OGH 4Ob218/22w

OGH4Ob218/22w28.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG in Feldbach, gegen die beklagten Parteien 1. M*, 2. C* und 3. T*, alle vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in Feldbach, wegen Feststellung und Zustimmung zur Einverleibung einer Dienstbarkeit, Entfernung und Unterlassung, über die ordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 1. Juni 2022, GZ 6 R 1/22v‑15, womit das Urteil des Bezirksgerichts Feldbach vom 17. November 2021, GZ 2 C 379/21f‑21, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00218.22W.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 720,12 EUR (darin 120,02 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt, festzustellen, dass der Klägerin als Eigentümerin zweier herrschender Grundstücke die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über das Grundstück der Beklagten auf einem dort in der Natur bestehenden asphaltierten Weg in der Breite von rund 2,8 m „zu landwirtschaftlichen Zwecken“ zustehe, sowie dass die Beklagten schuldig seien, in die Einverleibung der Servitut einzuwilligen, von ihnen angebrachte Absperrketten zu entfernen, und in Hinkunft jede Störung des Dienstbarkeitsrechts zu unterlassen.

[2] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil nicht auszuschließen sei, dass festgestellte Eigennutzungen durch die Beklagten als fortlaufendes Widersetzen gegen die Ausübung der Dienstbarkeit gemäß § 1488 ABGB beurteilt werden könnten und in diesem Sinne von einer Freiheitsersitzung ausgegangen werden könnte.

[3] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – nachträglichen Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig, zumal auch die Beklagten in ihrer Revision keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Vorauszuschicken ist, dass das Berufungsgericht dem Feststellungsbegehren in einem Umfang stattgab, als die Servitut „zu landwirtschaftlichen Zwecken“ begehrt wurde; über ein Begehren in Ansehung einer darüber hinausgehenden Nutzung hat es nicht abgesprochen. Die Klägerin erhob dagegen weder einen Ergänzungsantrag nach § 423 ZPO noch Rechtsmittel.

[5] Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Klägerin ihr Begehren von Anfang an so eingeschränkt verstanden hatte (wie das Berufungsgericht meint), weil auch im gegenteiligen Fall ein Begehren auf Feststellung einer Servitut zu anderen als landwirtschaftlichen Zwecken wegen ungerügt gebliebenen Unterbleibens einer diesbezüglichen Teilabweisung aus dem Verfahren ausgeschieden wäre (vgl RS0041490 [insb T8, T9]; RS0039606).

[6] Das Revisionsverfahren ist damit auf Begehren und Entscheidungen in Ansehung einer Wegedienstbarkeit „zu landwirtschaftlichen Zwecken“ beschränkt.

[7] 2. Eine vermeintlich mangelhafte oder unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden; der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz. Ein Mangel des Berufungsverfahrens läge nur vor, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisrüge überhaupt nicht befasst hätte (RS0043371), wovon hier keine Rede sein kann.

[8] 3.1. Der nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auch durch Ersitzung mögliche, außerbücherliche Erwerb von Grunddienstbarkeiten wie Wegerechten auf fremdem Grund (vgl RS0105766, RS0033018) erfordert eine ordentliche Ersitzungsfrist von dreißig Jahren sowie die Redlichkeit und Echtheit des Besitzes (§ 1470 ABGB); Rechtmäßigkeit des Besitzes ist nicht erforderlich. Nach § 1493 ABGB ist derjenige, der eine Sache von einem rechtmäßigen und redlichen Besitzer redlich übernimmt, als Nachfolger berechtigt, die Ersitzungszeit seines Rechtsvorgängers miteinzurechnen; dies gilt auch bei der Ersitzung von Grunddienstbarkeiten. Dem Eigentümer der belasteten Liegenschaft muss dabei aus der Art der Benützungshandlungen erkennbar sein, dass damit während der Ersitzungszeit ein (individuelles) im Wesentlichen gleichbleibendes Recht zu bestimmten Zwecken und im bestimmten Umfang ausgeübt wird (1 Ob 115/14i; RS0105766; RS0033018). Dabei muss das in der Ersitzungszeit ausgeübte Recht seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprechen. Es ist auch notwendig, dass die Ausübung des Rechtsinhalts als Recht in Anspruch genommen worden ist (vgl RS0010140).

[9] 3.2. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Klage der Eigentümerin der herrschenden Grundstücke auf Feststellung und Einverleibung einer ungemessenen Servitut, deren Umfang nicht genau umschrieben ist, sondern sich aus den Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks ableitet (vgl RS0097856; RS0016368). Die Dienstbarkeit wird nur in jenen räumlichen Grenzen, aber auch nur in jenem Umfang durch Ersitzung erworben, wie deren Rechtsinhalt schon vor dreißig Jahren ausgeübt wurde (RS0011702); dabei sind Kulturgattung und Bewirtschaftungsart des herrschenden Grundstücks zu berücksichtigen (RS0016364). Bei ersessenen Dienstbarkeiten kommt es daher darauf an, zu welchem Zweck das dienstbare Gut während der Ersitzungszeit verwendet wurde, sofern der Verwendungszweck nicht im Verlauf der Ersitzungszeit eingeschränkt wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Gutes während dieser Zeit benötigte. Ist einmal die Ersitzung vollendet, sind bei ungemessenen Dienstbarkeiten die jeweiligen Bedürfnisse des herrschenden Gutes maßgebend (RS0011664).

[10] 3.3. Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen trifft den Ersitzungsbesitzer (RS0034237 [T2]; RS0034243 [T1]). Diese Fragen sind regelmäßig einzelfallbezogen und nicht wesentlich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (vgl etwa RS0016364 [T7]; RS0011664 [T11]).

[11] 3.4. Nach den Feststellungen wird das umstrittene Wegstück zusammengefasst seit mehr als dreißig Jahren sowohl von der Klägerin als auch ihren Rechtsvorgängern – aber auch von Kunden der auf einem der herrschenden Grundstücke früher betriebenen Christbaumkultur (mit Verkauf vor Ort bis 2008) – befahren und begangen. Dies findet statt, wenn auf den herrschenden Grundstücken – fünf bis zehn Mal pro Jahr – Arbeiten durchzuführen sind, so um Brennholz in den Holzschuppen zu bringen, wenn im Bereich der Christbaumkultur Waldarbeiten durchzuführen sind, Mäharbeiten durchzuführen sind oder Erde oder Baumaterial für das Glashaus und den Garten an‑ und abzuführen sind. Bei diesen Handlungen wurden sie von den Beklagten auch wahrgenommen.

[12] 3.5. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass daraus die Ersitzung eines Wegerechts zu landwirtschaftlichen Zwecken abzuleiten ist, hält sich im Einzelfall im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung. Die Revision geht über weite Strecken nicht von den bindenden Tatsachenfeststellungen aus; rechtliche Feststellungsmängel liegen im Hinblick auf von den Vorinstanzen getroffenen Konstatierungen nicht vor.

[13] 4.1. Dienstbarkeiten verjähren durch bloßen Nichtgebrauch gewöhnlich in dreißig Jahren (§ 1479 ABGB). § 1488 ABGB verkürzt diesen Zeitraum auf drei aufeinanderfolgende Jahre, wenn sich der Verpflichtete über diese gesamte Zeit der Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und der Berechtigte sein Recht, ohne richterliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht geltend macht („Freiheitsersitzung“); dabei handelt es sich um einen Fall der Verjährung (RS0034333). Die Freiheitsersitzung erfolgt durch die Inanspruchnahme des Vollrechts durch den Eigentümer (Besitzer) der belasteten Liegenschaft (und nicht durch Dritte; RS0034264) in Verbindung mit einer manifesten Beeinträchtigung des Servitutsrechts durch ein Hindernis für eine umfassende Ausübung der Dienstbarkeit (RS0034288; RS0037141; 4 Ob 184/19s). Beim Rechtsverlust nach § 1488 ABGB tritt daher zum bloßen Nichtgebrauch durch den Sevitutsberechtigten noch ein weiteres Moment hinzu: Er bleibt passiv, obwohl sich der Verpflichtete der Servitutsausübung widersetzt hat; die kurze Verjährung des § 1488 ABGB hat in dieser Situation vor allem den Zweck, die rasche Klärung einer strittigen Rechtslage herbeizuführen (7 Ob 78/22d). Ein letztlich erfolglos gebliebenes Widerstreben des Verpflichteten führt nicht zum Rechtsverlust (RS0034271 [T4, T6]; RS0034241 [T3]).

[14] Eine Beeinträchtigung einer Wegeservitut liegt regelmäßig in der Widersetzlichkeit des Dienstbarkeitsbelasteten (RS0034271) dadurch, dass dieser ein (wenngleich nicht unüberwindliches, so doch) die Servitutsausübung beträchtlich beeinträchtigendes Hindernis errichtet, das die ungehinderte Benützung des Dienstbarkeitswegs auf gewöhnliche und allgemein übliche Art unmöglich macht (RS0034309 [T6]; RS0034271 [T11]; RS0037141 [T1]).

[15] 4.2. Die Freiheitsersitzung kann grundsätzlich auch zur Einschränkung einer Dienstbarkeit führen (RS0034281). Die Einschränkung kann sich auf die räumliche Ausdehnung, auf den sachlichen Umfang (zB Gehrecht statt Fahrrecht), aber auch auf den Zeitraum der Ausübung beziehen (4 Ob 93/13z [= RS0034281 {T6}], 7 Ob 28/22d, je mwN).

[16] 4.3. Die Frage, ob sich der Belastete der Ausübung einer Servitut im Sinne des § 1488 ABGB widersetzt hat, wofür er die Behauptungs‑ und Beweislast trägt (RS0034333 [T4]), ist ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0034288 [T2, T5]; RS0034241 [T9]).

[17] 4.4. Nach den Feststellungenparken die Beklagten ein KFZ und einen Firmenbus abends nach der Arbeit und an freien Tagen im strittigen Bereich des Beklagtengrundstücks. Die Klägerin bzw ihre Rechtsvorgänger können untertags trotzdem durch das östliche Gittertor fahren, wenn die Erst‑ und der Zweitbeklagte an der Arbeitsstelle sind. Der Lebensgefährte der Klägerin hat den Vater der Erstbeklagten einmal gebeten, ein Fahrzeug wegzufahren, damit er im strittigen Bereich zufahren kann, was auch sofort gemacht wurde. Im strittigen Bereich hatten die Beklagten immer wieder, aber nicht ununterbrochen Materialien gelagert, wobei dieses Material wieder verbaut bzw verbracht wurde. Dieses Material hinderte die Klägerin und deren Rechtsvorgänger aber nicht an der Benützung des strittigen Bereichs. Im Winter wurde im strittigen Bereich auch immer wieder Schnee abgelagert; auch dies verhinderte ein Zufahren nicht, da die Klägerin und ihre Rechtsvorgänger zu dieser Zeit keine Arbeiten durchführen mussten. Erst knapp sechs Wochen vor Klagserhebung brachten die Beklagten über den strittigen Weg Sperrketten an.

[18] 4.5. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass aus diesen Umständen keine die Ausübung der Servitut einschränkende Widersetzlichkeit ableitbar ist, hält sich ebenfalls im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung und wirft keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage auf. Insbesondere, dass nach dem Sachverhalt gerade keine Hindernisse bestehen, welche das ersessene Benützungsrecht des Wegs auf gewöhnliche und allgemein übliche Art im festgestellten Umfang unmöglich gemacht oder auch nur spürbar gestört hätten, ist im Einzelfall vertretbar.

[19] 5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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