung weiters erforderliche gute Glaube falle weg, wenn der Besitzer entweder positiv Kenntnis erlange, dass sein Besitz nicht rechtmäßig sei, oder wenn er zumindest solche Umstände erfahre, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Besitzes Anlass geben.

[21] Der Beklagte sei davon ausgegangen, dass die Grundgrenze von den Arbeitern der Gemeinde richtig markiert worden sei und sich die Mauer zur Gänze auf seinem Grundstück befinde. Erstmals im Jahr 2018 sei es zu Auseinandersetzungen wegen der Mauer gekommen, sodass der Beklagte jedenfalls für die notwendige Ersitzungszeit von 30 Jahren redlicher Besitzer gewesen sei. Die für Grunddienstbarkeiten erforderliche vorteilhaftere oder bequemere Benützung durch die Mauer sei evident, habe sie doch nicht nur als Abgrenzung gedient, sondern auch als Stütze für den zwischen den beiden Grundstücken gewünschten Niveauunterschied.

[22] Damit habe der Beklagte die Dienstbarkeit der Erhaltung und Errichtung einer Mauer ersessen. Die Klage auf Entfernung der davon betroffenen Mauer und Wiederherstellung des vorigen Zustands sei daher zur Gänze abzuweisen.

[23] Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgenstand mit zwar 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision zu.Nach § 50 VermG sei zwar die Ersitzung des Eigentums an Teilen eines im Grenzkataster enthaltenen Grundstücks ausgeschlossen, nicht aber die Ersitzung einer Dienstbarkeit. Hier und in vergleichbaren Fällen schließe die Ersitzung einer Dienstbarkeit den Eigentümer aber faktisch von der Nutzung des betreffenden Liegenschaftsteils (fast) zur Gänze aus, sodass es im Ergebnis zu einer Aushöhlung des Eigentumsrechts komme, die der Intention des § 50 VermG zuwiderlaufe, und faktisch eine Art (nicht gewolltes) Nutzungseigentum geschaffen werde. Ob die Ersitzung einer solch weitreichenden Dienstbarkeit trotz § 50 VermG zulässig sei, sei eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

[24] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass der Berufung des Beklagten keine Folge gegeben werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[25] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revisionnicht Folge zu geben.

[26] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[27] 1. Die auf Abwehr von Störungen gerichtete Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB kann grundsätzlich von jedem Miteigentümer erhoben werden (RIS‑Justiz RS0012112; RS0012114; RS0012137; RS0013417; RS0013428). Diese Aktivlegitimation des einzelnen Miteigentümers umfasst im Rahmen des § 523 ABGB nicht nur Unterlassungsbegehren, sondern auch solche, die auf Wiederherstellung und Beseitigung gerichtet sind (5 Ob 46/22h; RS0012137 [T2]; RS0013428 [T1]).

[28] Jeder Miteigentümer ist also, auch wenn er nur die Minderheit der Anteile repräsentiert, berechtigt, eigenmächtige Eingriffe in das gemeinsame Eigentum mit der – auf Beseitigung und Wiederherstellung des vorigen Zustands gerichteten – Eigentumsfreiheitsklage gegen den Störer abzuwehren (RS0012112 [T1]). Der einzelne schlichte Miteigentümer ist nach dieser Rechtsprechung nur dann nicht allein aktiv legitimiert, wenn er sich mit seinen Ansprüchen in Widerspruch zu anderen Miteigentümern setzt (RS0012114 [T23]; RS0012137 [T17]; RS0013428 [T2]). Diese Einschränkung ist für den vorliegenden Fall allerdings nicht relevant.

[29] 2. Eine Eigentumsfreiheitsklage kann nur gegen einen unberechtigten Eingriff in das Eigentumsrecht erhoben werden und setzt damit unerlaubte Eigenmacht des Störers voraus (4 Ob 25/16d mwN). Der Kläger hat sein Eigentum und den Eingriff des Beklagten zu beweisen, dieser hingegen die Berechtigung seines Eingriffs (RS0012186).

[30] Das Berufungsgericht verneint hier die Eigenmacht des Beklagten. Die Errichtung und Erhaltung der Mauer sei durch eine entsprechende durch Ersitzung erworbene Dienstbarkeit gedeckt.

[31] 3. Der auch durch Ersitzung mögliche außerbücherliche Erwerb von Grunddienstbarkeiten (§ 480 ABGB) erfordert eine ordentliche Ersitzungsfrist von dreißig Jahren sowie die Redlichkeit und Echtheit des Besitzes (§ 1470 ABGB). Nach § 1493 ABGB ist derjenige, der eine Sache von einem rechtmäßigen und redlichen Besitzer redlich übernimmt, als Nachfolger berechtigt, die Ersitzungszeit seines Rechtsvorgängers miteinzurechnen; dies gilt auch bei der Ersitzung von Grunddienstbarkeiten (4 Ob 218/22w).

[32] Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache ist grundsätzlich die Ausübung des Rechts im Wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken in bestimmtem Umfang erforderlich. Notwendig ist dafür eine solche für den Eigentümer des belasteten Gutes erkennbare Rechtsausübung (RS0033018; RS0105766). Auf die positive Kenntnis des Eigentümers der belasteten Sache kommt es hingegen nicht an (RS0033018 [T1]).

[33] Voraussetzung für die Ersitzung ist der echte und während der gesamten Ersitzungszeit (RS0010175) redliche Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat (RS0010140), sowie der Besitzwille (RS0034138 [T2]). Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht (RS0010137). Der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube, also die Redlichkeit des Besitzers, fällt also nicht nur bei nachträglicher Kenntnis der Unrechtmäßigkeit, sondern auch bei Kenntnis von Umständen weg, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes Anlass geben (RS0010137 [T1]; RS0010184).

[34] 4. Die Klägerin bestreitet den für die Ersitzung erforderlichen Besitzwillen des Beklagten, zumal dieser stets davon ausgegangen sei, dass sich die Mauer auf seinem eigenen Grund befindet, er daher auch nicht an ein Nutzungsrecht an einer fremden Sache geglaubt habe.

[35] Die Rechtsprechung, wonach derjenige, der ein Grundstück in der Meinung benützt, es sei sein eigenes, nicht die Absicht haben könne, auf einem fremden Grundstück eine Dienstbarkeit zu erwerben (RS0011516), ist allerdings überholt. Nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein Irrtum im Besitzwillen dann unbeachtlich, wenn der Irrende in Kenntnis der wahren Sachlage einen entsprechenden Besitzwillen gebildet hätte. Will daher jemand vermeintlich eigenen Grund benützen, so kann er grundsätzlich Eigentum ersitzen. Ist die Ersitzung des Eigentums aus rechtlichen Gründen nicht möglich, so kommt die Ersitzung einer Grunddienstbarkeit in Betracht, wenn sich die Art der Benützung voll mit der Ausübung des Eigentumsrechts deckt und der Wille des Benützers zumindest auf die Ausübung eines dinglich wirkenden Rechts gerichtet ist. Dass der Besitzwille nicht auf Rechtsbesitz, sondern auf Sachbesitz gerichtet war, steht dem Erwerb des Rechtsbesitzes daher nicht entgegen. Besitzer einer Dienstbarkeit kann also auch der sein, der die entsprechende Handlung aufgrund vermeintlichen oder angemaßten Eigentums unternimmt (7 Ob 269/00k mwN; 4 Ob 167/14h; RS0010142).

[36] Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, schadet es dem Beklagten (und seinem Rechtsnachfolger) daher nicht, dass er irrtümlich davon ausgegangen ist, dass es sich bei der dienenden Sache um seine eigene handelt.

[37] 5. Die hier zu beurteilende Dienstbarkeit verpflichtet die Klägerin als Miteigentümerin der dienenden Liegenschaft zur dauerhaften Duldung einer Mauer auf ihrem Grund. Eine solche Dienstbarkeit beeinträchtigt das Eigentumsrecht der Klägerin am bebauten Teil ihrer Liegenschaft in stärkerem Ausmaß als beispielsweise ein Wegerecht. Die Klägerin greift daher in ihrer Revision die vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage auf, ob eine derart weitreichende, den Eigentümer faktisch von der Nutzung des betreffenden Liegenschaftsteils ausschließende Dienstbarkeit im Hinblick auf die Intention des § 50 VermG überhaupt ersessen werden kann. Zu prüfen ist daher die Ersitzungsfähigkeit eines solchen Rechts.

[38] Die besondere Bedeutung des Grenzkatasters liegt nach dem klaren Wortlaut des Vermessungsgesetzes darin, dass er zum verbindlichen Nachweis der Grenzen der Grundstücke bestimmt ist (§ 8 Z 1 VermG) und ein auf die in der Natur ersichtlichen Grenzen eines Grundstücks gegründeter Anspruch demjenigen nicht mehr entgegengesetzt werden kann, der ein Recht im Vertrauen auf die im Grenzkataster enthaltenen Grenzen erworben hat (§ 49 VermG). Nach § 50 VermG ist daher auch die Ersitzung von Teilen eines im Grenzkataster enthaltenen Grundstücks ausgeschlossen. Der Gesetzeszweck der §§ 49 f VermG ist es, die Grundstücksgrenzen der im Grenzkataster eingetragenen Liegenschaften zu perpetuieren (vgl RV 508 BlgNR XI. GP  13, 24 f; 4 Ob 253/16h; 4 Ob 94/08i).

[39] Die Erwerbsbeschränkung des § 50 VermG soll die Verschiebung von Eigentumsgrenzen im Weg der Ersitzung verhindern. Die Ersitzung einer Dienstbarkeit lässt die Grenzen der betroffenen Grundstücke und den in diesem Sinn verstandenen Umfang des Eigentumsrechts von vornherein unangetastet, sodass diese Bestimmung diesem Rechtserwerb weder ihrem Wortlaut nach noch ihrem Regelungszweck nach entgegensteht (vgl Twaroch, Kataster- und Vermessungsrecht4 § 50 VermG Anm 4).

[40] Dieses einschränkende Verständnis seines Anwendungsbereichs steht auch im Einklang damit, dass § 50 VermG nach herrschender Ansicht (selbst) andere Formen des außerbücherlichen Eigentumserwerbs an Teilen einer Liegenschaft, insbesondere jenen durch Bauführung iSd § 418 S 3 ABGB nicht ausschließt (Twaroch, Kataster‑ und Vermessungsrecht4 § 50 VermG Anm 5; Holzner in Klang³ § 418 Rz 7, Egglmeier‑Schmolke in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar ABGB IV5 § 853a Rz 7; Müller in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar ABGB III5 § 418 Rz 8).

[41] 6. Die Unzulässigkeit der Ersitzung des Eigentums an Teilen eines im Grenzkataster enthaltenen Grundstücks nach § 50 VermG steht demnach der Ersitzung einer bloßen Dienstbarkeit nicht entgegen; dies unabhängig von der inhaltlichen und zeitlichen Dimension der Dienstbarkeit. Mit den zur Begründung ihres gegenteiligen Prozessstandpunktes angestellten Erwägungen zu einem „dem Eigentumsverlust im Ergebnis ebenbürtigen Zustand“ wirft die Klägerin allerdings die Frage auf, ob die konkrete Duldungsverpflichtung aus allgemeinen Erwägungen heraus überhaupt Gegenstand einer unbefristeten Dienstbarkeit sein kann.

[42] Die Aufzählung der Grunddienstbarkeiten in den §§ 475 bis 477 ABGB ist nicht erschöpfend (RS0011558). Eine Grunddienstbarkeit besteht aber nur dann, wenn sich die Duldung oder Unterlassung, zu der der Eigentümer der belasteten Liegenschaft verpflichtet ist, auf die Nutzung des belasteten Grundstücks selbst bezieht. Duldung „in Rücksicht seiner Sache“ erfordert also stets eine unmittelbare Beziehung zur Nutzung der belasteten Sache (RS0011510 [T2, T4]). Eine Grunddienstbarkeit muss außerdem der vorteilhafteren oder bequemeren Benützung des herrschenden Grundstücks dienen (§ 473 ABGB; RS0011597 [T1]; RS0011582). Auch das Erfordernis der Nützlichkeit oder Bequemlichkeit bezieht sich immer auf das Grundstück selbst, nicht auf persönliche Vorteile seines Eigentümers (RS0011593 [T1]). Entscheidend für die Einordnung als Dienstbarkeit sind also nur liegenschaftsbezogene Utilitätserwägungen (5 Ob 29/22h). Für die Ersitzung einer Dienstbarkeit ist dabei das Ausmaß der Besitzergreifungsakte ausschlaggebend, weshalb die Dienstbarkeit nur in jenem Umfang erworben wird, wie sie schon vor dreißig Jahren und während der gesamten Ersitzungszeit ausgeübt wurde. Bei der Ersitzung von Dienstbarkeiten kommt es daher darauf an, zu welchem Zweck das dienstbare Gut 30 (oder 40) Jahre lang verwendet wurde (8 Ob 42/22t; RS0011702; RS0011664).

[43] Auf Basis des festgestellten Sachverhalts ist das Vorliegen dieser Anforderungen in Bezug auf die vom Beklagten in Anspruch genommene Dienstbarkeit der Errichtung und Erhaltung einer Mauer im Revisionsverfahren zu Recht nicht strittig. Die Mauer wurde spätestens 1983 zur Befestigung der Liegenschaft des Beklagten errichtet. Deren Duldung bezieht sich auf die Nutzung des mit der in Frage stehenden Dienstbarkeit belasteten Grundstücks. Da die Mauer evidentermaßen auch der vorteilhafteren oder bequemeren Nutzung der Liegenschaft des Beklagten dient, ist von einer Grunddienstbarkeit auszugehen. Die Errichtung spätestens im Jahr 1983 ist als Beginn der Rechtsausübung zugleich der Beginn der Ersitzungszeit; auch die notwendigen 30 Jahre waren sohin jedenfalls abgelaufen.

[44] Charakteristikum von Grunddienstbarkeiten ist, dass den Eigentümer des belasteten Grundstücks Duldungs- oder Unterlassungspflichten treffen und der jeweilige Eigentümer des herrschenden Grundstücks berechtigt ist (RS0011597 [T2]). Der Umstand, dass diese Duldungs‑ oder Unterlassungspflicht des Eigentümers bei einem entsprechenden Inhalt der Grunddienstbarkeit dazu führen kann, dass er von der (Mit‑)Nutzung von Teilen des dienenden Grundstücks faktisch mehr oder weniger ausgeschlossen ist, liegt in der Natur dieser Form der Beschränkung des Eigentumsrechts (vgl etwa RS0011557 [Dienstbarkeit des Haltens eines Bauwerks oder von Teilen eines Bauwerks] oder aus jüngerer Zeit 5 Ob 238/18p [Grunddienstbarkeit des Parkplatzes]; 5 Ob 7/22y [„ökologische Ausgleichsfläche“]).

[45] Diese allfällige Konsequenz einer regulären Grunddienstbarkeit ist nicht mit dem Nutzungseigentum oder dem „geteilten Eigentum“ gleichzusetzen, das die Rechtsprechung ablehnt. Diese Rechtsprechung zu den Grenzen zulässiger Dienstbarkeiten bezieht sich vielmehr auf die Erweiterung eines Fruchtgenussrechts zu einer Grunddienstbarkeit. Ein zur Grunddienstbarkeit ausgeweitetes Fruchtgenussrecht darf demnach nicht dazu führen, dass es zu einer Aushöhlung des Eigentumsrechts kommt und statt dessen eine Art Nutzungseigentum geschaffen wird. Um dauerhaft geteiltes Eigentum zu verhindern, lässt der Oberste Gerichtshof die Begründung und Verbücherung eines Fruchtgenussrechts als Grunddienstbarkeit daher in ständiger Rechtsprechung nur mit einer zeitlichen Begrenzung zu (5 Ob 183/22f; 8 Ob 42/22t; RS0115508; RS0011621 [T1]). Die Ersitzung eines unbefristeten Fruchtgenussrechts zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers einer Liegenschaft ist dementsprechend von vornherein ausgeschlossen (8 Ob 42/22t; RS0115508 [T2]; RS0011621 [T4]).

[46] Das hier zu beurteilende Recht, auf einem bestimmten Teil einer fremden Liegenschaft eine Mauer zu errichten und zu erhalten, ist vom Typ her nicht als auf die individuellen Bedürfnisse des Berechtigten zugeschnittene Personaldienstbarkeit wie das Gebrauchs‑ oder Fruchtgenussrecht ausgestaltet, sondern eine reguläre Grunddienstbarkeit. Für die Zulässigkeit einer solchen sind – aus diesem Blickwinkel – ihre zeitliche Dauer und ihr inhaltlicher Umfang nicht entscheidend.

[47] Im Übrigen ist das Recht, auf der Nachbarliegenschaft eine Mauer zur Befestigung der eigenen, höherliegenden Liegenschaft errichten zu dürfen, auch der Sache nach mit einem das Eigentumsrecht aushöhlenden Nutzungseigentum nicht vergleichbar, sodass deren Zulässigkeit selbst dann nicht in Frage stünde, wenn die Erwägungen zum Nutzungseigentum auf eine reguläre Grunddienstbarkeit übertragen werden könnten. Durch die Errichtung und Erhaltung der Mauer ist das Liegenschaftseigentum an den mit der Mauer bebauten Teilen des Grunds für die Klägerin nicht völlig nutzlos. Schon die Feststellungen des Erstgerichts zeigen, dass die Mauer vom Rechtsvorgänger der Klägerin in der Vergangenheit genutzt werden konnte und zur Montage eines Maschendrahtzauns und eines Rankgitters genutzt wurde. Vor allem aber dient die Mauer durch ihre Funktion als Grenz‑ und Stützmauer auch der Liegenschaft der Klägerin.

[48] 7. Der Revision der Klägerin war daher nicht Folge zu geben.

[49] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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